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Ausgabe:

1948 Nr. 11

Spalte:

670-671

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Masson, Charles

Titel/Untertitel:

Les paraboles de Marc IV avec une introduction à l' explication des Evangiles 1948

Rezensent:

Bornkamm, O.

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 11

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Augenzeugen bezeichnet und damit apostolische Prärogative ' Sachverhalt selber wird zumal im Abend

angemeldet. Zweifellos. Nur fragt sich sehr, was das bedeutet.
Jedenfalls nicht den Anspruch, im Umgang mit Christus gestanden
zu haben, wie es für den lukanischen Apostelbegriff
gilt. Denn Paulus hat nichts anderes als Zeuge des Gekreuzigten
und Auferstandenen sein wollen. Seine ekstatischen
Erlebniss e hat er als Privatsache betrachtet und gerade nicht.
Wie B. es wieder tut, als Kennzeichen seines Apostolates herangezogen
. Von ihm kann man also nicht sagen: „Die Apostel
konnten mehr von Jesus Christus hören als andere, weil sie
mehr bei ihm waren" (S. 55). Auf die Ananiaslegende Akt. 9
hätte B. S. 32 auch lieber nicht verweisen sollen, um die Abhängigkeit
der paulinischen Verkündigung von der Gemeinschaft
der Heiligen darzutun. Denn diese Legende steht nicht
bloß im schneidenden Gegensatz zu Gal. 1, sondern verfolgt
in Akta mit anderm den Zweck, Paulus von den Zwölf deutlich
zu unterscheiden. Den Geist teilt Paulus endlich mit
jedem andern Christen. Wenn Paulus sein Apostolat also
einzig auf seiner Berufung zu gründen vermag und um dieser
Berufung willen Augenzeuge ist, so bedeutet das, daß einzig
seine besondere Funktion ihn als Apostel legitimiert, nämlich
seine Beauftragung mit dem Evangelium für die Heiden.
Wenn er sich auf sein Sehen beruft, geht es ihm gerade nicht
darum, daß er konstatieren konnte und Tatsachenzeuge ist,
sondern darum, daß der Auferstandene an ihm gehandelt und
ihn erwählt hat, um seine Bevollmächtigung. Und in dieser
Bevollmächtigung bekam Paulus es eben nicht mit dem
Fleischgewordenen zu tun, wie B. zu behaupten nicht müde
wird, sondern mit dem erhöhten Kyrios, der zwar einen Leib,
aber nicht mehr Fleisch hat.

Ein letzter Problemkreis muß abschließend noch gestreift
werden. B. hat mit Recht den eschatologischen Charakter der
neutestamentlichen Verkündigung betont. Daß die hemmungslose
Verquickung von AT und NT diese Einsicht häufig gefährdet
und B. aus der Eschatologie in die Metaphysik treibt,
sei nur nebenbei erwähnt. Wichtiger ist die andere Anschauung,
die zumal in der Abendmahldcbatte bereits Bedeutung erlangt
hat, von B. jedoch nunmehr konsequent ausgebreitet
wird: Die apokalyptische Verheißung des Menschensohnes in
den Synoptikern wird der Apokalyptik dadurch entrissen, daß
die Erfüllung dieser Verheißung konstatiert wird. Zu Ostern
ist die Wiederkunft des Menschensohnes bereits erfolgt. Die
Vorzüge solcher Gewaltlösung liegen auf der Hand und
werden von B. auch eifrig herausgestellt: Die Eucharistie läßt
sich nun aus der Kontinuität der nachösterlichen Freuden-
nialile verstellen. Die so anstößigen Aussagen der Nah-
erwartung Mk. 9, 1 und 13, 30 haben ihren Stachel verloren.
Die Mythologeme spätjüdischer Apokalyptik sind wenigstens
teilweise entmythologisiert und echte Weissagungen geworden,
was das Vertrauen den Schriftaussagen gegenüber allgemein
stärkt. Schweitzer und Werner, welche unentwegt das Ausbleiben
der Naherwartung feststellten, wie Bultmann mit
seiner Kntniythologisierungsforderung — Barth sagt unfreundlich
: Skylla und Charybdis! — haben ihren Schrecken für die
Kirche verloren. Das 4. Evgl. und Akta bezeugen vor allen
andern Schriften des NT und in merkwürdiger Eintracht,
. .daß der endzeitliche Tag des Herrn schon angebrochen ist",
und bieten so den Schlüssel zum übrigen NT. Daß gerade damit
die Resultate der kritischen Forschung, die diesen Büchern
besonders kritisch gegenüberstand, wieder einmal mehr desavouiert
sind, wird weithin Sympathie erwecken. Umgekehrt
wird mau freilich in Kauf nehmen müssen, daß das am
wenigsten eschatologische Buch des NT, nämlich die Akta,
Kronzeuge einer neuen Eschatologie wird, daß Mk. 13 das
Programm der nachösterlichen Heils- und Kirchengcschiehte

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schied von den Menschen, sondern die Offenbarung seiner
Herrlichkeit vor den Menschen darstellt (S. 123 ff ), daß der
Jüngste Tag trotz allem von Paulus zu diesem Thema Gesagten
nicht größere Herrlichkeit mehr zu offenbaren habe
(S. 126), daß Ostern jetzt an die Stelle von Pfingsten tritt
und die Verbindung von Kreuz und Auferstehung dadurch
bedroht wird. Nun wird vor allem deutlich, wie B. überhaupt
zu seiner ganzen Darstellung kommen kann: Wo der end-
Zeitliche Tag bereits so faktisch und objektiv konstatierbar
"J der Historie begonnen hat, da mag man wohl auf das
Hören, Sehen und Betasten pochen. Da mag man auch feststellen
, daß nach Lk. 24, 39 Fleisch und Knochen an der Auf-
tfttehung Anteil haben und dadurch die Tragweite der
"lt'ischwerdung vollkommen offenbart sei (S. 251). Es wird

mahlgespräch weiter nachzugehen sein.

Das Verdienst der Untersuchung erblicke ich vor allem
darin, daß sie den lukanischen Apostelbegriff, damit aber das
gesamte Problem der Akta und ihrer Geschichtstheorie neu
zur Sprache bringt. Dabei dürfte sich allerdings herausstellen
, daß jene vom Verf. gesuchte, vorausgesetzte und vermeintlich
bewiesene Einheitlichkeit der Schrift nicht vorhanden
ist und die Methode der kritischen Forschung deshalb
von der Sache her ebenso unentbehrlich bleibt, wie sie das angesichts
der von B. eingeschlagenen Methodik und ihrer
Resultate ist.

Die Länge der noch immer sehr fragmentarischen Besprechung
aber schien deshalb angebracht, weil das vorliegende
Buch für unsere Situation symptomatisch genannt
werden muß, und zwar nach seinem Inhalt und mehr noch
nach seiner Methode. Die Energie, die große Belesenheit, der
Gedankenreichtum und vor allem die theologische Leidenschaft
des Verf.s dürften Gewähr dafür bieten, daß er selber
über seine heutigen Ergebnisse hinauswächst. Zu befürchten
ist jedoch, daß sein Buch nicht durch die darin enthaltenen
ernsthaften Probleme wirkt, sondern durch die Massivität
seiner Anschauungen und die tatsächliche Unwissenschaftlichkeit
seiner Methodik. Die theologische Primitivität, die
methodische Unsicherheit, der Drang zur Nivellierung der
neutestamentlichen Schriften dürften hier mehr Antrieb erfahren
, als dem lieb sein kann, der ohnehin nur mit Besorgnis
auf die Entwicklung unserer Wissenschaft zumal bei der
studierenden Jugend blicken kann.

Mainz Ernst Käsemann

Masson, Charles, Prof.: Les Paraboles de Marc IV avec une Introduction
a l'explication des Evanglles. Neuchätel/Paris: Delachaux <S Niestle" [1945).
55 S. gr. 8" = Cahiers theologiques de l'actualiti protestante Nr. 11.
Schw. Fr. 2.50.

Der erste Teil dieser ausgezeichneten Studie bietet eine
allgemein verständliche, kurze Einführung in Wesen und
Struktur der Evangelien und die Eigenart der in ihnen verarbeiteten
Tradition, um daraus die Aufgaben der Evangelienerklärung
zu entwickeln. Ausgehend vom Begriff evayyifoor,
seiner doppelten Beziehung zu Jesus als dem Menschen einer
bestimmten, vergangenen Geschichte und dem Auferstandenen
und Lebendigen, in dem der Glaube die Offenbarung
Gottes findet, zeigt der Verf. die eigentümlichen Tendenzen
der Tradition, ihre Bindung an eine bestimmte, geschichtliehe
Uberlieferung und ihre Freiheit, mit der sie diese Uberlieferung
zu Glaubenszeugnissen gestaltet, daraus folgend die methodischen
Forderungen der historischen Kritik und der christo-
logischen Exegese, die den kerygmatischen Charakter der
Texte zur Geltung bringt. Mit Recht und Nachdruck verwahrt
sich der Verf. gegen die Meinung, historische und christolo-
gische Exegese auseinanderzureißen und führt beide auf die
urchristliche Confessio zurück: „Das Wort ward Fleisch".

Der folgende zweite Teil der Arbeit ist dem Gleichnis-
kapitel des Markus-Evangeliums (c. 4) gewidmet. Dieses Kapitel
zum Gegenstand einer besonderen Untersuchung zu
machen, ist dadurch gerechtfertigt, daß es eine offenbar schon
vor Markus entstandene Komposition verarbeitet und, wie der
Verf. zeigt, unter einem einheitlichen Thema steht. Der Verf.
beginnt nach kurzer Charakteristik der Bedeutungsmöglich-
keiten des Begriffes na.(>aßoh'i mit einer kritischen Analyse und
Interpretation der schwierigen Verse 4, 10—12, die die Ver-
stockung als Zweck der Parabeln bezeichnen. Mit Recht werden
diese schon durch den 4, 10 markierten Situationswechsel
sich abhebenden Verse als sekundäre, aus theologischer Reflexion
erwachsene, den ursprünglichen Zusammenhang
sprengende Einfügung des Evangelisten verstanden. Markus
bedient sich dabei nach Meinung des Verf.s eines echten, ursprünglich
selbständigen Herrenwortes, das die Jünger als die
mit der Offenbarung des Gottesreiches beschenkten „denen
draußen", d. h. den Nichtglaubenden gegenüberstellt; diesen
bleibt alles, was sie von Jesus sehen und hören, bloße Parabel,
soll heißen: irdisch-menschliche Geschichte, ohne daß sie das
Ereignis in allen Ereignissen (l'ev^nement des evenements),
den Anbruch der fiaotkeia in der Person Jesu zu erkennen vermögen
. (Ahnlich versteht v 11 übrigens ]etzt auch J.Jeremias,
die Gleichnisse Jesu, Zürich, 1947, S. 8f.: „denen aber, die
draußen sind, ist alles rätselvoll"). Nach Masson hat 4, 11 ursprünglich
also nichts mit der parabolischen Lehrweise zu tun.
Erst Markus hat den Wendungen rd /ivoTr^tov «Qt ßamUiai

rov &10V und iv naoaßoXah lä ndvta yivnat irrtümlich diese
exklusive Beziehung gegeben und das Logion im Sinne seiner
Verstockungstheorie mit Jes. 6, 9 f. verbunden. So richtig tu