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Ausgabe:

1949 Nr. 6

Spalte:

329-334

Autor/Hrsg.:

Alanen, Yrjö J.

Titel/Untertitel:

Akropolis und Golgatha 1949

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Theologische Literaturzeitung 1949 Nr. 6

330

Exegese ,,kann nur an das Wort Gottes heranführen", dagegen
ist „die wahrhaft theologische Absicht, das Wort Gottes
selbst zu vernehmen". Daß diese „spekulative" Methode sich
fortwährend Lichter aus der Gesamtbibel holt, „weil die
Schrift zuletzt eben doch ein abgeschlossenes Ganzes ist", hebt
die Textgemäßheit solange nicht auf, als der Theologe durch
das Ganze nicht die Sonderstimme des Textes übertönen läßt.
..Die Schrift soll durch die Schrift erklärt werden" — aber
wirklich erklärt, nicht verdunkelt. — Der Inhalt des reichen
Buches zieht aus den Aussagen der Apc. über den „neuen
Himmel und die neue Erde" — „das neue Jerusalem" — „das
neue Paradies" die Konsequenzen für die Kirche, zuvörderst
für die „Kirche der Glorie", dann für die Kirche auf Erden.
So erhält man eine „Ekklesiologie der Apc." 21, 1—22, 5, die
katholisch ist, aber die Beachtung auch der evangelischen
..spekulativen Theologie" verdient. — Eugen Walter1 widmet
dem Vaterunser eine neue Durchforschung und „Anwendung",
die nach all den vielen schon vorausgegangenen eine besondere
Beachtung verdient. „Hier wird der Leser eingeladen, vom
vertrauten Ufer sich zu lösen und stromaufwärts mitzufahren,
um seinen Ursprung näher kennen zu lernen: wie das Gebet
im Munde des Herrn gemeint ist". Demgemäß wird zum Unterbau
die Fachexegese benützt, davon aber nur das dem Beter
Dienliche mitgeteilt, und von hier aus in eine tiefe „Anwendung
" geschritten. Diese „Anwendung" enthält „spekulative
Theologie", aber nicht zur Überhöhung des Textes, sondern
aus dem Text heraus. Der Leser wird als Exeget und als Beter
Nutzen von diesem Büchlein haben. — Von Otto Etzold2
erschien ein weiterer Beitrag zum Hören auf den Römerbrief.
Dieser Beitrag ist deutlich als ein Anhang zum Hauptbuch
Etzolds „Gehorsam des Glaubens" gedacht; man könnte das
neue Buch Etzolds „Einübung" (oder auch „Einbläuung")
des Rm. nennen, in dem doppelten Sinn: Einübung des Verständnisses
und Einübung der Praxis des Rm. Den Verkündiger
kann das neue Buch auf die schmerzenden Punkte hinweisen
. Es zeigt sich aber, daß in der Bibelsache die Direktheit
schwächer ist als die Indirektheit, das will sagen: den
Jun. in seinem Inhalt, in seiner Selbstwucht vor die Gemeinde
stellen, das übt stärkere Wirkungen aus, als wenn der Volksmissionar
seine Wirkungen auf die Praxis der Christen und
der Kirche mittels des Rm. ausüben will. (Darum ist das

erste Buch Etzolds stärker als das zweite.) Es kommt hinzu,
daß jeder Angriff auf die Praxis, der detailliert vorgeht,
exegetisch dermaßen einwandfrei, haarscharf und lückenlos
fundiert sein muß, daß dem Angegriffenen jede Ausflucht in
die Bibel versperrt ist — aber ebenso in die Ausflucht: „Ich
werde mißverstanden". Etzold geht in dem vorliegenden
Bande mit Rm. 7 gegen die Zwangswirtschaft des Simul pec-
cator simul justus vor — aber sowohl über Rm. 7 als über das
Simul-Axiom gibt es eine ganze Literatur, welche der bewältigt
haben muß, der zum Angriff vorgeht, besonders wenn
er, wie Etzold, alles an Gottes Wort und nichts an die Energie
oder auch die Synergie der Christenheit hängt. Hier wird die
entscheidende Bedeutung der „Kathederexegese" (und der
Lutherforschung) für die Verkündigung einmal handgreiflich
demonstriert, gerade für den (nicht genug zu lobenden) volks-
missionarischen Elan Etzolds.

Zweifellos kann man die gegenwärtige Situation der Theologie
mit Heidegger (auf dessen Urteil uns ein Leser verpflichtet
) ungefähr so sehen: „Die Theologie sucht nach einer
ursprünglicheren, aus dem Sinn des Glaubens selbst vorgezeichneten
und innerhalb seiner verbleibenden Auslegung des
Seins des Menschen zu Gott. Sie beginnt langsam die Einsicht
Luthers wieder zu verstehen, daß ihre dogmatische Systematik
auf einem .Fundament' ruht, das einem nicht primär
glaubenden Fragen entwachsen ist und dessen Begrifflichkeit
für die theologische Problematik nicht nur nicht zureicht,
sondern sie verdeckt und verzerrt." Sei es also! Aber in dieses
Fundament und in diese Systematik hinein gehört nun auf
reformatorischer Seite das solide und geschärfte Hören auf
die Bibel, das die literarisch-geisteswissenschaftliche Exegese
leistet — und diese Exegese will auf keinen Fall „einem nicht
primär glaubenden Fragen" oder seiner „für die theologische
Problematik nicht zureichenden, sondern sie verdeckenden
und verzerrenden Begrifflichkeit" dienen, vielmehr summo
jure innerhalb der neuen Situation der Theologie verlaufen.
Will man das nicht, so gilt die Frage: Soll die neue Situation
der Theologie das Credo, ut intelligam einfach mittelalterlich
repetieren ? Für die Interpretation der Bibel hat man seit dem
Mittelalter allerlei gelernt. Und an ein Intelligo, ut credam
denkt heute kein Exeget mehr (soviele seiner Vorgänger auch
unter ein ähnliches Motto gehören mögen).

Akropolis und Golgatha

Von Yrjö Alanen, Helsinki

..Was aber sollen wir gar glauben, wenn einer das Schöne
selbst sonnenhaft, rein, ungemischt sehen dürfte, nicht erfüllt
Von menschlichem Fleisch und Schminke und vielem anderen
sterblichen Tand, sondern das göttliche Schöne in seiner
Eigengestalt zu erschauen vermöchte — glaubst du wohl, es
konnte gering sein das Leben eines Menschen, der dorthin
P'ickt und jenes anschaut und mit ihm zusammen ist ? Oder
•st dir nicht bewußt: dort allein ist ihm bestimmt, blickend
mit dem Auge, von dem das Schöne sich erblicken läßt, nicht
^eheinbilder der Tüchtigkeit zu erzeugen, weil er nicht ein
^cbeinbild umarmt, sondern wahre Tüchtigkeit, weil er das
Wahre umarmt? Wer aber wahre Tüchtigkeit erzeugt und
nahrt, dem ist vergönnt, ein Götterfreund zu werden, und
Wenn je irgendein Mensch, darf er unsterblich sein."
„ Wir können sagen, daß diese Worte im Symposion (Piaton,
*ymp. 2I1 E—212 A) Piatons eigenes Glaubensbekenntnis
«msdrücken ebenso wie auch das hellenische Glaubensbekenntnis
in dessen schönster Form.

j^. Piaton spricht hier zwar von Göttern wie so oft anderswo,
lese polytheistische Formel war für ihn wie auch für Goethe
m ästhetischer Ausdruck für seine hochfliegenden Gedanken,
«uer er schafft in diesen Worten eine gewaltige Synthese
S£s Guten, Schönen und Wahren, der Hauptideen seiner
Weltanschauung. Er schildert hier den Aufstieg der Menschen
J?nKs diesem Höhenwerte des Lebens in die Unsterblichkeit.
I Unst> Philosophie, Ethik und Religion schließen sich zusammen
, stützen einander und machen zusammen den Inhalt
nd das Ziel des Lebens aus. Der Grund für diese hohe In-

'948

DM 2.80

') Walter, Eugen: Das Oebet des Herrn. Freiburg 1. Br.: Verlag Herder

45 S. 8« = Die biblische Schatzkammer ed. Eugen Walter. Kart.

") Etzold, Otto: Vom neuen Hören auf den Römerbrief. Weiterführung
Cru "°enorsarn d« Olaubens, die Botschaft des Römerbriefs an die heutige
ei tenhelt". Gladbeck: Schriftenmissionsverlag [1948]. 238 S., 2 Schemata,
Nachwort von Martin Heilmann. 8«.

spiration war Eros in seiner meist vulgären Form, aber subli-
miert in dem Schmelzofen des platonischen Geistes. Aus der
rauhsten Schlucht der Sinnlichkeit ging das klarste Gold des
Idealismus hervor. Kaum hat der menschliche Geist, das
menschliche Genie, ein gewaltigeres Schöpfungswerk vollbracht
.

Das großartige Bild der Seelenpferde im Phaidros (Phai-
dros, 246 A, B) hat als seine Inspirationsquelle die Reliefe des
Parthenons gehabt, so hat man behauptet. Obgleich diese Behauptung
nur eine unbewiesene Annahme ist, enthält sie einen
großen und schönen Gedanken. Das Gespräch im Phaidros
findet in einer Landschaft am Iiisos unterhalb der Akropolis
statt. Man kann sich keinen passenderen Hintergrund für das
hellenische Geistesleben und besonders für die platonische
Ideendichtung denken als diese berühmte Höhe mit ihren
herrlichen Tempeln. Am Fuße der Akropolis, unter dem Schatten
der Schönheit entstand die Philosophie des Piaton, da in
der Nähe schuf Aristoteles die Grundlagen der europäischen
Wissenschaft, und Zeno gründete jene kräftige und erhabene
ethische Bewegung, welche die edelsten Männer der Spätantike
inspirierte. Aber das Problem des Menschen und der Menschlichkeit
wurde in Athen nicht gelöst. Man konnte da nicht
einen festen Grund für das menschliche Leben finden. Es war
keine wirkliche Erlösung in der Schönheitsträumerei und in
den philosophischen Ideen. Und diese weisen Männer in Hellas
wußten dieses selbst. Piaton läßt Sokrates im Phaidros sagen:
„Sokrates ist nicht Arzt, der Tod ist Arzt." Zwar gibt es im
„Phaidros" glänzende Behauptungen über die Unsterblichkeit
der Seele, und der Tod des Sokrates ist würdig und erhaben
. Aber doch bleibt der Tod der Sieger. In den menschlichen
Ideen kann es genug Ahnungen der Unsterblichkeit
geben, aber sie enthalten keine Wirklichkeit des ewigen
Lebens. Und die Gedanken Piatons, besonders die, die er
Sokrates im Phaidros über das irdische Leben und das körperliche
Dasein äußern läßt, sind in ihrer radikalen Weltverneinung
nicht nur ein Selbstgericht des hellenischen Lebens-