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Ausgabe:

1952 Nr. 3

Spalte:

147-150

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Die Kirche des Epheserbriefs 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 3

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sammentrifft. Kgd. wünschte, man solle ihn laut lesen; man
versuche das nur einmal bei dem Deutsch von E.Hirsch! Drei
Arbeitsgänge sind mindestens erforderlich, um eine Kgd. gemäße
Übersetzung zu erreichen. 1. Arbeitsgang: Ubersetzung
Wort für Wort; 2. Arbeitsgang: Ubersetzung des wörtlichen
Textes in deutsche Syntax; 3. Arbeitsgang: Herausfinden der
besten deutschen Formulierung, die im deutschen Sprachgeist
die entsprechende Formulierung des dänischen Sprachgeistes
wiedergibt. Es muß dem Leser dagegen erscheinen, als
ob Hirsch meist schon beim ersten Arbeitsgang stecken blieb.
Deshalb wirkt der Text von Hirsch wie das erste Unreine vor
der Schrempffschen Ubersetzung. Hirsch sinkt hinter seine
eignen Anfänge zurück, da er auf dem Standpunkt von vor
20 Jahren stehen bleiben will. Hätte er aufgeschlossenen Sinnes
von den Fortschritten des Auslandes profitiert, so hätte er
sehen können, wie z. B. die französischen und englischen Ubersetzungen
das Problem (Verzeihung: „Fragmal") anpacken
und, ohne an Tiefe etwas zu opfern, die Eleganz des dialektisch
federnden, treibenden, quellenden, kreisenden Stiles Kgds. bewahren
. Verglichen damit wirkt E.Hirschs Versuch wie der
matte Ausdruck einer großen Erschöpfung und Hilflosigkeit;
monotone mechanische Wiederholung (Fehlen der Synonyme
), Armut des Wortschatzes trotz aller Ambitionen abseitiger
„Sprachschöpfungen", Verkrampfung in einer „ivresse
de fatigue", die das Gefühl für die Unmöglichkeit seltsamster
Narrensprünge lähmt. So deprimierend dieses Fazit für alle
deutschen Kgd.-Verehrer ist, es muß offen ausgesprochen werden
: vor allem um Kgds. willen, dessen Forderung nach Redlichkeit
kein Vertuschen duldet, und der sich selbst leidenschaftlich
gegen jede Mißdeutung seiner Gedanken wehrte;
zum andern aber, weil wir nur so aus der gefährlichen Stagnation
herauskommen können, die aus der mauvaise foi, aus dem
inneren Zwiespalt erwächst, Kgd. aus antikierkegaardischer
Gesinnung heraus oder (gar in sie hinein!) zu übersetzen. Denn
diese ist die innerste Ursache des qualvollen Versagens im einzelnen
wie im ganzen des so wichtigen Anliegens einer dem
heutigen Stande der Forschung angemessenen deutschen Kgd.-

Ubersetzung. Jetzt ist noch Zeit durch Wahrheit zur Klarheit
zu kommen, damit man nicht ungewarnt später zu dem Endresultat
gelangt: Ein großer Aufwand schmählich ist vertan!
Deshalb kann es nichts helfen, daß man aus Furcht, gegen die
Massenklischees zu handeln, ohne Sachkenntnis im Stile des
Tagesjournalismus lobt. Sobald man vor das Urteil unvoreingenommener
Kenner, namentlich des Auslandes, kommt, wird
es mit den anpreisenden Waschzetteln gehen wie mit des „Kaisers
neuen Kleidern" in H.C.Andersens Märchen! Und eben
dieser Gefahr darf die deutsche Kgd.-Forschung sich nicht aussetzen
, darum mußten die Tatsachen beim richtigen Namen
genannt werden. Nur die gründliche Einsicht in Umfang und
Ursachen von E.Hirschs Scheitern kann die deutsche Kgd.-
Forschung wachrufen „zu ihrem eigentlichen Semkönnen".
Daß gute, moderne deutsche Kgd.-Ubersetzungen möglich
sind, beweist die vorzügliche Neuübertragung der Kgd.-Stellen
in der eingangs genannten Schweizer Ausgabe der Kgd.-Biographie
von Hohlenberg. Man halte sie gegen die von E.H.,
und man kann nur mit größter Sorge daran denken, was uns
noch bevorsteht, wenn Hirsch in diesem Stil weiterarbeitet,
zumal, wenn es an die „Philosophischen Brocken" und an die
„Unwissenschaftliche Nachschrift" geht. Dadurch wird dann
nur bewirkt werden, daß noch mehr Deutsche Dänisch lernen,
um statt unmöglicher Ubersetzungen den wirklichen Kgd.
lesen zu können (und dies ist vielleicht etwas Gutes). Die erste
Ubersetzung von Gottsched und Schrempff hatte bei all ihren
offen zugegebenen Mängeln doch eine historische Aufgabe: die
moderne Kgd.-Renaissance einzuleiten. Die Versuche E. Hirschs
können in ihrer jetzigen Gestalt nur „historische" Bedeutung
im Sinne tragischer Ironie erhalten: den Deutschen den Zugang
zu Kgd. in ungeahnter Weise zu verbauen. Kgds. Genius
entflieht antikierkegaardischer Vergewaltigung! Aber diese
destruktive Wirkung dürfte weder im Sinne des Verlages, der
sich um würdige Ausstattung bemühte, liegen, noch im Sinne
ahnungsloser Käufer. Dem eigentlichen Forscher bleibt nur der
Weg ad fontes: zur konstruktiven modernen Kgd.-Forschung,
namentlich in Kgds. Heimat!

Die Kirche des Epheserbriefs

Von Leonhard Fendt, Bad Liebenzell

Die Arbeiten von Reitzenstein und Schaeder aufnehmend
hat Heinrich Schlier die Exegese des Epheserbriefs (Eph.)
auf neuen Boden gestellt. Schlier arbeitete, wie bekannt, aus
dem Eph. das außerchristliche (nämlich „gnostische") Aion =
Urmensch = Erlöser = Schema heraus und zeigte zugleich,
daß im Eph. dieses Schema zur Verkündigung des christlichen
Glaubensinhaltes exxbjala benutzt wird (H. Schlier:
Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen
, 1929; Christus und die Kirche im Epheserbrief, 1930;
Artikel xe<pah] und ävaxetpalaidiaaa&ai ThWNT III, 672—682).
Nun bietet uns Schlier in einem gedrängten Aufsatz1, welchen
er in Grosches „Beiträgen zur Kontroverstheologie" veröffentlicht
, eine Zusammenfassung seiner Studien zum Eph.
Man findet in dem gleichen Bändchen einen Parallel-Aufsatz
des Katholiken Viktor War nach über die katholische Fachexegese
der exx?.t]ola des Eph. Beide Aufsätze werden illustriert
durch reichhaltige wissenschaftliche Anmerkungen, welche
auch die neuere Literatur bis 1949 verzeichnen (Warnach auch
als Kenner der Kirchenväter-Exegese ausweisen). So ist geradezu
ein Kompendium der Ekklesiologie des Eph. entstanden
.

Klar erscheint die Tatsache, daß im Eph. die Idee
Gottes exxhaia, die Idee Gottes rä Ttävra, die Idee Gottes
„Rückführung des Alls" (ävaxscpäÄauoaaa&ai rä izävra), die Idee
Gottes xaivog äv&QWTtog gemeint ist. Es wird also im Eph., wo
von der exxlrjoiä geredet werden soll, von Gott, von
Christus geredet. Wir erhalten so keine Ekklesiologie rüv
ini rfjq yfjg, sondern eine Theo- und Christologie der Idee
Gottes exxhjoi'a. Wir verbleiben innerhalb des „Mysteriums",
wenn anders Mysterium als das Handeln Gottes durch Christus
im Hl. Geist verstanden wird, wie dieses Handeln der olxovoßla

') Schlier, Heinrich, u. Viktor Warnach: Die Kirche im Epheserbrief
. Aufsätze. Münster: Aschendorff 1949. 114 S. 8° - Beiträge zur Kontroverstheologie
1. = Catholica. Bein. 1. DM4.80.

Gottes entspringt und entspricht. Die Höhenlage dieser Betrachtung
ist gewaltig — und man erhält den Eindruck:
„anders als bei Luther". Und doch ist die Höhenlage bei
Luther nicht geringer, aber der Inhalt der Ekklesiologie
Luthers ist „pistischer". Luthers Ekklesiologie erweist sich
als die des „Wortes und Sakramentes" (vgl. auch Augustana
art. VII.), biblisch und aus dem „Mysterium" (siehe die eindrucksvolle
Darstellung von Werner Eiert, Die Lehre des
Luthertums im Abriß, 1926, und: Morphologie des Luthertums
I, 1931). Davon unterscheidet sich die des Eph. durch
einen „vermehrten" Inhalt, und diese „Vermehrung" kam
dem Eph. zweifellos aus seinem Aion-Urmensch-Erlöser-
Schema, gewiß nicht durch rohe „Entlehnung" von dorther,
sondern durch eine feine christliche „Auslegung", etwa durch
typologische Auslegung: das „Gnostische" als Typus, das
Christliche als Antitypus! Ein christlich ausgelegtes „Gnosti-
sches" ist nicht mehr Gnostizismus, sondern Christentum —
aber doch eine Beute aus dem Gnostizismus. So können wir
Luthers Ekklesiologie „pistisch" und die des Eph. „gnostisch"
nennen, wenn wir „gnostisch" nunmehr nicht im Sinne von
„Gnostizismus", sondern im Sinne der yv&aq 2. Kor. 11,6
„apostolisch" interpretieren.

Was nun die „Kontroverstheologie" betrifft, so dürfen
wir mit einiger Erregung daran erinnern: Vor 1920 war die
gnostische Ekklesiologie des Eph. als „die katholische" registriert
und inkriminiert. Sogar die pistische Ekklesiologie, die
wir bei Luther finden, war des „Katholisierens" reichlich verdächtig
. — „Haben Sie eine katholische Lutherausgabe?"
fragte N. einen Referenten über die Ekklesiologie Luthers! —
Eigentlich „evangelisch" war nur der Protest gegen die
pistische und die gnostische Ekklesiologie. Aber die Kontroverstheologie
in puncto Kirche war damals eine glatte Angelegenheit
. Heute nun ist die pistische Ekklesiologie, ja sogar
die gnostische Ekklesiologie des Eph. in Theologie und Verkündigung
der Evangelischen so zu Hause, daß das Bei-