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Ausgabe:

1953 Nr. 4

Spalte:

227-229

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Campenhausen, Hans von

Titel/Untertitel:

Polykarp von Smyrna und die Pastoralbriefe 1953

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 4

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Z w a a n. Die neutestamentlichen Einleitungsfragen werden auf
etwa 50 Seiten, im Vergleich zu Lietzmanns „Einführung" kurz,
wie es in der Linie dieses Werkes liegt, besprochen (G. S e v e n -
s t e r), dem folgt ein Abschnitt über die altchristliche Literaturgeschichte
bis Irenaus. Nach Johannes dem Täufer wird die Botschaft
Jesu in drei Abschnitten behandelt: im ersten wird kurz,
aber sehr lehrreich, die Vielfalt der historischen Fragen einschließlich
der Geschichte der Forschung deutlich gemacht, im
zweiten (W. S. van Leeuwe n) Jesu Verkündigung („Die Verkündigung
des Königreiches Gottes in den Evangelien") besprochen
(Leben, Verkündigung und Taten Jesu gehören zusammen).
Der dritte Abschnitt gilt dem Johannesevangelium.

Der Urgemeinde ist ein Beitrag von N. K. van den
A k k e r gewidmet, der sich hauptsächlich auf den ersten Teil der
Apg. stützt und Jakobus und 1. Petrusbrief mit heranzieht. Paulus
hat J. N. Sevenster behandelt (Paulus war Theologe, seine
Ethik fließt aus seiner Theologie), sein Schlußabschnitt über
Paulus' Verkündigung auf dem Hintergrund der hellenistischen
Welt betont den grundsätzlichen Unterschied beider Welten, vor
allem das andere Menschenverständnis. Hier wäre allerdings die
von Bultmann und Käsemann aufgeworfene Frage nach Bedeutung
der gnostischen Begriffswelt für die Verkündigung des Neuen
Testaments nicht genau am Platze gewesen, da sie an Hand von
Johannes und Hebräerbrief aufgeworfen ist, aber sie wird auch
sonst nicht gestellt, bei der Literatur zum Hebräerbrief ist Käsemann
nicht genannt.

In dem Abschnitt über das nachapostolische Zeitalter hat
P. A. van Stempelvoort über das Entstehen des Kirchenbegriffs
und Ch. de B e u s über das religiöse Leben und die
Sakramente gehandelt, während ein (übersetzter) Abschnitt von
O. C u 11 m a n n in dem Abschnitt über „Das älteste Christentum
und die Kultur" herausstellt, daß weder von einer grundsätzlich
weltfeindlichen noch einer grundsätzlich weltverneinenden
Haltung zu sprechen sei, die Theologie der ältesten Kirche
ist ein Zeichen des rechten Stehens in der Welt. Solange die
Welt nach Gottes Willen steht, hat die Christenheit in ihr zu
stehn und in jedem einzelnen Falle ihre Haltung nach dem Evangelium
zu bestimmen.

Im letzten Abschnitt, dem über die nachapostolische Zeit,
sind von C. W. M ö n n i c h besonders die apostolischen Väter
und die Apologeten besprochen, während G. Q u i s p e 1 mit der
christlichen Gnosis das ganze Werk schließt. Ein Register von
Namen (alter und neuer Zeit) ist beigegeben, doch sind die
Namen heidnischer Götter und Stichworte wie Gott, Jesus, Hl.
Geist ausgelassen. Ein Sachregister fehlt und wird nur in etwa
durch das Inhaltsverzeichnis aufgewogen.

Es hängt mit der Entstehung des Werkes zusammen, daß
seine beiden Bände nicht recht aufeinander abgestimmt sind. Im
Allgemeinen ist die Vielzahl der Mitarbeiter der Qualität des
Ganzen zu gute gekommen, eine einheitliche Linie, besonders im
zweiten Teil, ist nicht zu verkennen, eine gewisse Ungleichmäßig-
keit in der Anlage der verschiedenen Beiträge, in der Literaturauswahl
(ob reichhaltig oder nicht) und manche Überschneidungen
müssen dabei in Kauf genommen werden und sind vielleicht
in einer zweiten Auflage, die dem Buch zu wünschen ist,
etwas zu reduzieren. Wünschenswert scheint mir für eine Neuauflage
vor allen Dingen eine größere Konkretheit des ersten
Teils im Blick auf den zweiten. Ein Sachregister wäre erwünscht.

Hornheide über Münster/W. W. Foerster

Campenhausen, Hans Frhr. v.: Polykarp von Smyrna und die
Pastoralbriefc. Heidelberg: Winter [1951]. 51 S. gr.8° = Sitzungsberichte
d. Heidelberger Akademie d. Wissensch. Philos — hist. Klasse,
lahrg. 1951, 2. Abhandl. DM 5.10.

Es ist noch immer eine Streitfrage, ob die Pastoralbriefe
direkt oder indirekt von Paulus stammen oder nicht; so sehr
sich die Einsicht in den späten Charakter der in diesen Schriften
vertretenen Anschauungen verbreitet hat, so uneingeschränkt
wird auch heute von nicht wenigen Forschern die paulinische Herkunft
verteidigt. Diese Frage ist aber in der vorliegenden Arbeit
als erledigt vorausgesetzt; Hans von Campenhausen geht von der
nach seiner Meinung sicher erwiesenen Tatsache aus, daß die

Pastoralbriefe „in Wirklichkeit nicht von Paulus verfaßt sein
können". Er stellt dagegen von dieser Voraussetzung aus die Frage
, wie es sich mit der schon öfter bemerkten Verwandtschaft
zwischen den Pastoralbriefen und Polykarp von Smyrna verhalte,
ob nicht Polykarp der Verfasser der Pastoralbriefe sein könne
oder gar müsse. Die Untersuchung dieser Frage wird in einem
sehr klaren und methodisch einwandfreien Gedankengang vorgeführt
. Zunächst wird gefragt, was die Pastoralbriefe von sich
aussagen: sie müssen in der Asia, der Heimat Polykarps, entstanden
sein; die kirchlichen Zustände weisen auch in eine spätere
Zeit als den Anfang des 2. Jahrhunderts; der Verfasser ist auf alle
Fälle Kleriker, vermutlich monarchischer Bischof, doch wird der
Rang des Bischofs nicht scharf von den andern Ämtern abgehoben
, der Bischof ist noch primus inter pares; der Verf. ist Pauliner
und beruft sich auf feste apostolische Überlieferung und das als
Predigtamt verstandene Amt. Diesem Bild tritt nun das des Polykarp
zur Seite, von dem wir auch abgesehen von dem einzigen erhaltenen
Brief ziemlich viel wissen: er war ein einflußreicher
monarchischer Bischof Kleinasiens, der sich mit Nachdruck auf die
Apostel berief, ein bekannter Ketzerbekämpfer war und zahlreiche
Gemeindebriefe geschrieben hat.

Auf diesem Hintergrund zieht nun v. C. Zug um Zug einen
Vergleich zwischen den Pastoralbriefen und Polykarp. Der Einwand
, daß der wenig originale Philipperbrief des Polykarp nicht
vom selben Verfasser stammen könne wie die Pastoralbriefe,
wird zunächst als berechtigt anerkannt, seine Beweiskraft aber in
Frage gestellt, weil andere Gründe für die enge Zusammengehörigkeit
beiderTexte sprechen. Im Wortschatz finden sich mehrere
Gemeinsamkeiten gegenüber der gesamten urchristlichen Literatur
, die nach von Campenhausen nur als „eine unwillkürliche
Übereinstimmung in der Denk- und Sprechweise, wie sie bei ein
und demselben Autor zu verschiedenen Gelegenheiten hervortritt
oder wie sie auch in einem bestimmten kirchlichen Milieu und Zusammenhang
gebräuchlich sein müssen", gedeutet werden können.
Eine literarische Abhängigkeit des Polykarp von den Pastoralbriefen
sei dagegen äußerst unwahrscheinlich. Eine weitere Übereinstimmung
besteht im Inhalt und Aufbau der Briefe, beides sind
nicht Kirchenordnungen, sondern Mahnschreiben, deren gemeinsamer
Inhalt so sonst nirgends mehr begegnet. Besonders wichtig
ist der nun folgende Nachweis, daß die Auffassung des Amtes
auf beiden Seiten die gleiche ist. Polykarp ist zwar monarchischer
Bischof, aber er begreift den Bischof in die Zahl der Presbyter
ein und will nicht als Haupt seines Prcsbyteriums gelten; Stufen
innerhalb des Klerus werden nicht betont, die kultische Funktion
des Amtsträgers fehlt ebenso wie seine pneumatische Begabung.
Darin unterscheidet sich Polykarp vom 1. Clemensbrief ebenso
wie von Ignatius, geht dagegen völlig mit den Pastoralbriefen
zusammen. Auch in der dogmatischen Stellung besteht eine Gemeinsamkeit
: beide berufen sich auf den überlieferten Lehrbesitz
und machen die Gegner verächtlich, deren Art aber unsicher bleibt.
Freilich lasse sich Polykarp ad Phil. 7, 1 („Wer die Worte des
Herrn nach den eigenen Begierden verdreht und sagt, es gebe weder
Auferstehung noch Gericht, der ist ein Erstgeborener des
Satans") eigentlich nur auf Markion beziehen, aber diese Beziehung
sei möglich, wenn man mit Harrison die beiden letzten
Kapitel des Polykarpbriefes als älteres Schreiben abtrennt, während
Kap. 1-12 dann in die Mitte des 2. Jahrhunderts anzusetzen
wären (nach v. C. ist diese Annahme freilich nicht ganz überzeugend
); in diesem Falle wenden sich beide Texte gegen Markion.
Besonders wichtig ist dann noch, daß Polykarp keine Berührung
mit den johanneischen Schriften zeigt, dagegen ausgesprochen
Pauliner sein will, während in der ganzen übrigen christlichen
Literatur jener Zeit keine Beziehung auf Paulus begegnet: weil
der echte Paulus nicht ausreichte, wurden die Pastoralbriefe geschrieben
.

Abschließend wägt v. C. noch einmal pro und contra gegeneinander
ab, stellt fest, daß die Stilunterschiede beim selben Verfasser
durchaus denkbar seien, und betont, daß der Fülle der Zitate
im Polykarpbrief auch in den Pastoralbriefen Zitate entsprächen
, und daß der einzige erhaltene Polykarpbrief nicht beweise,
daß Polykarp immer so viel zitiert habe. Die geschichtlichen
Gründe aber sprächen eindeutig für Polykarp als Verfasser der