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Ausgabe:

1951

Spalte:

67-76

Autor/Hrsg.:

Elert, Werner

Titel/Untertitel:

Theodor von Pharan und Theodor von Raithu 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 2

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dem Gewordenen vielerlei „Ursachen" und Bedingtheiten herauslösen
können, aber das Werden selbst, das immer neu Werdende
in seüiem eigentlichen Wesen, daß wir das „geistige Ereignis
" damit eben nicht zu erfassen vermögen.

Danach ist unsere Stellung zu den Bereichen der „Mystik"
bestimmt; sie wird ebenso durch Nüchternheit und Gewissenhaftigkeit
in der Aufklärung der Erscheinungen gekennzeichnet
sein wie in Bescheidenheit, in der Anerkennung der Begrenztheit
unserer Erklärungen und in der Bereitschaft für
die verborgene Sinnhaftigkeit, die sich nur in der persönlichen
Entscheidung erschließt.

Wunderle gibt uns wertvollste Berichte und Aufschlüsse
, über „mystische" Ereignisse, die so sehr dem Mißverständnisse
und der Mißdeutung ausgesetzt sind. Vor allem
in dem letzten Brief der Katharina von Siena und in einer Darlegung
von Tauler entfaltet er überaus eindrucksvolle Erlebnisberichte
. Er fordert, gerade im Auftrage der Kirche, strenge
Tatsachenforschung und betont die Erfahrungen über Psycho-
genese körperlicher Erscheinungen. Er stößt damit auf die ungelöste
Frage, wie weit die Existenz und das eigentliche Wesen
des Menschen durch äußere Einwirkungen und durch Erlebnisse
sich wandeln können, und erklärt „die Wege der psycho-
genetischen Wirkung sind uns heute noch und bleiben uns vielleicht
immer ein Geheimnis" (S. 17). Damit wird sehr deutlich
auf die Grenze des Psychologismus hingewiesen, der verabsolutiert
ebenso bedenklich werden kann wie der mehr und
mehr überwundene absolute Materialismus.

Den Anlaß zu dem Vortrag von Wunderle gab das Problem
, wie die Berichte über die Therese von Konnersreuth zu
verstehen und zu deuten seien. Daß „Stigmatisation" als
psychogenes Phänomen vorkommt, ist erwiesen, was sie dem
Gläubigen bedeutet, wird wesentlich von der Persönlichkeit
der Stigmatisierten abhängen. W. stellt die Frage, „wie hoch
sozusagen der Grad der psychischen Störungen gerade noch
sein könne, um Heiligkeit zu ermöglichen". „Ist eine fromme
Person hysterisch oder schizophren, dann wird von einer
Heiligsprechung gewiß nicht die Rede sein können". Wird aber
damit die Bedeutung einer ärztlichen Diagnose nicht überwertet
und verfehlt ? Werden hier ärztliche Erkenntnisse nicht
überschätzt ? Was sagen die Diagnosen, die ja an den Stand
unseres Wissens, an die sich entwickelnden und sich wandelnden
Auffassungen gebunden sind, über heilig oder nichtheilig ?
Sollte es Gott nicht möglich sein, sich „krankhafter" Erscheinungen
und „krankhafter" Menschen zu bedienen, um ein
„Wunder" zu wirken? Jaspers hat vor kurzem einen Aufsatz
geschrieben, in dem er zu zeigen versucht, wie der Prophet
Ezechiel als ein Schizophrener zu verstehen sei1. Wie weit
dieser Versuch tragen mag, — wird dadurch auch nur irgendwie
berührt, was Ezechiel wirklich war und ist und immer sein
wird? Es verstellt sich von selbst, „daß psychopathologische
Analyse nichts über den sachlichen und geschichtlichen Wert
geistiger Gehalte aussagt" (Jaspers). Man darf auch nicht zu
viel Ehrfurcht vor den Erkenntnissen der Medizin haben!

Damit hängt auch ein anderes zusammen. W. fordert, daß
die Kirche „vor allem auf die Feststellung und Sicherung der
Tatsächlichkeit drängen müsse". Es ist gewiß vorbildlich,
welche Vorsicht und Zurückhaltung er dabei bewährt und wie

*) Arbeiten zur Psychiatrie, Neurologie und ihren Grenzgebieten. Festschrift
für Kurt Schneider, Heidelberg. 1947, S. 77.

er auf die Gefahren hinweist, die mit der Preisgabe an die
Öffentlichkeit, mit der voreiligen Annahme eines Wunders und
der entsprechenden Einstellung zu dem Menschen als Wunderträger
heraufbeschworen werden. Man kann für alles, was da
gesagt wird, wie auch für die Warnung vor irriger Religions-
psychologie nur dankbar sein. Aber wenn nun ferner gesagt
wird: „Nur wenn aus dem Ganzen des Geschehens unwiderleglich
erwiesen ist, daß sie (die Erscheinungen) einem unmittelbaren
Eingreifen Gottes zuzuteilen sind, nimmt die
Kirche ein wunderbares Geschehen an", so stehen wir doch
vor der bedrängenden Frage, wer soll denn diesen Erweis
liefern ? Etwa der Arzt mit seinen Diagnosen und Untersuchungen
? Als Arzt möchte ich da sehr entschieden warnen.
Es gibt sehr, sehr vieles, was wir Ärzte nicht verstehen und
nicht erklären können, ohne daß wir darum von „Wunder"
sprechen möchten. Wir sind an die Grenzen unserer Erkennt-
nismöglichkeiten gebunden. Gewiß, wenn eine sorgfältige
Untersuchung feststellt, daß die berichteten Tatsachen auf —
bewußter oder unbewußter — Täuschung beruhen, dann ist das
„Wunder" erledigt, aber wenn dieser Beweis aussteht, wenn
ein Phänomen nicht recht verständlich ist, so ist damit ein
„Wunder "nicht bewiesen. Unbegreifliches, Wunderbares ist
in jedem Lebensvorgang enthalten, in der Arbeit des Herzens,
wie in der psychosomatischen Verbundenheit und dem geistigen
Gehalt des menschlichen Lebens, im Gesunden wie im
Krankhaften. Die Entscheidung, ob in einem Ereignis ein „unmittelbares
Eingreifen der Gnade Gottes" gesehen wird, ist
eine Glaubensentscheidung. Für den Katholiken wird sie an
die autoritative Entscheidung der Kirche gebunden sein, und
diese wird um so überzeugender sein, je sorgfältiger die Kirche
prüft, je sparsamer sie Wunder anerkennt.

Ich möchte ein Beispiel aus der Geschichte des Protestantismus
anführen. Jeder Arzt, der den Bericht über die von dern
älteren Blumhardt behandelte Gottliebin Ditus liest, wird nicht
umhin können, diese als „hysterisch" anzusehen — auf die
Problematik des Wortes braucht hier nicht eingegangen zu
werden. Aber welche Glaubenskräfte Blumhardt in diesem Erlebnis
geschenkt wurden, wie vielen Menschen er damit erft-
scheidend geholfen, — warum sollen wir nicht auch sagen, wie
manche Kranke er geheilt hat, darüber sagt diese „Diagnose"
gar nichts aus. Und wie gewaltig hat Blumhardt — direkt und
indirekt — die neuere protestantische Theologie beeinflußt I
Was ist hier geschehen ? Sollen wir von „Wunder" reden ? Der
Protestant wird die Antwort im Glauben an die biblische Verkündigung
und in der Verantwortung seines Gewissens suchen-

Vielleicht ist der Arzt in seiner alltäglichen Arbeit ganz
besonders eindringlich darauf verwiesen, die Gebundenheit
und Bedingtheit seines Wissens und das Geheimnis im Natürlichen
, das „Wunder" im menschlichen Leben zu sehen. Wen»
er sich vor die Entscheidung im Glauben gestellt weiß, so wird
seine Bescheidenheit und seine Gewißheit noch ganz anders begründet
sein. Je ernster seine „Sachlichkeit" ist, desto mehr
wird er wohl vor Mißverständnissen und Mißbrauch warnen,
wenn von „Wundern" geredet wird, desto bereiter wird er aber
auch sein, anzuerkennen, daß es ihm ganz gewiß niemals zusteht
, aus seinem ärztlichen Wissen abzugrenzen, wann und
wie Gott Wunder zu wirken vermag und gewillt ist1.

') In meinem Buche „Medizin in Bewegung" ist das hier Vorgetragene
eingehender begründet und ausgeführt.

Theodor von Pharan ui

Von W. Ele

1.

Als Hauptschuldigen unter den Urhebern der monothe-
letischen Streitigkeiten haben die Zeitgenossen den Bischof
Theodor v. Pharan angesehen. Aus der Darstellung des Theo-
phanes könnte man allerdings auf eine nur taktische Beteiligung
schließen. Er sagt, Kyrus v. Alexandrien habe vereint
(evco&elg) mit ihm die Union von 633 mit den mono-
physitischen Theodosianern zustande gebracht1. Dagegen hat

J) Chron. 330, 7 de Boor. Hier wird für die Union das Attribut vÖQoßa(pi]g
verwandt. Das Wort ist so ungewöhnlich, daß sich der Verfasser der vita
Maximi, der es bei der gleichen Gelegenheit gebraucht, zu einer ausführlichen
Worterklärung veranlaßt sieht (Mi. gr. 90, 77c). Das gleiche Attribut wird für
diese Union aber bereits in einem dem Anastasius Sinaita zugeschriebenen
Sermon gebraucht (Mi. gr. 89, 1153d), der 20 Jahre nach dem 6. allgemeinen
Konzil geschrieben ist (1156 letzte Zeile). Man darf wohl annehmen, daß Theo-
phanes von dieser Darstellung abhängig ist.

d Theodor von Raithu

t, Erlangen

ihn Stephan v. Dor, der Willeusvollstrecker des SophroniuS,
auf der Lateransynode von 649 als Anfänger der ganzer!
nionotheletischen Ketzerei bezeichnet (Mansi X 893 a vgl'
957—97°) • Demgemäß rangiert er auch in den Damnationen
vor den verurteilten Patriarchen, ebenso in den Akten deS
6. allgemeinen Konzils (XI 556e; 560a), bei der Verurteilung
(636a), im Anathema (656c), im sermo acclamatorius an defl
Kaiser (664a), im Schreiben an Papst Agatho (684c), itf
Edikt Konstantins IV. (700a), im Schreiben Papst Leos U:
an den Kaiser (732). Die Verurteilung erfolgte beide Mal auf
Grund von 11 (auf der Lateransynode von 10) Zitaten au9
einem Schreiben an den Bischof Sergius v. Arsinoe und OM
einer Hermeneiea von Väterstellen (X g6of.; XI 568ff.).

Maximus Confessor teilt an der viel erörterten Stelle de«
Gesprächs mit Pyrrhus, wo er die Korrespondenzen des Sergius
v. Konstantinopel aufzählt, mit, daß sich dieser dureli
Vermittelung des Bischofs Sergius v. Arsinoe auch an Theo-