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Ausgabe:

1951 Nr. 2

Spalte:

75-78

Autor/Hrsg.:

Mehl, Oskar Johannes

Titel/Untertitel:

Thomas Müntzer als Liturgiker 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 2

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der als mit diesen paar Strichen konnte das Bild des Mannes
nicht gezeichnet werden, der als Presbyter v. Raithu die
Praeparatio schrieb und dann als Bischof von Pharan in den
Großkampf hineingezogen wurde. Ist wirklich Anastasius
Sinaita, dessen eigene Jugend bis in die Tage Theodors
v. Pharan zurückreicht, der Verf., so dürfen wir in seinen
Worten eine mittelbare Bestätigung der Identität beider Theodore
erblicken.

4-

Sicher ist jedenfalls, daß Theodor v. Pharan, wenn er eben
der frühere Presbyter v. Raithu ist, vor den beiden von den
späteren Synoden verurteilten Schriften noch anderes geschrieben
hat. Johann Bekkos zitiert, wie schon gesagt, zwei
dogmatische Schriften unter dem Namen Theodors v. Raithu
und mit Angabe des Incipit der Praeparatio, aber seine Zitate
stammen in Wirklichkeit aus den beiden ersten fünf orationes
dogmaticae des Anastasius I. v. Antiochien (Mi gr. 89, i3ogff.).
Diekamps Erklärung dieses seltsamen Irrtums des Bekkos aus
dem mutmaßlichen Zustand der von ihm benutzten Handschrift
ist einleuchtend (Anal. 182), obgleich es mit der zweiten
oratio des Anastasius noch eine andre Bewandtnis haben
könnte. Aber Bell arm in wußte sogar von einem fünfzehn
Bücher umfassenden Werk Theodors v. Raithu de incar-
natione domini. Leider gibt er dafür keine Quelle an. Er fügt
nur hinzu, es sei nur der commentarius de incarnatione, d. h.
der erste Teil der Praeparatio vorhanden (De Script, eccl.
Lugd. 1663, 167). Junglas hielt Theodor v. Raithu für den
seit Loofs lange gesuchten Verf. der unter dem Namen des
Leontius gehenden Schrift de sectis (axoha and cpcovijg Qeoöoj-
qov), aber Diekamp hat seine Beweisgründe ziemlich zerpflückt
(Anal. i76ff.), und es ließen sich auch wohl noch andre Gegengründe
anführen.

Dagegen dürfte Theodor v. Raithu, wie bereits Fabricius-
Harles vermuteten, mit dein Theodor presbyter identisch
sein, den Photius als Verf. seines cod. 1 über die Echtheit der
Schriften des Dionysius Areopagita nennt. Wenn man sich
dabei allerdings nur an die Praeparatio hält, so bleibt das eine
bloße Möglichkeit, denn weder der erste noch der zweite Teil

enthält einen Anhaltspunkt dafür, daß der Verf. den Areo-
dagiten auch nur gekannt hat. Das ist jedoch anders, wenn
der Verf. mit Theodor v. Pharan identisch ist. Unter den
Zitaten aus der Hermeneia des Pharaniteu, die in den Synodalakten
erhalten sind, befindet sich wenigstens eins, bei dem,
wie ich glaube, die areopagitische Vorlage außer Zweifel steht.
Die Bedeutung, welche die Formel des Areopagiten von der
gottmännlichen Energie bei der alexandrinischen Union von
633 gehabt hat, ist bekannt. Es ist aber ein Unterschied, ob
darin nur eine taktische Konzession an die Severianer, die
sich ja schon hundert Jahre früher darauf berufen hatten, zu
erblicken ist, oder ob die orthodoxe Theologie auch aus eigener
Nötigung darin die Lösung eines Problems suchte, das Ihr
gerade durch die chalcedonensische Zweiuaturenlehre gestellt
war. Es ist das Problem der Auffüllung des im Chalcedonense
leer gebliebenen Hypostasisbegriffes, das bereits Leontius
v. Byzanz durch den Rückgriff auf Kyrill zu lösen suchte.
Andre in den Synodalakten erhaltene Zitate zeigen, daß
Theodor v. Pharan ihm darin gefolgt ist. Daß aber bereits
der Presbyter Theodor v. Raithu dieses Problem empfunden
hat, beweist seine Verbindung der Hypostasis mit der Energie

— jener Gifttropfen, den Maximus später im zweiten Teil der
Praeparatio entdeckt hat. Sicher ist er darin jedoch erst geworden
— die Identität beider Theodore immer vorausgesetzt

— nachdem er unter den Einfluß des Areopagiten geriet. I )abd
war natürlich die Frage der Echtheit der areopagitischeu
Schriften von entscheidender Wichtigkeit. Deshalb ist es nicht
nur möglich, sondern wahrscheinlich, daß der Theodor presbyter
bei Photius das verbindende Zwischenglied zwischen
dem Presbyter Theodor v. Raithu und dem Bischof Theodor
v. Pharan darstellt oder anders gesagt, daß alle drei Theodore
eimmddieselbe Person sind.

Auf die dogmengeschichtliche Bedeutung, die diesem
Theodor für die letzte Phase der christologischen Entwicklung
der alten Kirche zukommt, gedenke ich bei anderer Gelegenheit
einzugehen. Stephan v. Dor hatte jedenfalls in einem
tieferen Sinne Recht, wenn er ihn als Anfänger des Monothelc-
tismus bezeichnete, als es bei der üblichen bloß taktischen
Einschätzung scheinen mußte.

Thomas Müntzer als Liturgiker

Von Oskar Joh. Mehl, Mörtitz bei Eilenburg

Bei der Beurteilung Müntzers pflegt heute die politische,
vielmehr revolutionäre Seite vor allein betont zu werden. Wir
wollen den Theologen Müntzer betrachten, und zwar das Teilgebiet
der Liturgik, auf dem der so lange Unbekannte und
Entehrte Meisterhaftes und Musterhaftes geleistet hat. Aber
wer wußte, bis vor kurzem, etwas von seinen ,,Messen" und
„Kirchenämtern", obgleich sie in Sehlings „Kirchenordnungen
des 16. Jahrhunderts" (Bd. I, S. 472ff.) abgedruckt sind;
und Männer wie Julius Smend (,,Die evangelischen deutschen
Messen bis zu Luthers deutscher Messe", 1896) und Leonhard
Fendt („Der lutherische Gottesdienst des 16. Jahrhunderts",
1923) davon geredet haben! So habe ich denn 1937 Thomas
Müntzers Deutsche Messen und Kirchenämter, mit 40 Folioseiten
Singnoten und liturgischen Abhandlungen herausgegeben
; und mein Mitarbeiter Friedrich Wiechert hat einen
sehr wertvollen gelehrten Beitrag dazu geliefert: „Müntzers
Kirchenämter und die liturgische Tradition". Unter „Kirchenämtern
" versteht Müntzer seine drei Hören: Mette, Laudes
und Vesper.

Nehmen wir zuerst seine „Deutsch Euangelisch Messze,
etwann durch die Bepstische pfaffen im latein zu grossem
nachteyl des Christen glaubens vor ein opffer gehandelt / vnd
itzdt vorordent in dieser ferliche zeyt zu entdecken den
grewel aller abgötterey durch solche mißbreuche der Messen
lange Zeit getriben. Thomas Müntzer, Alstedt. M.D. XXIII".
— Die erste Eigentümlichkeit dieser Messe ist also, daß sie in
deutscher Sprache abgefaßt ist: nach Caspar Cantz in Nürnberg
, dessen Entwurf aber auf dem Papier blieb, ist Müntzer
der erste, der selbständig fünf deutsche Messen („Das Amt
von der Menschwerdung Christi unsers Heilands — Advent",
„Das Amt von der Geburt Christi", „Das Amt vom Leiden
Christi"; „Das Amt von der Auferstehung Christi", „Das
Amt vom Heiligen Geiste") zusammengestellt hat; schon
vom Frühjahr 1523 an, wo er nach Alstedt als Prediger
kam, also fast drei Jahre vor Luthers „deutscher Messe"!
Diesen Vorsprung habe der Reformator (der ja auch
nur ein Mensch war) nicht eben mit Wohlgefallen aufgenommen
, zumal da er hier einen Liturgiker kennenlernte,

der ihm weit überlegen war. Auch hat Müntzer schon vor
Luther deutsche Kirchenlieder gedichtet und seinen Formularen
eingefügt — es sei denn, daß „Ein feste Burg" doch
1521 auf dem Wege nach Worms entstanden^ ist, wie etliche
Forscher annehmen und wie es — schon wegen der
„Welt voll Teufel" eigentlich das Naheliegende ist. Sonst hat
Müntzer Luthern „zum Dichter gemacht" (wie auch die
Weimarer Ausgabe anzunehmen scheint)! Wir können uns
heute kaum eine Vorstellung mehr davon machen, was es für
die damalige Zeit bedeutete, wenn mit einem Male alles
deutsch und deutlich (das war auch etwas Neues!) ertönte
.

Was uns vor allem verwunderlich erscheinen muß, ist
dies, daß der ungestüme Umstürzler in liturgischen Dingen
so behutsam und konservativ ist. Seine Messen zeigen
folgenden Aufbau: Vorbereitungsakt (nach Art des römischen
Staffelgebets, aber „mit klaren Worten" und im Wechsel-
gespräch zwischen dem Priester und dem ganzen Volke), In-
troitus, Kyrie, Gloria, 1. Salutatio, Kollekte, 1. Lesung
(Epistel), Halleluja, Sequenz, 2. Salutatio, 2. Lesung (Evangelium
), Credo, Offertorium, 3. Salutatio, Präfatio, Sanctus,
Benedictas, Einsetzungsworte, Vater unser, Pax, Agnus Dei,
Communio, Kollekte, Benedicamus. Das sind also „Vollgottes-
dienste", wie sie jetzt wieder begehrt, ja angeordnet werden:
das heilige Abendmahl organisch mit der übrigen Liturgie (die
ja eben Meßliturgie ist) verbunden. — Zwei Teile werden der»
Leser besonders aufgefallen sein: Offertorium und Communio;
wohl auch die Sequenz nach dem Halleluja. Aber hier 4
zwischen Epistel und Evangelium — ist seit jeher die eigentliche
Stätte besonderen Gesanges gewesen. Hier sollten die
Kirchenchöre zeigen, was sie können! Müntzer bietet drei
Sequenzen: Zu Weihnachten das alte Grates nunc omnes (Laßt
uns alle danksagen dem Herren Gott usw.), zu Ostern eine
Ubersetzung des Victimae paschali (Heut sollen alle Christen
loben das Opferlamm mit Freuden usw.), und zu Pfingsten
ein gereimtes Lied nach dem alten Hymnus Veni sanete Spiritus
et emitte usw., das ich doch ganz anführen möchte, um eine
Probe von Müntzers Begabung zu geben: