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Ausgabe:

1939 Nr. 2

Spalte:

66-71

Titel/Untertitel:

Der Katholizismus 1939

Rezensent:

Ruttenbeck, Walter

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G5

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 2.

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horsam glaubt (S. 19). Wenn der Satz: Der Glaubende
allein ist gehorsam, nicht ergänzt wird durch den an-
deren Satz: Nur der Gehorsam glaubt, dann entsteht
die Gefahr der „billigen Gnade" (S. 25). 5. Kreuz ist
nicht Ungemach und schweres Schicksal, sondern es
ist das Leiden, das aus der Bindung an Jesus Christus '
allein erwächst. Kreuz ist nicht zufälliges, sondern notwendiges
Leiden (S. 41). 6. Der Bruch mit den Un- |
mittelbarkeiten der Welt ist nichts anderes als die Er- I
kenntnis Christi als des Sohnes Gottes, des Mittlers

Diese grundlegenden Thesen B.'s zeigen deutlich, daß
B. nicht mit einer „Gesinnungsethik" die Gesetzlichkeit
des Buchstabens überwinden will, sondern daß er dem j
Wort Jesu eine neue Autorität zuschreibt, die nicht
dem Gesetz, sondern dem Geist Gottes entspricht. Besonders
deutlich sagt dies der Abschnitt „der einfältige
Gehorsam" (S. 33—38). „Das paradoxe Verständnis
der Gebote hat sein christliches Recht, aber es darf
niemals dazu führen, daß es das einfältige Verständnis
der Gebote aufhebt" (S. 36) oder „Es bleibt also dabei,
daß das paradoxe Verständnis des Gebotes Jesu das
einfältige Verständnis einschließt, gerade weil wir nicht
tin Gesetz aufrichten, sondern Christus verkündigen wollen
" (S. 37). Wie ist übrigens das Wort „einfältig"
gemeint, im menschlich-profanen Verständnis oder im
Sinne von Mt. 6,22; Lk. 11,34? An diesem Punkt wird
eine sehr ernste und schwere seelsorgerliehe Aufgabe
sichtbar, wie jeder Pfarrer wohl weiß: in der Auffassung
der Gemeinde neigt man oft dazu, die „Para-
doxie" der Nachfolge zu verkennen, in einem bestimmten
theologischen „Intellektualismus" dagegen ihre „Einfalt".
Allerdings wird es Stimmen geben, die B. den Vorwurf
der „Gesetzlichkeit" machen, denn jeder Versuch,
die „Einfalt" des Gehorsams zu schützen, steht im Verdacht
der Gesetzlichkeit. B. warnt: „Der prinzipielle
Kampf gegen die „Gesetzlichkeit" des einfältigen Gehorsams
richtet selbst das allergefährlichste Gesetz auf,
das Gesetz der Welt und das Gesetz der Gnade. Der
prinzipielle Kampf gegen die Gesetzlichkeit ist selbst
am allergesetzlichsten" (S. 37). Ein anderer Einwurf
würde vielleicht darauf hinweisen, daß doch das Problem
der Geschichte und der veränderten Situation nicht ernst
genug behandelt seien, wie auch das S. 35 geschilderte I
Verhalten des „pseudotheologisch dressierten" Kindes
zeige. Wird nicht gerade die Reichweite des Handelns
und Wirkens eines Christen durch ein Ernstnehmen
der Nachfolgeforderung beschränkt und gefährdet? Man
wird mit diesen Einwürfen rechnen müssen, aber B.
wird vielleicht darauf aufmerksam machen, daß derartige |
Einwürfe im strengen Sinn theologisch, d. h. von der
Christologie her bestimmt sein müssen. Aber wir befinden
uns auch hier wieder an der Grenze dessen, was
die Gegenwart als „Religion des protestantischen Menschen
" ansieht. Auch hier kommt man zu einem Nachfolgeverständnis
, das ich als Gegenstück zu B. doch
erwähnen möchte. Der jetzt viel gelesene Kommentar j
zum Mk.-Evangelium von M. Erich Winkel schreibt zu
8, 34: „Es geht Jesus hier um das Hinauskommen über
das kleine Ichselbst zur Hingabe über das Ich hinaus,
unbeschränkt durch menschlich-ichliche Furcht und In-
teressen nach dem Willen seiner Botschaft: Liebe und j
Hingabe zu geben. Heute wird man das endlich wieder !
richtig verstehen. Wer sein kleines Ich bewahren will
und nur in diesem Sinn handelt, wird sein Leben verlieren
. Wer bereit ist, sein Ich dranzugehen an Liebe
und Hingabe über das Ich hinaus, wird das Leben aus
Gott sich erhalten" (S. 48). Tatsächlich ist das, was
hier gesagt wird, noch nicht einmal unrichtig und steht
auch in einem bestimmten Verhältnis zu dem, was
Mk. 8,34 gemeint ist, aber erschöpfend ist es nicht.
Das Nachfolgeproblem entscheidet tatsächlich über die
christliche Existenz und wird zur Selbstkritik der Kirche,
sowohl positiv in der Art der Entfaltung als auch negativ
in der Abgrenzung. Ich glaube, daß B.'s Buch unserer
Gegenwart etwas zu sagen hat, obwohl der Exeget
mit der hier gegebenen Textauslegung oft nicht einverstanden
sein kann. Die philologische Kleinarbeit, die
Hereinstellung des Textes in seine geschichtlich-einmalige
Situation, die ernsthafte textgemäße Begründung theologischer
Vermutungen und Hypothesen kommen zu kurz,
während andererseits der Ausgestaltung etwas Zeitlos-
Abstraktes und Systematisiertes anhaftet, Eigenheiten des
Verf., in die man sich erst einarbeiten muß. Andererseits
deutet doch manche Formulierung an, daß unser Verf.
mit dem exegetischen Arbeitsstoff und mit der Geschichte
der Auslegung von Mt. 5—7 und Mt. 10 gut vertraut
ist, so daß man ihm nicht bewußte Vernachlässigung
dieser Aufgaben vorwerfen kann. Ich kann auch bezeugen
, daß unsere Studenten das Buch mit innerer
Anteilnahme aufgenommen haben, in dem Wissen darum,
daß die Frage der Nachfolge Jesu sich in den Aufgaben
der Theologie und des Christentums verbirgt.

Halle (Saale). Otto Michel.

[Mensching, Gustav:] Der Katholizismus. Sein Stirb und Werde.
Von katholischen Theologen und Laien. Herausgegeben von Gustav Mensching
. Leipzig: J. C. Hinrichs 1937. (247S.) gr. 8°. RM 4.50; geb. 5.80.
Das Buch ist der Ausdruck der inneren Not katholischer
Deutscher. Als solches will es den Glaubensbrüdern
, die mit den gleichen Fragen ringen, zeigen, wie
man Katholik sein kann, ohne unwahrhaftig zu werden;
ebenso soll den evangelischen Mitchristeil bewiesen werden
, daß das, was sie von den Katholiken trennt, nur
Menschenwerk ist; und schließlich ist das Ziel auch dies,
den deutschen Volksgenossen deutlich zu machen, daß
es einen echten Katholizismus gibt, der nicht etwas
dem deutschen Geiste Wesensfremdes darstellt (3).

Dieses Wesensfremde ist der Scholastizismus; es hängt somit eng-
stens zusammen mit der Grundlage der katholischen Theologie überhaupt
. An dieser wird scharfe Kritik geübt. Das geschieht vor allem
im ersten, „Abbau" überschriebenen Teil. Diese Kritik ist zunächst
eine prinzipielle; sie betrifft das Verhältnis von Religion und Philosophie.
Deutlich wird zum Ausdruck gebracht, daß es praktisch unmöglich sei,
Religion durch Metaphysik zu begründen (46). Dazu kommt, daß der
dem thomistischen System zugrunde liegende Aristotelismus der ihm
seitens der Kirche übertragenen Aufgabe nicht gewachsen ist: seine Begriffe
sind vorwiegend an Naturerscheinungen gebildet und verkennen
so die Sonderart des Geistigen ; er ist rein intellektualistisch und eben
damit von vorneherein ungeeignet zur Verwendung bei der Gotteserkenntnis
; das umsomehr, als er wesentlich deistischen Charakter trägt (49 f.).
Darum kann das Urteil nur lauten: „Alle, die heute auf thomistische
Philosophie und Theologie schwören, beweisen damit, daß ihnen die
Idee einer wahrhaft christlichen Theologie noch garnicht aufgegangen
ist" (51); ein ungenannter katholischer Theologe hat völlig recht, wenn
er sagt: „Die aristotelisch-thomistische Philosophie ist der Mühlstein,
der den Katholizismus in den Abgrund ziehen wird, wenn er nicht von
ihm befreit wird" (69). - Nach den philosophischen werden auch die
historischen Grundlagen des katholischen Lehrsystems angegriffen. Das
geschieht von der „modernen Bibelkritik" her (52 ff.). Das synoptische
Jesusbild wird dem johanneischen gegenübergestellt, und in diesem Zusammenhang
heißt es: „Es ist die Großtat der kritischen Theologie, uns
den historischen Jesus geschenkt zu haben", „der historische Jesus aber
ist ein anderer als der scholastisch-dogmatische Christus" (53 f.) Ganz
im Sinne der historisch-kritischen Schule werden hier besonders die
Kindheitsgeschichten und die Auferstehung einer Kritik unterzogen ; im
Blick auf jene wird gesprochen von „gleichnishafter Einkleidung einer
tiefer liegenden und ewig gültigen religiösen Wahrheit" (55), und was
die Auferstehung betrifft, so wird von der Anschauung, daß sie physischmateriell
aufzufassen sei, gesagt, daß eine dogmatisch nicht gebundene
Forschung da nur ein non liquet aussprechen könne (56). Es ist fernerhin
eine Auswirkung der Herübemahme der historisch-kritischen Betrachtung
, daß ebenfalls die katholische Auffassung von der Stiftung der
Kirche ins Wanken kommt: Jesus war Prophet und lehnte als solcher
alle zur bloßen Form gewordene Religion ab; er stand unter dem Eindruck
des Endes der Welt und konnte also auch aus diesem Grunde
nicht an die Stiftung einer Kirche gedacht haben; ebenso ist zu beachten
, daß die altkirchlichen Theologen die Worte Mt 16, 18 ff. niemals
im Sinne eines Rechtsprimates verstanden haben (57 ff.). — Außer den
philosophischen und historischen Grundlagen der katholischen Theologie
werden schließlich auch die wichtigsten dogmatischen Lehren einer Kritik
unterzogen. Das ethische Gefühl des modernen Menschen nimmt
Anstoß an den Sätzen von Sündenfall und Erbsünde und ewiger Verdammnis
. Die Satisfaktionstheorie in ihrer spitzfindigen juridischen
Dialektik ist unvereinbar mit dem Gott, den Jesus verkündet hat; unerträglich
ist nicht zuletzt die Lehre von der Gnade als einer physisch-