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Ausgabe:

1951 Nr. 12

Spalte:

721-724

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nilsson, Martin P.

Titel/Untertitel:

Geschichte der griechischen Religion; Bd. 2: Die hellenistische und römische Zeit 1951

Rezensent:

Herter, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 12

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Zwei Beispiele: CIC c. 3 lautet: Codicis canones initas ab Apostolica Sede
cum variisNationibusconventionesnullatenus abrogant aut iis aliquid obrogant;
eae idcirco perinde ac in praesens vigere pergent, contrariis huius Codicis
praescriptis minime obstantibus. Jone c. 3: Conventiones initae cum variis
Nationibus non tangunter legibus Codicis. Cum conventiones illae canonibus
Codicis non tangantur, omnia statuta, quae inveniuntur in Concordatis, permanent
in suo robore. Concordata ac in praesens vigere pergunt, nec abrogantur
contrariis huius Codicis praescriptis; nec eis aliquid obrogatur. CIC c. 219
lautet: Romanus Pontifex, legitime electus, statim ab acceptata electione,
obtinet, iure divino, plenam supremae iurisdictionis potestatem. Jone c. 219:
Acceptatione electionis validae Romanus Pontifex iure divino obtinet plenam
iurisdictionis potestatem.

Der Kanonist wird sich damit nicht ohne weiteres befreunden
und bei sinngemäßer Umschreibung wie bei Wortumstellung
den straffen Bau und die klare geschulte Rechtssprache der
CIC-Canones vermissen, d.h. er wird stets den Originaltext
des CIC heranziehen und sich nicht mit den Umschreibungen
in Fettdruck begnügen, die immer wieder durch kurze, mitunter
auch längere Erklärungen, Ergänzungen und Verweise
in einfachem Druck unterbrochen sind. Für die kirchliche
Seelsorge und Verwaltungspraxis mag ein solches Verfahren
ausreichen, zumal in deutscher Sprache. Für das Gerichtsverfahren
und das Urteil jedoch wie für jede Benutzung zu
wissenschaftlichen Zwecken kann nicht die Gesetzesparaphrase
, sondern allein der Originaltext in Frage kommen. Dagegen
werden die Zwischenbemerkungen, die Verweise auf
Ausführungsbcstimmungen und authentische Interpretationen
gute Dienste leisten, zumal sie auch die neuere Codexliteratur
weitgehend heranziehen. Vor allem im Religiosenrecht, das der
Verf. mit besonderer Liebe behandelt hat, nehmen sie größeren
Umfang an. Auch die Instituta Saecularia, die erstmals 1947
durch die Konstitution „Provida Mater Ecclesia" einheitlich
geregelt worden sind, haben p. 596SS. eine eingehende Behandlung
erfahren. In den eigentlich verfassungsrechtlichen
Teilen sind die Bemerkungen überwiegend kurz gehalten oder
fehlen ganz. Schon N. Hilling ist aufgefallen (Arch. f. kath.
KR. 119, 1939, S. 491), daß J. auf die neuesten Ausführungsund
Ergänzungsbestimmungen des Heil. Stuhles zum CIC
vielfach keinen Bezug nimmt. Das scheint auch in der lateinischen
Ausgabe zwar wesentlich gebessert, aber noch nicht
überall nachgeholt worden zu sein; z.B. kann die Studienkongregation
seit 1931 (Const. „Deus scientiarum dominus")
keine akademischen Grade mehr unmittelbar verleihen, wie
noch bei Jone c. 256 § 1 zu lesen ist. Dagegen sind die offiziellen
Gesetzesauslegungen der Interpretationskommission für den
CIC, die laufend in den Acta Apost. Sedis veröffentlicht werden
, soweit ich feststellen konnte, gewissenhaft nachgetragen
worden. Auf alle Fälle bietet der Kommentar ein wertvolles
Nachschlagewerk und vermag der Orientierung über den Gesetzesstand
weitgehend zu dienen.

R ELIGIONS WISSENSCHAFT

Nilsson, Martin P., Prof.: Geschichte der griechischen Religion. Bd. 2:

Die hellenistische und römische Zeit. München: C. H. Beck 1950. XXIII,
714 S., 16 Taf. u. 5 Textabb. gr. 8° = Handbuch d. Altertumswiss. V.Abt.,
2. Teil. DM 48.— ; Lw. DM 54.—.

Mit ungemischter Freude begrüßt man den zweiten, abschließenden
Band der Nilssonschen Geschichte der griechischen
Religion, der dem ersten schon nach nicht ganz einem
Jahrzehnt nachgefolgt ist, obwohl dem Verf. die Bearbeitung
anfänglich gar nicht zugedacht gewesen war. Was von der
ersten Hälfte zu sagen war (ThLZ 1942, 88ff.), gilt in vollem
Maße auch von der zweiten. Es ist stoffgetreue, unaffektierte
und luzide Wissenschaft in bester Form und von reichstem
Ertrag, eine große Synopsis, in die auch viel von neuen und
alten Ergebnissen eigener Forschung Nilssons eingegangen ist.
Das Thema bilden die hellenistische und die römische Zeit;
dabei sind jedoch Astrologie, Magie und Mantik zwar vielfach
berührt, aber nicht systematisch erledigt, da sie einem andern
Bande des Handbuchs vorbehalten sind, und ganz ausgeschlossen
ist das Christliche geblieben, so daß die Gnosis nur
in ihren heidnischen Elementen behandelt ist. Es ist also auch
keine Erörterung des Synkretismus im ganzen beabsichtigt,
sondern der Akzent liegt auf der Geschichte des griechischen
Glaubens und Kultes und dem griechischen Beitrag zur allgemeinen
Religionseutwicklung der Zeit. In gut lesbarer Darstellung
treten die großen Linien hervor, aber aus einer Fülle
von Einzelerscheinungen heraus; das Werk ist somit doch
auch wieder ein Nachschlagebuch, das leider durch die Register
nicht ganz hinlänglich erschlossen ist. Jeder Mitforscher
wird es ständig heranzuziehen haben, und so braucht es an
dieser Stelle nicht darauf anzukommen, vom Inhalt und von
den Urteilen Nilssons im einzelnen zu berichten; doch mag in
Kürze skizziert werden, wie sich das Bild der zwei Epochen
im großen und ganzen bei ihm ausnimmt.

Die Religion wird beidemal in weitschauenden Darlegungen
in den Rahmen der allgemeinen Verhältnisse gestellt und
erscheint so nach dem Tiefstand des 4. Jhdts. (S. 545) auch in
der hellenistischen Zeit zunächst noch von einer Hochwelle von
Wissenschaft und Technik zurückgedrängt, um aber bald wieder
auszugreifen und dabei immer mehr ins Kraftfeld des
Orients zu geraten, dessen Einfluß Nilsson jedoch sehr zurückhaltend
beurteilt. Die religiöse Entscheidung fällt dem Individuum
anheim, und so macht diese Epoche, wie noch mehr die
folgende, den Eindruck schillernder Unbestimmtheit; dabei
fallen gerade die negativen Züge besonders ins Auge. Die Polis-
religiou verliert ihre Kraft mit der Polis selber, und der Kult
wird mehr zu einer Repräsentationssache der Oberschicht und
einer Festgelegenheit Für die Masse; neu kreierte Universalgötter
, auch Sarapis, setzen sich nicht genügend durch, und
der Herrscherkult bleibt zu unfruchtbar, um eine die großen
Reichsgebilde repräsentierende Religion schaffen zu können.
Unter dem Prunk und der Betriebsamkeit, mit der die alten
wie die neuen Götter gefeiert werden, spürt man nur zu oft die
innere Leere; die Blüte der Heilgötter ist eine Ausnahme, die

die Regel bestätigt, und dem in mannigfachen Varianten auftretenden
Schicksalsglauben fehlt zumeist das Beste, die bittende
Wendung au das höhere Wesen, die Theokrasie aber
geht in den eroberten Ländern auf die Dauer mehr zu Gunsten
der epichorischen als der griechischen Gottheiten. Die Philosophie
tut viel für die Moralisierung der Religion, aber sie stellt
den Menschen auf sich selbst, und üire mono- oder pantheisti-
sche Tendenz wirkt auflösend auf den Polytheismus, dessen
völlige Abdankung der Euhemerismus und in seiner Weise
auch der Epikureismus bringt. Nilsson schätzt die Breitenwirkung
besonders der Stoa und ihren Einfluß auf die Entwicklung
der Religiosität recht hoch ein, während er dem
Poseidonios eher die Fähigkeit zuschreibt, zeitgemäße Strömungen
in sich aufzunehmen (S. 254); jedenfalls ist es doch
wohl nur ein schwacher Abglanz philosophischer Gedanklichkeit
, der in die tieferen Schichten gedrungen sein mag. In dem
tristen Bild sind aber auch hellere Farben nicht zu übersehen.
Das Land hat am Alten festgehalten: noch das Christentum
hat bei den pagani am längsten Resistenz gefunden, und gewisse
Elemente angestammten Glaubens, wie die Vorstellungen
von niederen göttlichen Wesen und vom Hades, haben sich
dort sogar bis heute gehalten. Nilsson betont das nachdrücklich
, aber da diese Leute weder in der Literatur noch in den
Inschriften in größerem Umfange zu uns sprechen, tritt dieses
Rückzugsgebiet in seiner Darstellung nur wenig hervor und
dafür viel stärker die „Urbanisierung" der Religion als ein die
Entwicklung beherrschender Faktor. Zuzugeben ist allerdings,
daß der ländliche Konservativismus weniger den Olympiern, so
sehr diese vielfach auch schon bloß lokalen Charakter hatten
(S. 266), als den kleinen und im Ausland natürlich den meist
nur leicht verkleideten einheimischen Göttern zugute kam.
Aber auch was die großen Kulte der Stadt angeht, so beweist
eine gewisse Äußerlichkeit (S. 176) nicht ohne weiteres gegen
Echtheit der Empfindung; das barocke Lebensgefühl der Zeit
drängte eben auch auf diesem Gebiete zu einem ihm entsprechenden
Ausdruck (vgl. O. Weinreich, DLZ 1942, 780t.),
und man denke doch auch an ein Gemeinschaftserlebnis religiöser
Imagination, wie es Kallimachos, selber sicher nicht
eben ein gläubiger Mensch, zu schildern weiß (hymu. 2). Klagen
über den Schwund der Frömmigkeit (S. i76f.) waren gewiß
nicht grundlos, aber man braucht sie auch nicht zu genau
zu nehmen: die große Masse wird sich, wie Nock richtig bemerkt
(S. 237, 3), in guten Tagen um die Götter nicht sehr
gekümmert, aber, wenn es schlecht ging, doch Rückhalt bei
ihnen gesucht haben. Ein gravierendes Zeugnis privater Religiosität
ist der Hauskult, der von Nilsson S. i77ff. mit Recht
sehr beachtet worden ist und noch durch weitere Belege illustriert
werden könnte (z.B. zu Theokrit A.P. VI 337 auch
VI 34°) ■

Auch in der Kaiserzeit ist der alte Glaube noch nicht erledigt
; er ist zwar mehr als zuvor staatlich geregelt und verwaltet
, aber trotzdem immer noch individuell fruchtbar, wie
etwa die von Nilsson nicht erwähnte Erscheinung Arrians beweist
(H. Trümpner, De Arriani religione, Maschinenschr.
Diss. Bonn 1950). Man kann sich freilich angesichts der Restauration
der Kulte unter Augustus und noch mehr unter Hadrian