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Ausgabe:

1943

Spalte:

43-45

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Buri, Fritz

Titel/Untertitel:

Christentum und Kultur bei Albert Schweitzer 1943

Rezensent:

Schuster, Hermann

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güter dar und rührt vor allem hinsichtlich Sitte und
Sprache, deren Erneuerung Arndt als wesentliche Mittel
völkischer Wiedergeburt "betrachtete, an Wichtigstes.

Ein gültiges Oesamtbild der Anthropologie Arndts
hat Weigand nicht geschaffen. Aber zur Ergänzung
und Korrektur von bisherigen, man möchte fast sagen:
spießbürgerlichen Arndtbetrachtungen ist sein Werk
wichtig genug; vor allem hat er tiefere Wirkkräfte
und Strömungen des Arudtschen Lebens enthüllt, „die
aus Aktivität und bewußtem Kampfgeist allein nicht
erklärt werden können" (S. 13).

Breslau Wilhelm Kncvcls

Buri, Friiz: Christentum und Kultur bei Albert Schweitzer.

Eine Einführung in sein Denken als Weif zu einer Christi. Welt- ■
anschauung. Bern: Paul Haupt 1941. (145 S.) 8°. Fr. 5—; geb. 6.80. j

Dieses Buch des Schweizer Pfarrers und Privatdozenten
will den Nachweis führen, daß Albert Schweitzer
als erster die Ethik auf einen festen Grund stelle und
mit einem überzeugenden Gehalt erfülle. Da die Problematik
des Christentums als Kulturfaktor in seinem
eschatologischen Ursprung begründet liege, muß B. sich
mit der Eschatologie zuerst auseinandersetzen. Ich
habe das Buch mit großen Erwartungen in die Hand
genommen und mit schwerer Enttäuschung zu Ende gelesen
. Daß der Verfasser von tiefer Bewunderung für
seinen Helden erfüllt ist, begreife ich. Es geht mir
selbst nicht anders: ich habe schon vor beinahe zwanzig
Jahren, als ich mein Religionsbuch für die höheren Schulen
bearbeitete, ein Lebensbild Albert Schweitzers und {
seiner ärztlichen Mission als eins der Hauptstücke an !
den Schluß gestellt. Aber diese Bewunderung der !
menschlichen und missionarischen Leistung darf nicht zu
völliger Kritiklosigkeit gegenüber den wissenschaftlichen i
Theorien Schweitzers verführen. Da Buri aber von der
Voraussetzung ausgeht, daß bei allen wissenschaftlichen
Problemen das Recht allein bei Schweitzer liege, während
alle anderen im dicken Nebel tappen, so fordert das
Buch beinah auf jeder Seite zum Widerspruch heraus, i

Ich muß dies harte Urteil etwas genauer begründen. Buri ver- :
tritt Schweitzers „konsequente Eschatologie" bis zu dem Satz, j
Jesus habe das Ende dieser Welt durch seinen Tod erzwingen wollen !
(S. 33), und der Behauptung (S. 44): „Nach dem ältesten Bericht
verschied Jesus am Kreuz mit dem Verzweiflungsschrei des Errt- i
täuschten: Mein Gott, mein Oott, warum hast du mich verlassen!" j
— ohne zu bedenken, daß weder Markus noch Matthäus ein Evan- |
gellum geschrieben hätten, wenn sie dieses l'sahnwort als den '
Verzwtiflumgssclirei eines Enttäuschten verstanden hätten. Da kommt
dem wirklichen Sachverhalt die alte dogmatische Auslegung vom '
stellvertretenden Strafleiden erheblich näher; denn sie weiß, daß die
Evangelien Glaubenszeugnisse sind. Wiederholt gibt Buri uns zu ver- i
stehen, daß Albert Schweitzer als erster die Bedeutung der Eschatologie
für da« Urchristentum erkannt habe — erstaunlich zu lesen für
jemanden, der IhH J_. Weiß und Bousset Neues Testament gelernt !
und mit der Generation Heitmütler, Wernle, Greßmann, W. Bauer
theologisch arbeiten gelernt hat. Noch erstaunlicher freilich ist die Be- [
hauptung, die wir S. 94 ff. immer wieder lesen, die neuere Forschung
habe die Irterar- und religionsgeschichtlichc Quellenkritik zu Hilfe '
genommen, um alles das als unecht, d. h. als spätere Zutat von j
den ursprünglichen Jesuswarten auszusondern, was irgendwie mit der
spätjüdischen apokalyptischen Eschatologie zusammenhing oder sich
nicht in die modernen Vorstellungen umdeuten ließ. Die ganze neuere
biblische Theologie habe nicht den Mut gehabt, das für uns Fremdartige
an der Verkündigung Jesu und Pauli zuzugeben, und deshalb
stehe sie auch heute so schlecht im Kurse — als ob die historisch- i
kritische Forschung der letzten 50 Jalirc etwa bei Beyschlag stellen
geblieben wäre, ata ab es keinen Unterschied gäbe zwischen der
„liberalen" Theologie, die ihre Aufklärung oder Spekulation in das
Neue Testament hineindeutete, und der historisch-kritischen Theologie
, die feststellen wollte, was gewesen ist, und das Fremdartige
und Ärgerliche beinah als Kriterium der Echtheit betrachtete und i
deshalb in der ersten Entdeckerfrcude bisweilen übermäßig betonte
(Wredcs „Paulus"!) Kennt Buri diese Arbeit nicht oder hat er das
Alles vergessen?

Damit aber kommen wir zur Hauptsache. B. schreibt:
„Zu einem Kulturfaktor in der Geschichte ist das Christentum
ganz gegen seinen ursprünglichen Willen und
nur in tiefgreifender Umgestaltung seines ursprünglichen I

Wesens geworden" (S. 32). „Von seiner ursprünglichen
eschatologischen Gestalt her wird die welthafte Kultur
überhaupt wie die Weltvverdung des Christentums immer
wieder in Frage gestellt" (S. 35). Durchaus richtig,
wenn man es richtig versteht, in dem Sinne nämlich:
Welt und weltliche Kultur gehören auch für uns zu dem
Zeitlichen und Vergänglichen; auch wir müssen beherzigen
, daß nicht die Satten, sondern die Hungrigen
selig gepriesen werden; auch für uns gilt: „Media vita
in morte surnus"; auch uns ruft der Apostel zu (1. Kor.
7, 29 ff.), die irdischen Dinge zu haben, als hätten wir
sie nicht (eine Stelle, die Buri als veraltet betrachtet
S. 47). Die Kernfrage aber ist diese: Gehört die spätjüdische
, apokalyptische Eschatologie (wie wir sie am
anschaulichsten in der „Offenbarung" vor uns haben),
so sehr zum Wesen des Evangeliums, daß es einer „Umgestaltung
seines innersten Wesens" bedurfte, um sich
davon zu lösen, einer Umgestaltung, die „nur unter großen
Kämpfen und Erschütterungen sich vollziehen" konnte?
Dazu ist zu sagen: wer die Geschichte der alten Kirche
betrachtet, muß sich vielmehr wundern, wie verhältnismäßig
gering die Erschütterung war, die das Ausbleiben
der Eschatologie hervorrief. Diese phantastischen
Vorstellungen der Apokalyptik bildeten also nicht das
innerste Wesen. Es bedurfte keiner „aufs Ganze gehenden
Umgestaltung", sondern eher einer organischen Entbindung
. Den Beweis dafür liefern die Paulusbriefe und
das Jonannesevangelium. Die Überbetonung der Apokalyptik
ist Historismus, aber nicht Beweis großen geschichtlichen
Sinnes. Auf den Kern der Sache gesehen,
ist der Realist Well hausen, der in seiner israelitischjüdischen
Geschichte das Kapitel über das Evangelium
mit dem Satz beginnt: „Es ging ein Sämann aus, zu
säen seinen Samen", der größere Historiker- immer vorausgesetzt
die Grundhaltung des Glaubens, der heute
und immer das Ende aller Dinge über sich sieht und
sich deshalb nicht an die Welt verliert. Man wird auch
mit der Bergpredigt nicht so einfach fertig weiden,
daß man sie als „Interimsethik" historisiert und kalt
stellt. In Kagava ist sie erschütternde Wirklichlichkeit
geworden, und uns allen soll sie ständig das Gewissen
schärfen. Noch weniger dürfen wir die Lehre von der
Rechtfertigung aus dem Glauben aus der Eschatologie
erklären und damit von uns abschieben. Dali sie mißverstanden
wurde und wird, ist wahrlich kein (iegen-
gruud. Diesem Schicksal entgeht nichts Edles und Tiefes.

Schweitzer, und Buri mit ihm, bekundet sein Erstaunen, daß in
der Weltliteratur der Kiiltunnenschhcit keine Definition des Wesens
der Kultur zu finden sei. „Ohne ein klares Wissen um da; Wesen
der Kultur ist aber die Kultur dem Zufall und dem Zerfall ausgeliefert
." Die Definition, die uns später geboten wird (S. <>8) befriedigt
aber sehr wenig; wichtiger wäre, daß B. gerade in diesem
Bucll wenigstens die grundlegende Unterscheidung zwischen geistiger
Kultur und technischer Zivilisation immer im Auge behielte.
Auf S. 53 lesen wir: „Die ganze Lebensweise ist viel kultivierter
geworden", auf S. 54 aber: „Was für ein Tiefstand des Hinnanitäts-
bewußtseins offenbart sich im modernen Wirtschaftsleben und in der
sogenannten Realpolitik, im Betonen nationalistischer und rassischer
Gesichtspunkte im Volkerleben". Wenn dann weiterhin vom Verfall
und Wiederaufbau der Kultur, vom Kulturniedergang und Kultur-
pessimismtis geredet wird, so wird hier offenbar zwischen zwei ganr
verschiedenen Kulturbegriffen ohne äußere Unterscheidung abgewechselt
. Das macht sich oft sehr störend bemerkbar. Der Wiederaufbau
der Kultur soll begründet werden auf ein neues Prinzip, auf da»
Prinzip der Ehrfurcht vor dem Lebe n, und zwar unter~chiedlos
jedem Leben. „Für die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben gibt
es keine Unterschiede zwischen höherem und niedrigerem Leben,
das der Hingahe wert und solchem, das ihrer nicht wert wäre.
Nicht dieses oder jenes Leben, sondern alles Leben ist heilig."
Buri scheut auch die äußersten Konsequenzen dieses Prinzips nicht:
„Als Arzt ist sich Schweitzer z. B. d essen bewußt, daß er, um ein

Menschenleben /u retten, Tausendc von Bakterien töten muß _

und leidet darunter"! Daß diese Ehrfurcht vor jedem natürlichen
Leben mit dem Evangelium Jesu nichts zu tun hat, sondern menschliche
Philosophie ist, bedarf keines Beweises. Auch scheint sie
mir keine gute Philosophie zu sein. Ich habe mich beim Lesen von
S. 61 ff. immer wieder gefragt, oh nicht Schopenhauer diesen
natürlichen Lebenstrieb sehr viel überzeugender gedeutet hat. Manche
Sätze bei Buri legen diese Frage sehr nahe, z. B.: „Aus dem blin-