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Ausgabe:

1949 Nr. 6

Spalte:

357-358

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Buri, Fritz

Titel/Untertitel:

Kreuz und Ring 1949

Rezensent:

Mulert, Hermann

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 6

358

heit und Macht gewann, beigetragen hat, daß auf kirchlich-
theologischem Gebiet nach dem ersten Weltkrieg eine starke
rückläufige Bewegung eingesetzt hatte. Zwar kann, wer für
Autorität und Bekenntnis in der Kirche eintritt, scharfer
Gegner der Diktatur im Staate sein, aber für die Massen
gelten da seelische Gesetze, Analogien, Parallelen, die viel zu
wenig beachtet zu werden pflegen.

Niederbobritzsch H.Mulert

Buri, Fritz, Doz. Dr. theol.: Kreuz und Ring. Die Kreuzestheologie des
Jungen Luther und die Lehre von der ewigen Wiederkunft in Nietzsches
„Zarathustra". Bern: Haupt [1947]. 121 S. gr. 8«.

Seit Nietzsche mit seinen kühnsten Schriften auftrat, ist
schon wiederholt versucht worden, zu zeigen, daß bei Theologen
und religiösen Denkern vergangener Zeiten sich überraschende
Parallelen zu seinen Gedanken finden. So hat Klepl Schleiermachers
Monologen und Nietzsches Jenseits von Gut und Böse
zusammengestellt. Ebenso haben Bücher, die Luther „aus dem
Christlichen ins Menschliche übersetzen" oder den modernen
Menschen in Luther herausarbeiten, Anlaß zu Vergleichen mit
Nietzsche geben können. Buri geht von Luthers Kreuzestheologie
aus d. h. von dem mittelalterlichen Gedanken, den Luther
festhielt, wahre Frömmigkeit zeige sich in resignatio ad in-
fernum, in der Bereitschaft, aus gehorsamer Liebe zu Gott,
Wenn er es wolle, auch in die Hölle zu gehen. Nietzsches Lehre
Von der ewigen Wiederkehr stehe dem viel näher, als man gewöhnlich
meine.

Man liest diese M. Werner gewidmete Schrift mit Interesse
. Der Blick Buris ist weit genug und sein Denken unbefangen
genug, um nicht einfach davon abhängig zu bleiben, daß
Luther einen sittlich ernsten Atheismus nicht gekannt, vielmehr
auf die zweifelnde Vernunft grob gescholten hat, und
Nietzsche all seinen Zorn und Haß über das Christentum ausgegossen
hat; er hat andrerseits nicht etwa versucht, seine beiden
Helden im Interesse seines Themas vorschnell in Einklang
zu bringen. Er läßt jeden in seiner Eigenart stehen, weiß, wie
fremd sie einander sind. Aber im Zarathustra sind in der Tat
Stellen, die zeigen, daß Nietzsche, weil er überhaupt starkes
Empfinden hatte und die Ehrfurcht vor dem Ewigen nicht
hatte aus seiner Seele reißen können oder wollen, doch einer
(mit schroffen theoretischen Negationen verbundenen) Frömmigkeit
nicht fremd war.

Nur ist fraglich, ob der Gedanke, alles Geschehen wiederhole
sich ewig, für ihn wirklich so viel bedeutet hat wie für
Luther jene Lehre seiner Frühzeit. Nietzsche hat ihn ausgestreut
wie ein Reicher aus seinem Schatz Altes und Neues unter
die Menge wirft. Löwiths von Buri zustimmend erwähnte
Schrift ,,N.s Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen
", *935, die zeige, daß diese Lehre den Grundgedanken
N.s bilde, kenne ich leider nicht, fürchte aber, wenn man N.
so versteht, wird er nicht gewinnen. Die Leidenschaft, mit der
er das Christentum bekämpft, kommt doch zum großen Teil
daher, daß er in allen Gedanken an Jenseitiges, Transzendentes
eine (selbstsüchtige) Phantastik sieht. Aber das Christentum
Jjjit all seinen Vorstellungen von Himmel, Hölle und Fegfeuer
lst ein Waisenknabe gegen den Glauben an ewige Wiederkehr
ai|es Geschehens, d. h. die Phantastik dieses Glaubens scheint
mir noch viel kühner. Und fragt man nach dem inhaltlichen
Wert der beiderseitigen Gedanken, ethischem oder ästhetischem
Wert, so gilt: man kann Welt und Leben optimistisch
deuten, indem man an Fortschritte durch Menschenkraft oder
durch göttliche Vorsehung (oder durch beide) glaubt (evolutio-
"Jstischer Fortschrittsglaube ist auch ohne Gottesglauben mög-
~JCu). Man kann sie auch pessimistisch deuten und, wenn man
dabei über das jetzige Dasein des Einzelnen hinausblickt,
..eelenwanderung und Wiederverkörperung bis zum schließ-
UChen Erlöschen in einem Nirwana annehmen. Aber bei dem
al|en ist ein Ziel vorgestellt. Nietzsche dagegen sieht den ewig
Wlederholten Weltlauf als ziellos an, die Welt als ein perpe-
tuuni mobile, und das Ziellose ist für uns sinnlos. Aller gute
ömn im Einzelnen wird schließlich vom Unsinn des Ganzen
Verschlungen; hier liegt wohl auch resignatio vor, jedoch ad
absurdum.

Umsichtig ist es aber, wie Buri seine These in drei Abschnitten
durchführt. Er spricht zuerst von der Verschiedenheit
des Ausgangspunkts beider, wobei doch auch überraschende
Ubereinstimmungen sich zeigen wie im Empfinden
Iur das Numinöse, das wir im zweiten Tanzlied Zaratnustras
spüren; dann von der Verzweiflung, in die beide gerieten,
Luther durch den Gedanken, er könne zu den auf ewig Ver-
°renen gehören, Nietzsche-Zarathustra durch seinen Ekel an
5*0 Menschen und durch die Ahnung ewiger Wiederkehr alles
Geschehens, auch des kleinsten. Beide aber überwinden die

Verzweiflung durch eschatologische Ideen; auch Zarathustra
ruft: „Herauf nun, du großer Mittag!", nur daß man das mit
solchem Gemeinte nicht vergegenständlichen darf (wie es im
Gedanken, den Ubermenschen zu züchten, doch geschehen
war). Aber in tapferer Resignation gegenüber der Welt und im
Gewinn echter Transzendenz stimmen — so urteilt Buri —
Nietzsche und Luther schließlich doch überein. An einen Aufsatz
Hirschs über Nietzsche und Luther (Jahrbuch der Luther-
Gesellschaft 1920/21) anknüpfend, will er zeigen, daß mit den
Symbolen Kreuz und Ring „ein Sich-Fügen in das Sinnlose"
bezeichnet sei, wie schon der Ausgangspunkt beider die in religiöser
Dimension erlebte Frage nach dem Sinn des Sinnlosen
bilde. Dabei sei Luther mit seinem Mönchtum ebenso gescheitert
wie Nietzsche mit seinem Übermenschen-Ideal. Auch seien
„Mönch und Ubermensch nicht nur Gegensätze" (10). Beide,
Luther wie Nietzsche, hätten „wirkliche und wahrhaftige Erlösung
" gefunden (11), Luther, nachdem er an der mönchischen
Werkgerechtigkeit, Nietzsche, nachdem er an der Züchtung
des Ubermenschen irre geworden war.

Freilich vergesse man — würde ich hinzufügen — darüber
solche Unterschiede nicht wie den: für Luther wie für andre
Christen jener Zeit war die resignatio ad infernum Antwort auf
die Frage nach ihrem persönlichen Endschicksal; für Nietzsche
ist die Lehre von der ewigen Wiederkehr (wie auch für Andere,
die sie annehmen) Antwort auf die Frage nach Ziel oder Art
des Weltlaufs (worin dann Antwort auf die nach dem persönlichen
Schicksal eingeschlossen ist). Fromme jener alten Zeit
suchten und fanden in der resignatio Uberwindung ihrer Selbstliebe
; ihr Denken war von ihrem Gewissen getrieben. Nietzsches
Wiederkunftslehre ist dagegen rein Sache theoretischer
Vernunft (oder schweifender Phantasie), jedenfalls nicht irgendwie
ethisch orientiert. Sein Skeptizismus warf sich besonders
auf die Ethik und erst wenn der Zweifel diese Wendung
nimmt, drohen Welt und Leben sinnlos zu werden. Daß die
Menschen nicht besser, sondern (mindestens in der letzten
Weltzeit) schlechter werden, ist zwar auch überlieferte christliche
Ansicht; aber sie wird überwogen von dem Gedanken,
daß schließlich doch Gott den Seinen ewige Seligkeit bereite.
So wird ja auch bei Luther die Bitterkeit der resignatio ausgeglichen
durch die Einsicht, wer sich mit Gottes Willen einig
wisse, für den würde auch die Hölle nicht wirklich Hölle sein.

Ich sage das alles nicht gegen Buri, sondern nur gegen
Uberschätzung der Parallele, auf die er hingewiesen hat. Richtig
bleibt, daß es sich bei Luther wie bei Nietzsche schließlich
um ein „ungeheures unbegrenztes Ja- und Amen-Sagen" handelt
. Nur ist bei Luther dieses Ja Ausdruck tiefen Vertrauens,
bei Nietzsche schmerzlicher Ergebung — wozu hat Zarathustra
uns den Übermenschen gelehrt, wenn doch auch alles Allzu-
menschliche und Untermenschliche ewig wiederkehrt ? Und
soll man den Abstand zwischen jener frühen Lehre Luthers
und seiner späteren Rechtfertigungs- und Heilslehrc so betonen
wie Buri es tut? Immerhin ist es bezeichnend, daß er
Luther mit Nietzsche zusammenstellen kann, nicht Zwingli
und Calvin; jener ist abgründiger. Nahe liegt schließlich die
Frage: was würde Nietzsche, der Luther kräftig gehaßt hat,
dazu sagen, daß er so mit ihm zusammengebracht wird ? Nun,
vielleicht würde er, der, wenn er länger gelebt hätte, an vielen
seiner Jünger wenig Freude gehabt haben würde, Buris Versuch
nicht so schroff abgelehnt haben, wie man zunächst
meinen mag. Nur scheint mir Buri zu weit zu gehen, wenn er
beide Symbole, Kreuz und Ring, so zusammenstellt, daß eins
erst durch das andere deutlich werde.

„Wie der Sinn des Kreuzes in der frühen Theologie Luthers erst recht
deutlich wird, wenn er im Rahmen des von Zarathustra gepriesenen .hochzeitlichen
Ringes' gesehen wird, so wird umgekehrt auch der letzte Sinngehalt
dieses heidnischen Symbols erst im Lichte des Christuskreuzes erkennbar"
(S.8f.).

Nein, Christen sollen zwar gegen Nietzsche gerecht sein,
aber Luther, auch den jungen Luther, recht zu verstehen, dazu
brauchen wir Nietzsche nicht. Zum Teil sind seine und Luthers
Gedanken wirklich inkommensurabel; auch im Geistig-Geschichtlichen
ist manches ebenso wenig zusammenzubringen
wie etwa bei der Naturbetrachtung die Begriffe blau und
schwer. Auch wer betont, daß in den Worten des Glaubens das
Gemeinte immer etwas anderes ist als das Gesagte, und daß
das Wesentliche der Frömmigkeit eine Richtung der Seele ist,
nicht Lehren der Kirche es sind, daß man also Luther und
Nietzsche schon ernster vergleichen kann, als es nach der landläufigen
Vorstellung von beiden scheint, wird darum zu Buris
Thesen Vorbehalte machen. Aber lehrreich und anregend ist
seine Schrift.

Niederbobritzsch H.Mulert