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Ausgabe:

1939 Nr. 3

Spalte:

93-97

Autor/Hrsg.:

Heering, Gerrit J.

Titel/Untertitel:

Geloof en openbaring 1939

Rezensent:

Liechtenhan, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 3.

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Heering, Prof. Dr. O. J.: Geloof en Openbaring. I. Bd.: Kritische
Beschoiiwing over Dogmatiek en Moderne Theologie. II. Bd.: Richt-
lijnen voor een Dogmatiek op den Qrondslag van Evangelie en Reformatie.
Arnhem: van Loghum Slaterus 1935 u. 1937. (275 + 411 S.) gr. 8°.

Fl. 3.90; geb. 4.90 ; 4.90 ; geb. 5.90.

Dieses Werk ist aus der Situation der holländischen
Theologie erwachsen; es will das Gespräch zwischen
„rechtzinnig" und „vrijzinnig", das eine Zeit lang abgebrochen
war, wieder aufnehmen und weiterführen.
Der Verfasser, dessen kirchliche Heimat die remonstran-
tische Kirche ist, bekennt, daß er von der Seite der Modernen
herkommt und in wichtigen Punkten noch auf
ihrer Seite steht, aber an entscheidenden Stellen ihre
Schranken und Schwächen einsieht und überwinden
möchte. Die „Rechtsmodernen" oder „Malconteiiten",
zu denen sich Heering rechnet, zeigen eine Entwicklung
in der Richtung an, daß sie dem überlieferten Bestand
des christlichen Olaubcnslebens und der kirchlichen Verkündigung
wieder gerechter zu werden suchen. Diese
Linie führt H. energisch weiter. „Die Zeit ist vorbei,
sagt er, da man einfach aus einer persönlichen Weltanschauung
eine Theologie aufbaute, ohne stark nach dem
Zusammenhang mit der Gedankenwelt des Evangeliums
zu fragen." Im Gegensatz dazu knüpft denn auch er
selbst nicht bei irgendwelchem religiösen Apriori an,
sondern bei der Urkunde des N. T. und wirft der bisherigen
freisinnigen Theologie vor, daß sie an der Unklarheit
über den Begriff von Offenbarung und Glauben
scheitere; diese vernachlässigte Untersuchung greift er
min auf als unentbehrliche Voraussetzung der Dogmatil«.
Das Buch will erst eine Methodologie, Richtlinien für
eine Dogmatik geben; aber es bietet schon eingehende
Erörterungen zentraler dogmatischer Fragen und wertvolle
Bestimmungen Über den Inhalt des christlichen
(Haubens.

„Was ist Dogmatik?" fragt das 1. Kapitel und grenzt
sie gegen philosophische Erkenntnis ab. Sie hat es mit
dem Geheimnis zu tun, über das Aussagen nur in Form
von Symbolen möglich sind; aber diese sind der Wirklichkeit
oft näher als abstrakte philosophische Begriffe.
Sie gehl immer von persönlichem Olaüben aus, aber hinter
diesem steht immer zugleich das Kollektive, die
Autorität der Gemeinschaft; so wird ein purer Individualismus
vermieden. Dogmatik ist deskriptiv und normativ
zugleich; sie hat die Aufgabe, Art und Inhalt
des christlichen Glaubens, gesehen von der Glaubensgemeinschaft
aus, der man angehört (Kirchlicher Charakter
der Dogmatik), kritisch zu beschreiben, zu reinigen
und zu vertreten, mit dem Ziel, damit sowohl der Wahrheit
als der Kirche zu dienen. (Bd. I, S. 48). Die Beschränkung
auf eine bloße Religionswissenschaft wird abgewiesen
; Dogmatik will Wissenschaft von Gott sein; sie
geht deduktiv vom Glauben aus, will die Sprache Gottes
verstehen, die allein die letzten Fragen löst und vom Glauben
allein verstanden wird. Aber deshalb wird doch ihr
wissenschaftlicher Charakter festgehalten und verteidigt.
Er besteht auch darin, daß sie das Gespräch mit dem
allgemeinen Wahrheitsbewußtsein und der Philosophie,
die ja über sich selbst hinausweist, zu führen hat. Denkender
Glaube und gläubiges Denken müssen sich ergänzen
; sie laufen nicht beziehungslos neben einander
her, sondern suchen sich, aber der Schnittpunkt ist nicht
zu sehen, er ist nicht Besitz, sondern Aufgabe und Ziel.

Von diesen Prämissen aus tritt nun H. in die Kritik
der modernen holländischen Theologie ein und behandelt
zuerst die „modernen Väter", d. h. die Generation von
Mitte des 19. Jahrb. bis zum Weltkrieg, die durchaus
Unter dem Bann der naturwissenschaftlichen Methode
und der Ablehnung des Übernatürlichen steht: Schölten
, Cannegieter, Bruining, Groenewegen.
Aiber auch die folgende Generation der „freisinnigen
Zeitgenossen" steht noch unter dem Bann der Identitätsphilosophie
und hat davon mehr aufgenommen als für
ihren theologischen Charakter gut war. Hier behandelt
H. die „kritische Theologie" Snethlages, den Hegelianer
Haentjens, den Fechnerianer de Graaf und

den unter dem Einfluß Rudolf Ottos sowie der badischen
Philosophenschule stehenden, aber auch von der dialek-

: tischen Theologie stark beeindruckten Roessing h;
des letzteren theologischen Denkens trägt schon die Elemente
zur Ueberwindung der alten freisinnigen Theologie
in sich; er ist aber durch seinen frühen Tod verhindert
worden, diese Linie auszuziehen; man kann sagen, daß
sich H. zum Vollstrecker des Willens dieses mit großer
Sympathie gezeichneten Theologen berufen fühlt. Der Berichterstatter
ist nicht in der Lage, zu beurteilen, wie

' zutreffend Darstellung und Kritik dieser Theologenreihe
ist. Aber er kann sagen, daß sie das Muster vornehmer,
wohlwollender und doch den Widerspruch entschieden
äußernder Kritik ist; sie ist bestrebt, die leitenden Gedanken
und das tiefste Wollen eines jeden zu erfassen
und hält sich von jedem gehässigen Ton frei. Ich konnte
diese Partie nicht ohne den Stoßseufzer lesen: wie anders
stände es, wenn das theologische Gespräch immer in diesem
Ton geführt würde!

Diese Darstellung und Kritik, die den ersten Band
alischließt, hat schon überall H.s eigene Position durchblicken
lassen. Nach 2 Jahren ist der 2. Band gefolgt,
der das, was im den Vorgängern vermißt wurde, selbst
zu bieten versucht: die gründliche Klärung der Begriffe
Offenbarung und Glaube. Als Bewußtseinsvorgang ist
der Glaube einer phänomenologisch-psychologischen Untersuchung
durchaus zugänglich; wenn die dialektische

j Theologie eine solche ablehnt, so verwechselt sie Psychologie
und Psychologismus. Diese Untersuchung wird

, aber nicht angestellt an einem abstrakten religiösen

i Bewußtsein, sondern an der ursprünglichen Gestallung,

I dem Glaubenszeugnis des N.T. Wir können auf die Ein«
zelheiten der an feinen Beobachtungen und Formulierungen
reichen biblisch-theologischen Untersuchung nicht
eintreten; auch der Neutestamentlcr empfängt hier wertvolle
Hinweise.

Überall tritt hier die Grundthese klar in den Mittelpunkt
: Offenbarung und Glaube sind Korrelate, sie sind
immer aufeinander bezogen, eines ist nie ohne das andere.
Es ist c i n geistiges Geschehen, das sich in zwei Akten
vollzieht: dem Akt Gottes, der sich der menschlichen
Psyche zuwendet, und dem pneumatisch-psychischen Akt
des Mensche«, der sich (iott zuwendet. Was für den
Menschen wirkliche Offenbarung ist, das glaubt er,
und was er wirklich glaubt, das ist ihm Offenbarung.
Gegenstand des Glaubens ist immer die göttliche Wirklichkeit
, die uns in Jesus Christus begegnet, erfaßt und
iimschafft, eine Macht und Dynamik, ein auf uns gerich-

j tetes Geschehen, ein passives Erleben, das uns in eine
neue Aktivität versetzt, ein pneumatisches Geschehen, das
psychische Wirkungen in uns auslöst, eine Gemeinschaft
stiftende Macht, ein Anfang, der die Hoffnung auf Vollendung
erweckt. *

Inhalt der Offenbarung ist nicht eine Doktrin oder
Theologie, sondern ein Handeln, eine Gesinnung Gottes.
Sic ist Enthüllung eines Verborgenen, zu dem der Mensch
von sich aus keinen Zugang hat. Hier wird die Unterscheidung
zwischen manifestatio (Sichtbarwerden des zeitweise
Verhorgcuen) und revelatio (Enthüllung des grundsätzlich
Unzugänglichen), deren Fehlen so viel Verwirrung
anrichtet, klar durchgeführt. H. tut hier den entscheidenden
Schritt über die „freisinnige" Theologie
hinaus: Inhalt der Offenbarung ist eine der Welt und un-
serm Bewußtsein transzendente Wirklichkeit, mit der
es der Glaube allein zu tun hat und die uns eben nur
durch Offenbarung, nicht durch rationale Denkopera-

' tionen zugänglich ist. Die immanente Gottesauffassung
wird resolut verlassen, eine theologia naturalis wird abgelehnt
und eine theologia revelationis postuliert; denn
die Wesenszüge Gottes, seine Heiligkeit und Persönlich-
lichkeit, können nie aus einem Nachdenken über Kosmos
oder Gewissen abgeleitet werden.

Hier kommt nun dem heiligen Geist entscheidende
Bedeutung zu: er schafft die Berührung zwischen der
göttlichen sicli offenbarenden Wirklichkeit und dem sie