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Ausgabe:

1938 Nr. 7

Spalte:

127-129

Titel/Untertitel:

Gedenkschrift zum 400. Todestage des Erasmus von Rotterdam 1938

Rezensent:

Wolf, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 7.

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men wohl am schönsten zur Entfaltung in den Visionen
„Das fließende Licht der Gottheit" der Begine Mechthild
von Magdeburg.

In einem Anhang stellt Gr. fest, daß für die Ketzer
(Manichäer) des frühen 11. Jährhunderts kennzeichnend
sind: Enthaltsamkeit von Fleisch, Keuschheit, Ablehnung
von Taufe, Abendmahl und Beichte. Die der religiösen
Bewegung des ausgehenden Jahrhunderts anhaftenden
Leitgedanken der apostolischen Wanderpredigt und der
evangelischen Armut sind ihnen noch unbekannt.

Das Namen- und Sachverzeichnis ist sehr willkommen
. Mehr als 15 Seiten umfaßt das Verzeichnis der benutzten
Quellenwerke und Schriften, das eine erstaunliche
Kenntnis der ausgedehnten Literatur, vor allem auch
der französischen, italienischen und holländischen beweist
.

Koblenz. Wilhelm Dersch.

Gedenkschrift zum 400. Todestage des Erasmus von Rotterdam.

Hrsg. von der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft zu Basel.
Basel: Verlag Braus-Riggenbach 1936. (325 S.) gr. 8°. Fr. 12.50.

Diese inhaltreiche Gedenkschrift beginnt mit einer
Übersetzung der 2. vita des E. durch Beat Bild (Rhenanus
) aus dem Widmungsbrief vor der Gesamtausgabe
der opera des E. an Karl V von 1540 (P. S. Allen, Op.
Epist. Des. Erasmi Rot. I, 53—71) und des Berichts über
den Tod des E. aus der 1. vita (1536). In der Einleitung
dazu klärt A. Hartmann (der Übersetzer des
Encomion moriae, 1929) die Differenz in den Angaben
über das Datum des um Mitternacht eingetretenen Todes
des E. zwischen den brieflichen Quellen (11. Juli 1936)
und dem Grabstein (12. Juli) durch den Hinweis auf das
herkömmlicherweise um eine Stunde vorgehende horo-
logium Basiiiense (S. 11—24). — Aus dem Nachlaß
von P. S. Allen folgt eine knappe und sorgfältige
Skizze der Entwicklung des E. bis zum ersten Pariser
Aufenthalt (1495): The young Erasmus (S. 25—33). —
B. Croce behandelt das Verhältnis des E. zu den
Neapler Humanisten; es ist fast durchweg literarisch.
E. hat den spielerisch-humanistischen Paganismus dieser
Männer ebenso abgelehnt wie ihren nicht minder spielerischen
Cfceronianismus, aus einem sicheren Empfinden
dafür, daß es sich hier um Zeichen eines Verfalls
handelt (89—97). — Daß umgekehrt der Einfluß des E.
auf die sittlichen und religiösen Auffassungen in Italien
des 16. Jhs. erstaunlich weit gegangen ist — gewiß
auch um der vom italischen Humanismus hier erfolgten
Aufbereitung des Bodens willen, was Vf. hätte deutlicher
herausstellen können — zeigt der Artikel von Delio
Cantimori: Note su Erasmo e la vita morale e reli-
giosa italiana nel secolo XVI (98—112). Bis in die
Gegenwart hinein erstreckt sich hier die bildungsgeschichtliche
Wirkung des E. — Für das 18. als das
klassische Jahrhundert der Erasmus-Renaissance geht ihr
W. Kaegi in einem geistesgeschichtlich reizvollen Aufsatz
(„E. im achtzehnten Jahrhundert", 205—227) nach.
Niemals wurde E. mit lebendigerer Anteilnahme gelesen
und immer wieder gedruckt. Das Dokument dafür ist
die große Leidener Gesamtausgabe durch Joh. Clericus,
zumal auf dem Hintergrund eines eigentümlichen Ringens
zwischen calvinistischer Orthodoxie und humanistischer
Moderne, Denkmal der Geburt eines neuprotestantischen
Rationalismus in der Theologie auf dem Grund
des Arminianismus. Man greift zu des E. Adagia, zu den
Colloquia, zum Encomion und zu den kleineren Schriften
des Lateinpädagogen ebenso wie zum Enchiridion
— und vergißt über der Lektüre nahezu den Namen des
Autors, bis dann gegen Ende des Jh.s das biographische
Interesse an der so wirkungskräftigen Gestalt wach wird
und damit zugleich jenes unmittelbare und theologische
einem historisch eingestellten Interesse an E. zu weichen
beginnt. Das Jh. des E. ist abgelaufen. Der Schluß der
Studie führt über Herder zum Bildungsgedanken der
deutschen Klassik. — Über das Schicksal der schon bei
Lebzeiten (1525) an Joh. a Lasko verkauften Bibliothek
des E. berichtet F. Husner (228—259), zugleich ein

Beitrag zur Lebensgeschichte ihres zweiten Besitzers. —
„Die Erasmusbildnisse von Hans Hol he in d. J." behandelt
P. Ganz (260—269, 6 Tafeln), des E. Wohnstätten
in Basel — drei Häuser Frohenis — P. Roth
(270—281, 1 Plan, 2 Tafeln), das Legatum Erasmianum,
dem Testament gemäß von Bonif. Amierbach errichtet, C.
Roth (282—298). — Eine Ergänzung zu der Untersuchung
von A. Werthemann, Schädel und Gebeine des
E. v. R., 1929, stellt der Aufsatz von E. Major über
„die Grabstätte des E." dar (299—315, 5 Abb. 4 T.);
und sinngemäß fügt sich diesem Beitrag zum Schluß
die kritische Zusammenstellung „De carminibus Nicolai
Olahi (f 1568) in mortem Erasmi seriptis" durch L.
Juhäsz an (316—325).

Mit Einzelwerken des E. beschäftigen sich drei Beiträge
: R. Pfeiffer sucht — „Die Wandlungen der
,Aritibarbari"' (50—68) — in Anknüpfung an frühere
Arbeiten (Humanitas Erasmiana, 1931) auf Grund der
dem Druck (1520) voraufgehenden Fassung (1494-95)
der Antibarbari in der neugefundenen Hs. von Gouda
(abgedr. bei A. Hyma, The youth of E., 1930) einmal
die Frage nach vermuteten Wandlungen des E. in der
I Zwischenzeit zu beantworten und zum anderen diejenige
nach einer Rekonstruktion der Ur-Antibarbari der Klo-
! sterzeit. Ergebnis: „Trotz aller Wandlungen durch drei
Jahrzehnte sind die A. im Wesen und Ziel sich gleichgeblieben
. . . ein Dokument für die Einheit im Denken
des E. selbst". — Weniger ertragreich für die Kenntnis
des E. ist die Studie von A. Rüegg, die des E.
„Lob der Torheit" mit der „Utopie" des Thomas Mortis
vergleicht und weitgehende Übereinstimmungen in der
inneren Haltung dieser beiden Improvisationen feststellt.
Beachtlich ist der Versuch einer neuen Analyse der
„Utopie" (69—88). — Alphonse Roer seh Un con-
trefacteur d'Erasme: Lambertus Campester (113—129),
wendet sich den Colloquia zu, um die Hypothese aufzustellen
, daß mit dem Fälscher der Colloquia, dem Dominikaner
Lambert Campester, identisch seien: 1) der
calumniator Lutheri L. Campester Germanogallus und
2) der Vf. der Oratio laudatoria pro Francisco Valesio
(Franz. I), Laurentius C. —

An den Menschen E. sucht Gertrud Jung durch
eine Schilderung der spannungsreichen Freundschaft zwischen
E. und seinem spanischen Schüler J. L. Vives
(1492—1540) heranzuführen, den E. an seiner Augustin-
ausgabe, nicht ohne gewisse Überforderung und — nach
buchhändlerischen Fehlschlägen — kühle, fast eifersüchtige
Zurücksetzung, mitbeteiligte (130—143). — J. Hui-
z i n g a zeigt — „E. über Vaterland und Nationen"
(34—49) — wie E. aus seinem philosophischen Kosmopolitismus
heraus den Nationalstolz als philautia, die
I Vaterlandsliebe als verzeihliche Schwäche beurteilt, denen
| er sich doch trotz eines erheblichen Abstands von den
meisten humanistischen Zeitgenossen, selbst nicht ganz
entziehen kann, wenn er z. B. auf Holland als seine
Heimat zu sprechen kommt: „es gibt kein menschlicheres
" Volk. Aber auch da schwingt bereits jene
Gleichgültigkeit gegenüber den Nationen mit, die aus
dem tiefen Empfinden einer inneren Verbundenheit aller
derer stammt, die sich zur Haltung der humanitas gestalten
. — Über „die politische Hoffnung des E. und
ihren Zusammenbruch" (144—165), über seine Idee der
tranquillitas orbis ehristiani und die in ihr mit dem
Bildungsideal der bonae literae zu verbindende pietas
evangelica, über das erasmianische Ziel der concordia
j auch gegenüber der Kirchenspaltung erführe man gern
etwas mehr, als der wenig über eine erste Zusammenstellung
von Material hinausgreifende Beitrag R. Li echte
n h a n s — so sauber er gearbeitet ist — zu bieten ver-
j mag. Lehrreich wäre z. B. ein wirklich durchgeführter
I Vergleich zwischen E. und Luther in ihrer Einstellung
| zum Türkenkrieg unter dem Gesichtswinkel „christlicher
I Politik".

Nicht selten wird in den einzelnen Beiträgen das
I Problem E. und die Reformation gestreift. In auf1-