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Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

308-310

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Schenk, Berthold von

Titel/Untertitel:

Liturgie und lebendige Gemeinde 1952

Rezensent:

Nagel, William

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

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machen. Außerdem ist die Selbstbehauptung und Selbstregulation
durchaus kein Kennzeichen der Organismen, da auch
die Kristallgebilde dieselbe Eigenschaft haben.

Also das Spielen mit dem Begriff „Raum" — offenbar
Heims Lieblingswort — werden viele ablehnen, auch ich.
Sonst aber gehe ich gern und fröhlich mit dem Buch und besonders
in den abschließenden S. 259ff. „Zur Begegnung mit
Gott können wir nicht durch die objektive Betrachtung der
großen gesetzmäßigen Zusammenhänge des Naturgeschehens
gelangen. Daß hinter diesen Ordnungen nicht unbegreifliches
Fatum, sondern ein lebendiger Gott steht, das geht uns erst
auf, wenn wir Gott auf dem ganz persönlichen Wege begegnet
sind" (aus der „Icheinsamkeit" — ein schönes Wort! — zum
allgegenwärtigen Du). Also ist der bekannte Titel des Bavink-
schen Buches von der „Naturwissenschaft auf dem Wege zur
Religion" rundweg abzulehnen. Die Naturwissenschaft als
solche kann diesen Weg von sich aus gar nicht gehen, sie hat
andre Aufgaben und andre Methoden. Der Ubergang zum
Glauben ist nur durch Seelensprung zu erreichen, nicht durch
kontinuierliche Schlußketten. Daher treten wir nach wie vor
für getrennte Bahnen ein. Es gibt eben keine sichere Denkbrücke
zwischen Glauben und Wissenschaft.

Ich will nicht leugnen, daß es einen Punkt gibt, wo ich
selbst stutzig werde und wo mancher Forscher stutzig werden
muß, als vor einer Schwelle des Erstaunens: die Beobachtung,
daß die Welt nicht ein Chaos ist, sondern ein Kosmos, voll
Ordnung („erhabener Ordnung" Planck), und Ordnung ist
nur, wo Logos ist. Bekanntlich der einzige Gottesbeweis, den
auch Kant gelten ließ, der kosmologische. Er tritt auch in
der Bibel auf: Rom. 1 (von Heim etwas anders ausgelegt). Man
denke bloß an die unbegreifliche Ganzzahligkeit der Naturvorgänge
, z. B. in den musikalischen Intervallen und Obertönen,
die auch Helmholtz in Erstaunen setzte und die einen Musiktheoretiker
, Fritz Reuter, zu den Worten bewegt: „Ich erblicke
in diesen unbegreiflich einfachen Gesetzen eine der
fabelhaftesten Naturoffenbarungen, die das Erdendasein uns
zu bieten vermag." Daß die objektiven Naturgesetze mit den
subjektiven Denkgesetzen übereinstimmen, ist auch einem
Planck „durchaus nicht selbstverständlich", sondern höchst
merkwürdig erschienen. Dasselbe gilt von vielen Tatsachen
des biologischen Gebiets, von der Orthogenese, vom Formgestaltungstrieb
der Pflanze usw. Diese geheimnisvolle Intelligenz
in der unbewußten Natur ist wie ein Fenster in eine
andre, in eine logische, d. h. logosgeordnete Welt. Hier wird
der Zufallsglaube auf jeden Fall arg in die Enge getrieben.
Trotzdem wird er immer wieder seinen Ausweg finden, und
wenn er ihn von Ratten nagen lassen muß. Zwei getrennte
Ufer — Wissenschaft und Glaube — aber es gibt emsige Brückenbauer
. Wenn einer ein Brückenbauer ist ohne gleichen, so
ist es gewiß Karl Heim. Nur fragt es sich, ob die Brücke
von der anderen Seite betreten wird. Möchte sie jedenfalls von
unsrer Seite her begangen werden, und möchten vor allem
noch viele junge Theologen aufs andre Ufer hinübergehen und
sich fleißig im Lager der Naturforscher umsehen!

Auf ein paar Einzelheiten bitte ich noch aufmerksam machen zu dürfen,
die ich für unrichtig halte. Zu S. 39 und 238: Man kann nicht gut von 98 Elementen
sprechen, trotz aller Transurane, die ja zum Teil noch sehr problematisch
sind. S. 42 steht eine Berechnung der bei der Uranspaltung frei
werdenden Neutronen, die ich für falsch halte. Es sollen von 235 Einheiten
des leichteren, explosiblen Uranatoms U235, bei der Neutronenbeschießung nur
noch 224 vorhanden sein, also 11 fehlen. Ich kenne die Reaktionsformel nur

in der Form: 2^ U + !, n = Ba +^ Kr + ? n, d. h. das U zerfällt in
U ob 00

Barium und Krypton (ein Edelgas), die aber nur 141 + 88 Gewichtseinheiten,
also zusammen 229 haben, so daß bis zu 235 noch 6 fehlen, nicht aber 11.
Diese 6 sind d ann freie Neutronen, die das Unheil anrichten können. (Neuerdings
haben sich übrigens noch andere Spaltprodukte herausgestellt.) — Auf
S. 35 findet sich eine Relativberechnung der Atomgröße, die ich anzweifeln
muß. Wenn die aufgestellte Proportion Erdball: Apfelsine = Wassertropfen
: Atom richtig wäre, ergäbe sich ein Riesenwassertropfen von 2 cm
Durchmesser, oder aber eine Riesenapfelsine von 25—30 cm Durchmesser, die
übliche Atomgröße von 10 hoch minus 8 cm Durchmesser angenommen.
Freilich ist die ganze Vorstellung veraltet. Es fragt sich sehr, ob man dem
Aktionsbereich „Atom" überhaupt eine Größenordnung zuschreiben darf. —
Endlich mache ich zu S. lOOf. ein Fragezeichen. (Allgemeine Relativitätstheorie
): Ein Stein in der Hand des Beobachters ist mit diesem im gleichen Bewegungssystem
, tritt also, aus der Hand gelassen, nicht aus diesem Bewegungssystem
heraus, fliegt also nicht in der Gegenrichtung zu Boden,
scheinbar „stehen bleibend", sondern bewegt sich weiter mit, wie ja auch der
fallen gelassene Apfel im fahrenden Eisenbahnwagen nicht etwa schräg fällt,
sondern genau so senkrecht fällt wie im ruhenden Zuge. — Unzutreffend ist
auch S. 62 die Vorstellung vom Quantensprung des Elektrons. Es ist gar

nicht dasselbe Elektron, das springt, sondern es tritt an der anderen Stelle
ein anderes Elektron auf. Der Individualbegriff für das Elektron muß aufgegeben
werden.

Dresden D. Arthur Neuberg

LITUR GIE WISSENSCHAFT

Schenk, Berthold von: Liturgie und lebendige Gemeinde. Ein Bericht

aus der liturg. Bewegung des amerikan. Luthertums. Kassel: Stauda 1951.
40 S. 8°. DM 2.40.

Das Heft bietet die Niederschrift von Vorträgen, die der
Verf. auf Einladung der theologischen Fakultät Marburg 1949
dort gehalten hat. Es steht die Erfahrung jahrzehntelanger
pfarramtlicher Tätigkeit in Amerika dahinter. Wir Deutschen
werden auch um deswillen des Verf. Aussagen sehr ernst nehmen
müssen, weil er die von uns allen erfahrene Opferwilligkeit
lutherischer Gemeinden Amerikas in ihrem erneuerten liturgischen
Leben begründet glaubt.

Im ersten Vortrag wird die Liturgie als die „Magna Charta
des königlichen Priestertums der Gläubigen" gepriesen. Liturgie
ist hier gemeint als die Gestalt des Sakramentes, die als
„Hauptgottesdienst der Christen" zur Quelle des geistlichen
Lebens der Gemeinde werde. Bis zum 4. Jahrhundert sei in
ihr das Moment des Handelns — und zwar auch das der priesterlich
gewerteten Laien — gegenüber dem Moment des Wortes
das eigentlich Gestaltende gewesen. Wir horchen freilich
auf, wenn ein Lutheraner dieses Handeln in der Versammlung
ganz ungeschützt als „Tun der Eucharistie, Vollbringen der
Mysterien, Darbringen des Opfers" beinhaltet; auch später
wird der Wortverkündigung die „Opferfeier" als der andere
Bestandteil des legitimen christlichen Gottesdienstes gegenübergestellt
. Seit ca. 350 habe die Entwicklung der Liturgie
in der nun entstehenden Volks- und Massenkirche den Laienstand
seines priesterlichen Tuns beraubt und den „Priesterkultus
" gezeitigt. Auch Luther habe infolge seines Kampfes
gegen das Meßopfer das geistliche Opferpriestertum der Laien
in der Liturgie nicht wiederhergestellt. Es sei darum die Aufgabe
der liturgischen Bewegung, „die tratidionelle Liturgie
wiederherzustellen mit ihren Zeremonien, Paramenten und
Gewändern" und „sie wieder regelmäßig, wenigstens an jedem
Sonn- und Festtag zu feiern" (S. 11). Nur von hier aus könne
der heute das Bild der Kirche so entstellende Laienstand,
„Menschen, die keine Verantwortung tragen, Masse, die mitgeht
, wenn es ihr gefällt oder wenn sie muß" (S. 13), wieder zur
Würde des ihm zukommenden geistlichen Priestertums emporgehoben
werden. Denn wenn die Laien nicht ihre Funktion in
der Liturgie als Glieder des Leibes Christi regelmäßig ausüben,
verlieren sie wie auch jedes unbenützte Glied am Menschenleib
ihre Funktionsfähigkeit. „Und weil durch Jahrhunderte
hindurch das Glied des Leibes Christi nicht gebraucht worden
ist, und weil seine geistliche Speise nur die Predigt war, deshalb
hat er (sc. der Laienstand) das Leben verloren". Denn
„durch die Eucharistie bildet der Sohn Gottes in den Christen
nicht nur sein eigenes Leben nach, sondern setzt es wirklich
fort" (S. 14).

Im zweiten Vortrag werden die daraus resultierenden liturgischen
Bestrebungen in der lutherischen Kirche Amerikas
dargestellt. Sie finden sich vor allem in der Missouri-Synode,
verständlich aus ihrer Beeinflussung durch W. Löhe (freilich
habe die Iowa-Synode trotz starken Einflusses aus der gleichen
Richtung nie liturgisches Interesse gezeigt), und in der Vereinigten
Kirche, in gewissem Maß auch bei den Skandinaviern.
Grundlegend sei für alle Verwirklichung die Erkenntnis geworden
, daß sie „parochial, d.h. eine Sache der Ortsgemeinde
sein muß" (S. 17). Als tragend für die praktische Arbeit nennt
der Verf. die Vereinigung „Bibel und Sakrament", die von
ihren Mitgliedern den allsonntäglichen Gang zum Sakrament
verlange, aber auch die wöchentliche Teilnahme an einer „Bibelklasse
" (S. 19/20). Wie einseitig sich dabei alles auf die Eucharistie
als eigentlichen Gottesdienst der Kirche zuspitzt, zeigt
etwa die Äußerung: „Ein Predigtgottesdienst ist wohl auch
eine Aufgabe der Kirche und eine Verpflichtung, aber ein solcher
Gottesdienst ist höchstens eine religiöse Versammlung,
vielleicht von großem religiösem Wert, aber er ist keineKirche"
(S.22). Die Hochschätzung des Sakraments läßt es sogar zu
der Frage kommen, ob man „diese wundervollen Akte" wie
Einsegnung, Ordination, Trauung Sakramente nennen soll
oder nicht. Die Antwort liegt in dem Shakespearezitat: „Eine
Rose, auch wenn sie bei einem andern Namen genannt wird,
duftet doch wie eine Rose" (S.20). Zur liturgischen Erziehung
der Gemeinde wird vor allem der Konfirmandenunterricht benutzt
. Damit es zu vollem Anteil am liturgischen Leben der

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