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Ausgabe:

1947 Nr. 4

Spalte:

223-232

Autor/Hrsg.:

Wolf, Ernst

Titel/Untertitel:

Ecclesia pressa - ecclesia militans 1947

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 4

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Ecclesia pressa - ecclesia milhans

Zum Problem der Rechtssicherheit der Kirche und der Verfolgung der Christenheit

Von E. Wolf, Göttingen

In der Zeit des sog. Kirchenkampfes hat sich wiederholt
unwillkürlich die Frage nach der exemplarischen Bedeutung
der ersten Christenheit eingestellt. Sie hatte ihr gutes Recht,
solange man direkt Rezepte zu gewinnen vermied und sich
darum bemühte, sorgfältig zu ermitteln, wo jene Bedeutung
wirklich vorlag, wo sie mit einer gewissen Verbindlichkeit gesehen
werden durfte und wo sich ihre Grenzen fanden. Im besonderen
handelte es sich um zwei Fragen: 1. um das noch
nicht abschließend gelöste Problem der Rechtslage der vor-
konstautinischen Kirchen und 2. um die Frage nach der grundsätzlichen
Stellungnahme gegenüber dem Problem des richtigen
Verhaltens in Bedrängnis und Verfolgung.

I.

Im allgemeinen hat man etwa folgendes Bild von der
Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen: die christlichen
Gemeindeverbände sind im Römischen Reich, jedenfalls
seit sie aus dem Schutz des als religio licita geltenden Judentums
für die Behörden sichtbar herausgenommenwaren, grundsätzlich
unerlaubte und rechtlose Vereinigungen. Daß sie nicht
gänzlich vernichtet worden sind, sondern zu Zeiten sogar eine
relativ gesicherte Stellung aufweisen, ist nur Ausdruck für ein
gewisses Mißverhältnis zwischen der grundsätzlichen Rechtslage
und der mit ihr fallweise beschäftigten behördlichen
Praxis. Eine volle Vernichtung schien bei der anfänglichen
Bedeutungslosigkeit der Christen nicht notwendig zu sein,
später aber war sie nicht mehr möglich. Dazu kommt im besonderen
eine offenkundige, von Tertullian z. B. advokatorisch
ausgenutzte Verlegenheit, wie man den Christen strafrechtlich
begegnen solle. Denn den Exekutivorganen der Staatsgewalt
in einem so ausgesprochenen Rechtsstaate fehlte bis
zu den sog. systematischen Verfolgungen etwa seitDecius eine
sichere und eindeutige Rechtsgrundlage für den Christenprozeß
. Infolgedessen schien die Mommsensche These von
einer bevorzugten Anwendung der coercitio, das heißt vom
administrativ-polizeilichen Einschreiten der Magistrate gegen
die Christen, insbesondere gegen die zum Christentum ,,abgefallenen
" römischen Bürger eine einleuchtende Lösung der
Frage nach dem anfänglichen Vorgehen gegen die Christen
zu bieten. In der lebhaften Diskussion sowohl des Rechtscharakters
der christlichen Gemeindeverbände wie der Rechtsgrundlagen
und der Rechtsformen des Christenprozesses ist
man jedoch auch zu anderen Ansichten gelangt:

Hinsichtlich des Rechtscharakters ist die These aufgestellt
worden, das Christentum habe von Anfang an im
Römischen Imperium das Recht einer religio licita gehabt,
also das Recht zu ungehinderter öffentlicher religiöser Betätigung
. Diese These (G. Krüger, „Die Rechtsstellung der
vorkonstantinischen Kirchen" 1935; dazu ThLZ. 61, 32gff.;
ZKG. 55, 386ff.; ZRechtsgesch. Kan. Abt. 57, 506t.) stützt
sich zwar im wesentlichen auf einen unkritischen Tertulliau-
text, der in kritisch gesichertem Wortlaut wahrscheinlich das
Gegenteil davon aussagt. Man wird diese These daher in der
vorliegenden Form nicht aufrechterhalten können. Dagegen sind
aber andere der zur Stützung herangezogenen Beobachtungen
z. T. zwar nicht so neu, rechtlich aber doch sehr beachtlich:

1. die Vermögensfähigkeit der Alten Kirche: Sie besitzt Kapital- und
Grundvermögen; selbst während der Wirksamkeit der Diokletianischen Edikte,
die Enteignung kirchlichen Grundbesitzes als Zwangssjfafe vorsehen und mit
dem Befehl, Klrchengebäude abzubrechen und die Hl. Schriften zu verbrennen,
In das kirchliche Eigentum empfindlich eingreifen, wird z. B. die Errichtung
von Kirchen und Friedhöfen in Palästina und sogar in Rom polizeilich gestattet
. Ebenso setzen die Restitutionsanweisungen des Maxentlus und des
Maximin, die die Rückgabe von eingezogenem Kirchengut anordnen, die Vermögensfälligkeit
der Kirchen voraus. Dazu kommt:

2. die Parteifähigkeit im öffentlichen Recht. Das bekannteste Beispiel
dafür ist der Prozeß des Kollegiums der römischen Speisewirte gegen
die römische Kirche um die Nutznießung eines öffentlichen Grundeigentums.
Die römischen Christen hatten zur Zeit des Severus Alexander eine öffentliche
Sache ohne behördliche Genehmigung zu Bauzwecken in Anspruch genommen,
die bereits vor ihnen von den Speisewirten dem Gemeingebrauch entzogen
worden war. Die Entscheidung fiel zugunsten der Christen aus.

3. Unklar und strittig bleibt freilich, was von daher und was überhaupt
von einer staatlich genehmigten Versammlungsfreiheit der Christen zu
gelten hat. Wie war es bei dem römischen Vereinsrecht überhaupt möglich,
daß ein illegaler Verband, wie die christliche Gemeinde, sich tatsächlich soweit
organisieren und öffentlich behaupten konnte? Reichte die Vereinsfreiheit Im
Römischen Imperium soweit, daß die Christen sich auch ohne behördliche
Genehmigung zu einer rechtsfähigen Körperschaft zusammenschließen konnten
? Die römische Vereinsgesetzgebung „gestattet die Bildung von Vereinen
zwar allgemein, knüpft.aber die Erteilung von öffentlich-rechtlichen Privilegien
(abgesehen von einer Generalbevollmächtigung für collegia tenuiorum)
an eine Sondererlaubnis des Senats, der ex auetoritate prineipis beschloß"
(A. Beck, Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian = Sehr. Königsb. Gel.
Ges. Geisteswiss. Kl. VII, 2, 1930, S. 77; vgl. v. Campenhausen, ThLZ, 61,
329ff. und Schnorr v. Carolsfeld, Gesch. der juristischen Person I, 1933). So
scheint es den Magistraten im Einzelfall auch freigestanden zu haben, die
Veranstaltung sakraler Zusammenkünfte trotz nicht eingeholter Genehmigung
praktisch zu dulden. Dagegen dürfte die Hypothese von de Rossi, der auch
Mommsen und Harnack einst zustimmten, kaum zu halten sein, die christlichen
Gemeinden hätten sich vereinsrechtlich in die Deckung der römischen
Kranken- und Begräbnisversicherungsgenossenschaften, der collegia tenuiorum
seu funeraticia begeben. Diese nahmen Im römischen Vereinsrecht jene
Sonderstellung ein, die auch die Lizenz zu religiösen Versammlungen in sich
schloß. Hätten die Christen so gehandelt, dann hätten sie sich fortgesetzt
des Rechtsbetruges schuldig gemacht. Dem widerstreiten jedoch die betonten
Loyalitätserklärungen der frühen Christenheit: Plinius erwähnt z. B. die Aussage
zweier christlicher Sklavinnen, nach der Erneuerung des Verelnsvcrbots
durch das Häterienedikt des Statthalters nicht mehr an Versammlungen teilgenommen
zu haben (W. Weber, .. . nec nostri saeculi est, Karl-Müller-Festgabe
, 1922, S. 38, Anm. 3). Dem widerspricht ferner, daß der Vorwurf des
Rechtsbetruges zumindest nicht im Vordergrund der Polemik gegen die
Christen steht. Drittens, daß die Kirchen sich vor dem Staat stets als religiöse
Institute ausweisen, und viertens, daß die Kirche ihrer inneren Struktur nach
von Anbeginn an nicht Verein sein kann. Es ist bezeichnend, daß kein Name
der griechischen bzw. römischen Kultgcnossenschaften, die vereinsrechtlichen
Charakter trugen, bei den Christen üblich geworden ist: ipavos, Haoos, xoivör,
avvoSos, avlXoyo; usw. Ihre maßgebliche Selbstbezcichnung bleibt ixxÄijoin;
und die Erfüllthcit dieses Namens— der qahal Jahves, das Volk Gottes, ytvo«
ixktxrov usw. — verwehrt jede Übersetzung: weder curia, noch civitas Dei,
noch contio oder convocatio, sondern ixxXijuia bleibt ecclesia. Diese Kirche, die
das otSfia Xpiarov ist, und zu derChristus die nnfaXi) ist, „ist vom Grunde her
eine Art Kosmos. Sic wird sich deshalb auch notwendigerweise nicht als Verein,
sondern als .öffentlicher Körper' organisieren" (Schlier, ThWbNT III, 680/81).
Daß die Kirche ihrer inneren Struktur, ihrem Genus nach nicht Verein sein kann,
das hat auch Tertullian scharfsichtig erkannt. Er operiert in seinem Apolo-
geticum „sehr geschickt mit .vereinsgesetzlichen Rechtsausdrücken', wie sie
den privilegierten Vereinen, in diesem Zusammenhang vor allem den collegia
funeraticia zustehen. Er will aber, indem er sie auf die Christen anwendet,
nur zeigen, daß die christliche secta nach Zweck und Organisation wohl den
privilegierten Vereinen formalrechtlich gleichgestellt werden könnte; die
innere Verschiedenheit, und damit Im Grunde die Unmöglichkeit einer wirklichen
Gleichstellung und Einordnung, betont Tertullian klar" (Gmelin, ZKG.
55, 390 im Anschluß an Beck, 81 ff.). Alles ist auf den Nachweis abgestellt,
daß man bei den Christen in keiner Beziehung Ungesetzlichkeit oder Staatsfeindlichkeit
finden könne. Aber daß sie konzessionierte Vereine im Besitz
des licet colre gewesen seien, das sagt Tertullian nicht. Die christliche factlo
oder secta ist inllcita; d.h. nicht, sie ist polizeiwidrig, sondern ihr fehlt die
staatliche Privilegierung. Sie ist „nur polizeilich geduldet, . . . öffentlich-
rechtliche Privilegien besaß sie nicht" (Gmelin, 389).

Ergebnis: Die christlichen Kirchen liefen zwar den Gesetzen
des römischen Vereinsrechts direkt nicht zuwider,
waren aber infolge ihrer inneren Struktur in jenes nicht voll
einfügbar. „Kraft ihrer eigenen, in vielem neuartigen Haltung
und Zielsetzung wuchsen sie in manchen ihrer Daseinsfonneu
aus dem Rahmen der bestehenden Gesetze, wurden aber nach
echt römischem Brauch so lange toleriert, bis ihre Anschauungen
und Vorschriften mit denen des Staatsinteresses in direkten
Konflikt gerieten" (Gmelin, 390). Das geschah freilich recht bald.

Auch bei den Christenprozessen kommt es hier wesentlich
auf die rechtlichen Fragen an, nicht auf die so verschiedenen
Einzelvorgänge, deren Grundtypen bereits die Apostelgeschichte
vorführt:

16, i6ff.: Vorgehen gegen die Christen als gegen Juden,

deren l&q anzunehmen Römern nicht geziemt
(in Philippi).

17, i ff.: Von Juden unter Anschuldigung wegen Hochverrat
angezettelter Aufruhr in Thessalonike
(O. Sild, Das altchristliche Martyrium unter
Berücksichtigung der rechtlichen Grundlage
der Christenverfolgungen, Dorpat 1920, S. 96ff.,
sieht in Apg. 16 und 17 bereits den charakteristischen
Unterschied des Vorgehens je im
Westen — mos Romanorum, Honten Christianum
— und je im Osten — Verweigerung des Kaiserkultes
, crimen laesae maiestatis)-;
19,23ff.: Vorgehen aus wirtschaftlichen Gründen, Tumult
des Dometrios in Ephesos.