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Ausgabe: | 1942 |
Spalte: | 168-169 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Neuzeit |
Autor/Hrsg.: | Schleiermacher, Friedrich |
Titel/Untertitel: | Briefe an einen Freund 1942 |
Rezensent: | Noack, Herbert |
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167 Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 5/6 ](i8
bereichernden Weise gezeigt. Darin besteht ihr wissen- schauungen des Verfassers weitere kritische Anmerkun-
schaftlicher Wert. gen beizufügen gewesen.
Besonders von Satan und Sünde ist in den Werken I Tübingen Hermann Fahcr
B.s viel die Rede. Der Satan ist bei B. teils ein durch-
aus zu beiahendes Prinzip geistigen Lebens und schöpfe- Z»> Mendorf, Niko aus Lud*.g Gral von Berlmer Reden aber
. , i"rj""'-"">-> is & i i den Olauben an Jesus Christus. Eine Auslegung von Luthers Er-
nscher Erkenntnis, teils die Zusammenfassung des Wi- klämng zum zweiten Artikcl Berlin. Purche-Verlag 1940. (127 s.)
dergeistigen, aber nicht des spezifisch Widergottlichen. kl 8o , Die Büclier des neuen u.1)ens H Q- 2_
Beide Satansvorstellungen gehen aber in wesentlichen in der Reihe der „Bücher des neuen Lebens" des
Punkten am Teufelsverständnis der christlichen Theolo- Furcheveiiages hat S. Baudert das Wagnis unternommen,
gie vorüber. Ähnlich ist es mit dem Begriff der Qraf Zinzendorfs „Berliner Reden über den Glauben an
Sünde und Erbsünde. Le peche onginel ist für B. der jesus Christus" neu herauszugeben. Seiner Bearbeitung
Abfall des Geistes von sich selbst. Indem Gott in der ijegt die 6. Ausgabe der Reden zu Grunde, die der
Schöpfung sich aus sich selbst heraussetzt, begeht er die Barbyer Seminardirektor Clemens 1758 unter der Mitwir-
grundlegende Sünde. Deswegen ist für B. Welt und Na- kung des betagten Grafen veranstaltete. Auf sie gehen
tur, als dem Geist entgegengesetzt, sundig. Damit hangt gemeinhin die späteren Ausgaben der Reden zurück,
zusammen, daß er Mann und Weib als das geistige und Fremdworte sind bei Baudert ins Deutsche übertragen
das satanische Prinzip in einen unversöhnlichen Gegen- ! worden; weiter hat sich B. vielerorts um eine Glättung
satz bringt. Die Liebe zur Frau ist für den geistigen des Textes bemüht, die einer leichteren Verständlichkeit
Menschen eine Schwache, ein Abfall von der Geistnatur. zu Gute kommt. Vor allem hat er das Werk auf die
Sie ist Sünde wider den Geist. All diese Gedanken he- Halfte seines Inhaltes gekürzt; er beruft sich bei diesem
gen aber nicht auf der Linie der katholischen Frommig- Handeln auf eine Bemerkung des Grafen, die für den
keit und sind nur zu verstehen auf dem Grunde eines Druck seiner Reden manche Wiederholung eines Gedan-
extremen Spiritualismus. Darum fehlt bei B auch ein kens für entbehrlich erklärt. Das Buch hat so nur an
Verständnis für die christliche Erlösung. Sein Erlosungs- Straffheit der Gedankenführung gewonnen,
begriff ist ein ganz anderer. Er braucht nicht Christus I Die gewisse Skepsis, mit der man der Neuauflage
zur Erlösung. Vielmehr wird die Natur, die im Gegen- : eines über 200 Jahre alten religiösen Werkes begegnet,
satz zum Geist sich befindet, im Kunstwerk und durch (die Reden wurden 1738 gehalten und erschienen noch
den Künstler erlöst und dadurch die Sunde getilgt Bs ( im selben jahre im Druck), verfliegt schon beim Lesen
Erlösungsweg führt also ausschließlich durch den Geist. , der ersten Seiten- Das Buch) das die Theologie des
Nicht der göttliche Geist, sondern der Geist schlechthin > Grafen wohi am eindrücklichsten enthält, — der man ge-
lst sein oberstes Prinzip. j wiß heute nicht in alleil Pimkten beipflichten wird, —
Diese Sinnentleerung und Sinnveränderung christ- j die aber mit einer tiefen Frömmigkeit vorgetragen wird,
licher Vorstellungen hängt aber nun bei B. damit zusam- i spricht den Leser an wie zur Zeit seines Erscheinens,
men, daß sowohl seine praktische Lebenshaltung (ohn- | Es hat vor allem deshalb in keiner Weise an Aktualität
mächtiger Menschenhaß und kalte Verachtung der Welt) : eingebüßt, weil es — wie für unsere Zeit geschrieben —
wie auch sein Lebensgefühl und sein Seinsverständnis sein ganzes Gewicht auf die Aufzeigting der entscheiden-
durchaus nicht christlich bestimmt waren. Das nachzu- I den Mitte unseres Glaubenslebens legt, — welche ist
weisen ist das Hauptbestreben Kernps gewesen. Im Mit- | Jesus Christus.
telpunkt des B.schen Denkens und Wollens stand näm- Zinzendorfs Reden sind eine scharfe Kampfansage
lieh nicht Gott, sondern der Mensch, die geistige Würde j gegen jede allgemeine farblose Gottgläubigkeit. Christus
des Menschen. Die grandeur de l'homme war einer sei- | ist uns nicht irgendwer, sondern d i e Offenbarung Gottes
ner Lieblingsgedanken. Er wollte sich nicht Gottes Wil- j jn der Geschichte, an der alles seinen Maßstab findet. So
len unterwerfen, sondern auf sich selbst bestehen, seine 1 sprechen die Reden zu uns — jung wie vor 200 Jahren,
eigene geistige Freiheit und Würde bewahren. Sein j z. Zt. im Wehrdienst W.Lemke
Glaube war letztlich Glaube an sich selbst, an sein eige- |
nes Genie und an die superiorite spirituelle. Sein Lebens- Schleiermacher, Friedrich: Briefe an einen Freund.Weimar
ideal war nicht etwa Demut und Liebe, Aufopferung 1 Verlag Deutsche Christen, [o. J.) (51 s.) gr. 8°. RM 1.20.
und Hingabe, sondern die purete, die Reinigung seines Das äußerlich ansprechend ausgestattete Heft bietet
geistigen Ich, „Einsamkeit, Stolz, Verachtung und Selbst- ; eine im Auftrage von H. W. Schmidt durch Lic. Dr.
bewahrung" (S. 125). Kemp hat zweifellos recht, wenn | Seifert-Bonn bearbeitete Textausgabe von 12 Briefen
er zusammenfassend sagt: „Man wird nun zugeben müs- j Schleiermachers, die dieser in den Jahren 1813 -1831
sen, daß ein solches geistiges Ideal kaum noch etwas 1 an Karl Heinrich Sack, den Freund und Schüler (1813
mit dem Christentum zu tun hat" (S. 137). B. hat sich I Offizier, 1815 Feldprediger, 1818 Prof. in Bonn und
ja selbst einmal als einen „catholique bien suspect" be- j zuletzt Konsistorialrat in Magdeburg) gerichtet hat.
zeichnet (Lettres, S. 328). Man wird von Schleiermacherbriefcn, die in der Jetzt-
Das Bemühen um ein religionspsychologisches Ver- zeit herausgegeben werden, mit Recht etwas Besonderes,
ständnis B.s führt den Verfasser gelegentlich auch auf in gewissem Sinne Aktuelles erwarten. So findet man
das grundsätzliche Problem des Verhältnisses von Reli- j auch in der dargebotenen Auswahl einige interessante
gion und Dichterwerk (S. 118 ff.). Nur als Behauptung j Bemerkungen etwa über die zeitgenössischen Kämpfe um
ist der Satz aufgestellt, daß der Dichter incommen- Union, Verfassung und Liturgie und die Zustände an
surabel gegen die Religion sei (S. 120), daß überhaupt ! den Universitäten, speziell der Berliner. Persönliche
an einem Künstler das Menschliche nicht „so wichtig theologische Kontroversen werden gestreift, und es lallt
und ernst zu nehmen sei, daß es einen Maßstab abgeben manche wichtige Bemerkung zu zentralen Fragen der
könne für die Bedeutung seines künstlerischen Werkes", Theologie Schleiermachers. Indessen nehmen natürlicher-
daß also auch die Religion über die Kunst nicht urteilen weise Mitteilungen familiärer Art, die uns mehr den
dürfe. Und dieser Gedankengang wird dann fortgesetzt Menschen Schleiermacher in seiner Zeit näher treten
in der weiteren These: „Der Künstler ist nun einmal lassen, einen breiten Raum ein. H. W. Schmidt möchte
der Mensch der Äußerlichkeit, der Veräußerlichung; Le- in seinem Vorwort das vorliegende Material als ein
ben, Empfinden und Glauben sind ihm als Künstler nur spezifisches Zeugnis deutschen Christentums ange-
Formprobleme" (S. 121). Es lag in der Begrenztheit des sehen wissen; aber auch wer weniger stark akzentuiert,
Themas der Abhandlung, daß diese Probleme nicht aus- : wird von dem von der hohen christlichen Warte eines
führlicher behandelt werden konnten und daß deshalb Schleiermacher stammenden Beitrag zur geistesgeschicht-
auch z. B. auf den Unterschied von französischer und liehen und politischen Situation und Mission der damali-
deutscher Kunstanschauung nicht näher eingegangen wer- gen Zeit, den einzelne Briefe bieten, mit Interesse Kennt-
den konnte. An diesem Punkte wären sonst den An- nis nehmen.