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Ausgabe:

1951 Nr. 1

Spalte:

15-18

Autor/Hrsg.:

Althaus, Paul

Titel/Untertitel:

"...Daß ihr nicht tut, was ihr wollt" 1951

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15

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 1

Iii

inneren Beziehungen zwischen der Kirche und dem auf ihre
politischen Anstöße „wartenden" Staat. Wollen die Systematiker
und Dogmenhistoriker ihn unter den Tisch fallen
lassen ? — Nicht ganz befriedigend finde ich die Frage nach der
praktischen Verwirklichung der christlich-politischen Entscheidungen
in B.s Schrift gelöst. Nicht, daß B., an sich kein
Freund der politischen Parteien als eines der „fragwürdigsten
Phänomene des politischen Lebens" (37)1, die christlichen
Parteien auf jeden Fall ablehnt, überrascht; seine hier entwickelten
Gesichtspunkte werden gerade auf theologischer
Seite bei uns in Deutschland weithin geteilt; aber was er positiv
über den Weg zur Innehaltung einer christlichen Willensbildung
in der Politik sagt, genügt doch noch nicht, um jedenfalls
uns in unserer eigentümlichen Lage weiterzuhelfen. Gewiß
ist aller Beachtung wert, was über kirchliche Eingaben und
öffentliche Proklamationen, was über christliche Journalistik
und Schriftstellern ermunternd und zugleich zur Besonnenheit
und Zurückhaltung inahnend gesagt wird. Gewiß, eine exemplarische
Existenz der Kirche hinsichtlich ihrer Verfassung
und Ordnung, ihrer Leitung und Verwaltung kann politisch,
d.h. für Erneuerung und Bestand eines Staates, viel bedeuten.

l) B. wird mit seinem Urteil über die Parteien als solche dem Ressentiment
vieler in Deutschland entsprechen; man hätte aber gern gehört, wie er
sich demokratische Politik ohne Parteien denkt. Vgl. auch S. 42f.

Und der Praktische Theologe wird es sich im Blick auf seine
besondere Arbeit gern wieder sagen lassen, wie viel auch politisch
davon abhängt, daß das Evangelium uneingeschränkt
mit der ihm innewohnenden Kraft „christlich-politischer Beunruhigung
" verkündet und gehört werde. Aber wenn schon
das Problem Staat und Kirche unter der einengenden, der
räumlich zusammenfassenden Uberschrift „Christengemeinde
und Bürgergemeinde" behandelt wird, so fragt man wirklich,
ob im kleinereu Rahmen lokaler Demokratie nicht noch etwas
anderes Ereignis werden müßte, als die im größeren Bereiche
notwendige Indirektheit der christlichen „Politik", als die unvermeidliche
Anonymität der Christen. Eine wirklich aktive
Demokratie im Bereiche der wirklichen Bürgergemeinde aber
in Begegnung mit einer lebendigen christlichen Ortsgememde —
wäre darüber nicht doch mehr zu sagen, als daß diese jener für
den politischen Dienst Christen als „im primären Sinne politische
Menschen" zu liefern habe ? Wir fragen so, weil u. E. in der
Kirchengeschichte, namentlich in der Zeit der Reformation,
solche Begegnungen mit weittragenden Folgen tatsächlich
stattgefunden haben. Vielleicht, daß sich auch an dieser Stelle
einmal die Fachleute der Bardischen Thesen annehmen. Sic
werden zweifellos, wie der Referent, die Erfahrung machen,
daß es eine beglückende Sache ist, wenn einem auch einmal
Samen aus dem Nachbargartenl zuweht; man muß nur für
eüien weitmaschigen Zaun sorgen und einen Nachbarn haben,
der guten Samen züchtet!

Daß ihr nicht tut, was ihr wollt'

(Zur Auslegung von Gal. 5, 17)
Von Paul Alt haus, Erlangen

Gal. 5, 16: Ich meine aber: wandelt im Geiste, dann werdet ihr das
Begehren des Fleisches nicht erfüllen.

17a) Denn das Fleisch begehrt wider den Geist, der Geist aber wider
das Fleisch, b) Die beiden liegen miteinander im Kampf, c) so daß (oder:
damit) ihr nicht tut, was ihr gerne wollt.

In der Auslegung von V. 17 ist einiges klar und unumstritten
, nämlich das Verhältnis der Verse 16 und 17. Paulus
begründet mit V. 17 die in V. 16 ausgesprochene Zuversicht:
der Wandel in der Bestimmtheit durch den Geist läßt für die
Befriedigung der Begehrungen des alten Menschen keinen
Raum mehr, denn Fleisch und Geist stehen ihrem Wesen nach
widereinander. Also hindert der Geist das Fleisch unweigerlich
an der Verwirklichung seines Begehrens. „Gerade, daß
beide deutlich und bestimmt gegeneinander stehen, macht,
daß wir uns zuversichtlich der Leitung des Geistes übergeben
dürfen" (A. Schlatter zdSt.). Nicht von vornherein klar,
sondern umstritten aber ist der Sinn von V. 17 c: „daß ihr
nicht tut, was ihr gerne wollt." Dabei handelt es sich weniger
um die Frage, ob man das „daß" [Iva) final oder konsekutiv
verstehen soll. Wie man sich hier entscheidet, das macht für
das Verständnis des Satzes nicht viel aus. Die Hauptfrage ist:
was ist mit dem „was ihr wollt" gemeint ? Und: wer hindert
die angeredeten Christen, das zu tun, was sie doch wollen ?

Die neueren Ausleger finden allermeist in V. 17 c eine Aussage
, die auf beide in 17a genannten Mächte und auf beide
Richtungen üires Widerstreites zu beziehen ist. Also: solange
in dem Menschen Fleisch und Geist widereinander stehen —
ohne daß der Mensch sich dem Geiste ganz hingegeben hat —,
wird nie das verwirklicht, was der Mensch will. Es geschieht
immer der Wille einer fremden Macht, sei es des Fleisches, sei
es des Geistes. Will der Mensch dem Begehren des Fleisches
folgen, so wird die Verwirklichung gehindert, gebrochen durch
die Macht des Geistes, und umgekehrt. „Was ihr wollt", bezeichnet
dann also, neutral, das jeweilige Wollen des Menschen
, sowohl das dem Fleische gemäße wie das dem Geiste
gemäße. Keins von beiden kommt zum Ziel, und damit — so
wird den Lesern gesagt — seid ihr nicht Herren euer selbst,
sondern Knechte.

Wir geben einige Belege.

J. A. Bengel betont: carnales faciunt, quaecunque volunt, die fleischlichen
Menschen tun, was sie wollen. Aber die, welche sich bekehren, sind in
ganz anderer und wunderlicher Lage (alia eaque mirabills est conditio). „In
einem solchen (durch V. 17a und b bezeichneten) unentschiedenen Stande
werden viele böse und viele gute Handlungen verhindert" (tali in statu,
anclpiti quippe, multae malae et multae bonae actiones impediuntur).

B. Weiß: der Widerstreit hat die Absicht, „den Menschen an dem,
was er (von der entgegengesetzten Macht getrieben) in jedem einzelnen Falle
tun will, zu hindern."

Th. Zahn: „Nicht von einem bestimmten Wollen, welches entweder

ein gutes oder ein böses ist, sondern von allem beliebigen, was die Leser zum
Gegenstande ihres Wollens machen und haben, gleichviel ob es gut oder böse
sei, wird verneint, daß dies es sei, was sie durch ihr Handeln ins Werk setzen . . .
Ihr Tun ist vielmehr auf alle Fälle . . . Verwirklichung des Willens einer
höheren in ihnen wohnenden Macht, durch welche sie sich bestimmen lassen,
sei es des Fleisches, sei es des Geistes . . . (Paulus sagt), daß der Mensch oder
vielmehr der Christ in allem seinem Handeln nicht seinen autonomen Willen
zu betätigen habe und wirklich betätige, sondern ein Werkzeug einer der
beiden entgegengesetzten Mächte sei . . .".

| A. Schlatter: „Der niedere Wille, der aus dem naturhaften Orund
unseres Wesens entsteht, ist gelähmt durch den Trieb des Geistes; er bringt es
nicht mehr zum Vollbringen. Und der höhere Wille, der aus der heiligen geistlichen
Wurzel unseres Lebens stammt, ist auch gehemmt und gebunden durch
unsere naturhafte irdische Art. Hier setzt eins dem anderen Zügel und Grenze.
Wir sind im Guten wie im Schlimmen halbe Leute und stehen in einer unfertigen
Zwiespältigkeit." Allerdings scheint Schlatter des Weiteren das „was
ihr wollt" nur vom guten Wollen zu verstehen.

A. Oepke: „Ihr könnt also, in diesen Gegensatz eingespannt, nicht tun,
was ihr wollt. Ihr seid unfrei, nicht Herren euer selbst." „Paulus will einfach
als Folge des geschilderten Zustandes (17a und b) die Tatsache feststellen, dal;
das Widereinander von Fleisch und Geist, solange es nicht überwunden ist,
Knechtung des Willenslebens, seine Zerfaserung in zersplitterte und widerspruchsvolle
Einzelakte bedeutet."

Auch H. Lietzmann findet in 17c die doppelte Hemmung ausgesagt
und versteht unter dem „wasjhr wollt" nicht nur „den dem jtvev/ia zuneigenden
Willen des Ich", unter Hinweis auf Rom. 7, 16, sondern auch „den fleischlichen
Willen".

H. Schlier:',,Das Gegeneinander von Fleisch und Geist, das im beiderseitigen
feindlichen Begehren zum Austrag kommt, geschieht in der Absicht
und hat das Ziel, das jeweilige Wollen des Menschen, das von dem Anspruch
des Fleisches oder des Geistes provoziert Ist, abzufangen und nicht zur Tat
werden zu lassen."

Für dieses Verständnis von V. 17c scheint die Logik des
Gesamtverses 17 zu sprechen. V. 17 a und b reden von einer
Doppelbewegung, des Fleisches wider den Geist, des Geistes
wider das Fleisch. Was liegt näher, als auch in 17c eine
doppelte Hemmung des „Wollens" des Menschen zu finden,
damit aber auch eine doppelte Richtung dieses Wollens, also
ein vom Geist bestimmtes, mit ihm einiges, und ein vom Fleische
bestimmtes, mit ihm einiges ?

Indessen wer die Eigenart pauliuischer Gedankenführung
kennt, wird nicht sagen wollen, daß die Logik des Gesamtverses
von vornherein dazu zwinge, auch V. 17c doppelseitig
zu interpretieren. Es ist durchaus möglich, daß der Apostel
in 17c nur an die eine Hemmung gedacht hat. Das wird bei
näherer Erwägung sehr wahrscheinlich. Es ist doch höchst
zweifelhaft, ob Paulus mit den Worten „was ihr wollt" sowohl
das fleischliche wie das gute, dem Geist gemäße, vom Geiste
bestimmte Wollen des Menschen zusammenfaßt. Er hat es —
darauf weist Calvin ausdrücklich hin, aber auch Lietz-