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Ausgabe:

1951 Nr. 6

Spalte:

346-348

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sahagún, Bernardino de

Titel/Untertitel:

Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft 1951

Rezensent:

Merkel, Franz Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 6

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rungen, in van der Leeuws Buch „Der Mensch und die Religion
" (Basel 1941, S. 119—143).

Fünfter Hauptteil: „Gotteshaus und Menschen-
haus". Jedes Bauwerk, jede menschliche Siedlung ist ursprünglich
heilige Stätte. „Bauen ist heilige Handlung."
Mensch und Gottheit wohnen im gleichen Haus zusammen.
„Gott braucht ein Haus, denkt der Primitive und baut ihm
eins", schließlich den Tempel, in dem nur die Gottheit wohnt.
Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, daß Gott zu groß
ist, um in Häusern, auch in Tempeln, von Händen gemacht,
zu wohnen. Es entsteht das Bethaus, das im Christentum seine
vollkommenste Gestalt im Calvinismus gefunden hat, während
das römisch-katholische Gotteshaus noch heute „Haus des
Herrn" ist. Einen besonderen Weg geht die Mystik; für sie
ist das cor cordium das Allerheiligste, in dem Gott und Mensch
sich finden. „Momente der Harmonie" des Göttlichen und
Menschlichen in der Baukunst sind das Massig-Lapidare und
der leere Raum.

Die „Theologische Ästhetik" weist der Baukunst ihren
besonderen Platz im Ganzen der Kunst zu. Der Baumeister
ist zwar nur in uneigentlichem Sinn ein Schöpfer, aber sein
Werk „hat Teil an der eigentlichen Schöpfung" Gottes. Das
ist jedoch nur dort der Fall, wo er sich als Diener weiß. „Denn
Schöpfung und Dienst gehören zusammen. Gott selbst diente
der Welt, als er sie schuf. Seine Schöpfung ist nicht Willkür
eines großen Herrn, sondern der niedrige Dienst Christi. ..
Als Gott die Welt schuf, tat er nichts anderes denn als er Christus
sandte und in ihm die Welt rettete . . . Darum ist der
Baumeister Gottes demütiger Lehrling". Er „macht keine
.christliche' Kunst, sondern stellt staunend, daß Gott durch
seine Hand baut".

Sechster Hauptteil: „Musik und Religion". Auch
die Musik hat ihren Ursprung im Religiösen, und zwar ist es
zunächst der Rhythmus (Trommelschlag, Glockeuläuteu),
weniger die Melodie und fast gar nicht die Harmonie, die ihr
Macht über das Heilige verleiht. Singen ist wirksamer als
Reden. Die Kirchenmusik mit ihrer Passionsmusik, dem Oratorium
, dem Refrain, dem Da capo und der Tonmalerei gehört
der Übergangsstruktur an, die „noch allerlei Elemente aus der
Struktur der Lebenseinheit enthält". Heute, „in der Geteiltheit
des Lebens, ist die Kirchenmusik als eigene Struktur mit
eigenem Stil nahezu ausgestorben". Demgegenüber steht die
Tatsache, daß die Musik von allen Künsten der Religion am
nächsten steht, und daß die Religion des gesungenen Wortes
bedarf. Aber eben: es geht hier um Musik, nicht um Tonkunst
! Jedoch können beide, Musik und Religion, auch
Schweigen fordern. Das führt in die „tiefste Tiefe der Problematik
". Die innere Einheit der Musik mit der Religion ist
dort erreicht, wo sie die Momente des Lichten, des Schwebenden
, des Himmlischen, des Übergangs, des Dunkels und
Halbdunkels, des Schweigens und Beinahe-Schweigens, des
Unendlichen und Objektiven zum Ausdruck bringt. Wo das
geschieht, „bricht das Heilige aus dem Schönen gewaltig hervor
" (Beethovens Neunte Symphonie; Bachs Hohe Messe).

„Theologische Ästhetik der Musik": „Musik ist eine unmittelbare
Offenbarung des Weltgeheimnisses". Aber sie hat
weder mit Metaphysik noch mit „formeller Ästhetik" etwas
zu tun; sie hat auch keine „religiösen Prärogativen". Sobald
sie an die Stelle der Religion tritt, ist sie „ein Surrogat wie jede
andere menschliche Schöpfung". Immer „trägt sie etwas
Priesterliches an sich, ob sie gregorianisch oder Opernmusik,
Symphonie oder Ballettmusik ist. Sie hat als Cherub vor Gott
gestanden und spricht in seinem Namen und Auftrag. Sie kann
dies nicht tun, ohne auch zu ihm zu sprechen. Heilige Musik
ist immer Hymnus, laudes im antiken Sinn: Gottes Lob, gesungen
vor seinem Angesicht. Hier sind wir, ohne es zu merken,
aus der Musik mitten in die Theologie gekommen. Denn der
ursprüngliche und einzig wahre Sinn des Wortes .Theologie'
ist dasselbe wie Hymnologie, die Lobpreisung Gottes. Theologie
ist nicht ehie Art philosophische Rechtfertigung des Glaubens
. Die kommt ihr irgendwo in der Mitte auch zustatten.
Aber am Anfang und Ende ist sie eschatologische Musik . . •
Hiermit ist zugleich der theologische Ort der Musik bestimmt,
sie ist nicht das Zentrum der theologischen Ästhetik, aber sehr
belangreich. Die Musik dient vor Gottes Angesicht, sie hat
euie priesterliche Aufgabe. Und sie spricht vom Unaussprechlichen
. Sie vergegenwärtigt die Loci de sacerdotio und de
tinibus".

Der Schlußabschnitt hat dem Buch seinen Titel gegeben
: „Wege und Grenzen". Van der Leeuw stellt darin
noch einmal die vier Strukturen des Verhältnisses von Kunst
und Religion zusammen: 1. Vollkommene Einheit, 2. Überzug
, 3 Konflikt, 4. neugewonnene Einheit. Er erörtert auf
»-■rund der gewonnenen Einsichten abschließend die beiden

Zwischenstrukturen, um dann im Anschluß an Nietzsches
Wort, die Religion sei Liebe über sich hinaus und das Kunstwerk
ein vollkommenes Abbild solcher Liebe, zu sagen: „Die
Kunst ruht in der Liebe, der Bewegung Gottes zum Menschen
". Das bedeutet für ihn „Aufgehen der Kunst in der
Religion", „Verzicht auf geweihte oder christliche Kunst".
So ergeben sich ihm in einem Schema folgende Beziehungen
zwischen Kunst und Religion:

Tanz = Bewegung Gottes ) Gott.Vater f Rhythmus 1 Schöpfung

Drama = Bild Gottes ) Bild und Gestalt )

Wort = Lob Gottes ( Sprechen

Bild = Bild Gottes Gott-Sohn 1 Formen (Neuschaffen) > Erlösung

Bauen Haus Gottes ) Wohnen

Musik = Geist Gottes Oott-Heili- Abbrechen Eschatologie

ger Geist

Der Schluß lautet: „Religiöse Kunst fanden wir dort, wo
wir im Schaffen des Künstlers die Linien und Umrisse der
Schöpfung Gottes erkannten . . . Wir können das nicht beweisen
; aber wir können es im Zusammenhang des Glaubens
an Gott, den Schöpfer und Vater Jesu Christi, sehen . . . Die
Inkarnation bezeichnet unsere Erlösung, auch in dem Sinn, daß
die Welt und unser Wirken in ihr nicht sinnlos zu sein brauchen,
sondern Träger göttlicher Offenbarung sein können. So finden
wir als Phänomeuologen, als Männer der Kunst- und Religionswissenschaft
, Wege und Grenzen. So erleben wir als religiöse
Menschen jedesmal das Wunder des Zusammeiifließens der
beiden Ströme der Religion und Kunst. Als Theologen, die die
Offenbarung in Christus und das scheinbar Andere, das uns
als Offenbarung gegeben ist, weder kunstgerecht scheiden
können, noch in der Allgemeinheit eines Gottesgedankens auflösen
wollen, finden wir die Einheit von Kunst und Religion
dort, wo wir allein Einheit kennen, in der Inkarnation. Als
Gläubige finden wir die Möglichkeit vollkommener Schönheit
in ihm, in dem wir alles finden, in der göttlichen Gestalt, dem
Sohn Mariens, dem Sohn Gottes, dem Schönsten. Und wir
sprechen es dem alten Volkslied nach: .Alle die Schönheit
Himmels und der Erden ist verfaßt in dir allein'."

Die hohe Bedeutung dieser großangelegten,.Theologie der
Ästhetik" und die Tatsache, daß sie bisher nur in holländischer
Sprache vorliegt, machten die eingehende Wiedergabe des Inhaltes
des Buches notwendig. Der Theologie in ihren verschiedensten
Disziplinen bleibt die Aufgabe, sich mit ihr auseinanderzusetzen
— eine Aufgabe, die der deutschen Theologie
durch eine Übersetzung des Buches erleichtert würde. Es bleibe
nicht unerwähnt, daß dem Buche viele gute Bilder aus allen
Gebieten der Kunst beigegeben sind.

Tübingen Gerhard Rosenkranz

Lehmann, Walter, Prof. Dr. f: Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft
. Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel
in Mexiko 1524. „Colloquios y doctrina christiana" des Fray Bernar-
dino de Sahagün aus dem Jahre 1564. Span. u. mexik. Text mit dt. Übers.
Aus dem Nachlaß hrsg. v. Gerdt Kutscher. Stuttgart: Kohlhammer 1949.
134 S., 6 Abb. 4° = Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas aufgezeichnet
in den Sprachen der Eingeborenen. Hrsg. v. d. Latein-amerikanischen
Bibliothek, Berlin. 3. DM24.—.

In meinem Referat auf dem VI. Internationalen Kongreß
für Religionsgeschichte zu Brüssel (16.—20. Sept. 1935) über:
„Anfänge religionsgeschichtlicher Forschung in Europa" hatte
ich auf die einzig wertvollen, aus persönlicher Berührung mit
den Ureniwohneru hervorgegangenen religionskundlichen Berichte
über Religion und Kultur der längst untergegangenen
alten Peruaner durch Joseph d'Acosta in dessen viel übersetzter
„Histoire naturelle et morale des Indes" (Paris 1616) hingewiesen
, die leider bis heute keine kritische Textausgabe gefunden
hat. Ebenso bedeutsam sind die in verschiedenen Handschriften
des Fray Bernardius de Sahagün, aus dessen „Historia general
des las cosas de Nueva Espana" (ca. 1577) der Amerikanist Ed.
Seier (1926/27) einige Kapitel in kritisch-wissenschaftlicher
Übersetzung herausgegeben hat. Dieses Geschichtswerk stellt
eine Sammlung von Materialien dar, wie Seier schreibt, die
„nach ganz modernen ethnologischen Grundsätzen nicht vom
Forscher selbst ausgeht, sondern vom befragten Eingeborenen,
der über alles und jedes — kaum ein Gebiet der aztekischen
Kultur und Religion ist vergessen — in eigner Sprache und
Deutung Auskunft erteilt".

Waren es bisher nur Bruchstücke von Werken Sahagüns
aus der berühmten Schule von Santa Cruz de Tlatelolco, die
veröffentlicht worden sind, so hat nun der seiner Wissenschaft
allzu früh entrissene Amerikanist Walter Lehmann, dem wir
Text und Übersetzung des I. Bandes (1938) dieser Quellenwerke
: „Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan und
Mexico" verdanken, nunmehr die wissenschaftliche Bearbei-