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Ausgabe:

1943

Spalte:

110-111

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Läubin, Helmut

Titel/Untertitel:

Studien zum Irrationalitätsproblem 1943

Rezensent:

Schmidt, H.

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warum der Kultusminister von Altenstein Hegel nach Wie der Weg zur vollständigen Sinr.verkehrung der He-

Berliu berufen und ihm seine besondere Ounst zuge- gelschen Dialektik beschritten wird,

wendet hat Aber auch aus dieser Förderung Hegels Wenn L. nicht allein Erdmann, sondern im gewissen

von Seiten des preußischen Staates läßt sich die Auf- Sinne auch Rüge ein relatives Recht in einzelnen Mo-

fassting daß Hegels System „der Reaktion die gei- menteu ihres Denkens einräumt, so kann dies nichts

Btiee Behausung" (Haym) geboten habe, nicht begrün- an dem Ergebnis ändern, daß der Hegelianismus, be-

de'n Gerade Altenstein und Johannes Schulze haben sonders in der Lehre von Volk und Volksgeist das Werk

der Reaktion sicher nicht die Wege ebnen wollen. L. Hegels keineswegs in seiner Tiefe ausgeschöpft hat.

gelit übrigens auf die politischen Quellen der Ver- Mau muß L. zustimmen, wenn ihm der Hegelianismus

Zeichnung des Hegelbildes im 19. Jahrhundert nicht „um vieles zeitbedingter erscheinen will als etwa die

ein Er zeigt vielmehr ausführlich an der Staatslehre Lehre Hegels selbst".

des konservativen Hegelianers Joh. Ed. Erdmann Das Verhältnis von Staat und Religion, das doch
(1805—1892), wie auch getreue, verständnisvolle Jim- für den Staatsbegriff Hegels von besonderer Wichtiger
die große Konzeption des Hegelscheii Staats- keit ist, ist von L. leider nur mit einer flüchtigen Er-
denkens zu einer preußischen Staatsphilosophie verengt ' wähnung des politischen Katholizismus gestreift worden.
Und damit wider Willen die volle Auswirkung der Oe- Hier kann aber sein Aufsatz über diesen Gegenstand in
danken ihres Meisters abgeschwächt oder gar verhin- , der Festschrift für Julius Binder (1930, S. 243) als
dert haben. Erdmaun hat in Anlehnung an die Rechts- i gute Ergänzung dienen.
Philosophie seinen Staatsbegriff an dein empirischen Bern

11 Friedrich Buscht ö n s

Preußen seiner Zeit ausgerichtet und diesen Staat verabsolutiert
, wie L. darlegt. Dabei ist ihm aber der für Läu bin, Dr. Helmut: Studien zum Irrationalität*problem. Halle:
Hegel so wichtige einheitliche Begriff des Volksgeistes, Akad. Verl. 1941. (143 S.) gr. 8°. rm 320.
in dem Natur und Geist, Rasse und Geschichte geeint Der Buchtitel faßt 5 Aufsätze zusammen, we'che sich
sind, verloren gegangen. So konnte auch der Gedanke mit folgenden Themen beschäftigen: 1) Rudolf Otto
von der umfassenden Gemeinschaft des Volkes als der und das probiem des Irrationalen, 2) Das Irrationale
„sittlichen Totalität" bei Erdmann keine gerechte Wur- ; bei Max stirner, 3) Kants Rcligionsphilosophie, 4) Hein-
digung finden, obwohl gerade hier Hegels tiefstes An- ri,ch Rickerts emanzipierter Rationalismus und dessen
liegen, das ihn von seiner Jugend an begleitet hat, j Überwindung, 5) Zum Problem der Faust-Interpretation,
seinen Ausdruck findet, worauf L. im Anschluß an die I Alle dies€ Abhandlungen stehen in einer mehr oder
Forschungen Haerings hinweist. weniger straffen Beziehung zum Hauptthema des Irra-

Durch den ausgeführten Vergleich mit Erdmann wird tionalitätsproblems. Diese Frage wird nicht nur unter
deutlich gemacht, wie stark Hegels System über eine 1 speziell erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten ancre-
„preußischc Staatsphilosophie" hinausweisend nach der , packti sondern zugleich in eine umfassende metaphysi-
Zukunft hin offen war, was Erdmann bei aller Treue scne und theologische Sicht gerückt. Der Vfr betont
gegen seinen Lehrer in wichtigsten Punkten nicht gc- überhaupt stark die „egoistische" und gle'chzeitig theosehen
hat. Erdmaun ist der Gefahr abstrakter Verall- . logische Bindung und ^Beziehung alles Wissens
gemeineruug erlegen und hat sich wenigstens 111 seiner ' Der 1. Aufsatz wendet sich vor a'lcm ae~en R Ottos
Staatsphilosophie nicht zu der echten Allgemeinheit kon- i „Unvermögen, Rationales und Irrationa'e rcreistonrauisch
kreter Begrifflichkeit zu erheben vermocht. Sein Staats- j zu verbinden." Im Anschluß an diese Kritik welche die
begriff ist statisch und läßt die Dynamik der Geschichts- Philosophie Kants und Fries' miteinbezieht,'kommt der
Philosophie vermissen. I Vfr. zu trefflichen erkenntnistheoretischen Ausführungen

Die richtige Charakteristik der Staatsanschauung über das Verhältnis von Vernunft und Wirklichkeit
Eidmaniis durch L. darf übrigens nicht zu der Auffas- Der 2. Aufsatz über Stirner will u. a. eine „geheime Ver-
sung verleiten,, als habe dieser der geistigen, politischen j wandtschaft" zwischen dem Numinos-EhrfürChtigsten bei
oder kirchlichen Restauration seiner Zeit das Wort ge- Otto und dem Numinos-Ehrfurchtslosesten bet Stirner
redet. Selbst wenn Erdmann in seinem Grundriß, den . aufweisen. Stirner wollte mit seinem „Einzigen" in kiih-
man besser nach der 3. Auflage als nach der Überar- ler und kl arer Dialektik darlegen, was Luther „ein nutlli-
beituug Benno Erdmanns zitieren sollte, von der Re- noses Entsetzen vor sich selbst einjagte" [nämlich das
Staurationsphilosophie Hegels gesprochen hat, so ist ,velle esse deum' und das damit verbundene ,vellc Deum
dies in einer den üblichen Sinn dieses Schlagwortes um- (sc. alienum) non esse'] und was „ihn zw fachen der
deutenden Weise geschehen. Die von L. offenbar nicht ; Selbstidentifikation mit der aus seinem Inneren empor«
herangezogenen „Vorlesungen über das akademische Stu- j lodernden .Anfechtung' und der niederschmetternden
dium", die sich stark mit Staat und Politik beschäftigen, t ,desparatio' hierüber hin und her schwanken ließ bis er
beweisen, wie sehr Erdmann die Gefahr der Stagnation 1 im Sich-festklammern an das ,geoffenbarte Wort' wo
im politischen Raum gesehen hat und wie er der Reak- nicht stetige Ruhe so doch immer wieder zu gewinnen-
tion ablehnend gegenüber stand. Aber auch die Natur- den Halt fand und schließlich sagen konnte- wir sollen
grundlage des Staatslebens hat Erdmann nicht ganz 1 Mensch sein und nicht Gott, das ist die Summa' " (43)
übersehen, wie seine rassisch begründete, ungewöhnlich Der 3. Aufsatz bringt im Anschluß an das Radikalscharfe
Polemik gegen das Judentum beweist, das er in Böse" bei Kant beachtliche psychologische und ee-
seinem Einfluß auf die Philosophie richtig charakterisiert schichtsphilosophische Ausführungen über das Problem
hat und das er aus der deutschen Politik überhaupt ver- der Sünde und des Ethischen, deren berechtigte An-
»annt haben wollte. (Vgl. dazu „Glaube und Wissen" liegen und deren Ergebnisse freilich ebenso wie die
1837, S. 207, „Vorlesungen über das akademische Stu- des 4. Aufsatzes in einer noch allzu unfertigen und z T
dium" 1858, S. 139 und S. 153, sowie den Vortrag über auch anfechtbaren Formulierung dargeboten werden. So
das Nationalitätsprinzip). ist z. B. die Aussage, daß die zeitlos giltigen Werte zwar

In einem letzten Abschnitt wird von L. au Rüge nicht durch Sublimierung, aber durch „qualitative Me-
als einem Führer der Hegelschen Linken aufgewiesen, tamorphose" aus dem Vitalen und Seelischen „hervor-
wie auch dieser Hegels Rechtsphilosophie verflacht und gehen" (105) sehr fragwürdig; in ihr ist Rickerts An-
in eine falsche Sicht gebracht hat. Der Begriff des liegen der Abwehr eines relativistischen Psychologismus
Volksgeistes wird gänzlich seines metaphysischen Ran- keineswegs wahrgenommen und anscheinend auch des
ges entkleidet und zum „flüchtigen Zeitgeist", zum „kol- Vfr. eigene Ansicht vom ontologischen Wesen der Werte
lektivcn Meinen" erniedrigt. Aus der Behandlung die- , mißverständlich verdeckt. Der letzte Aufsatz bringt wert-
ses Hegelschen Grundbegriffes ist zu ersehen, wie bei volle und feinsinnige Bemerkungen zur Frage der dichter
Hegelschen Linken auch das letzte Verständnis für terischen Gestaltung und der verstehenden "Betrachtung
das Volk als „sittlicher Totalität" geschwunden ist und des Kunstwerkes und belegt die grundsätzlichen Aus-