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Ausgabe:

1948 Nr. 1

Spalte:

39-41

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lietzmann, Hans

Titel/Untertitel:

Geschichte der Alten Kirche 1948

Rezensent:

Dörries, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 1

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Christus und Gott sind Einer, und damit besitzt der himmlische
Christus die Ubiquität und die Fälligkeit der tatsächlichen
Gegenwart beim Abendmahl". Man muß fragen, ob denn
nicht jene Einheit von Vater und Sohn in gleicher Weise vom
Geist gilt, und bedenken müssen, daß Calvins Anschauung von
der Lehre vom ordo personarum bestimmt ist. Mir will scheinen
, als bleibe in den zahlreichen und z. T. guten trinitarischen
Erwägungen des Verf.s das Verhältnis von Gottes Sohn und
Gottes Geist unklar, und als sei dies ein Zeichen für die weit
allgemeinere Uugeklärtheit der Lehre vom Heiligen Geist, auch
und gerade im Bezug auf das Heilige Abendmahl.

Die Arbeit ist mutig, geradezu kühn in manchen Teilen.
Sie ist sauber durchgeführt und steckt voller selbständiger,
an der Schrift gewonnener Gedanken. Sie stellt wichtige Fragen
und weist Wege zu ihrer Lösung. Sie ist zugleich ein hoffnungsvolles
Zeichen dafür, daß ein Gespräch der Konfessionen über
die Abendmahlsfrage trotz allem möglich ist. Der Verf. verdient
den Dank auch derer, die ihm nur teilweise folgen
können.

Göttingen Otto Weber

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Lietzmann, Hans: Geschichte der Alten Kirche. 4. Die zeit der Kirchen"

Väter. Berlin: Walter de Gruyter & Co. 1944. IV, 200 S. 8». RM 3.20.
Das nachgelassene Werk, der bis auf zwei noch ungeschriebene
Kapitel (über die Kultur im 4. Jahrhundert und
die Anfänge der christlichen Kunst) vollendete 4. Band von
Lietzmanns Geschichte der Alten Kirche, bedeutet gleichsam
wie ein eigenes, so ein Vermächtnis der Generation, als deren
Wortführer L. anzusehen war. Die Freude an der Fülle des
Geschehens, an der Bereicherung des Wissens und der Bildung,
der nüchterne Sinn für die Realitäten — das alles spricht sich
noch einmal kraftvoll und lebendig auf diesen Seiten aus, und
wie das 4. Jahrhundert die Zeit des Eingehens der Kirche in
die volle Breite des Staats- und Volkslebens darstellt, so geht
Interesse und Verständnis gerade Lietzmanns den charakteristischen
Zügen dieses Zeitalters mit besonderer Vorliebe
nach.

Nicht zufällig gliedert sich denn auch die sozusagen
dogmenpolitische Darstellung der ersten vier Kapitel in
Kaiserregierungen, mit Jovian, Valentin und Valens anhebend
unter Theodosius das Ende des Arianischen Streites schildernd
und danach den Westen wiederum bis zum Ausgang der
Regierung des Theodosius für sich behandelnd. Es ist die Verflochtenheit
der dogmatischen Entwicklung mit dem staatlichen
Leben und den wechselnden Richtungen der Kaiserpolitik
, was besonders ins Auge gefaßt wird, nicht so sehr die
innerkirchlichen Epochen und die geistigen Antriebe, die das
Werden und die schließliche Formulierung des Dogmas bestimmen
. Sind es also nicht eigentlich dogmengeschichtliclic
Interessen, denen diese Darstellung nachgeht, so führt sie doch
den Leser in das äußere Bild dieser Kämpfe und Entscheidungen
ein, nicht ohne im eigenen Urteil gelegentlich Stellung
zum schließlichen Ergebnis zu nehmen. Die persönliche Anteilnahme
des Autors ist vielleicht am größten im Ambrosius und
Theodosius gewidmeten Kapitel. Hier wird die Gestalt des
ersten Kirchenfürsten mit so warmen und hellen Farben gemalt
und ihm gegenüber der Kaiser gleichfalls mit so feinem
Verständnis geschildert, daß das oft einseitig mit wechselnden
Akzenten beurteilte Verhältnis beider, das für die mittelalterliche
Beziehung zwischen Kaiser und Papst vorbildlich
werden sollte, nicht nur dem menschlichen Begreifen näher
gerückt, sondern gerade auch in seiner Doppelseitigkeit aufs
schönste gewürdigt ist. Gewiß wird man fragen dürfen, ob die
Bestimmung dieses Verhältnisses, wonach „der Träger der
höchsten Staatsgewalt .weil er Christ ist, den sittlichen Geboten
der Kirche untersteht und so nach Gottes Willen das
Machtinstrument für den Aufbau einer christlichen Gesellschaftsordnung
wird", schon die Meinung des Ambrosius wiedergibt
oder gar als zutreffender Ausdruck für die Stellung des
christlichen Kaisers angesehen werden darf. Die Problematik
dieser Deutung meint L. in Canossa zum Bewußtsein gebracht
zu sehen (S. 81).

Das 5. Kapitel ist der Volksfrömmigkeit des 4. Jahrhunderts
gewidmet. Unter diesem Titel ist auch die kirchliche
Predigt (Kyrill von Jerusalem, Johannes Chrysostomus) und
die Anwendung auf die konkreten Fälle des täglichen Lebens
einbegriffen, mag auch als nach „dem wichtigsten" nach
Äußerungen der Laien Ausschau gehalten werden (S. 92).
Zweifelhaft ist mir, ob mit dem Verbot, das Taufsymbol aufzuschreiben
, erst die „Arkandisziplin" des kon.stantinischen
Zeitalters gemeint oder nicht vielmehr ein alter Brauch festgestellt
wurde; dann wäre der Sinn das Bewahren des mündlichen
Worts, von dessen Vorrang schon das nachapostolische
Zeitalter weiß (S. 90). Zweifelhaft ist mir dagegen, ob die
Sitte der Erwachsenentaufe nicht erst jetzt ihre weite Ausbreitung
erfahren hat im Zusammenhang mit einer mir in der
Tat zur Volksfrömmigkeit zu rechnenden Bewertung der Taufe
als sicheren Sühnemittels für alle vor ihr begangenen Sünden
(S. 91). — Mit besonderer Anschaulichkeit sind auf Grund der
Predigten des Chrysostomus kirchliche Vorgänge und Verhältnisse
in Antiochien geschildert, mit Flilfe dieser Predigten
auch die Stufen in der jetzt auf verschiedenen Ebenen sich
ausgestaltenden Anschauungen und Frömmigkeitsweisen.

Das Schwergewicht des Buches liegt in dem aucli nach
seiner Ausdehnung vor den übrigen sich abhebenden Kapitel
über dasMönchtum. Je schmerzlicher geradehiereineDarstellung
vermißt wird, die der so formenreichen Frühgeschichte der
Bewegung des Mönchtums gerecht würde, um so dankenswerter
ist dieser umsichtige und wohlabgewogeue Bericht über
das, was man zur Zeit als kritisch geprüfte Meinung der
Forschung bezeichnen kann. Mit ausgiebiger Literaturkenntnis
werden die verschiedenen Stätten und Epochen des ältesten
Mönchtums geschildert und mit ursprünglichen Farben ausgemalt
, so daß der Bericht weithin zur unmittelbaren Förderung
auch der Eiuzelforschung wird.

Es versteht sich von selbst, daß bei einer derartig komplizierten und
vielfach noch unerhellten Bewegung, wie sie das Mönchtum des 4. Jahrhunderts
darstellt, auch gegenüber einer so ruhigen und besonnenen Wiedergabe, wie
die L.s es ist, eine Anzahl von Fragen auftauchen. Das gilt schon für die Ableitung
aus dem älteren Asketentum, wenngleich L. mit Fug betont, daß von
eigentlichem Mönchtum erst bei der Trennung der Asketen von der Gemeinde
gesprochen werden dürfe. Die ersten Spuren solchen christlichen Anachoreten-
tums findet er in Ägypten. Man kann fragen, ob es noch dem Stand der Forschung
voll entspricht, wenn diese Anfänge vorwiegend nach der Vita Antonii
des Athanasius geschildert werden, nachdem Bousset so nachdrücklich auf den
Vorrang der Apophthegmata als primärer Geschichtsquelle hingewiesen hatte,
von deren Wert übrigens auch L. eine hohe Vorstellung besitzt. Im Zusammenhang
damit wird denn auch das ursprüngliche Ziel des Mönchs als die Kampfansage
an die Dämonen verstanden, die er in ihrem Sitz, der Wüste, aufsucht. Zustimmen
kann man dagegen ganz dem Satze, daß Athanasius in dieser Schilderung
des Vollchristen zugleich den Zugang zum sicheren Verständnis seiner
eigenen Theologie eröffnet; nur wird man zweifeln müssen, ob es berechtigt
ist, diese selbst sich auf den „derben Vorstellungen einer mit tausend Teufeln
und Gespenstern sich herumschlagenden Naturreligion" aufbauen und
von den ,,Kulturkräften abgeklungener griechischer Philosophie" sich gestalten
zu lassen (S. 129). Ob es auch schon ganz zureicht, den geschichtlichen
Antonius durch eine „Theologie der Selbsterlösung", „bei der Christus und
die Bibel nur als Vorbild und Lehranweisung, Kirche und Sakrament als
nebengehende Hilfsmittel gewertet werden", bestimmt sein zu lassen (S. 129)?
Ist das Bibelwort nur wirklich wegen seiner „gefährlichen Vieldeutigkeit" der
Diskussion entzogen (S. 131)? S. 130 Makarius „von Alexandrien" als Gründer
der Sketis ist nur ein Schreibfehler für seinen größeren Landsmann, den
„Ägypter". Mit besonderer Anschaulichkeit wird in sicheren Zügen das pacho-
mianische Mönchtum abgebildet. Fraglich scheint mir, ob bei der Schilderung
des Eremitentums wirklich die theoria Gottes das „einzige Ziel" aller dieser
Mönche gewesen ist und nicht vielleicht Gottesschau und Ekstase einer besonderen
Richtung vorbehalten blieb. Und ist wirklich trotz ihrer vorsichtigen
Formulierung die These richtig, daß „die in der Kirchengeschichte zu dauerndem
Leben erwachsenen Formen des Mönchtums sämtlich aus ägyptischer
Anregung erwachsen sind" (S. 153)?

Bei der Schilderung der syrischen Asketen liegen eigene
Studien L.s zugrunde; aber auch die Geschichte des abendländischen
Mönchtums hat durch behutsame Verbindung einer
ausgebreiteten Forschung den Rang eines eigenen Beitrags,
wie denn überhaupt die ganze Schilderung des Mönchtums in
ihrer sorgfältigen Verbindung der Ergebnisse älterer Arbeiten
mit eindringendem und umfassendem eigenen Quellenstudium
gleichsam ein erstes Kartenblatt des ganzen, bislang meist
nur monographisch in Einzelbezirken erforschten Gebietes darstellt
. Alle künftigen Arbeiten werden sich mit dieser grundlegenden
auseinanderzusetzen haben. Vielleicht ist das letzte
Stück dieser Schilderung, das dem basilianischen Mönchtum
gilt, noch nicht voll zur Ausführung gelangt; so fein und
treffend die hier gegebenen Beobachtungen sind, so sind sie
doch skizzenhafter als die übrigen Abschnitte.

Im ganzen wird man dem Urteil des Herausgebers,
W. Eltester, nur zustimmen können, daß das Manuskript die
volle Druckreife besitzt und wir in dem Bande, mit Ausnahme
der eingangs genannten Kapitel, in der Tat wenn nicht
alles, so doch das meiste dessen vor uns haben, was L. als
die Grundzüge der ausgehenden zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts
angesehen hat. Wir sind darum dem Herausgeber für
seine Mühe dankbar, daß er dies schöne Werk uns zugänglich
gemacht hat. So sehr man wünschen müßte, auch die geplanten
Fortsetzungen bis zum justinianischen Zeitalter hin