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Ausgabe:

1952 Nr. 12

Spalte:

730-731

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Higgins, Angus J.

Titel/Untertitel:

The christian significance of the Old Testament 1952

Rezensent:

Westermann, Claus

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 12

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Recht der Überzeugung untergeordnet, daß wirklich gründliche
Erörterung einer Frage die Auseinandersetzung mit den
bisher auf sie gegebenen Antworten zur unerläßlichen Voraussetzung
hat. Die Leser des vorliegenden Buches werden daher
seinem Verfasser gerade dafür besonders dankbar sein, daß er,
wie in früheren Arbeiten, so auch diesmal wieder der Geschichte
der Forschung weiten Raum gegeben hat; zugleich gilt ihr
Dank der Tochter des Verfassers Margaret, die das in den
acht Abhandlungen aufgespeicherte reiche Material überhaupt
und das auf die Geschichte der Forschung bezügliche insbesondere
durch die Herstellung von Indices (Sachen, Autoren, Bibelstellen
, S. 306—327) bequem zugänglich und auswertbar gemacht
hat.

Während es mit Rücksicht auf den hier zur Verfügung
stehenden Raum bei der soeben gegebenen Charakterisierung
der acht im vorliegenden Band vereinten Aufsätze und der
Versicherung, daß sie alle bedeutsame, gegenwärtig lebhaft erörterte
Fragen zum Gegenstand haben und darum von der alt-
testamentlichen Wissensehaft freudig begrüßt werden, sein Bewendenhaben
muß, kann der erste, also der bisher unveröffentlichte
, Aufsatz wenigstens etwas genauer gewürdigt werden,
freilicli unter Verzieht auf die Erörterung seines wissenschafts-
Seachichtlichen Teils und unter Beschränkung auf die Darlegung
und Wertung der von Rowley selbst für das in Rede
stehende Problem vorgeschlagenen Lösung.

Unter Hinweis darauf, daß von dem 'Ebed weithin dasselbe
ausgesagt wird wi" sonst von Israel, schreibt Rowley der
kollektiven Deutung dieser Gestalt, also ihrer Identifizierung
mit Israel, ein hohes Maß von Wahrheit zu. Aber um eine völlige
Identität derheiden Größen kann es sich doch nicht handeln,
schon darum nicht, weil laut 4g, 5—6 der 'Ebed eine Aufgabe
an Israel zu erfüllen hat. Der am Tage liegenden Tatsache, daß
der 'Ebed bald eine irgendwie mit Israel zusammenfallende
kollektive Größe, bald eine von diesem verschiedene Individual-
gestalt zu sein scheint, wird am ehesten die Annahme gerecht,
der 'Ebed-Gedanke habe bei dem von uns Deuterojesaja genannten
anonymen Propheten des 6. Jahrhunderts v. Chr. eine
Entwickhing von kollektivistischer zu individualistischer Art
erfahren. Während das erste Lied, 42, 1—4, Israel als den 'Ebed
nennt, der aller Welt die wahre Religion zu bringen hat, besagt
das zweite, 4g, 1—6, daß nur ein geläutertes Israel diese Mission
erfüllen kann, daß also nicht nur durch, sondern auch an
Israel solch eine Aufgabe zu leisten ist, wobei etwa das „Israel
rechter Art" dafür in Betracht käme. Das dritte Lied, so, 4—g,
handelt von Leid und Verfolgung, die der 'Ebed bei der Erfüllung
seiner Aufgabe auf sich nehmen muß. ohne daß klar würde, ob
er als kollektive Größe oder als eine Israel in sich repräsentierende
Einzelgestalt zu denken ist. Im vierten Lied, 52, —53,12,
hingegen ist ohne Zweifel von einem Individuum die Rede,
dessen unschuldiges und stellvertretendes Leiden und Sterben
die notwendige Vorbedingung für die Erfüllung seiner Mission
ist. Soweit der 'Ebed der Lieder individualistische Züge trägt,
kann er weder als eine Einzelgestalt der Vergangenheit noch
der Gegenwart des Propheten gedacht noch auch mit diesem
selbst identifiziert werden, vielmehr kann es sich da nur um
eine von der Zukunft erwartete Größe handeln. Nun gleicht
Jesu Verkündigung und Geschick weithin den von dem Autor
der 'Ebed Jahwe-Lieder ausgesprochenen Erkenntnissen und
Erwartungen. So kann man sagen, daß diese Lieder tatsächlich
in Jesus ihre Erfüllung gefunden haben.

Vergleicht man diese Deutung der 'Ebed Jahwe-Liedermit
der von Lindblom in seinem vorhin fSp. 725-28) angezeigten
Buche vertretenen, so erkennt man alsbald, was die beiden genieinsam
haben und was sie trennt. Beide lehnen, obwohl mit
der gleichen Entschiedenheit die 'Ebed Jahwe-Lieder von dem
Verfasser ihrer Umgebung, also von Deuterojesaia, herleitend,
die eine Zeitlang sehr beliebte, ja als endgültig betrachtete
Identifizierung des 'Ebed der vier Lieder oder doch eines Teils
von ihnen mit dem Propheten selbst ab, und beide finden in
ihnen den Gedanken einer von Israel Gott aufgetragenen Mission
an der Welt ausgesprochen. Der Unterschied zwischen den
beiden aber besteht darin, daß Lindblom den 'Ebed überall,
a"eh da, wo er, wie namentlich im vierten Liede, ganz ausgeprägt
als Individuum erscheint, als symbolisches Bild für das
Israel der Gegenwart des Propheten versteht, während Row-
!ey meint, der Prophet habe, ohne damit den Gedanken an
Israels Missionsberuf ganz aufzugeben, sich gedrängt gefühlt,
diese Aufgabe mehr und mehr einer — Israel repräsentierenden
~7 Hinzelgestalt der Zukunft zuzuschreiben, da ihm zu ihrer Erfüllung
unschuldiges und stellvertretendes Leiden und Sterben
p'nes einzelnen unerläßlich schien. Daß von hier aus die Möglichkeit
, die 'Ebed-Erwartung in Jesus erfüllt zu sehen, leichter
gl gewinnen ist als von Lindbloms Deutung aus, liegt auf der
«and. Aber erreichbar ist sie hier auch Nur handelt es sich, wie

oben (Sp. 728) dargelegt wurde, bei der so oder so vermittelten
und so oder so gearteten Beziehung der 'Ebed Jahwe-Lieder
auf Jesus um eine Glaubensaussage, nicht um ein historisches Urteil
, um weltanschaulich bedingte Ausdeutung des Geschichtsverlaufs
, nicht um eine geschichtlich feststellbare Tatsache.
Das bedeutet nicht im geringsten eine Herabsetzung glaubensmäßig
gewonnener Aussagen über die Geschichte. Vielmehr
bilden so geartete Betrachtungen, mag man sie als Heilsgeschichte
oder als Geschichtsphilosophie bezeichnen, einen integrierenden
Bestandteil menschlichen Erkennens, und wenn
zwischen ihm und geschichtswissenschaftlicher Feststellung soeben
unterschieden worden ist, so soll das nicht bedeuten, daß
es sich nicht auch zu wissenschaftlicher Methode erheben und
damit die Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nehmen
könnte. Worauf es hier ankommt, ist allein dies, daß die beiden
Betrachtungsweisen sauber voneinander geschieden und nicht
vorzeitig miteinander vermischt werden. Aber auch bei Aufrechterhaltung
dieser Grenze ist Rowley zuzugeben, nicht nur
daß im vierten Liede der'Ebed viel stärker den Eindruck einer
Einzelgestalt macht als in den ersten drei Liedern, sondern
auch, daß die weltbewegende und weltumgestaltende Bedeutung
, die hier dem Geschick des 'Ebed zugeschrieben wird, eher
einer von der Zukunft erwarteten als einer der Vergangenheit
oder der Gegenwart des Propheten angehörigen Größe zugetraut
werden kann. Anderseits handelt es sich bei dieser Besonderheit
des vierten Liedes nicht um einen qualitativen, sondern
nur um einen quantitativen Unterschied von den drei
ersten Liedern, und von da aus gewinnt dann die Auffassung,
daß, wie dort in den drei ersten Liedern, so auch hier in dem vierten
, Israel als der 'Ebed gedacht ist, doch wieder die Oberhand.
Halle/Saale Otto Eißfeldt

Higgins, a. j. b., m. a., b. d., Ph. d.: The Christian Significance of

the Old Testament. London: Independent Press[1949]. 190 S. 8°. Lw. s.8.6.

Das Buch ist hauptsächlich für Nichttheologen geschrieben
. Es ist in der guten Weise populär, daß es einen Nicht-
fachmann in faßlicher und übersichtlicher Weise in die Grundfragen
des AT einführt. Es geht aus von Marcion und zeigt
an Hand gut ausgewählter Beispiele, was bei der Ablehnung
des Alten Testaments von der Bibel übrigbliebe. In nur zwei
Kapiteln sind die tieferen und die höheren Schichten des AT
in großen Umrissen entfaltet: 2. Some difficulties of the O.T.
3. The christward look of the O.T. Der Verf. will dabei zeigen,
das AT ist nur dann ein Teil der christlichen Bibel, wenn es
als Ganzes, d.h. mit den für uns schwerverständlichen und
mit den uns sehr fernliegenden Dingen und Vorgängen als
Gottes Handeln mit seinem Volk verstanden wird.

Das 3. Kapitel gibt einen kurzen Abriß der Geschichte der
Prophetie. Es handelt daneben vom Glauben an ein zukünftiges
Leben, dem Universalismus und der Messiashoffnung.

Das 4. Kapitel, The O.T. in the early church, fragt nach
der Bedeutung des Alten Testaments für die Schriften des NT.
Es wird dabei der gute Versuch gemacht, die Stellen hervorzuheben
, in denen das NT sich nicht auf Einzelzitate, sondern
auf Zusammenhänge des AT beruft.

Kapitel s, The interpretation of the O.T.: Verf. meint,
daß die alte Kirche gegen den Angriff des Marcion auf das AT
nicht anders sich wehren konnte als durch die allegorische Auslegung
. Der Weg der allegorischen oder mvstischen Auslegung
wird an einigen Beispielen vom NT bis Papst Innozenz III.
verfolgt. Auf die Nuancen und Abweichungen wird dabei nicht
eingegangen. Die Uberwindung der Allegorie durch die Reformatoren
wird erwähnt, wird aber in ihrer Bedeutung kaum
genügend gewürdigt. Das moderne Verständnis der Bibel wird
von 1753 (Astruc [!] und Lowth: De sacra poesi Hebräorum)
datiert. Diese Darstellung der Geschichte der Auslegung ist
allerdings sehr vereinfacht. Was jedoch am Schluß dieses Kapitels
über das Verstellen des AT gesagt ist, ist gerade in seüier
Einfachheit treffend und hilfreich: Der Verfasser wendet sich
entschlossen von der Methode ab, daß irgendwelche Sätze
oder Zusammenhänge aus dem Ganzen des AT herausgelöst
und als christlich oder besonders christlich bezeichnet werden.
„Es ist der Fehler gemacht worden, einen christlichen Charakter
in einzelnen und isolierten Abschnitten und Texten
mehr als im Ganzen des AT zu finden." Es gilt für das ganze
AT: „Allein im Reiche des Christus ist der wirkliche Sinn des
AT offenbart." Und um dasselbe noch in einer recht anschaulichen
Weise zu zeigen: „Es ist ein schwerer Fehler, eine Bibel
für das Studium und eine andere für die Frömmigkeit zuhaben
."

In den letzten drei Kapiteln 6. The missionary call to
Israel, 7. Jesus, the messiah, 8. The response to the
missionary call wird die Beziehung des Alten Testaments zum
I Neuen genauer in vier entsprechenden Zügen gesehen: 1. Die