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Ausgabe:

1952

Spalte:

48-49

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Kirche und Recht 1952

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. I

nichts von der Arbeit des evangelisch-sozialen Kongresses gehört
, kennt nicht seine Verhandlungsberichte, diese Fundgrube
von Einsichten und Forderungen. Er übersieht auch,
daß ein Mann wie Gottfried Traub mit lehrreichen sozial-
ethischen Werken vor allen anderen auf den Plan trat. Und
was bedeutete es, daß die Ethiken dieser Gruppe nicht bloß
fragten, wie der Christ im staatlichen Bereich sein persönliches
Leben führe, sondern auch, wie er seiner Verantwortung
für den Staat selbst genügen könne, eine Frage, die neuerdings
von Dilschneider nicht mehr erreicht ist! Was das Verständnis
der Liebe betrifft, so ist der feinere Abstand von Eros und
Agape von jener Gruppe damals ebensowenig wie von anderen
beachtet worden — hier ist die Philosophie (Max Scheler) vorangegangen
, nur Fr. Rittelmeyer, der doch mit dem Ritschl-
schen Kreis verbunden war, ist zur selben Zeit (1914) auf der
gleichen Fährte zu finden —, doch empfinde ich dieses Verständnis
nicht als so oberflächenhaft, wie es Wölber erscheint.
Hat die Liebe zu Gott noch einen anderen Spielraum des
Handelns außerhalb der Liebe zu den Brüdern ? Wie käme sie
dazu, auf Gott handeln zu wollen ? Das hindert sie nicht,
etwas Eigenes zu sein und sich bei aller inneren Einheit mit
der Bruder- und Nächstenliebe von dieser zu unterscheiden,
was alles man bei Th. Haering z. B. deutlich ausgesprochen
findet, übrigens hat Herrn. Schultz nie daran gedacht, die
Feindesliebe zu verneinen. Nur ,,den Teufel dürfen wir nicht
lieben". Mißlich ist vielleicht die starke Betonung des Zweckgedankens
, doch steckt auch darin eine Wahrheit.

Verf. fußt in seiner Auseinandersetzung auf dem altkirchlichen
Dogma. Er findet es freilich überraschend, wie sehr die
Schrift jeweils nur das lebensnahe, die christliche Lebensgestalt
möglichst unmittelbar berührende Dogma verkündet,
aber nicht die Summe der aus ihm ableitbaren rationalen
Wahrheiten überhaupt. Wieder urteilt er, daß wir den
Ritschlianern die Konzentration auf die Überzeugungstatsache
oder die existentielle Bedeutung des Dogmas zu danken
haben. Aber, wie gesagt, er selbst hält das ganze Dogma fest,
also die Zweinaturenlehre, das Chalcedonense, ja den Dyothe-
letismus, das lateinische Versöhnungsdogma (,,Liebestod Jesu
als Opfer für Gottes Heiligkeit"), dann die Dreiteilung uotitia-
assensus-fiducia, den ordo salutis. Das würde also ungefähr zu
Luthardts Ethik zurückführen. Wie soll aus diesem „Glauben
an" das Dogma, aus einem wieder so unlebendig gewordenen,
aus der eschatologischen Gespanntheit herausgenommenen
Christusbild eine neue lebendige, an Tiefen- und Breitenwirkung
die Ritschlsche übertreffende Ethik hervorgehen ?

Tübingen Georg Wehrung

Schneider, Friedrich, Lic. Dr.: Erkenntnistheorie und Theologie, zum

Kampf um den Idealismus. Gütersloh: Bertelsmann [1950]. 182 S. gr. 8° =
Beiträge zur Förderung christlicher Theologie. Begr. v. A. Schlatter, hrsg.
v. P. Althaus u. J. Jeremias. 45. Bd., 1. H. DM 16.20.

Dem Verf. geht es um eine wissenschaftliche Lösung des
sog. Feuerbach-Problems in der Theologie, also um eine wissenschaftliche
Begründung der Wirklichkeit Gottes. Als Beispiele
einer derartig erkenntnistheoretisch-realistischen Begründung
gibt er eine Darstellung der Theologie Dunkmanns, Schlatters
und Carl Stanges, als Gegenbeispiel eine scharfsinnige Auseinandersetzung
mit der Theologie Karl Heims, die den Idealismus
antirealistisch zu repristinieren versucht, dabei aber nicht
dem Anspruch der religiösen Erfahrung und der Theologie als
Wissenschaft gerecht werden kann, so daß er in Feuerbach
hinein- statt aus ihm herausführt und im Subjektivismus
endet.

Bei seinen Untersuchungen läßt sich der Verf. leiten von
der in der Erkenntnistheorie bestehenden Gegensätzlichkeit
von Realismus und Phänomenalismus, wobei Realismus bedeutet
: es gibt eine transsubjektive für den Menschen erfaßbare
Wirklichkeit, während der auf die moderne, auf Kant zurückgehende
Erkenntnistheorie weithin beherrschende Phänomenalismus
besagt, daß jene Wirklichkeit für den Menschen
unerfaßbar ist. Der Verf. ist nun der Ansicht, daß für die religiöse
Erfahrung und die Theologie nur jener realistische Standpunkt
maßgeblich sein könne, da es in beiden letzten Endes
nur um die Wirklichkeit Gottes und ihre Erfassung ginge, und
daß daher die Theologie ,,eine gewisse Abhängigkeit von der
Arbeit der Philosophie hinzunehmen" habe (S. 176). So richtig
die Erkenntnis ist, daß eine Religion steht und fällt mit der
Wirklichkeit ihres letzten Gegenstandes, und so wertvoll es ist,
immer wieder — im Gegensatz zu Feuerbach — auf dies Faktum
hinzuweisen, so wenig kann ich die Gleichschaltung von
Theologie und Philosophie, oder gar die Uberordnuug der letzteren
über die erstere billigen. Der Verf. berücksichtigt zu

wenig, daß Wirklichkeit und ihre Erfassung im Raum der
religiösen Erfahrung und im Raum des philosophischen Denkens
eine jeweils besondere ist. Er überschätzt daher auch das
gnoseologische Moment im Vorgang des Glaubens und gerät
daher in Gefahr, diesen Vorgang im katholisch-scholastischen
Sinne zu deuten, wie er die Formel Anselms credo ut intelligam
ausdrücklich nennt (178) und die Formel Thomas' von Aquin
nennen könnte: credere est cum assensione cogitare. Er hätte
sich besser von der schönen Bestimmung des Glaubens leiten
lassen, die Luther in seinem großen Katechismus gibt, statt
von der katholisierenden Glaubensdefinition der Apologie
(S. 8). Seine Definitionen, die Religion des AT und NT sei
fundiert im Kennen Gottes (20), die wissenschaftliche Theologie
will Gott erkennen (177) und Religion sei mit Hingabe
verbundenes Wissen von Gott (178), sind sehr einseitig. Sie
werten theologisch nicht streng genug die Bedeutung der
Offenbarung für den Vorgang des christlichen Glaubens. Sie
berücksichtigen nicht, daß das Subjekt dieses Glaubens nicht
der Verstand oder die Vernunft ist, sondern das „Herz". Und
sie werden vor allem dem Sachverhalt nicht gerecht, der konstitutiv
ist sowohl für die Religion überhaupt wie für den
christlichen Glauben im besonderen: dem Sachverhalt des
Heiligen, der wie Rudolf Ottos grundlegende Untersuchungen
über diesen Gegenstand gezeigt haben, dem menschlichen Erkennen
die absolute Grenze setzt. Aus dem Wissen um die
Grenze und nicht „auf Grund der Hypertrophie des Ich" (176)
ist bekanntlich auch der erkenntnistheoretische Phänomenalismus
Kants entstanden.

Auf jeden Fall kann das Feuerbach-Problem nicht erkenntnistheoretisch
gelöst werden oder durch Anleihen der
Theologie bei der Philosophie. Die Äußerung Goethes an
Eckermann gegenüber der Hegeischen Verbindung von Religion
und Philosophie müßte auch dem Verf. der vorliegenden
Untersuchung gegenüber wiederholt werden: „Die christliche
Religion ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkene
und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich immer wieder
emporgearbeitet hat; und indem man ihr diese Wirkung zugesteht
, ist sie über alle Philosophie erhaben und bedarf von
ihr keine Stütze."

Kiel Werner Schultz

Kirche und Recht. Ein vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland
veranlaßtes Gespräch über die christliche Begründung des Rechts. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1950]. 52 S. gr. 8°. Kart. DM 1.80.

Das Gespräch, dessen Ergebnis uns hier mitgeteilt wird,
wurde eingeleitet durch zwei Vorträge. Ernst Wolf sprach über
„Rechtfertigung und Recht" (5ff.) und Ulrich Scheuner über
„Zum Problem des Naturrechts nach evangelischer Auffassung
" (27fr.).

Wolf geht es um die Frage „nach der Rechtsbegründung",
das heißt „nicht um die Frage nach letzten, ideal-axiomati-
schen Rechtsgrundsätzen, nach den .letzten Normen' vorfind-
lichen positiven Rechts" in der Art des Naturrechts, sondern
„um die Frage nach Wesen und Wirklichkeit des Rechts überhaupt
" (11). Am christlich gedeuteten Naturrecht (auch der
Reformatoren) wird kritisiert, daß es „hinter einer biblizisti-
schen Fassade auf einem anderen Fundament" baut, „für das
die Christusoffenbarung jedenfalls nicht wesentlich ist" (11).
Positiv beschränkt sich W. im ganzen darauf, die Lösungsver-
suche K. Barths (Rechtfertigung und Recht) und bedeutend
ausführlicher Elluls (Le fondement theologique du Droit) darzulegen
. Das Naturrecht als Ideologie, als System letzter Normen
wird abgelehnt, weil das Recht des Menschen metaphysisch
nur durch Gottes rechtfertigendes Handeln in Christus
begründet wird; das Naturrecht dagegen als „rechtsgeschichtliche
Tatsache", als ein geschichtlich gegebener „Bestand
praktikabler, normativ-kritischer Rechtsgrundsätze" soll
„nüchtern in Rechnung" gestellt werden (24t.).

Scheuner stellt sich die Aufgabe zu prüfen, „inwieweit
nicht vom Boden evangelischer Lehre aus Hinweise für eine
gerechte Ordnung des sozialen und rechtlichen Lebens gegeben
werden können" (28). Er geht dabei so vor, daß er zunächst
„in einem historischen Uberblick die allmähliche Auflösung der
festen naturrechtlicheu Ordnung von Mittelalter und Nachmittelalter
vor Augen" führt, dann „die Folgen des Übergangs
zum Positivismus für Recht und Staat" schildert und
mit „einer kritischen Würdigung der Möglichkeiten einer
Wiederbelebung des Naturrechtsgedankens" schließt (28).
Auch er endet bei Ellul, wobei er freilich die Akzente anders
setzt als Wolf. Die These, daß das Naturrecht nicht „als absolute
Verwirklichung der Rechtsidee" verstanden werden darf,