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Ausgabe:

1941

Spalte:

225-227

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bezzel, Hermann von

Titel/Untertitel:

Wort Gottes und Gebet 1941

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 7/8

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kannten These R. Rothes von der Aufhebung der organisierten
Kirche im den religiös-sittlichen Staat neue Gesichtspunkte
und damit Gegenwartsbedeutung abzugewinnen
. Es soll nachgewiesen werden, R.'s kirchlich-poli-
bische Grundforderung sei nicht begründet in der ge- i
genwartsfremden rationalspekulativen Außenseite seines
Denkens, sie erhebe sich vielmehr auf dem Fundament |
eines unbewußten „völkischen Erlebens". Als Mittel zu |
diesem Ziel bedient sich der Verf. mit sympathischem
Mut der Tiefen- und Entwieklungspsychologie.

Ein kritischer Überblick über eine Anzahl von Rothebiographien
lehnt deren Methode und Resultate ab und
macht das Feld frei für den eigenen Ansatz. Em 2. Ab- ,
schnitt „Spekulation oder Erfahrung" will nachweisen,
daß die spekulativ begründeten Thesen des Rotheschen
Systems über Staat und Kirche ungewollt mitbestimmt j
sind von der subrationalen Erfahrungswelt des Denkers,
da sie auch außerhalb des Systems und zeitlich vor ihm |
sich schon finden. Als charakteristisch für Rothes Den-
ken werden dabei ganz mit Recht 3 Grundeindrucke
herausgearbeitet: Die Überzeugung von der Letztlichen j
Einheit des religiösen und sittlichen Aktes betm Menschen
, das christlich-nationale Staatserlebnis, die Vergeistigung
als Tendenz des Weltprozesses. Aber der
3. Faktor, die „Vergeistigung", stört die Konzeption
des Vfs. vom „völkischen Erleben" R.'s, das er zwar
mit dem Nationalsozialismus nicht ganz zu identifizieren
wagt, ihm aber möglichst ainnähern möchte. Und so dekretiert
er, gestützt auf Scheinargumente: „Die »Vergei-
stigungsspekulation« erscheint als Fremdkörper im Ablauf
der Rotheschen Stellungnahmen zum Problem: Staat
und Kirche." (S. 54) Nichts ist aber typischer nicht
nur für das Denken, sondern auch für das Lebensgefühl
R. Rothes als die ganz spiritualistische Gewißheit von
der Vorläufigkeit alles Materiellen und seines Angelegtseins
auf „geistige Leiblichkeit." Die Überzeugung
von der „Vergeistigung" alles Materiellen ist aus der
< iniiidkonzeption der Rotheschen Weltanschauung ohne
einen Gewaltakt nicht zu entfernen, R. ist und bleibt
Spiritualist. So kann auch der Versuch des Vf.s in einem
temperamentvoll geschriebenen 3. Abschnitt über „Charakter
-Entwicklung und -Struktur Rothes" die Nebensächlichkeit
dieses „Hanges zur Vergeistigung" aufzuweisen
, keineswegs überzeugen. Der Spiritualismus bleibt
vielmehr ein integrierender Bestandteil auch der beiden
vom Vf. gut geschilderten für Rothe entscheidenden
Grunderfahrungen der Christusgestalt und des deutschen
Volkstums.

Diese notwendige Korrektur an der Zeichnung von
Rothes seelischer Struktur durch Vf. macht dann aber
auch die Verwendung der R.'schen Thesen über Kirche
und Staat für die deutsche Gegenwart, mit denen sich
ein kurzer Schlußabschnitt beschäftigt, unimöglich. Rothe
und der Nationalsozialismus sind einander so fremd
wie der Mythus des 19. und der des 20. Jahrhunderts.
Bonn (z. Zt. b. d. Wehrmacht) J. W. Schmidt-Japing

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Bezzel, Hermann: Wort Gottes und Gebet. Gebetsstunden. Hrsg.
v. Lic. Johannes Rupprecht. München: Paul Müller [1939]. (242 S.)
gr. 8°. RM 4.80.

Lk. Johannes Rupprecht fügt in diesem Bande
zu den von ihm in einer Reihe von Bänden herausgegebenen
Bibelstunden Bezzels die „Gebetsstunden", die vom
6. August 1914 bis 7. Oktober 1915 im Diakonissenhaus
zu München gehalten wurden. Der Text fußt auf Nachschriften
. Die Wiedergabe der lebendigen Rede weist
sich dem, der Bezzels Stil kennt, ohne Weiteres als treu
aus.

Der Druck enthält freilich eine Reihe von kleinen Fehlern, vor
allem in der Zeichensetzung. Mehrfach greifen Sperrdruck und Anführungszeichen
fälschlich noch über das angeführte Schriftwort hinaus
in Bezzels eigene Worte (z. B. 223. 225). An störenden Druckfehlern
bemerke ich S. 223 Z. 10 (lies „Zornesruten" statt „Zornesvater
"), S. 227 Z. 22 (lies „erkaufte" statt „verkaufte").

Die Frage, ob die Herausgabe nachgeschriebener
Predigten und Bibelstunden Bezzels berechtigt ist und
sich lohnt, kann, wie überhaupt so besonders im Blick
auf die vorliegenden Gebetsstunden nur mit einem lauten
Ja beantwortet werden. Der Herausgeber bezeichnet in
seinem Vorworte die Gebetsstunden „als die persönlichst
gehaltenen Zeugnisse", die Bezzel hinterlassen hat. Sie
scheinen mir in mancher Hinsicht auch die gewaltigsten
zu sein. Bezzel hat sie im ersten und zweiten Jahre des
des Weltkrieges gehalten. So greift man nach ihnen
heute mit besonderer Spannung. Sie sind, ohne daß der
Herausgeber Anfang März 1939 um den kommenden
neuen Krieg schon wissen konnte, gerade zur rechten
Stunde erschienen. Man liest sie mit der Doppelfrage:
bestehen sie vor der theologischen Besinnung, durch die
wir seit dem Weltkriege geführt sind; bewähren sie sicli
in unserer Lage? Und umgekehrt: besteht unsere heutige
Predigt im Kriege vor diesen Zeugnissen? Was lernen
wir aus ihnen für die rechte Verkündigung in
Kriegszeiten?

Bezzels Wort verleugnet in keiner einzigen dieser
29 Gebetsstunden die Kriegslage. Er geht immer wieder
ausdrücklich auf sie ein, auch auf einzelne Ereignisse.
Die Liebe zum Vaterlande, das Miterleben seines schweren
Kampfes, seiner Sorgen und Hoffnungen spricht
sich selbstverständlich und stark aus. Aber das alles
geschieht nun doch im Ernste vor dem Angesicht des
ewigen Gottes, des Gottes der Propheten, der Bibel.
Dieser Gott ist, obgleich er das deutsche Volk reich be-
! gnadet und vor anderen zur Führung begabt hat, kein
„deutscher Gott"; wir müssen lernen, „daß wir vor dem
Gott stehen, dem Deutschland so gleichgültig ist wie
Rußland" (205), heißt es gegenüber allem religiösen
Nationalismus. Die Hoffnung des Sieges wird nicht
auf die „gerechte Sache" Deutschlands gegründet, so
stark und gewiß Bezzel bezeugt: „in diesem Krieg hatte
Deutschland ein reines und gutes Gewissen". „Aber wer
kann auf dieser Welt von einer gerechten Sache reden"
— vor Gott? (104). Dieser Prediger erliegt nicht der
Versuchung, in der die evangelische Kriegspredigt bisweilen
versagt hat.

Er verkündet unbestechlich nur das Eine: Gottes
Willen in Gesetz und Evangelium. Dieses beides nun
aber als Seelsorger, ganz persönlich und konkret, mit
gewaltiger Vollmacht. Er ruft mit erschütternder Eindringlichkeit
zur Buße und zum Glauben. Zur Buße zuerst
. Er wagt es, mitten im deutschen Kriege, von der
Sünde zu sprechen, die Gottes Züchtigung verdient und
heraufgeführt hat. Durch die Reden geht tiefe Sorge
um Deutschland. Der Blick wird durch die großen Erfolge
nicht getrübt. Sorge macht dem Prediger die
Gefahr der Überheblichkeit, der religiösen Veiflachung,
des kirchlichen Liberalismus, bedenkliche Zeichen sittlicher
Entartung, auf die sehr offen hingedeutet wird (105.
148). Sorge und Bußwort gelten auch der Kirche und
den Christen mit schwerem Ernst; z. B. der „Orthodoxie
der Bequemlichkeit", „die weit mehr verwüstet als Wahnoder
Irrglaube" (182). Von besonderer Gewalt ist das
Bußwort an den Einzelnen. Der Prediger kennt das
wirkliche Menschenherz und seine Gebundenheit (z. B.
J 206). Dieses alles aber hat sein Ziel in dem Rufe zum
Evangelium, zum Glauben, zum Gebet aus tiefer Not
und Armut. Es ist echtes, starkes, tiefes Luthertum,
das in diesen Gebetsstunden das Wort führt.

Über den Adel, die Fülle, die Macht der Sprache
j Bezzels braucht man nichts mehr zu sagen. Viele Ab-
I schnitte sind von hinreißender rednerischer Kraft. Bewundernswert
, wie die Sätze meist auch bis in das Einzelne
durchgeformt und geschliffen sind. Oft hat die
Rede einen Einschlag lateinischer Stilistik. Man fühlt
sich da nicht selten an August in erinnert. Die klassi-
, sehen, geistesmächtigen, gedankenschweren Gebete vor
i jeder der Reden wahren meist die syntaktische Gestalt
j der lateinischen Meßkollekten und erweisen ebenso wie
| der alte Kollekten schätz der lutherischen Kirche die