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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

411-413

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schneider, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die biblischen Oden 1951

Rezensent:

Fichtner, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

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falls da des Nachdenkens wert! Vorschneller Christusbezug bedeutet
faktisch den Verlust der Mitte, nur echte Christus-
bezogenheit läßt uns das Heilshandeln Gottes in der Geschichte
des Alten Bundes — als einer zugleich echt menschlichen Geschichte
— ,,im Glauben" begreifen.

In jedem Bezug unglücklich ist das sog. Literaturverzeichnis
. Es hätte bei der Anlage des.Buches doch durchaus
einen Sinn, dem Leser weiterzuhelfen. Aber das kann man
nicht durch eine wahllose Anführung von gelesenen Büchern.
Völlig sinnlos ist es, Erbauungsbücher der Zeit zwischen 1603
und 1785 (ich zähle 14 Nummern) anzuführen, die vielleicht
einmal herangezogen werden. (Deren Titel gehören dann direkt
unter die betreffende ,,Auslegung".) Ebenso abwegig ist es
auch Spezialartikel, wie z. B. K. L. Schmidt, Prudentius und
Erasmus über die Christuskrippe mit Ochs und Esel [zu Jes.
r, 3] oder Dornseiff, Antikes zum AT, oder Alt, Eine galilä-
ische Ortsliste in Jos. 9 anzuführen. Manches Wichtige dagegen
fehlt. So Albrecht Alt, Die Ursprünge des israelitischen
Rechts, G. v.Rad , Das formgeschichtliche Problem des Hexa-
teuch, Hugo Greßmann, Der Messias. Luthers sämtliche
Werke kann man nach der Weimarer oder der Erlanger, nicht
aber nach einer obskuren Leipziger Ausgabe von i729ff. anführen
. Von Jean Calvin ist das Buch Josua auch in deutscher
Ubtr .etzung nachzulesen. Wenn rein dogmatische Werke genannt
werden, wie etwa die große Dogmatik von Karl Barth,
dann gehören sie zuhauf. [Warum fehlen Althaus und Eiert ?]
Ist der Verfasserin unbekannt, was Schlatter zu Hellbardt,
Abrahams Lüge, oder was H. W. Hertzberg zu Flügge gesagt
liaben ?

Bei einem den Raum besser ausnutzenden Druckverfahren
werden leicht einige vierzig Seiten gewonnen, ohne den
Umfang zvi erhöhen. Sie wären gut genutzt, wenn die Verfasserin
in ihnen die theologischen Probleme grundlegend angriffe
— hier würde man dann auch die Zitation aus Dogmatiken
nicht als abwegig ansprechen —, jedenfalls müßte man
auch eine deutliche Frontstellung erkennen können. Die
Blütenlese der „Auslegungen" hat daran ihr Kriterium, ob
und wieweit sie den alttestamentlichen Text theologisch aufhellt
. Und das Literaturverzeichnis sollte aus einem solchen
der Belesenheit der Verfasserin in einen Wegweiser verwandelt
werden.

Wenn die Verfasserin mit Sorgfalt und Stete an eine Neubearbeitung
ginge, ohne sich von allerneusten Zeitschriftenartikeln
usw. umtreiben zu lassen, so zweifle ich nicht, daß
eine verbesserte Auflage dann den Lesern eine Hilfe sein wird,
die es zu ihrer Unterrichtung und zum Unterricht heranziehen
.

Mainz Kurt Galling

Schneider, Heinrich: Die biblischen Oden. (Vier Abhandlungen in Bib-
lica Vol. 30, 1949. I. Die biblischen Oden im christlichen Altertum, p. 28
bis 65. II. Die biblischen Oden seit dem 6. Jahrhundert, p.239—272.

III. Die biblischen Oden in Jerusalem und Konstantinopel, p.433—452.

IV. Die biblischen Oden im Mittelalter, p. 479—500.) Rom: Pontificium
Institutum Biblicum.

Nachdem der Verf. in seiner Arbeit „Die altlateiuischen
biblischen Cantica" (Beuron 1938) gewissermaßen den West-
chor des Domes der biblischen Oden rekonstruiert hat, geht
er in den hier zu besprechenden Abhandlungen daran, den
„Ostchor und das verbindende Langhaus" wiederherzustellen
. Er unternimmt damit eine Aufgabe, für die bisher nur
einzelne Bausteine — in den Arbeiten von Lietzmann, Faulhaber
und Rahlfs und verschiedenen katholischen Liturgikern
— zusammengetragen waren, für die der Verf. also vor allem
umfassende und grundlegende Studien an dem handschriftlichen
und gedruckten Material treiben mußte. Das hierfür in
Frage kommende biblische und weit zerstreute liturgische
Material hat er zum Teil selbst neu zusammengetragen. Der
umfangreiche Quellen- und Literaturnachweis läßt den Leser
etwas davon ahnen, welche entsagungsreiche und mühevolle
Kleinarbeit hier in jahrelangem Forschen getan worden ist.
Da diese saubere Kleinarbeit mannigfaltige und zum Teil bedeutsame
Ergebnisse erzielt hat und die Zeitschrift Biblica
wenigen Lesern zugänglich sein dürfte, ist es durchaus gegeben,
von den vier Abhandlungen, die miteinander eine ergiebige
wissenschaftliche Monographie darstellen, in der ThLZ zu berichten
.

Die Behandlung der biblischen Oden im christlichen Altertum (I) geht
davon aus, daß biblische Oden — d. h. psalmenartige Lieder wie Ex. 15, Deut.
32, Hab. 3, die nicht in den Psalter aufgenommen sind —■ von den Juden in
freier Weise in ihre Gebete eingefügt, als lyrische Intermezzi innerhalb der
Lesungen oder geradezu wie die Psalmen selbständig im Tempel- und Synagogengottesdienst
verwendet worden seien. Das ist zwar schwach, aber doch

wohl ausreichend bezeugt. Die apostolische Zeit hat die alttestamentlichen
Oden in Nachbildung und Weiterführung verwendet (vgl. etwa das Magnificat
mit dem Danklied der Hanna aus I.Sam. 2 oder die Ode des Lammes in
Offenb. 15, 2—4 mit Ex. 15, 1. 3. 11. 18; Deut. 32, 4!), hat aber daneben neue
christliche Lieder geschaffen und besonders gepflegt (p. 37). Vom 2. Jahrhundert
ab wurde der Gottesdienst der Osternacht, die Ostervigil, besonders
reich durch den Gesang biblischer, d. h. alttestamentlicher Oden ausgestattet,
von wo aus sie dann immer mehr vordrangen und im Laufe des 4. Jahrhunderts
die altchristlichen Hymnen, die nach Schneider meist von geringem literarischen
Wert und zum Teil inhaltlich verdächtig waren, verdrängt haben. Das betrifft
etwa die Oden des Häretikers Montanus und die ketzerischen [nicht, wie der
amüsante Druckfehlerteufel will, „hetzerischen"] Oden der Arianer (p. 43).
Diese im christlichen Gottesdienst — vor allem neben der Ostervigil in den festlichen
Frühmorgenoffizien, dann aber weiterhin in allen Gottesdiensten,
besonders in der Meßliturgie, Vesper und Komplet - psalmenartig vorgetragenen
Oden feierten die Erlösung durch Christus (Ex. 15, Judicum 5, Dan.
3, 52ff.) und die Erfüllung der weissagenden Prophetie (Jes. 5, lff., Jona 2,
Hab. 3); einzelne werden daneben ihre besondere liturgische Verwendung
gefunden haben, so etwa das Meerlied Ex. 15 bei der Taufe. Der Cod. Alex,
gibt einigen von ihnen ausdrücklich die Überschrift „Ode" (z. B. Jud. 5,
Jes. 5, Jona 2).

Anfang des 5. Jahrhunderts setzten sich neben den alttestamentlichen
auch einige neutestamentliche „Oden" im Gottesdienst durch, neben dem
Magnificat das Nunc dimittis (Luc. 2, 29f.) und das Benedictus (Luc. 1, 68ff.)
und bei den syrischen Jakobiten die Seligpreisungen. Aus derselben Zeit sind
uns die ersten Odenkataloge erhalten; die Kataloge des Origenes (in ihm ist als
einzige neutestamentliche Ode das Gloria genannt) und des Niceta von Retnisiana
weisen neun, die im Cod. Alex, hinter dem Psalter eingefügte Odensammlung
14Oden auf, unter ihnen vier neutestamentliche und (kanongeschichtlich interessant
!) das apokryphe Gebet des Manasse. Schneiders Bemerkung, Psalmen
und Oden gehörten seitdem so eng zusammen, daß es „seit dem 6. Jahrhundert
bis heute kaum noch eine christliche Handschrift oder Ausgabe des
Psalters gibt, die keinen Odenanhang besäße" [p. 57], wäre dahin zu berichtigen
, daß der evangelische Psalter keinen Odenanhang kennt. — Die christlichen
Odenreihen aus alttestamentlichen und neutestamentlichen Liedern
unterscheiden sich übrigens vom biblischen Psalter, der nur Männer als Verfasser
kennt, durch ein „stark frauliches Element" (Mirjam, Hanna, Debora
und Maria). Textgeschichtlich scheint mir die Beobachtung Schneiders wichtig
, daß der Schreiber der Odensammlung im Cod. Alex, seinen Text nicht aus
der Vollbibel des Codex gewinnt, sondern von diesem mehrfach abweicht (vgl.
Sp.412 unten), weil seine Odensammlung aus der Liturgie herausgewachsen
und von ihm nachträglich dem Cod. Alex, hinzugefügt worden ist. Spiegelt
dieser Codex ägyptische Verhältnisse wider, so wird man aus der Odenglosse
des Hesych den Odenbestand der Kirche von Jerusalem entnehmen und aus
ihr den interessanten Tatbestand erheben können, daß im 5. Jahrhundert auch
in Jerusalem noch die ältere Vierzelinodenreihe, noch nicht die später allgemein
verwendete Neunodenreihe, im Gebrauch war.

In seiner zweiten Abhandlung gibt Schneider einen Überblick über die
Entwicklung der Odenreihen vom 6. Jahrhundert ab, führt Sonderformen in
Ost und West vor (p. 239-245) - koptische, bohairische und äthiopische
Reihen, Oden in Nordafrika und Verona und die römischen Canticareihen
[p. 239ff.], -dieendgültigeZusammenordnung der Vierzehnodenreihe im Raum
der Kirche von Konstantinopel (p.245-252) und ihre schließliche Überwindung
durch die „klassische Neunodenreihe", die ihre Heimat in Jerusalem hat und
aus der längeren Reihe durch monastische Kreise um Jerusalem geformt worden
ist (p. 253ff.). Die Vierzehnodenreihe umfaßt folgende Oden: (1.) Ex. 15;
2.) Deut. 32; 3.) l.Sam.2; 4.) Hab. 3; 5.) Jes. 26, 9ff.; 6.) Jona 2; 7.)
Jes. 38, Uff.; 8.)Or.Man.; 9.) Dan. 3, 26ff.; 10.) Dan. 3, 52ff.; II.) Dan. 3.
57ff.; 12.)Luk. 1, 46ff.; 13.) Luc. I, 68ff.; 14.) Luc. 2, 29 ff.]. In der Neunodenreihe
sind die 1.-6. Ode wie bei der anderen Reihe, deren 7., 8. und
14. fehlen, während ihre 9. und 10. zur 7., die 12. und 13 zur 9. Ode zusammengefaßt
sind und die 11. der Vierzehnerreihe die 8. der Neunerreihe
darstellt). Der Verf. untersucht dann weiter das Aufkommen und die allmähliche
Verbreitung der Troparien (christliche Liedstrophen) zu den Oden, die
mit der Zeit so starkes Übergewicht gewinnen, daß sie die Oden selbst, in
die sie ursprünglich eingefügt wurden, mehr und mehr verdrängen (p. 260ff ).
„So ist die biblische Odenreihe in der Umklammerung der byzantinischen Oden-
kanones wirklich gestorben" (p. 266), während der lateinische Westen den alten
biblischen Cantica ihren Platz im Offizium bis heute erhalten hat.

Die dritte Abhandlung (III) ist dadurch besonders wichtig, daß hier
zum ersten Male methodisch sichere Wege für eine Unterscheidung der Psal-
terien von Jerusalem und Kontsantinopel gewiesen werden: verschiedene Titel
der Psalterien, verschiedene Stichenlänge der Psalmen und der stichometrischen
Gesamtzahl [Konstantinopel c. 2540, Jerusalem c. 4780], verschiedene Einteilung
in die siebzig Antiphona bzw. zwanzig Kathismata, hier die Vierzehnodenreihe
, da die Neunodenreihe, verschiedener Text von Dan. 3, 57ff. Damit
werden fruchtbare Anregungen sowohl für die Bibelwissenschaft und Liturgik
als auch weithin für die Paläographie und Kunstgeschichte gegeben. Den
Textkritiker wird in dieser Abhandlung besonders der erste Abschnitt (p. 433
bis 441) interessieren. In ihm wird der Nachweis erbracht, daß der „Lobgesang
der drei Jünglinge" (Dan. 3, 57—90) in der Psalmodie von Konstantinopei in
der LXX-Fassung, in Jerusalem dagegen in der reinen Theodotion-Fassung
verwendet wird. Der Cod. Alex, bringt auf diese Weise beide Fassungen: der
Schreiber I bietet innerhalb des Danielbuches die Theodotion-Fassung, der