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Ausgabe:

1948

Spalte:

441-442

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Nørregaard, Jens

Titel/Untertitel:

Oxford og Edinburgh 1937 1948

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Seite 1

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441

Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 7

Jesu letztes Mahl kaum als Opferfeier zu bezeichnen, geschweige
denn, daß er dabei die Wandlung vollzogen hätte.

Es wäre natürlich noch viel zu sagen, z. B. über das
Sich-Berufen auf die Fürbitte der Heiligen, das ja nicht nur
den Segen der Väter nicht verlieren, sondern die Verstorbenen
gleichsam in Tätigkeit setzen will (271). — Oder über die mit
Fleiß betonte Unterscheidung zwischen Messe und Bußsakrament
, aus der für unser Verständnis die Gefahr erwächst,
daß aus beiden zusammen eine Doppelauflage wird. — Oder
auch über die immer wieder zur Erbauung und Ermahnung
geübte Verwendung des Legendenschatzes der katholischen
Kirche, wobei das Legendarische vom Verf. durchaus zugegeben
, aber das Motiv zu der betreffenden Legendenbildung
positiv ausgewertet wird. Da wäre über das Problem des
Goldgrundes für Geschichtliches zu reden.

Aber wir brechen ab. So wenig wir verkennen, daß in
der Fülle der Stücke, aus der die Messe besteht, sich viel
Tiefes und in den Deutungen viel Schönes findet, so wenig
erst recht wir uns verhüllen, daß die eindringliche Empfehlung
und Erklärung der Messe das empfängliche Gemüt
in den Bannkreis dieses Gottesdienstes zu ziehen weiß, so deutlich
müssen wir doch auch fernerhin den Abstand des evangelischen
Glaubens von diesem Zentrum der katholischen Kirche
betonen und festhalten.

Greifswald R. Hermann

Nerregaard, Jens: Oxford Og Edinburgh 1937. To Foredrag. Nyt Nor-
disk Forlag. Kjebenhavn: Arnold Busck 1938. 23 S. gr. 8».

Seit der Wiedererweckung einer energischeren Ekklesio-
logie (Kirche ist die fortdauernde reine Gottestat im Bereiche
der Reich-Gottes-Arbeit Gottes und geschieht auf Erden an
den Gemeinden Jesu Christi!) wird die „Union der Getrennten
" als neutestamentlich anerkannt und verkündigt.
Dennoch ist die ökumenische Bewegung nicht aus dieser
Theologie hervorgegangen, sondern aus der Praxis (Missionsfelder
; Zusammenarbeit der christlichen Studenten aller
Nationen); dementsprechend kam erst aus der praktischen
ökumenischen Handreichung im ethisch-sozialen Bezirk nachher
die ökumenische Theologie, die sich alsbald mit der neu-
testamentlichen Ekklesiologie traf (obgleich sich die theologischen
Probleme in der ökumenischen Praxis von Anfang an
bemerkbar machten). Narregards Broschüre erschien 1938
als Bericht über die Konferenzen von Oxford (Juli) und Edinburgh
(August) 1937, an welchen N^rregaard (S. 21) selbst
teilgenommen hatte. Trotz der inzwischen veränderten Welt,
oder gerade deswegen, vermag Narregaards Bericht auch 1948
aufklärend und wegweisend zu wirken.

Die Edinburgher Missionskonferenz 1910 (unter der Leitung von John
Mott) erweckte den amerikanischen Bischof Charles Brent zum ökumenischen
Denken und Handeln, die Internationale Christliche Studentenkonferenz in
Konstantinopel 1911 brachte den damaligen Professor Nathan Söderblom auf
den ökumenischen Weg. Brent arbeitete in der Richtung: Vereinigung der
Kirchen durch Überwindung der Trennungsgründe — Söderblom in der Richtung
: sofortige vereinte christliche Anstrengung zur Heilung der Wunden des
Krieges (1914—18), des sozialen Elends, der Schäden des Nationalismus. 1914
wurde die 1919 neuaufgebaute Weltvereinigung „für internationale Verständigung
unter den Kirchen" gegründet, deren tätigstes Glied Bischof Waldemar
Ammundsen war. Nach Vorbereitungen in Genf 1920 kam es so zu den weltumspannenden
Konferenzen von Stockholm 1925 ,,For Life and Work" und
Lausanne 1927 „For Faith and Order"; Stockholm war sozial-ethisch, Lausanne
theologisch. Beide Konferenzen beschlossen die Fortsetzung ihrer Arbeit
. So führte der Weg zu den Konferenzen von Oxford und Edinburgh 1937;
Oxford hielt die sozial-ethische Linie ein, Edinburgh die theologische. Das
Thema von Oxford wurde „Kirche, Volk, Staat". Gewiß war dieses Thema entworfen
worden im Blick auf die Lage im damaligen Deutschland; aber es sollte
keineswegs bloß für Deutschland behandelt werden, sondern universal, eben
ökumenisch. In Deutschland sah man alsbald in den Oxforder Verhandlungen
nichts als eine politische Aktion, die gegen Deutschland gerichtet sei. Darum
erhielten die Vertreter Deutschlands keine Pässe, nur deutsche Abgesandte
einiger kleiner Kirchen konnten in Oxford erscheinen. Die Folge war, daß die
Verhandlungen in Oxford über „Kirche, Volk, Staat" (besonders geführt von
William Adams Brown und Emil Brunner) zwar akademisch tief, aber ohne
den Beitrag und das Feuer von deutschen Mithandelnden im Streit um Kirche,
Volk, Staat blieben. Dazu kam die durch die englische Sprache nahegelegte
Umakzentuierung des Themas auf die „Zusammenarbeit", während das Thema
kraft der Lage auf die in manche Kreise eindringende katastrophale Ver-
götzung des „Volkes" wies, nach welcher „Volk" die eigentliche Stelle der
göttlichen Offenbarung, oder doch die Stelle göttlicher Offenbarung neben der
christlichen Offenbarung sein sollte. Ganz wurde dieser Aspekt nicht vergessen
, man kam in Oxford zu der gemeinsamen Erklärung: Kirche und Einzelchrist
sind verpflichtet, einen Egoismus zu bekämpfen, der zur Unterdrückung
anderer Völker oder Volksgruppen, die als Minoritäten dort leben, führt;
ebenso müssen sie jegliche Vergöttlichung des eigenen Volkes zurückweisen,
welche im „Volk" die erlösende göttliche Offenbarung findet — beides ist

Christenpflicht nach dem Evangelium. Der Staat hat keine neue Kirche zu
sein, aber die Kirche soll nicht krampfhaft an Privilegien und Machtpositionen
der Vergangenheit festhalten. Anders war es bei der Behandlung des Rasseproblems
: da trugen farbige Gelehrte die Diskussion, die das Rasseproblem
am eigenen Leibe erlebt hatten; so wurde hier die Diskussion feurig und leidenschaftlich
. Das Resultat hieß: Es gehört zum Wesen des Evangeliums, das
Rassevorurteil zu überwinden und zu einer menschlichen Behandlung der
anderen mit uns lebenden Rassen theoretisch und praktisch zu gelangen. In
der sozialen Frage lautete das Resultat der Verhandlungen: Die Kirche als
solche kann sich nicht auf ein bestimmtes soziales Programm festlegen; aber
die Kirche hat die große Aufgabe, darauf hinzuweisen, wie gerade auf dem
sozialen Gebiete Egoismus und Sünde ihre verheerende Arbeit ausüben, und
wie notwendig das Versöhnungswerk ist. Über den Krieg wurde beschlossen:
Die Kirche hat ohne Vorbehalt den Krieg als Sünde zu verdammen und, was
in ihrer Macht ist, gegen den Krieg zu wirken. Aber des näheren gibt es immer
wieder, so auch in Oxford, drei Standpunkte, die die Teilnahme des Christen am
Krieg verschieden beurteilen. 1. Die Kirche hat jede Teilnahme an einem Krieg
zu verdammen. 2. Es gibt den „gerechten" Krieg, gegen ihn kann man nicht
abweisend sein. 3. Kriege werden immer sein; des Staates Existenz ist ein so
großes Gut, daß es des Christen normale Pflicht ist, dem Staat seine Unterstützung
zu leihen, selbst wenn der Staat sich in einen Krieg einläßt. (Man kann
hier wohl fragen: Wo steht denn das NT?)

In Edinburgh hießen die Thesen: Gnade und Verdienst — Wort und
Kirche — die Sakramente — das geistliche Amt. Theologen verhandelten über
Theologie — aber das Hauptanliegen war doch dies: Ist es nicht möglich,
hinter all den alten Formulierungen zu einem positiven Verständnis der Grundwahrheiten
des Christentums zu kommen, so daß man, unter Anerkennung der
jeder Kirche eigentümlichen Auffassungsweise, den alten Streit beiseitelegen
kann und in dem harten Kampf der Gegenwart zusammenzugehen und mit
einer Stimme zu sprechen vermag — ja sollte es nicht möglich sein, sich so
zusammenzufinden, daß die verschiedenen Kirchen wieder wie vor Jahrhunderten
eine ungeteilte Kirche werden, und das Ärgernis aus der Welt geschafft
wird, welches die Zersplitterung der Kirchen zweifellos bedeutete und bedeutet,
3.. B. auf dem Missionsfelde? In Edinburgh machte man die Probe aufs Exem-
pel. In der Tat kam man zu dem Ende: die Kirchen haben die Hl. Schrift gemeinsam
; die Gottesdienste, Lieder, Gebete sind so geartet, daß sie von allen
benutzt werden können; Taufe und Hl. Abendmahl werden in allen Kirchen
gespendet und empfangen. Sogar in der Frage der Rechtfertigung aus Glauben
allein ohne all unser Verdienst, in welcher Angelegenheit die orthodoxe Kirche
und die Majorität aus der englischen Bischofskirche Gefahr für die Heiligung
befürchten, gelangte man nach eingehender Darlegung des Artikels zu der
Einmütigkeit: Gottes Gnade ist die einzige Grundfeste der Erlösung, die mit
rein menschlichen Leistungen oder Verdiensten nicht gefunden werden kann,
so glänzend sie sein mögen. Damit war keineswegs die Verschiedenheit des
Standpunktes der Orthodoxen, Anglikaner, Lutheraner, Reformierten beiseite
geschafft, aber die Einheit zeigte sich. Auch in der Angelegenheit der Sakramente
kam man einander näher. Dagegen konnte man in der Sache des kirchlichen
Amtes nur den diametralen Gegensatz zwischen den reformatorisch
Gesinnten (die Verkündigung des reinen Evangeliums ist primär, alles andere
sekundär) und den Katholisierenden, nämlich den Orthodoxen und der
Bischofskirche (das von den Aposteln durch Handauflegung und Gebet in der
rechten Bischofsreihe weitergegebene Amt ist primär, nur das rechte Amt
garantiert die reine Verkündigung und die rechte Spendung der Sakramente)
konstatieren. Aber man trennte sich nicht, sondern man betonte, daß man
gerade in dieser Gegensätzlichkeit zusammenarbeiten wolle und müsse.

Was N0rregaard schließlich für die dänische lutherische Kirche speziell
beifügt, gilt allgemein: Auch die von der Spaltung am wenigsten betroffenen
Kirchen sollen in ihrer Mitte den ökumenischen Geist hegen und sich an der
ökumenischen Weltbewegung beteiligen, nicht zum Schaden ihrer Eigenart,
sondern zu deren Nutzen: so erst wird ihre Eigenart den rechten Beitrag
zur ökumenischen Arbeit leisten können.

Es ist in der Tat kein Anliegen bloß guten Willens in
Vereinsweise, sondern unausweichliche Forderung des Evangeliums
Jesu, daß das Nebeneinander der historisch gewordenen
christlichen Kirchen auf eine neue Ebene gestellt
werde, nämlich auf die Ebene der neutestamentlichen
'Exxhjola fteov. Wo zwei oder drei versammelt sind im Namen
Jesu, da ist Christus, derselbe eine Christus, gestern, heute
und in Ewigkeit — das hat andere Konsequenzen als die
traditionelle Kirchlichkeit oder Nichtkirchlichkeit. Für die
Theologie bedeutet das aber: ökumenische Theologie hat au
die Stelle der alten „Symbolik" zu treten, das Ziel ist eine
christliche Theologie, die vom Standpunkt der eigenen Kirche
aus positiv die Standpunkte der anderen Kirchen bearbeitet
und erntet — am Maßstab der Bibel. Das heißt nicht, die
Gegensätze verschmieren, sondern die Gegensätze studieren,
rein herausstellen, und dennoch nicht voreilig verzweifeln und
sich in die eigene Hütte zurückziehen. Eine Theologia Chri-
stiana ist das Ziel, die weder bürgerliche noch agnostische
Toleranz, weder Mischung noch Verwässeruug zur Mutter hat,
sondern die Forscher-Unruhe, die vom NT, ja von Christus
her die Theologen aller Kirchen treibt, ohne Ende da zu suchen,
wo immer der Name Christi geheiligt wird.

Wertingen Leonhard Fendt