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Ausgabe:

1949 Nr. 12

Spalte:

736-737

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bornhäuser, Karl

Titel/Untertitel:

Die Leidens- und Auferstehungsgeschichte Jesu 1949

Rezensent:

Uckeley, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 12

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sich den Menschensohn genannt hat. Eine Auseinandersetzung
über das devote hau bar-nasha, hau gabra im späteren
palästinischen Aramäisch fehlt. Die Ansetzung von Q. zwischen
50 und 60, von Mk. um 60 halte ich für zu früh. In
Mt. 10, 32ist das doppelte lv Semitismus. Warum das h> avröi
anders gefaßt werden soll als das parallele lv iftoi: „bei sich"
im Gebet, ist nicht einzusehen. Die zweite Auflage von Kittels
Wörterbuch, aus der S. 26 bereits ein Artikel zitiert wird, der
noch nicht einmal in der ersten erschienen ist, ist einstweilen
prophetische Antizipation.

Doch das sind Nebendinge. Ernstere Fragen melden sich,
wenn Verf. nun auf den Menschensolm im iranischen Mythos
und den Sinn der Selbstbezeichnung Jesu zu sprechen kommt.
Bewundernswert, wie sich der über Achtzigjährige, nicht einmal
eigentlicher Fachmann, in diese modernsten Probleme
eingearbeitet hat! Da möchte am liebsten jede Kritik schweigen
. Allein ist es nicht Anachronismus, wenn Gewährsmänner
wie Rudolf Thiel, Emanuel Hirsch, Walter Grundmann -es fehlt
nur noch Eduard Wechßler-aufs neue aufmarschieren ? Daß ein
Kenner des Parsismus wie Hans Heinrich Schaeder neuerdings
den Zusammenhang des Judentums mit ihm überhaupt bestreitet
, konnte Verf. nicht wissen, und ich bin selbst zweifelhaft, ob
er recht hat. Aber die hier — in relativ gemäßigter Form —
nochmals vorgetragene Zweckkonstruktion von den „gali-
läischen Henochgemeinden" und dem „Galiläer" Jesus halte
ich für ein Kartenhaus. Leider ist Verf. an aller anders eingestellten
Literatur (ThLBl 62 [1941], 2oiff.; 63 [1942], iff.)
vorübergegangen. Wenn Jesus sich von der eschatologischen
Botschaft des Täufers bald abgekehrt, wenn seine Predigt vom
Reich des aufrüttelnden Charakters entbehrt haben soll, wenn
es wörtlich heißt: „Als Menschensolm hatte er seine Aufgabe
allein in dieser Zeit und zunächst keinen Anlaß, sich nähere
Gedanken über das Kommende zu machen", so reden schwerlich
die Quellen, vielmehr gewisse, uns nur zu bekannt anmutende
Wünsche. Daß die Äußerlichkeit der jüdischen Messiasidee
, die Jesus, im Unterschied von der „unjüdischen"
Menschensohnbezeichnung, in jeder Form abgelehnt hätte, an
4. Esr. 13, 37 illustriert wird, an einer Stelle also, die sich
ausgerechnet auf den Menschensolm bezieht, ist paradox. Zu
Mt. 26, 64 ist Str-B. I 990 zu vergleichen. Mit Hilfe der par-
sistischen Urmenschenspekulation steuern wir in steigendem
Maße auf den Universalmenschen, den „Menschen Gottes"
zu und sind von dem „Idealmenschen" des 19. Jahrhunderts
nicht mehr allzu weit entfernt. Paulus soll von dem Christus
nvir Juden und Juden Christen gegenüber gesprochen, den Heiden
dagegen Jesus nur als Kyrios und Soter (nur Phil. 3,20;
Eph. 5, 23!) bezeugt, „Christus" nur noch als Eigenname verwendet
haben. Aber Rom. 1, 3?! Man freut sich an mancher
feinen Formulierung. Daß Mt. 25, 35 als „Markusstelle", das
Protevangelium als Gen. 5, 28L zitiert wird, sind leichte
Schönheitsfehler. Aber bei dem übrigen geht es um mehr. Zu
begrü(3en ist es, daß ein abschließender Abschnitt „Geschichtliche
Konfirmationen" sich unter Berufung auch auf
Paulus und Johannes bemüht, das Numinose stärker herauszuarbeiten
, wenn man auch fragen mag, ob der geschichtlich
verstandene Menschensohnbegriff diesen ganzen Reichtum
trägt.

Der zweite Teil schildert das Wirken des Menschensohnes
, da Person und Wirken sich nicht scheiden lassen, nicht
ganz ohne Wiederholungen. Das warme persönliche Verhältnis
des Verf.s zur Person Jesu führt zu einer eindrucksvollen
Bezeugung dessen, was der Menschensohn in Leben und Leiden
der Welt gab. Einige Spannungen fallen auf. Während es
früher schien, als sollte das Eschatologische ausgeschieden,
der Menschensohn „in der Hauptsache nicht futurisch" verstanden
werden, wird jetzt solche Trennung überhaupt abgelehnt
, was dem Richtigen zweifellos näher kommt. Die
Interpretation des johanneischen Logos schwankt zwischen
„Vernunft" und „Wort", bei genauer Limitation vielleicht
nicht ganz ohne Grund. Daß aber der „ephesinische" Evangelist
direkt an Heraklit anknüpfe, ist, auch wenn Dyroff es
meint, abenteuerlich. Die selbst in der revidierten Lutherbibel
geänderte Übersetzung von Ps. 8, 8 im Sinne von Hb.
2, 7 (richtig S. 179 nach Menge) ist anfechtbar. Der Auf-
erstehungsgedanke scheint mir zu sehr spiritualisiert. Daß
Jesus als Mensch Gottes und schöpferisches Urbild die Aufgabe
und Kraft habe, jeden Menschen zum Sohne Gottes zu erneuern
, sagt jedenfalls Johannes nicht. Gerade er unterscheidet
ja als einziger neutestamentlicher Schriftsteller ständig
zwischen dem „Sohn" und den „Kindern". Die landläufige
Auslegung von Mt. 5, 17—20 halte ich für falsch. Von
der Goldenen Regel hat, wenn überhaupt, Darwin schwerlich
als erster geredet. Sind es auch nicht gerade neue Gedanken,
die Verf. entwickelt, so ist es doch, zumal für Fernerstehende,

nützlich, sie in so schöner Ubersicht einmal wieder zu lesen.
Nur scheint mir die Vergeistigung des Konkreten an der Person
Jesu, ihre Deutung im Sinne einer idealistischen Persönlichkeitskultur
zu stark hervorzutreten.

Da Verf. zuletzt noch auf Christentum, Individualität
und Volk zu sprechen kommt, droht die Beziehung zum
Thema fast zu zerfließen. Obwohl der Rassengedanke in seiner
parteilichen Zuspitzung mit erfreulicher Deutlichkeit abgelehnt
wird, möchte man gelegentlich (S. 162) auf Anregungen
W. Stapels schließen. Nebenbei: der „bekannte Missionstheoretiker
" hieß Gustav (nicht W.) Warneck. In den Kon-
fessionskirchen sieht Verf. das „schwerste Hemmnis" der Herrschaft
Christi. „Daß die Kirchen diesen schauervollen Krieg
nicht zu verliindern vermochten, ist ein Beweis ihrer Lauheit
und Ohnmacht." Hat Jesus sich anheischig gemacht, den
Krieg aus der Welt zu schaffen ? Mt. 24, 6f.! Die zu sehr um
ihre Herrschaft besorgten Kirchen sollten auf jede lehrgesetzliche
Bindung ihrer Glieder verzichten! Wenn nur zwei oder
drei von ihnen zu brüderlicher Gemeinschaft sich zusammenschlössen
, um Jesus die Ehre zu geben, so würden die anderen
diesem Beispiel bald folgen! Die Wirkung aber würde für die
christlichen Völker und für die ganze Welt unermeßlich sein!
Ich bedaure, diesen Optimismus nicht aufbringen zu können,
fürchte vielmehr, daß solche Luftverdünnung in einem Zeitalter
, wo der Papst sogar interkonfessionelle Besprechungen
verbietet, wider Willen die Geschäfte Roms besorgt.

Soviel hat die Besprechung wohl gezeigt, daß das Buch
an letzte Fragen rührt, die hier nicht entschieden werden
können, sondern immer aufs neue durchdacht sein wollen.
Daß der Verf. uns dazu gezwungen hat, sei ihm gedankt.

Leipzig Albreclit Oepke

Bornhäuser, Karl, Prof. d.: Die Leidens- und Auferstehungsgeschichte
Jesu. Gütersloh: Bertelsmann [1947], 207 S. 8°. Pp. DM 11.—.

Es ist dies die letzte Publikation Bornhäusers, deren Manuskript
er schon längere Zeit vor seinem Tode dem Verleger
zugesandt hatte. Prof. Jeremias hat sie abstrichslos und zusatzlos
durch den Druck geführt und dadurch den Abschiedsgruß
des Verewigten seinen Freunden zugänglich gemacht.
Es dürfte wohl angebracht erscheinen, wenn es hier von einem
Praktischen Theologen angezeigt wird, denn auf dem Gebiete
dieser theologischen Disziplin dürfte seine Verwendbarkeit
und Brauchbarkeit liegen. Für das neutestamentliche Fachgebiet
wirft das Buch schon deshalb wenig ab, weil der Verf.
sich, seiner Arbeitsmethode entsprechend, nicht auf Auseinandersetzung
mit den Ansichten anderer Fachgelehrter einläßt
, also die Gesprächsform verläßt, und dafür in unmittelbarer
Behauptungsform das ausspricht, was er aus dem Texte
herausliest. Er meint, zu seinen neuen, andersartigen Einsichten
dadurch gekommen zu sein, daß er die Texte „genau
liest" (S. 186), d. h. sie Wort für Wort, ja oft (bei den verbis
cotnpositis) Silbe für Silbe in ihrer Bedeutung ins Auge faßt,
wie sich dieselbe ihm etwa im „Schulwörterbuch von Benseier"
(S. 108) darbietet, das man „fleißig lesen sollte". Wir meinen,
daß das die Aufgabe zu leicht nimmt und daß in diesem Stück
z. B. Deißmann mehr recht hatte, der bei den einzelnen Ausdrücken
in ihrer Deutung bis an das Volkstümliche vorzudringen
für nötig erklärte und nicht sich mit der Wortbedeutung
bei den klassischen Dichtern und Schriftstellern begnügte.

Man hat leider manchmal bei B. den Eindruck, daß er die Dcutungs-
auswahl der Worte aus den üblichen Wörterbüchern der attischen Oräzität
so vornimmt, wie sie ihm in den Zusammenhang seiner jeweiligen Auffassung
der betreffenden Stelle am glattesten passen (z. B. S. 78, 150, 160 u. f .). Wenn
B. aber ein „genaues Lesen" fordert, darf er sich nicht selbst solche Bloßen
geben, wie auf S. 119, wo er falsch zitiert (Luk. 23, 43 eingefügtes „noch"), oder
S. 66, wo er ohne weiteres pollol „wohl richtiger" durch „für alle" übersetzt.
Doch das sind Kleinigkeiten, die aber freilich arlgcmerkt werden müssen, weil B.
immer wieder auf „genaues Lesen" den Nachdruck verlegt und andern vorwirft
, daß sie es daran fehlen lassen. Unmöglich erscheint uns die Deutung
von Matth. 27, 52. 53 (Gräber taten sich auf und viel Leiber der Heiligen
kamen in die heilige Stadt) auf „das obere Jerusalem, von dem die Offenbarung
des Johannes weiß"; ebenso die Deutung der Emmaus-Szene nicht auf eine
Abendmahlzeit, sondern auf das Mittagsmahl kurz nach 12 Uhr (S. 158, 162).
Wenn B. behauptet, der Mann mit dem Wasserkrug (Luk. 22, 10) käme von
der Siloahquelle her, und von einer Verabredung zwischen ihm und dem Hausherrn
mit einem Wartebefehl an den Wasserträger zu erzählen weiß, so ist das
ein Aufbau eigener Phantasie, nicht aber Herauslesen aus dem Text. S. 200
bis 204 lesen wir bei B. dieselbe Auffassung, die R. Hoffmann (1896) und
A. Resch aufgebracht haben, daß das Galiläa (Matth. 28, 7) nichts anderes sei
als eine „Herberge Jesu", die „Galiläa in Jerusalem" genannt worden sei.
Er spricht es sogar als Wahrscheinlichkeit aus, daß „Gethsemane auf dem öl-
berg" Galiläa genannt wurde, und er fügt hinzu, daß er diese beiden Arbeiten
nicht kenne, sondern auf eigenem Wege selbständig zu der Gleichung Gethsemane
= Galiläa gekommen sei.