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Ausgabe:

1952 Nr. 6

Spalte:

327-330

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Der Einfluß der Bibelwissenschaft auf das Gemeindebibelwerk 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 6

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Der Einfluß der Bibelwissenschaft auf das Gemeindebibelwerk

Von Leonhard Fendt, Bad Liebenzell

In der „Prophezei", dem „schweizerischen Bibelwerk für
die Gemeinde", hat Gottlob Spörri seine Bibelstunden über
das Johannes-Evangelium veröffentlicht1. Das waren ja ausgezeichnete
Bibelstunden, und da sie nun gedruckt vorliegen,
wird mancher solche Bibelstunden lebendig nacherleben. Auch
wir! Aber warum veröffentlicht die „Prophezei" über Joh.
Bibelstunden, und nicht, wie über Matth., einen Volkskommentar
? Das ist keine Kritik, sondern eine echte Frage!
Bibelstunden, Andachten, Predigten, Katechesen sind doch
schon gekochte Speisen, während ein Kommentar, auch ein
Volkskommentar, die Materialien aussucht und darreicht.
Ohne Bild gesprochen: Ein Volkskommentar setzt den Leser
über den Inhalt einer biblischen Schrift ins Bild, über Verfasser
, Sitz im Leben, über die Stellung in der Schrift im ganzen,
z. B. im NT, und über die Schwierigkeiten, die mit dieser
Schrift verbunden sind. Nun sagt Spörri in seinem „Vorwort
" : Er schreibe für die Gemeinde — und der sei es um den
im neutestamentlichen Kanon überlieferten Wortlaut des Joh.
und inhaltlich um die Christusoffenbarung in diesem Text zu
tun. überdies sei es auch wissenschaftlich zu rechtfertigen,
daß man so tue, denn es seien durch falsche Problemstellung
unbefriedigende Resultate aufgekommen. Ausdrücklich wird
auf Bultmanns Joh.-Kommentar Bezug genommen („Konstruktionen
", „von außen herangebrachtes theologisches
System"), auch wird Walter Bauers „Zitatenschatz aus
außerchristlichen Quellen" abgewiesen. Also: Kanon — vorliegender
Joh.-Text — Christusinhalt, nein: Christusoffenbarung
— was darüber hinausgeht, verwirrt die Gemeinde!
Man könnte ja fragen: „Welche Gemeinde?" und nochmal:
„Sind Bultmann und Bauer nicht auch um Kanon, Wortlaut,
Christusinhalt, ja Christusoffenbarung bemüht ?" Aber es soll
hier nicht kritisiert werden, sondern es ist uns um den Hinweis
zu tun: So steht also ein Seelsorger — und so akzeptiert es die
„Prophezei"; beide lehnen die rationale Untermauerung (durch
Auseinandersetzung mit der Bibel Wissenschaft) ab, und süid
überzeugt: „So wül es die Gemeinde". Dabei ist Spörri ein
Schüler der Bibelwissenschaft und dankt einzelnen Philologen
noch besonders! Wir folgern: Die Bibelwissenschaft ist demnach
gut zur Heranbildung von Schriftstellern und Stundenhaltern
, aber vor der Gemeinde bleibt sie ausgeschlossen, ja
der Schriftsteller und Stundenhalter wächst selbst darüber
hinaus. (Wodurch dann auch wieder das ABC fraglich wird,
nämlich ob die Bibelwissenschaft gut zur Heranbildung der
Verkündiger sei.)

Alfred Wikenhauser2, der Neutestamentier der katholisch
-theologischen Fakultät in Freiburg i.Br., bekam von der
Redaktion des „Regensburger Neuen Testaments" den Auftrag
, einen richtigen Kommentar für Bibelstudenten und Bibelpraktiker
zu schreiben — über Joh.! Der Vergleichspunkt mit
der „Prophezei" liegt darin, daß das „Regensburger Neue
Testament" einen Kommentar mit aller wissenschaftlichen
Auseinandersetzung will, hingegen die „Prophezei" Bibelstunden
über Joh. abdruckt, deren Verfasser sie ausdrücklich
von der Auseinandersetzung mit der Wissenschaft aus prinzipiellen
Gründen loslöst. Dieses Faktum ist interessant.
Natürlich gibt es auch im Katholizismus gedruckte Bibelstunden
u. ä., aber es wird darin nicht gegen die Auseinandersetzung
mit der Wissenschaft polemisiert! Nun kann man ja
dies Faktum konfessionell erklären und sagen wollen: Der
Katholizismus ist nicht zufrieden mit sog. inneren Gründen,
er will überall auch äußere Gründe, also Untermauerung der
inneren Gründe durch wissenschaftlich-rationale. Aber gerade
die Reihe: Kanon — überlieferter Wortlaut — Christusoffenbarung
müßte zuvörderst im Katholizismus einfach auf Treu
und Glauben hingenommen werden (wenn die konfessionelle
Erklärung genügte). Wikenhauser aber eröffnet mit 27 Seiten
Einleitungsfragen und 32 Exkursen ein wissenschaftliches Turnier
von Qualität! Und die katholische Welt antwortet mit
Anerkennung: „Verzichtet darauf, durch ein gefälliges Rankenwerk
erbaulicher Gedanken die Heilige Schrift zu „aktuali-

') Spörri, Gottlob, Lic: Das Evangelium nach Johannes ausgelegt
. [2 Bde]. I. Teil: Kapitel 1—11; II. Teil: Kapitel 12—21. Zürich:
Zwingli-Verlag [1950]. VIII, 245 S. u. V, 222 S. kl. 8° = Prophezei. Schweizerisches
Bibelwerk für die Gemeinde. Pp. je sfr. (u. DM) 8.80.

2) Wikenhauser, Alfred: Das Evangelium nach Johannes übers.

u. erkl. Regensburg: Gregorius-Verlag jetzt [Friedrich Pustet] 1948. 296 S.
gr. 8° = Das Neue Testament übers, u. kurz erkl. Hrsg. v. Alfred Wikenhauser
u. Otto Kuß. 4. Bd. DM 10.—, geb. DM 13.—.

sieren" oder dogmatisch auszuwerten . . . Auf dem Wege zum
Text bietet es, was die Wissenschaft erarbeitet hat, aber nur,
um den Leser dann in die Unmittelbarkeit einer Begegnung
zu entlassen, von der allem alles für die moderne Aneignung
zu erwarten ist." (So „Wort und Wahrheit" in Wien über das
ganze „Regensburger Neue Testament.") In der Tat: kann
man eine Interpretation des Joh. leisten, wenn man nicht fortwährend
auf die wissenschaftliche Lage eingeht ?

Wie der Wikenhausersche Joh. so sind auch die anderen
Teile des „Regensburger Neuen Testaments" ausgezeichnet
durch ernsthafte Bezugnahme auf die Bibelwissenschaft. Es
liegen uns heute vor (außer Wikenhauser): Thess. und Gefangenschaftsbriefe
, durch Karl Staab übersetzt und erklärt1
, Past. durch Josef Freundorf er1, Mark, durch Josef
Schmid2. Karl Staab druckt eine Entscheidung der Päpstlichen
Bibelkommission über die Parusie in den Thess. ab,
arbeitet aber im Kommentar ganz sachlich. Josef Freundorf
er (jetzt Bischof von Augsburg) ringt mit den Past. im
Lichte der katholischen Tradition, aber unter Aufbietung der
Bibelwissenschaft. (Z. B. nicht die Trias „Episkop, Presbyter,
Diakon", sondern die Trias „Apostel, Presbyter-Episkop,
Diakon" bildet den Ausgangspunkt! Zu „eines Weibes Mann"
wäre jetzt Evald Lövestam, Äktenskapet i Nya Testamentet,
1950, zu vergleichen.) — Josef Schmid Mark., 2. Auflage,
druckt voraus ebenfalls die Entscheidung der Päpstlichen
Bibelkommission zu Mark., speziell zu 16, 9—20, ab — urteilt
aber im Kommentar rein als Historiker und Bibel Wissenschaftler
über diesen Schluß. Der Mark. Schmids ist eine
wissenschaftlich-beachtliche Leistung von großem Reichtum.

Wieder etwas ganz anderes bietet Eucharius Berbuir3in
seiner Erklärung des Joh.-Prologs. Er bohrt sich tief in fromme
und theologisch-abgründige Gedanken ein, aber unter der
willkommenen Leitung der Bibelwissenschaft! Sogar der Joh.-
Kommentar Bultmanns wird bibelwissenschaftlich positiv benutzt
. Treffsicher die Einleitung Berbuirs „Vom Bemühen um
die rechte Deutung". Das Ganze: Vorlesungen in der französischen
Gefangenschaft Sommer 1946, spärliche Literatur stand
zur Verfügung, darunter freilich Bultmann und Lagrange.
(Eben deshalb muß der Student und Bibelpraktiker Wikenhauser
beiziehen.)

Es kann nun natürlich gar keine Rede davon sein, daß
die Bibelwissenschaft auf unserer Seite geringer sei — auch
die heutige katholische Bibelwissenschaft lebt ja dauernd von
der Auseinandersetzung mit der evangelischen. Und auch davon
ist nicht die Rede, daß unsere Bibelwissenschaftler nicht
ausgezeichnete Volkskommentare schreiben (z. B. im Göttinger
Bibelwerk) und daß sie etwa nicht gelesen würden. Nur
davon ist die Rede, daß man auf unserer Seite offenen Protest
gegen die Einbeziehung der Bibelwissenschaft in das Gemeindebibelwerk
antreffen kann! Und von da aus wird man
angesichts der Menge von gedruckten Bibelstunden, Andachten
, Predigten, Katechesen stutzig und fragt: „Ist das Absicht
, nämlich gegen die Bibel Wissenschaft" ? Ich will nicht
soweit gehen wie Gerhard Ebeling, der (ZThuK 1950, Heft 1,
S. 45) fragt, „ob nicht die weit verbreitete entsetzliche Lahmheit
und Abgestandenheit der kirchlichen Verkündigung, . . .
ob nicht ebenso die Unglaubwürdigkeit der Kirche als solcher
in hohem Maße damit zusammenhängt, daß man sich davor
fürchtet, die Arbeit der historisch-kritischen Theologie in sachgemäßer
Weise fruchtbar werden zu lassen" —, denn dieser
Satz ist nicht umkehrbar (wie die Erfahrung zeigte). Auch
würden kaum auf diese Weise „gewisse Haupttendenzen"
(a. a. O. S. 46) verschwinden; „ein neuer theologischer Dogmatismus
und traditionalistischer Konfessionalismus, ein Klerikalismus
und Sakramentalismus, eine Simplifizierung durch

') Staab, Karl und Joseph Freundorfer: Die Thessalonicher-
briefe, die Gefangenschaftsbriefe und die Pastoralbriefe übers, u. erkl.
Regensburg: Fr. Pustet 1950. 264 S. gr. 8° = Das Neue Testament übers, u.
kurz erkl. Hrsg. v. Alfred Wikenhauser u. Otto Kuß in Verb. m. J. Freundorfer
, J.Michl, J. Schmid u. K. Staab. 7. Bd. Paulusbriefe II. Kart. DM 7.80;
Hlw. DM 9.80.

2) Schmid, Josef: Das Evangelium nach Markus übers, u. erkl.

2., umgearb. Aufl. Regensburg: Pustet 1950. 249 S. 8° — Das Neue Testament
übers, u. kurz erkl. Hrsg. v. A. Wikenhauser u. O. Kuß. 2. Bd. Veröffentl.
d. Kath. Bildungswerkes Dortmund. Kart. DM 7.80; Hlw. DM 9.80.

') Berbuir, Eucharius: Zeugnis für Christus. Eine Auslegung des
Johannes-Prologs. Freiburg: Herder [1949]. XII, 219 S. m. 1 Titelb. gr. 8'.
Lw. DM 8.50.