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Ausgabe:

1950 Nr. 12

Spalte:

748-749

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Meinertz, Josef

Titel/Untertitel:

Moderne Seinsprobleme in ihrer Bedeutung für die Psychologie 1950

Rezensent:

Haendler, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 12

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nur jüdische Winkellogen, in denen er gepflegt wird, sondern fanatisierte, bebetörte
, verhexte Bauernhaufen 1

F.s neues Büchlein unternimmt einen gewagten, aber bedeutsamen Versuch
: eine Gruppe inhaltlich zusammengehöriger Werke Boschs zusammenschauend
zu deuten, ihren religiösen Gehalt zu ermitteln und damit zugleich
den faizeur de diables von dem Ruf, der Bahnbrecher des Genies zu sein, zu
befreien. Es ist sicher richtig, daß das Geheimnis der rätselvollen Bilder Boschs
nur auf dem Wege über die ,,Schule der Verworfenen" (S. 53) ergründet werden
kann. Das Verdienst gebührt F. zweifelsohne, mit aller Eindringlichkeit gezeigt
zu haben, daß auf den geheimnisträchtigen Tafeln Boschs eine Fülle von Mysterien
von Winkelsekten, obskuren Kultvereinen und enthusiastischen Gemeinschaften
sich auftut. Diese Bilder sind weder Ausfluß einer übersteigerten Phantasie
noch banale genrehafte Schildereien, sondern sind durchzittert von der
verborgenen Tragik, dem geheimen Kampf, der abstoßenden Abwegigkeit und
der oft pervertierten Geistigkeit des religiösen Außenseitertums des spätesten
Mittelalters. Es muß ferner als positiv hervorgehoben werden, daß F. einige
Arbeiten Boschs wieder richtig erkannt und benannt hat — so die New Yorker
Zeichnung und die Flügel des Altarwerkes „Sicut erat indiebus Noe" — und
daß er die geistigen Zusammenhänge zwischen Boschs Kampf- und Bekenntnisbildern
und den zeitsatirischen Stichen des älteren Breughel gesehen und herausgestellt
hat, wodurch er uns eine Welt versunkenen Sektierertums wieder
lebendig machen konnte.

Aber im Einzelnen erheben sich doch eine Reihe von Fragen zu den Deutungen
F.s, deren wichtigste hier kurz berührt werden sollen. Zunächst wird
man der Deutung des Berliner „Johannes auf Patmos" als Idealporträt des
Hochmeisters gegenüber skeptisch bleiben müssen. Die physiognomische Ähnlichkeit
scheint nicht tragfähig genug, ebensowenig die Konturähnlichkeit zum
Beter auf dem ersten Rundbild des „Sicut erat in diebus Noe". Desgleichen erscheint
die Gleichsetzung des Jesusknaben im Tempel mit dem Selbst des
Hochmeisters allzu gewagt. Auch die zwischenbildlichen Beziehungen sind
wohl manchmal überfordert; so ist nicht einzusehen, wieso der schweinsköpfige
Kommunikant der Teufelsmesse und seine hinkefüßiger Begleiter auf den „Versuchungen
des hl. Antonius" der Taschenspieler und sein Gehilfe sein sollen.
Dann fällt auf, daß F., der doch auch auf die letzte Einzelheit sonst größten
Wert legt, nicht nur bei dem Breughelschen „Sturz desZauberers Hermogenes"
interessante Gestalten mit Schweigen übergeht — so u.a. den Enthaupteten
auf dem Tisch, den Stürzenden mit dem Schwert an der Gurgel neben dem
Drachen und den Puppenspieler hinter dem Riesen —, sondern auch die Heiligenfiguren
auf dem Behang des Stühlchens neben dem Kinde, das den Kelch
kredenzt, auf der „Hochzeit zu Kana". Welche Heiligen sind das? Sollten gerade
sie ganz beziehungslos gewählt sein? Auch so manche der gegebenen Deutungen
vermag nicht zu befriedigen. So wird verschwiegen, daß die Mysteriengeräte
auf dem Altar im Hochzeitszimmer irgendwie vom Christentum berührt
sind: Auf der Weltkugel, die die gebückte Gestalt schleppt, erhebt sich das
Kreuz. F. erwähnt es überhaupt nicht! Mit dem onus mundi hat der Einsiedler
das Kreuz auf sich genommen. Sollte seine traurige Gestalt eine antichristliche
Karikatur sein? Oder eine niedrigere Vorstufe asketischen Daseins gegenüber
den ihm benachbarten im Kulttanz heilige Geräte balanzierenden Mysten?
Jedenfalls zeigt das Kreuz, daß es sich hier um einen späten Synkretismus
handelt, nicht aber um die Erhellung des Rätsels von Eleusis (S.41). Auch die
Parallelisierung des zentralen Elfenbeingerätes mit Weihgaben aus Aphroditeheiligtümern
(S. 44) scheint unstatthaft, da diese einmal nach F.s eigener
Äußerung etwas anderes darstellen, zum anderen aber Weihgaben und Kultgeräte
grundsätzlich auseinandergehalten werden müssen. Fraglich ist weiter,
ob es sich bei der Vogelstatuette um einen Ibis handelt (S. 45). Näher läge die
Deutung auf einen Schwan, der als dem Mond geweihtes Kultmahltier erscheint
. Für die Deutung der Krüge (S.44ff. u. S.56) fehlt jeder Beleg. Ihre
Deckel, besonders der des kalebassenfürmigen (Frosch-) Kruges, dürften nicht
weiß sein, sondern in hellen Lichtreflexen (Glanzlichtern) aufleuchten. Ist schon
die Formel Hye-Kye im eleusinischen Kult nur eine geistvolle Vermutung
C. G. Jungs und K. Kerenyis, die wie all deren Äußerungen zu antiken Mysterien
mit interessierter Vorsicht aufgenommen sein will, so fragt man sich, woher
F. eigentlich den Atemsymbolismus bei deren Benutzung erkennen will
(S.55): Die Haltung der Kulttänzer, die die ineinandergestülpten Kultbecher
tragen, nötigt keinesfalls dazu. Die gleiche Atemgymnastik aber gar bei Adam
und Eva auf dem „Tausendjährigen Reich" wiederzuerkennen (S. 94), erscheint
angesichts deren steifer Haltung unmöglich. Die Zusammenhänge
zwischen Schwamm und Apokatastasis (S. 57) bleiben dunkel. Wenn übrigens
Antigonus Carystius mit Aristoteles dem Schwamm Gefühl zusprach, so ist
damit nicht ausgesagt, daß er ein beseeltes Wesen sei. Derartige aphoristische
Vermutungen und terminologische Ungenauigkeiten sind eher geeignet
, Mißtrauen den Deutungen gegenüber zu erwecken als sie zu vertiefen.
Beim „Zauberer Hermogenes" wird man kaum von einer „Explosion nach den
vier Himmelsrichtungen" sprechen dürfen (S. 35): Hier ist ganz deutlich die
dunkle Neumondscheibe mit eingezeichnetem hellem zunehmendem Mond
wiedergegeben, von der vier zusammengefaßte Strahienbündel ausgehen. Für
die binaren Beziehungen des Winkelkultus, denen F. sonst ständig nachspürt,
scheint das nicht unwichtig. Warum wird weiterhin das Gerät auf der New
Yorker Zeichnung, das als Hirtenstab wie als Sichel belegt ist, mühevoll unter
Heranziehung längst toter antiker Parallelen und Belege, die noch dazu nicht
ganz passen wollen, als Schlüssel umgedeutet und auf den Mond bezogen
(S. 63ff.)? Vom Hirtenstab wie von der Sichel aus wären tragfähige Deutungen
wohl möglich 1 Fraglich ist im Zusammenhang dieser Zeichnung auch die Beziehung
des Jünglings in der Mitte der Gruppe auf den Hochmeister (S. 66).

Gesichtsform, Nase und Mund weichen stark ab von den sonst so einhellig und
eindeutig geschilderten Gesichtern dieses Ketzerführers. Es wären noch viele
solcher Fragezeichen zu setzen, das Angeführte mag aber hier als Hinweise auf
die Fraglichkeit so mancher Einzelheit genügen. Es sei aber betont, daß all
diese Fragezeichen nicht die Grundkonzeption oder die Hauptergebnisse F.s
in Frage stellen sollen. Diese erscheinen vielmehr im großen und ganzen ausreichend
gesichert.

Grundsätzlich ist auch hier zu sagen, daß F. sich von seiner Entdeckerfreude
leider manchmal auf Neben- und Abwege verleiten läßt, die sich als
Sackgassen erweisen. Nicht selten überwiegt auch die intuitive Schau das exakt
gegründete Forschungsergebnis. F. sieht zudem Griechentum und oberflächlich
hellenisierte Spätantike zu sehr in eins. Wenn überhaupt aus der Antike
Mysterienwesen lebendig geblieben ist, dann nur spätantiker Synkretismus,
nicht aber klassische Mysterien. Was hat das Unwesen dieser gnostischen
Ketzerschaften mit Eleusis zu tun?! Lunare Aspekte, kultische Unzucht, religiöse
Kastration haben mit Griechentum nichts gemein, das ist später Orient.
Darum sind die zahlreichen Verweisungen auf antike Äußerungen und Mythen
nur mit äußerster Vorsicht als religionsgeschichtliche Parallelen, nicht aber als
Belege für die Deutung der Boschschen Tafeln aufzunehmen. Die Schriften
etwa des Fi/lgentius Metaforalis zeigen zur Genüge, wie dämonenhaft verzerrt
sich dem Mittelalter das Bild antiker Religiosität darbot, wie alles ins Astralmythische
abgesunken ist oder abzusinken droht. Das ist eine ähnliche Geistigkeit
wie bei den Winkelketzern, auf die Bosch hier zielt.

Eines sei noch erwähnt: Die Sprache ist oft allzu überladen und mit
Fremdwörtern überhäuft. Ausdrücke wie pantagruelisch, molestiert, involvieren
, testikulär, Flatus und miasmisch, Wortgebilde wie quintessenziert
(S. 89) sähe man gerne vermieden.

Demgegenüber stehen die großen Vorzüge des Büchleins uneingeschränkt
fest. F.s Weg erscheint grundsätzlich richtig. Nicht weniges Einzelne wirkt unmittelbar
und überzeugend, so vor allem außer dem bereits Erwähnten die peinliche
Genauigkeit in der Berücksichtigung wichtiger Details bei der ins Einzelnste
gehenden Vergleichung. Ausgezeichnet ist auch u.a. das über den
Frosch im Ketzertum erhaltene Material zusammengetragen (S. 47 ff.). Die tiefe
innere Anteilnahme F.s an seinem Thema, die überall durchzuspüren ist, versöhnt
zudem mit vielem.

So legt man F.s neuestes Werk mit etwas gemischten Gefühlen beiseite.
Bei richtigem Ansatz ist vieles sehr klar und klärend herausgearbeitet, das
geistige Bild Boschs und seines Auftraggebers wird sehr lebendig, die brodelnde
Untergründigkeit des unheimlichen Ketzerwesens des Spätmittelalters wird
manchmal sogar bedrückend nahe gebracht. Und doch leidet das Büchlein
unter den Überforderungen der Deutung an so mancher Stelle, an der Pressung
aller Dinge in lunare und androgyne Spekulationen. Des Guten ist da oft zu viel
getan. Doch gebührt dem Autor Dank für seine mutige Pionierarbeit auf detn
unerforschten Gebiet ketzerischer Kunstübung. Wer neue Wege sucht, muß
notwendig gelegentlich irren. Mögen die angekündigten weiteren Arbeiten F.s
zum Thema Bosch uns weiteres Neuland erschließen!

Berlin K.Wessel

PSYCHOLOGIE und RELIGIONSPSYCHOLOGIE

Meinertz, Josef, Dr.: Moderne Seinsprobleme in ihrer Bedeutung für
die Psychologie. Ein Beitrag zur Grundlegung der Tiefenpsychologie.
Heidelberg: Lambert Schneider [1948J. 134 S. gr. 8°= Schriften der Psyche
H. 1. Kart DM4.60.

Das Buch geht aus von der Feststellung, daß die Tiefenpsychologie
viel Unsicherheit über ihr Wesen und viel Ablehnung
dadurch selbst verschuldet hat, daß sie es versäumt
hat, sich auf ihre Grundlagen wissenschaftlich zu besinnen.
Wollen wir das nachholen, so geraten wir in die Philosophie
und stellen fest, daß die Ontologie viele hier liegende Probleme
zuerst erkannt und präzisiert hat. Dieses Material verarbeitet
der Autor für sein Ziel. Das Ergebnis ist dann: ,.durch die auf
existenziellem Boden gewachsenen Erkenntnisse haben die von
der Tiefenpsychologie intuitiv geübten praktischen Methoden
wissenschaftliche Durchdringung, neue Grundlagen der Verständigung
und fortzeugende Kraft erlangt" (123).

Die Durchführung setzt ein in der Existenzphilosophie
Heideggers. Er hat das grundlegende Verdienst, ein stimmungsmäßiges
Weltgefühl (Angst) als Ermöglichung jeder Erkenntnis
und jeder Zuwendung zur Welt überhaupt, proklamiert
zu haben (24). Andere von ihm herangezogene Probleme
haben entsprechende Bedeutung. Damit ist ein grundsätzlich
neuer Ausatz gegeben gegenüber dem ganzen Schwergewicht
der bis auf Descartes zurückgehenden philosophischen Voraussetzung
, daß unbezweifelbare Erkenntnis nur vom reinen
(= rationalen) Denken her zu gewinnen sei. Bedeutsam wird
aber dieser Ansatz dadurch, daß bei genauem Zusehen in aller
Schärfe des Ansatzes und der Durchführung die gesamten
ontologischen Probleme in der rein rationalen Denkarbeit
doch eine „Leerform" aufweisen. In diese Leerform fügt die
Tiefenpsychologie sich ein. Und das ist ein echter Zusammenhang
, denn „durch die Leere der ontologischen Formulierungen
schimmert überall der tiefe seelischeUntergrund durch " (20).