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Ausgabe:

1952 Nr. 3

Spalte:

177-179

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brunstäd, Friedrich

Titel/Untertitel:

Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften 1952

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 3

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SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Brunstäd, Friedrich: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften.

Gütersloh: Berteismann 1951. VI, 258 S. gr. 8°. Lw. DM 15.85.

Mit wehmütiger Freude nimmt man dieses Buch aus dem
Nachlasse des am 2.November 1944 im Alter von erst 61 Jahren
abgerufenen Rostocker Systematikers in die Hand. Wir
hatten von ihm noch manches Werk erhofft. Er wollte seine
,,Idee der Religion" (1922) in völlig neuer Bearbeitung herausgeben
und eine Dogmatik, die in seinen Vorlesungen zur Veröffentlichung
gereift war, folgen lassen. Dazu ist er nicht mehr
gekommen — ein schmerzlicher Verlust für die evangelische
Theologie gerade in ihrer jetzigen Lage, in der wir Brunstäds
Stimme so nötig gebraucht hätten. Doch hatte er kurz vor
seinem Tode den Wunsch und Willen ausgesprochen, das Manuskript
für das von ihm und seinen Hörern besonders geliebte
Kolleg „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften" solle
für seine Schüler und Freunde vervielfältigt werden. Man hat
recht daran getan, über diese beschränkte Öffentlichkeit hinauszugehen
und die Vorlesungen drucken zu lassen. Es ist seiner
Witwe und seinem Schüler Professor Lic. Karl Janssen in
Münster sehr zu danken, daß sie die schwierige Handschrift
entziffert und für den Druck fertig gemacht haben. Wir haben
nun in der Tat, wie das Vorwort sagt, ,,die abschließende Gestalt
der Lebensarbeit eines lutherischen Theologen" in der
Hand, „dem eine gültige Darstellung seiner theologischen Anliegen
durch die Ungunst der Zeiten nicht mehr vergönnt gewesen
ist".

Sein nachgelassenes Werk trägt den gleichen Titel wie das
bekannte Buch von E. Schlink. Jedes der beiden Bücher hat
seine eigene Art und beide Platz nebeneinander.

Die Herausgeber von Brunstäds Kolleg haben den Charakter
der Vorlesung gewahrt. Man hört an vielen Stellen die
lebendige Rede und Anrede. Brunstäd bezieht sich öfter auf
seine dogmatischen Vorlesungen, mit Wendungen wie „was
wir verbum actuale genannt haben" (139) — man darf da nicht
an frühere Abschnitte dieses Kollegs, sondern muß an seine
Dogmatikvorlesung denken. Mehrfach verrät das Buch auch
noch den Einschnitt zwischen zwei Vorlesungen: da wird dann
an die vorige Stunde angeknüpft und kurz rekapituliert.

Die Citate sind, soweit als möglich, am Schlüsse des Bandes
nachgewiesen. Die Entzifferung der Handschrift ist, wie
ich glaube, in der Hauptsache eindeutig gelungen. An ganz
wenigen zweifelhaften Stellen haben die Herausgeber behutsam
ergänzt; an einer oder zweien ist die Lesung mir fraglich.

In der Einleitung gibt Brunstäd eine geschichtliche Übersicht
über die Bekenntnisschriften und erörtert den Sinn einer
„Theologie der Bek.-Schriften", das Wesen des Bekenntnisses
sowie seine Verbindlichkeit. Die folgende Darstellung ist, wie
bei Schlink, nicht historisch, sondern thematisch gegliedert:
die Bek.-Schriften werden nicht der Reihe nach, sondern als
ein einheitliches Ganzes behandelt. Die Gliederung ergibt sich
wesentlich vom Aufbau der Augustana her: Schrift und Bekenntnis
; Gott und Christus; der Mensch und die Sünde; die
Rechtfertigung; von der Kirche (die Kirche und ihr Amt, die
Gnadenmittel; Kirchengewalt und Kirchenordnung; geistliches
und weltliches Regiment); Vollendung und Prädestination
. Diese Einteilung scheint mir glücklicher als die bei
Schlink: dieser ordnet die Lehre von der Sünde seltsamerweise
dem Kapitel „Die Offenbarung Gottes des Schöpfers"
ein, dessen Uberschrift weniger aus dem Bekenntnis als aus modernem
theologischen Interesse erwachsen ist. Noch bedenklicher
ist es, wenn Schlink die Christologie nicht in einem Kapitel
für sich bietet, sondern in dem großen, rund 100 Seiten
umfassenden Doppelkapitel „Gesetz und Evangelium" versteckt
, in das er außerdem, ohne weitere an Uberschriften erkennbare
Untergliederung, alles hineingepackt hat, was Brunstäd
unter dem Titel „Die Rechtfertigung" in den drei Kapiteln
„Die Rechtfertigungslehre", „Gesetz und Evangelium",
„Von den guten Werken und derHeiligung" bringt. Das scheint
mir sowohl sachlich wie vollends pädagogisch wenig glücklich.
In beiderlei Hinsicht verdient Brunstäds Einteilung den
Vorzug.

Brunstäd breitet den Gehalt der Bek.-Sehr, überaus klar
und lebendig aus, mit historischer Sorgfalt und zugleich sachlich
-systematischer Durchdringung ihrer Lehre. Er bekennt
sich zu deren wesentlicher Wahrheit in jedem Kapitel. Man
merkt ihm die Freude an der reinen lutherischen Lehre an.
Ihre evangelische Lauterkeit wird gegen Rom und Genf mit
großer Kraft der Uberzeugung ans Licht gestellt, auch gegenüber
Kritik und Umbiegung im eigenen Lager behauptet und
abgegrenzt. So verteidigt Br. bei der Rechtfertigungslehre die
Apologie gegen die Anklage auf Zweideutigkeit und stellt ihre

Einheit mit Luther fest. „Luther hat zweifellos synthetisch gelehrt
, darin auch wirkliche Gerechtmachung begründet",
„Gerechtmachung durch Gerechterklärung". Er lehnt sowohl
Oiiander wie K. Holls Deutung von Luthers Rechtfertigungslehre
ab, erkennt aber bei Ersterem sein „Wahrheitsmoment",
die Kritik der bloßen Imputation, an. Mit Nachdruck tritt er
ein für den tertius usus legis und legt ihn so dar, daß die evangelische
Klarheit nicht verletzt wird. Fast nur an dieser Stelle
hat Brunstäd ganze Sätze unterstrichen — ein Zeichen, wieviel
ihm an diesem Punkte liegt. „Die Lehre vom dritten
Brauch des Gesetzes gehört zu den ganz unaufgebbaren und
einwandfreien Stückendes Bekenntnisses". Bei dem Lehrstück
der Prädestination bekennt er sich sachlich ohne Rückhalt zur
FC: „Sie trägt das Ergebnis der reformatorischen Theologie,
die von Luther ausgeht, zur Sache vor" (242). Er nimmt Me-
lanchthon gegen den Vorwurf des Synergismus in Schutz:
„daß es so scheinen kann, als werde er zum Synergismus abgedrängt
, das ist nicht Verfehltheit der Lehrintention, sondern
Unzulänglichkeit der Denkmittel. Wir dürfen uns nicht etwa
gegen Melanchthon auf den Anfang des Weges Luthers, den
übrigens Melanchthon geteilt hat, zurückwerfen lassen, statt
ihn, wie Luthers eigene Gedankenbewegung (in Sachen der
Prädestination) vorzeichnet, bis zu Ende zu gehen. Und diejenigen
, die mit großem radikalem und paradoxem Geschrei auf
den jungen Luther zurückgehen wollen, statt sich gesagt sein
zu lassen, was auch Luther in seinem Christenleben hat lernen
müssen und gelernt hat, denen ist die Dordrechter Synode entgegenzuhalten
— und dort müssen sie landen. . ." (234).

Dieses Ja zum Lehrgehalte der Bek.-Sehr, ist freilich ein
kritisches. Br. unterscheidet zwischen der Intention und der
Gestalt der Lehre und zeigt an vielen loci die Unzulänglichkeit
der letzteren auf. So z.B. bei der Christologie der FC:
„Statt der Lehre von der communicatio idiomatum sollte die
Enhypostasie-Christologie folgerichtig durchgebildet werden.
Dazu mangelt es wieder am Personbegriff, das substantielle
Denken überwiegt und verbildet den richtigen Ansatz, die
wahrhafte Lehrintention, in der man bestes lutherisches Erbe
bewahrt, im Sinne der Seinsmetaphysik" (46). Die „mythische
Form" der Erbsündenlehre, die Dogmatisierung der Adamsgeschichte
, ist „unzulänglich" (56). Die Kategorien Substanz
und Akzidens in FC sind „wirklich nicht geeignet, die Personwirklichkeit
, das Persongeheimnis, um das es in der Sünde
geht, zu fassen" (59). Das unauflösliche widerspruchsvolle Ineinander
von Geschöpf und Sünde kommt in der Formel der
FC von rudera und residua nicht zur Geltung (62). „Bürgerliche
Gerechtigkeit", von der die Bek.-Sehr, reden, ist „ein
sehr beschränkender Ausdruck"; was er meint, besagt in
unserer Sprache, „ohne Verengung und Verkürzung ausgedrückt
": „der kreatürlichen Wertlebendigkeit ist der Mensch
fähig, weil Gott seine Schöpfung aufrechterhält und den Menschen
auch nach dem Fall mit seinen Schöpfungsgaben begnadet
, ohne die der Mensch nicht einmal sündigen könnte" (56.
68). In der Rechtfertigungslehre kann die Lehrintention der
FC „nur bejaht werden". „Ihre Lehrgestalt setzt sich dem Mißverständnis
aus, als ob das Forensische das Effektive ausschlösse
" (77). In der Sakramentslehre: „Die Rede vom verbum
visibile ist nur ein unzulänglicher Ansatz" (140). Er begründet
aber wenigstens das Sakrament vom Worte her und
wahrt damit die evangelische Linie, von der später die Orthodoxie
und das Neuluthertum abwichen. In der Abendmahlslehre
versteht Br. die lutherische Lehrintention personalistisch:
es geht um die personhafte Gegenwart Christi, nicht um stoffliche
Gegenständlichkeit (176). Das heißt: Br. nimmt die Linie
Melanchthons auf, den er als „genuinen Lutheraner zu Ehren
bringt": „M. ist nie Kryptokalvinist gewesen, auch in der
Abendmahlslehre nicht" (173. 234). In der Prädestinationslehre
der FC hat die Lehrgestalt Mängel. Mit unseren Denkmitteln
, dem Begriffe der „unbedingten Synthesis a priori" —
dieser Begriff verbindet Brunstäds theologisches Stadium mit
dem früheren philosophischen der „Idee der Religion" —, d;e
nichts anderes besagt als die schöpferische Liebe, kann die
Lehrintention der FC in die Gestalt gebracht werden, die ihre
Wahrheit erst voll und ohne die Gefahr des Mißverständnisses
ausdrückt (246f.).

So endet die Darstellung des Gehaltes der Bek.-Sehr, bei
Brunstäd in mehreren Kapiteln mit eigenen dogmatischen Ausführungen
. Sie bleiben aber im Rahmen des Ganzen, weil Br.
gewiß ist, mit ihnen die Lehrgestalt der Bekenntnisschriften
im Sinne ihrer Intention umzubilden. Das gilt auch von seiner
Auffassung des Abendmahls, mit der er an die heutige Auslegung
der Einsetzungsworte, etwa bei A. Schlatter oder
J. Schniewind oder J.Jeremias anknüpft. (i74f-) Ich stimme
ihm darin zu. Selbstverständlich ist das Unterscheiden von
Lehrintention und Lehrgestalt in concreto immer eine per-