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Ausgabe:

1948 Nr. 5

Spalte:

267-284

Autor/Hrsg.:

Rowley, Harold H.

Titel/Untertitel:

Die internationale Arbeit am Alten Testament 1940-1947 1948

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Theologische Literaturzeitung 1948 Nr. 5

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stehen und ihre gemeinsamen und ihre voneinander abweichenden
Züge ans Licht zu stellen suchen. Wie das Problem in der
Hollschen Schule aufgefaßt wird, ergibt der gut lesbare,
übrigens schon 1944 gehaltene Vortrag von Heinrich Bornkamm
über Gott und die Geschichte nach Luther1. Er zeigt
in klarer, von moderner Geschraubtheit sich glücklich freihaltender
Sprache und mit guter Sachkenntnis, wie Luther
das geschichtliche Leben ansah .und wertete, wie er über die
Volkerschicksale und die großen Männer, über Masse und
Obrigkeit, über die Allwirksamkeit Gottes, über Gott und den
Teufel, über Gnade und Gericht gedacht hat. Die geschichtliche
Schilderung, die Bornkamm gibt, geht unter dem Eindruck
der Monumentalität und des Zwingenden der Gedanken
Luthers unwillkürlich in den Predigtton über. Dabei ist das
Eigentümliche, daß sich Bornkamm ganz auf die bloße Darstellung
dieses Ausschnitts aus Luthers Gedankenwelt beschränkt
. Irgendeine kritische Linie wird nicht gezogen, sei es
auch nur eine Hilfslinie, die durch Herausarbeitung eines abweichenden
Typus das behandelte Phänomen verdeutlichte.
Nach meiner Ansicht ist auch in einem populären Vortrag eine
stärker kritische Behandlung des Gegenstandes nötig, die bei
aller Wahrung des historischen Eigenrechts des Phänomens
doch seine historische Bedingtheit und notwendig vorübergehende
Einmaligkeit schärfer empfinden lehrte.

Eine etwas andere Farbe trägt der erbauliche Traktat von
Gerhard Hildmann über die wirkliche Geschichte2. Hier
kommt eine theologisch bewegte Schicht zu Wort, die unter
der Wucht des von unserer Generation Durchlebten ungestüm
von der Frage nach dem Sinn der Geschichte und der Frage
nach der Vereinbarkeit des erbarmungslosen Ganges der
Dinge mit dem Gottesglauben erregt wird und diese Probleme,
unter entschiedener Ablehnung aller mit der Wesensentfaltung
des Weltgeistes arbeitenden Geschichtsphilosophie, mit
stark nachempfundenen und vorbehaltlos angeeigneten bibli-
zistischen Elementen zu bewältigen sucht: Die Geschichte der
kosmische Prozeß des Reiches Gottes, die Profangeschichte
ein Teil dieser kosmischen Geschichte, — eine königliche
Wissenschaft, aber doch Levitendienst im Vorhof (!); die ersten
Kapitel der Genesis, Jesaja, die Evangelien, die Apostelgeschichte
, die Offenbarung des Johannes, Stücke „echter Geschichtsschreibung
"; Jesus Christus die Geschichtspersönlichkeit
. Diese Erkenntnisse bereiten, so führt der Verf. aus, der
Schwermut der Geschichte, wie der existenziellen Furcht, die
lebenhemmend auf den Menschen liegt, ein Ende. An diesen
Erkenntnissen entfaltet sich der Amor fati, der über die
Niederlagen des eigenen Volkes nicht mehr verzweifeln läßt; sie
geben den politischen Ereignissen des Tages die Tiefendimensionen
. Der gehaltvolle Traktat wird denen, für die er bestimmt
ist, viel geben.

Eine verwandte Stimmung spricht aus dem fein geschliffenen
, sehr lesenswerten Vortrag von Otto Freiherrn
von Taube über Gottes Wort und die Geschichte; er ist 1946
in der evangelischen Studentengemeinde in Erlangen gehalten
worden3. Ein Dichter und zugleich einer der letzten Vertreter

des alten deutschen, feudal-patrizischen, vorkapitalistisch-
naturalwirtschaftlichen Baltikums mit seinem gefestigten
Luthertum und seinem feinen Gewissen und Gefühl für Recht
führt hier das Wort. Der Verf. hat aus der Geschichte und
aus der Bibel gelernt, daß „Völker am besten nicht durch Lobspender
und Heldengesänge vortragende Skalden erzogen
werden, sondern durch scheltende Bußprediger" (S. 11). Jede
Geschichtsschau müßte von der Tatsache der Erbsünde ausgehen
(S. 16). Von hier aus fallen sogleich Schlaglichter auf
Augustinus, auf Ranke, Mommsen, Berdjajew (S. 16). Aber
auch die Tatsache der Erlösung und das Menschenbild der
Bibel führen auf das richtige Geschichtsverständnis und die
richtige Stellung, z. B. zur Rassenf rage und zu bestimmten
Beugungen des Rechts auf administrativem Wege (S. 24).
Schließlich wird an dem biblischen Beispiel der Vernichtung
des Reiches Juda durch die Babylonier unsere eigene geschichtliche
Situation sehr wirkungsvoll klargemacht.

Die beiden anderen mir vorliegenden Beiträge stammen
aus dem katholischen Lager. Auch sie sind in ihrer Weise gehaltvoll
und interessant zu lesen. In Stimmung und Gedankenwelt
weichen sie nicht wesentlich von den Erörterungen
protestantischer Herkunft ab. Johannes Hessen bietet unter
dem Titel „Gott im Zeitgeschehen" drei Vorträge1. Sie handeln
in guter Gedankenführung und schlichter Sprache über
den Sinn unserer Blutopfer, über den Märtyrergeist, über Erneuerung
. Gottes Stimme soll im Zeitgeschen hörbar gemacht
werden. Daß die Vorträge einem Katholiken und einem
Protestanten gewidmet sind, dem verstorbenen Bischof von
Galen und dem Pfarrer Martin Niemöller, beleuchtet ebenso
den Geist unserer Zeit wie den Geist dieser Vorträge. Beide
Männer kommen auch im Text (S. 2of.) vor. Einzelne Wiederholungen
waren bei der Formulierung der Themen nicht zu
umgehen.

Um eine Nuance „katholischer", um es so auszudrücken,
mutet den evangelischen Leser das Büchlein des Franziskanerpaters
Dietmar Westemeyer über Geschichte als Ärgernis
und Lobgesang2 an. Mit klar durchgeführter, die scholastische
Schulung des Verf.s verratender Disposition wird erst die Unmöglichkeit
der Ausschaltung Gottes aus der Geschichtsschau
aufgezeigt; dann schildert der Verf. die Macht und die Ohnmacht
der Ärgernisse, Ärgernis und Lobgesang in der Schwebe,
und schließlich den Sieg des Lobgesangs über die Ärgernisse.
Ärgernis ist alles, „was nicht dahin zu gehören scheint, wenn
Gott die Geschichte lenkt", z. B. das Blutvergießen, der Mißbrauch
der Macht, die Angst in der Welt, die Untreue. Die
Lobgesänge sind das Gegenteil hiervon, das Sich-Sorgen und
-Ängstigen um das ewige Heil, die Treue, die Förderung des
Reiches Gottes usw. Die Lobgesänge treten, von außen gesehen
, nicht so stark in Erscheinung wie die Ärgernisse; darum
ist aber die Geschichte in Wirklichkeit nicht so trostlos, wie
viele annehmen. Bemerkenswert ist das Bemühen des Verf.s
um biblische Begründung seiner Ausführungen, die man gern
liest, wenn auch die Gedankenfolge bisweilen etwas straffer
sein könnte.

Die internationale Arbeit an

I. Allgemeines, Sprache und Grammatik, 1

Allgemeines

Mercati, g. Miscellanea Giovanni Mercati, vol. 1. (Biblia-Letteratura

Christiana Antica.) 1946. Bibliotheca Apostolica Vaticana, Vatikanstadt
2600 Lire -= Studi e Testi 121.

Dieser Band enthält 23 Artikel, die biblische und patri-
stische Gegenstände umfassen. Die wichtigsten Artikel für den
Alttestamentler sind: A. Sperber, „Der Codex Vaticanus", der
Fälle zusammenstellt, wo in 2 Sam. LXXB den masoretischen
Text der Chronikparallele bietet, Fälle, wo LXXB Dubletten
enthält, in dem sie den Text von Samuelis und Chronika geben,
und eine Reihe von doppelten Wiedergaben längerer Stellen; R.
Weber, „Les interpolations du livre de Samuel dans les mss.
de la Vulgate", worin er 113 Interpolationen mit Hand-

*) Bornkamm, Heinrich: Gott und die Geschichte nach Luther.

Lüneburg: Heliand-Verlag 1946. 16 S. gr. 8° = Theologie u. Verkündigung.
RM —.80.

') Hildmann, Gerhard: Die wirkliche Geschichte. München: Chr.

Kaiser 1946. 30 S. kl. 8» = Traktate v. wirkl. Leben. Nr. 4/5. RM —.60.

') Taube, Otto von, Frh.: Gottes Wort und die Geschichte. München
: Chr. Kaiser. 40 S. 8° = Gottes Wort u. die Geschichte I.

Alten Testament 1940-1947

et und Übersetzungen des Alten Testaments

schriftenbeleg und ihre Auswertung gibt und zu dem Schluß
kommt, daß es sich um später in den Text eingestellte Randbemerkungen
handle; U. Cassuto, „L'ordinamento del libro di
Ezechiele", worin er den Aufbau und die Anordnung des
Buches Ezechiel behandelt; F. M. Abel, „Simon de la tribu
de Bilga", worin er beweist, daß nach Vet. Lat. in 2.Makk. 3, 4
Simon vom Stamme Benjamin gelesen werden sollte Simon
aus der Priesterklasse Bilga; J. M. Voste, „La Pesittä de Mos-
soul et la revision catholique des anciennes versions orientales
de la Bible", worin er einen langen Bericht über den Ursprung
und die Geschichte der Mosuler Ausgaben und die Diskussion
der Grundsätze gibt, die ihr vorausgehen. Andere Artikel,, die
unser Gebiet berühren, rühren von A. Vaccari (in margine al
commento di Teodoro Mopsuesteno ai Salmi), und von B. Bischoff
(Neue Materialien zum Bestand und zur Geschichte der
altlateinischen Bibelübersetzungen).

Manchester H. H. Rowley

') Hessen, Johannes: Gott im Zeitgeschehen. Bonn: Götz Schwippert
1946. 31 S. 8». RM 1.50.

■) Westemeyer, Dietmar, o. f. m.: Geschichte als Ärgernis und

Lobgesang. Münster: Aschendorff 1947. 36 S. 8». RM 1.20.