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Ausgabe:

1941

Spalte:

74-77

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grabert, Herbert

Titel/Untertitel:

Der Glaube des deutschen Bauerntums 1941

Rezensent:

Spamer, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 3/4

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Eindringen des Christentums in den Norden noch eine
besondere Ausweitung dadurch, daß die Worte „Thor
weihe die Runen — das Grab" hinzugesetzt vorkommen.
Sierke schließt sich der Erklärung an, daß dadurch die
Verfki'clningsiormel verstärkt oder ersetzt weiden soll.
Die Runen allein genügten in der Spätzeit nicht mehr;
Thor wurde zum Schutz des Grabes aufgerufen. Die
neue Thorweiheformel scheint bewußt gegen christliche
Formeln herausgestellt worden zu sein. Daß dieser Gedanke
der richtige ist, läßt sich nach dem Verfasser
auch dadurch belegen, daß in wikingischer Zeit neben j
der Inschrift Thorshämmer auf den Grabsteinen einige- i
meißelt oder in den Gräbern als Anhängeschmuck oder |
Amulett gefunden werden, gewissermaßen als Zeichen i
des Zusammenschlusses der Thorsgläubigen gegen die j
Christen (siehe dazu auch P. Paulsen: Axt und Kreuz !
bei den Nordgermanen). Wenn der Verfasser als Beleg
für seine Ansicht u. a. anführt, daß erst in der Spät- |
zeit die Thorsanhänger Laad -Amulette als Beigaben
in den Gräbern erscheinen, so muß eine gewisse Einschränkung
vorgebracht werden: In Ausnahmefällen tref- !
fen wir sie schon mehrere Jahrhunderte vorher an. I
Ihr starkes Anschwellen als Grabbeigabe in der Wikin- |
ger-Epoehe verlangt aber eine Erklärung, die im Zusam- j
menhang mit der Thorweihe-Formel und den Thorshäm- !
mern auf den Grabsteinen nur in der Richtung Liegen
kann, die der Verfasser weist.

Bedauerlich bleibt, daß aus den Runeniuschriften auf
anstehendem Gestein nicht viel Sicheres abgeleitet werden
kann, und daß ihre Zahl, genau so wie die der
Grabsteine, sich in Zukunft nicht sehr vermehren wird.
Jetzt noch oberflächlich zu sehende Inschriften zu entdecken
, stellt eine Seltenheit dar. Anders ist es mit den
Kleinfunden aus Stein, Metall, Knochen, Holz und Ton,
die Waffen, Werkzeuge, Schmuck oder Amulette sind, I
Runeninschriften tragen und als Beigaben in den Gräbern
liegen. Diese Gruppe kann Jahr für Jahr durch
Ausgrabungen und Zufallsfunde eine Vergrößerung erfahren
. Sie unterscheidet sich ferner von der ersten
Gruppe dadurch, daß sie bei Nord- und Südgermanen,
ja bei letzteren besonders häufig, auftritt, während das
Vorkommen der Grabsteine mit Runeniuschriften an
Skandinavien gebunden ist. Außerdem weicht sie grundsätzlich
von der ersten Gruppe ab, weil der einzelne Gegenstand
mit Runenritzung an und für sich nicht mit dem
Grabe oder dem Tode wie der Grabstein in Zusammenhang
steht, sondern mit dem Lebenden, selbst wenn er
im Grabe erscheint; denn er hat ehemals nur für den
Lebenden Bedeutung gehabt. Schon davon ist abzuleiten
, daß die Dinge des täglichen Lebens, die Runenin-
schriften tragen, seltener Zauberformeln enthalten wer- j
den als die Grabsteine. „Der Bereich des Lebens stellt
dem Zauber ferner als der Bereich des Todes". Die Einzelbehandlung
der zweiten Runendenkmälergruppe zeigt
aber doch mit aller Deutlichkeit, daß auch hier genü- ,
gend Inschriften magischen Inhalts vorhanden sind. Am j
naheliegendsten ist es, daß Waffen durch Runen magische
Kräfte erhalten, oder daß Amulette mit Runen
Schutz gewähren sollen. Aber selbst bei praktischen Gegenständen
, Schnallen und Spangen, kommt — wenn
auch selten — eine Schutzformel vor. Gerade die Auswertung
der Kleinfunde erbrachte ein unerwartetes Ergebnis
: Fruchtbarkeitszauber findet sich auf Ton und j
Knochen eingerizt, Wetterzauber dagegen auf Stein. Der
Verfasser folgert daraus, daß beim animalischen Fruchtbarkeitszauber
animalischer Werkstoff Verwendung fand,
und für den Zauber, welcher der Erde Fruchtbarkeit
bringen sollte, der erdgebundene Werkstoff Stein gewählt
wurde. Wichtig ist auch die Feststellung, daß
der Zauber der vorchristlichen Germanen sich als etwas
Höheres von der „Zauberei" des Mittelalters abhebt;
er wird nie mißbräuchlich gegen Verwandte oder Stammesgenossen
ausgenützt.

Obwohl Sierke die altbekannten Runeninschriften erläutert
, gelingt es ihm, neue Anregungen zu geben und

viele neue Ergebnisse zu gewinnen. Von ihnen konnte
nur ein Teil aufgezählt werden. Das Buch ist als Baustein
, das geistige Leben unserer Vorfahren zu erhellen
, sehr zu begrüßen.

Bonn Kurt Tackenberg

Grabert, Herbert: Der Glaube des deutschen Bauerntums.

Eine weltanschaitungskundliche und glaubensgeschichtliche Untersuchung
. 1. Bd. i Bauerntum und Christentum. Stuttgart: G. Trucken-
müller 1939. (XV, 457 S.) gr. 8°. RM 9.60; geb. RM 12-.

Ein Werk, dessen Schriftenverzeichnis 597 große
und kleine Veröffentlichungen aufzählt, die sein Verfasser
(neben anderen, lediglich in den Fußnoten erwähnten
Abhandlungen) nicht nur überlesen, sondern sorgsam
durchdacht und planvoll verarbeitet hat, darf seines
Wertes von vornherein sicher sein. Zumal wenn sich
ein solches Buch (wie es hier der Fall ist), durch begriffliche
Klarheit und den Mut zu vorsichtig abwägenden
Beurteilungen ebenso auszeichnet wie durch die Vornehmheit
seiner kritischen Stellungnahmen, die Selbstzucht
eines gepflegten Denk- und Schreibstils. Einer
solchen Leistung gegenüber versagt die bloße Inhaltsangabe
ebenso wie der einfach anerkennende Hinweis, sie
bedarf der weitergespannten Überprüfung ihrer Methoden
, Ergebnisse und Auswirkungen auch dann, wenn
wir noch nicht übersehen können, wieweit der zweite,
noch ausstehende Band der Untersuchung das Bild runden
wird. Was Gr. uns einstweilen gegeben hat, ist
dreierlei. Einmal eine ziemlich erschöpfende historischkritische
Darstellung der bisherigen Untersuchungen und
Bearbeitungen des Bauernglaubens von Seiten der soziologischen
, volkskundlichen, psychologischen, pädagogischen
, theologischen und religionsgeschfchtlichen Forschung
, der kirchlichen Praxis und Lehre, sowie der
Schilderungen des schöngeistigen Schrifttums. Zum andern
eine ausführliche Gegenüberstellung der christlichen
Lehrsätze („Wurzelkräfte und Grundwerte") mit dem
sieht- und greifbaren Bauernglauben unserer Tage, die er
in die Stichwortgruppen „Christus, Sünde, Gnade, Buße,
Kirche, Priester, Sakramente" auf der einen Seite, „Gott,
Ordnung, Recht und Gerechtigkeit, Arbeitsgemeinschaft,
Schicksals- und Erfahrungsgemeinschaft, Fest- und Feiertagsgemeinschaft
" auf der andern zusammenfaßt. Zum
dritten Ansätze zu einer weitergreifenden Erforschung
der Gedanken- und Erlebniswelt des bäuerlichen Menschen
im deutschen Volksraum. Als Ergebnis seiner Untersuchungen
bucht der Verfasser schließlich nochmals
eine abschließende Gegenüberstellung des „bäuerlichen"
und des' „christlichen" Menschen als zweier, innerlich
anscheinend unvereinbarer Lebensbilder.

Die Vielseitigkeit der Grabertschen Ausführungen
fordert von vornherein ein Besinnen darüber heraus, worin
denn nun das wissenschaftliche Ergebnis des Buches
besteht: in der Kontrastierung von (bäuerlichem) Leben
und (christlicher) Lehre mit ihren, zweifellos die
spätere Forschung gerade durch überschärfte Zuspitzungen
anregenden Problemstellungen, oder in der Fülle
des dargebotenen Stoffes, der Vielfalt angeregter und anregender
Gedanken rings um die bäuerliche Glaubens-
welt? Jedenfalls erscheinen dem volkskundlichen Rezensenten
Gr.s weitgespannte Fragestellungen meist fruchtbarer
als ihre notgedrungen noch recht vorläufigen und
allgemeinen Beantwortungen, die Hinweise auf Unter-
stichungswege wichtiger als die Versuche von Tatbestandsschilderungen
. Denn abgesehen davon, daß eine
solche grundsätzliche Gegenüberstellung der diesseitigen
Welt des Bauernlebens mit der jenseitigen der Christenlehre
allzuleicht wieder zu lebensfremden, geistig erstarrten
Idealtypen führt, abgesehen davon auch, daß
hier zwei sich nicht deckende Glaubensbegriffe (ein
engerer und ein weiterer) gegeneinander gestellt werden,
so hätte es zum Wissen um die Zwiespältigkeiten und
Spanntingsverhältnisse zwischen jedem Volksglauben als
offenbarer Lebensgegebenheit und einer „Hochreligion"
als geoffenbarten, von einer kirchlichen Organisation ge-