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Ausgabe:

1943

Spalte:

35-37

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schneider, Alfons Maria

Titel/Untertitel:

Die Grabung im Westhof der Sophienkirche zu Istanbul 1943

Rezensent:

Deichmann, Friedrich Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 1/2

fest, das auch kirchlich begangen wurde, war seit 1806
der Jahrestag der Kaiserkrönung Napoleons und der
Schlacht bei Austerlitz am ersten Sonntag im Oktober.
Auch in dem 1806 durch kaiserliches Dekret allgemein
eingeführten und von dem Kardinallegateu Caprara approbierten
Einheitskatechismus (Catechisme Napoleon)
wurde der göttlichen Sendung Napoleons gedacht.
Bei mancher Gelegenheit werden die Machtgrenzen
dieses Staatskirclientums anschaulich. Besonders ist es
da der Fall, wo die staatlichen und die ihnen entsprechenden
bischöflichen Anordnungen im Gegensatz zu den
hergebrachten kirchlichen Sitten und Gebräuchen standen
. So setzte z. B. das Volk der Abschaffung gewisser
Feste, der Einengung des Prozessionswesens usw. zähen
Widerstand entgegen, der schließlich ein Entgegenkommen
durchsetzte. Gottesdienstliche Gebete für Napoleon
konnten wohl vorgeschrieben werden, aber daß sie auch
stets von dem Priester gesprochen und immer von den
Laien mitgebetet wurden, war nicht zu erzwingen. Alles
in allem ein Buch, dessen Lektüre sich lohnt. Daß am
Ende auch eine Karte des Bistums Aachen beigefügt ist,
die seine bunte Zusammensetzung erkennen läßt, bleibe
nicht unerwähnt.
Adelebsen Ph. Meyer

CHRISTLICHE ARCHÄOLOGIE

Schneider, Alfons Maria: Die Grabung im Westhof der Sophienkirche
zu Istanbul. Berlin: Deutsches Archäol. Inst. 1941. (45 S.
m. Abb., 31 Taf.) 4° = Istanbuler Forschungen, Bd. 12. RM 10—.

Daß sich die Forschung während der letzten Jahrzehnte
in steigendem Maße einem der großartigsten
Bauten des Altertums überhaupt und der gewaltigsten
Kirche der frühchristlichen Welt, der Hagia Sophia zu
Konstantinopel, zugewendet hat, ist mit großer Genugtuung
zu begrüßen. Der Weg zu eingehenden Untersuchungen
an Ort und Stelle wurde durch die Tat der
modernen Türkei geebnet, da der Bau dem Kultus entzogen
und der Istanbuler Museumsverwaltung unterstellt
wurde. Daß auch hier wieder die Zweigstelle Istanbul
des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches die
Initiative ergriff, gehört schon zur Tradition der achäolo-
gischen Pionierarbeit im Osten; und es konnte kein Berufener
als A. M. Schneider mit der Durchführung
der Untersuchungen betraut werden.

Es war das ursprüngliche Ziel, Gestalt und Begrenzung
des Atriums der Kirche des Iustinian durch Grabungen
festzustellen, und die Untersuchungen haben hier
auch Klarheit erbracht. Doch das weitaus wichtigere Ergebnis
war der überraschende Fund von bedeutenden
Spurer; der vorjustinianischen Sophienkirche: Innerhalb
des justinianischen Atriums wurde im Boden vor dem
justinianischen Exonarthex der Zug einer älteren Vorhalle
gefunden, zu der man von einer vorbeiführenden
Straße über sechs Marmorstufen hiuaufgelangte. Die
ganze Anlage ist durch die justinianischen Bauten durchschnitten
und weitgehend zerstört worden. Die gefundenen
Ziegelstempel gehören dem 5. Jh. an, und man
wird besonders auch auf Grund der Ornamentformen,
die noch unten zu besprechen sind, Verf. voll zustimmen,
wenn er diese Vorhalle mit jener der Hagia Sophia des
Theodosius II. identifiziert, die nach dem Brande der
im Jahre 404 erfolgten konstantinischen Kirche im Jahre
415 neu geweiht wurde.

Der Erhaltungszustand der Fundament- und Bodenreste
sowie der Teile des Aufbaus ist so glücklich, daß
er eine fast lückenlose Rekonstruktion erlaubt. Es handelte
sich um eine Porticus von 8,40 m Höhe mit einem
höheren, mittleren von vier Säulen getragenen Bogen-
propylon von mindestens 14—15 m Höhe. Die Säulenfronten
liegen in gleicher Flucht, sodaß die Porticus
an die Säulen des Propylon anstieß. Die Säulen erhoben
sich auf einem Marmorstylobat und an den Basen und

in den Interkolumnien fanden sich Eisenspuren und
i Ringe, die Verf. wohl richtig als Vorrichtungen für Vor-
| hänge zwischen den Säulen deutet, wie wir sie mehrfach
; auf spätantiken Darstellungen beobachten können. Die
Säulen von Porticus und Propylon trugen verschieden
große und verschieden geschmückte Kapitelle. In der
Porticus lag ein Architrav mit zwei Fascien und einem
Pfeifenfries darüber; abgeschlossen wird das Epistyl
durch eine reiche palmetten- und lotosgeschmückte Sima.
Wesentlich reicher war der obere Aufbau des Propylon.
Die drei Faszien des Frontarehitraves sind noch durch
j Kymatien verziert, hierauf folgt ein Akanthusrankeufries
mit dem Kreuz in der Mitte. Architrav und Fries waren
über das mittlere Interkolumnium als Archivolte geführt,
die hoch in das Tympanon des Propylongiebels ein-
| schnitt. Besonders reich ist das Gesims mit Zahnschnitt,
Astragal, Kymation und Konsolen über dem horizontalen
F ries, der Archivolte und der Giebelsschräge. Der Tym-
panonzwickel über der Mittelarchivolte trägt eine kreuzgeschmückte
Scheibe. In die Tiefe des Propylon führten
I ebenfalls Architrave; sie ruhten an der Rückwand auf
i Pilastern auf. Die Friese der Innenseiten der beiden
| mittleren Architrave zeigen über den schmalen Faszien
den Zug von je sechs Lämmern, was darauf schließen
läßt, daß Christus im rückwärtigen Tympanon auch als
Lamm dargestellt war. Das Propylon war mit einer Kassettendecke
eingedeckt; die Mitte hinter dem Frontbogen
trug ein Kassettengewölbe. Die südliche der aufgefundenen
Türen der Rückwand war mit 4,20 m Breite die
Mittel- und Haupttüre.

Mit dieser Vorhalle ist zum ersten Male die Gestalt
einer monumentalen Außenarchitektur der spätantiken
Zeit wiedergewonnen. Besonders durch ihre großen Ausmaße
stehen die einzelnen Architekturstücke in nichts
der kaiserlich-heidnischen Repräsentationsarchitektur
nach. Die Ornamentmuster führen die westkleinasiatische
Tradition der Kaiserzeit weiter. Doch ist hier eine neue
Auffassung rege. Die einzelnen Figuren gehen in zusammenhängenden
Mustern auf und die Sorgfalt in der
Ausführung des Details tritt zurück. Die Ornameutbil-
der weisen schon auf das Byzantinische, weg vom Antiken
. Auch in der Verwendung verschiedener Kapitell«
typen mit verschiedenem Akanthus und in der besonderen
Betonung des Propylon durch reicheren Schmuck zeigt
sich der neue Sinn: in gleicher Ordnung werden Portikus
und Propylon verschieden geschmückt und dadurch nach
ihrem Sinn unterschieden. Diese verschiedenen Ornamentformen
an demselben Bau bezeugen wiederum, daß
oft diese Verschiedenheiten in der frühchristlichen Kunst
keine zeitlichen, sondern die gleichzeitig verwendeter
; verschiedener Typen sind; ein allgemeines Charakteristi-
| kum dieser Epoche. Wie der antike Sinn für Struktur
ganz, geschwunden ist, bezeugen weiter jene Blöcke, bei
denen Architrav, Fries oder Giebelgeison und Tympanon
vertikal zusammenhängend gearbeitet sind, sodaß also
das Ornament nur die Oberfläche und nicht mehr die
Bauteile bezeichnet.

Wichtig ist die Darstellung der Apostelläminer auf
den Architraven, denn es ist m. E. das erste Beispiel
einer christlich-bildlichen Darstellung an der Außenseite
einer Kirche. Hier tritt die frühchristliche Architektur
besonders eng in die Fußtapfen des heidnischen Monumentalbaus
, vor allem der Triumphal- und Palastarchitektur
, was bei einer kaiserlichen Gründung, der Hauptkirche
der Hauptstadt, innerhalb der imperialen Traditionen
von Neurom nicht wundernimmt.

Für die Breitenausdehnimg kommt Verf. zu dem gut
gesicherten Ergebnis, daß sie der Breite der justinianischen
Kirche entsprochen hat. Ein Atrium scheint nicht
vorhanden gewesen zu sein. So ergäbe sich für den
Bau des Theodosius eine Flächenausbildung von 60 m
mal 100 m. Hinter der Porticus lag wahrscheinlich der
Narthex. Das Innere ist nach den Größenverhältnissen
und der Lage der Türen als fünfschiffige Basilika zu rekonstruieren
.