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Ausgabe:

1938 Nr. 13

Spalte:

237-239

Autor/Hrsg.:

Bergmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Die natürliche Geistlehre 1938

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 13.

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auf Miltou eingewirkt habe, hält er nicht für ausreichend
begründet. Struck schließt dann mit einer kurzen
Geschichte des Nachlebens Böhmes im 18. Jahr- |
hundert. Mit William Law, wohl dem größten Nachfolger
und Künder Böhmes in England überhaupt, durchbricht
seine Mystik den Bann des Rationalismus; eine
von Anhängern Laws besorgte Neuausgabe der Über- I
Setzung von Böhmes Werken schafft seinem Oedanken- I
gut weitere Verbreitung und trägt es Blake und Cole-
ridge zu, in deren geistesverwandter Dichtung und Philosophie
es neuen, bedeutsamen Ausdruck findet.

Nur einige Hauptgedanken konnten aus dem reichen
Inhalt des Werkes herausgehoben werden. Erstaunlich j
'st die Häufigkeit und Vielgestaltigkeit der Wirkung
Böhmes, die bald offenkundig, bald und zumeist verhüllt
die englische Geistesgeschichte durchzieht. Dies
nachgewiesen zu haben, ist das besondere Verdienst der
umfassenden, eindringlichen und gewissenhaften Arbeit
Strucks. Zugleich hat er mit ihr erneute Anregung
gegeben, die deutsche Literatur in ähnlicher Weise zu >
durchforschen, und man dürfte auch hier noch zu manchen
fruchtbaren Ergebnissen kommen-

Güttingen. W. Iiuddecke.

Bergmann, Ernst: Die natürliche Geistlehre. System einer I
deutsch-nordischen Weltsinndeutung. Stuttgart: Georg Truckenmüller
11937]. (VII, 389 S.) gr. 8°. RM 7.50; geb. 9—. |

Ernst Bergmann war bisher, besonders durch seine |
Bücher: Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1932) I
und: Deutschland, das Bildungsland der neuen Menschheit
(Breslau 1934), als ein besonders krasser Vertreter
des „Deutschglaubens" bekannt und wurde als solcher
in vielen Kirchenblättern und Vorträgen, die sich die
Auseinandersetzung mit dem Deutschglauben bequem i
machten, „widerlegt". Bergmann ist jedoch eine Persönlichkeit
für sich und in keiner Weise typisch für
eine Gesamthaltung, die man irgendwie als „deutsch-
gläubig" bezeichnen könnte. Das zeigt die systematische i
Zusammenfassung seiner Gedankenwelt, die er hier vorlegt
, aufs deutlichste. Ob er sich damit nun in gewissen
deutschgläubigen Kreisen oder Gruppen, denen es I
an geistigen Führern fehlt, durchzusetzen vermag (etwa
bei den durch die Zeitschrift „Nordland" bestimmten),
bleibt abzuwarten.

„Die natürliche Geistlehre" ist ein popularphilosophi- j
sches Werk, das, geschickt, z. T. bestechend geschrieben, |
vor allem auf philosophisch weniger Geschulte Eindruck j
machen wird. In sechs Abschnitten von je sechs „Sätzen"
«ntfaltet sich das System in Form eines psychologisch
gut aufgebauten Gespräches mit einem „Mitunterredner
", der für Bergmanns Anschauungen ge- j
Wonnen wird, der zunächst Einwände äußert (wie sie j
dem Leser auch kommen werden), jeweils nach und nach
widerlegt bzw. überzeugt wird und sich dann restlos
zu Bergmanns Ansichten bekennt und sie bewundert.
wenn auch uns, die wir alle an einer irgendwie „kritischen
" Philosophie gebildet sind, Bergmanns Gedanken !
»naiv" und unphilosophisch scheinen, so sollten wir sie j
nicht zu leicht nehmen und nicht zu schnell über sie j
hinweggehen — in einer Zeit, da so vieles, was uns
auf geistigem Gebiet festzustehen schien, ins Wanken |
gerät. Ich folge der Darstellung des Buches.

1. Vorfragen. Erkenntnistheorie macht, wie Bergmann ausführt,
nicht allein die Philosophie aus. Weltsinndcutung ist nötig. Darin (
sind wir mit ihm einig. Die Weltsinndcutung, die er geben will, soll
arteigen und artgemäß sein. Als Zielsetzung lehnen wir dies ab.
wohl wissen wir, dal! wir nicht aus unserer Art herausgelangen und sie i
"icht ablegen können, auch nicht, wenn wir Philosophie treiben ; aber j

sehen es gerade als Ziel an, wenn wir den Sinn der Welt |
deuten (wohlbemerkt, wenn wir dies tun, nicht etwa auf allen Ge- |
ES*"« z- B- dem der Kunst), zu etwas Allgemeingültigem zu kommen. 1
Wahrend wir nach Wahrheit streben, also nach einer Wahrheit,
Jllc für alle wahr ist, nicht bloß für unsere Art bleibt Bergmann I
oewuiit im Relativismus. Ferner will er eine zeitgemäße Philosophie
und versteigt sich zu dem grotesken Standpunkt, nicht |
a zuviel Philosophiegeschichte mehr studieren zu lassen und vor i
allem erst in den späteren Semestern, wenn der junge Akademiker |

bereits den Grundstock einer eigenen und zeitgemäßen Weltsinndeutung
und Wertesetzung erkämpft hat (S. 19f.)! Damit steht die Gegenwart
auf sich. Die Geschichte ist ausgeschaltet. Tatsächlich war nach Bergmann
das bisherige Philosophieren weithin ein Irrweg. Weiterhin verlangt
B. eine weltangepaßte und gegenstandstreue Philosophie und eine
gesunde und natürliche Philosophie, „die unser Denken ordnet, unseren
Willen stark macht, unser Gemüt beruhigt und beglückt" (S. 30), ganz
im Sinn des Pragmatismus. Endlich will er sich auf Wissen und nicht
auf Glauben stützen (S. 37), dabei nicht berücksichtigend, daß es ohne
Glaubensakte keine Weltanschauungsbildung und keine Weltsinndeutung
gibt und daß das Wissen doch wohl gerade verhältnismäßig weniger
„arteigene" Bestandteile enthält als das Glauben.

II. Erkenntnislehre. Die „kopernikanische" Umdrehung Kants
dreht Bergmann zurück bzw. er stellt das auf den Kopf Gestellte wieder
auf die Beine (diese Ausdrucksweise S. 322 f.). Er lehrt einen „naiven
Realismus", wie wir es nennen. Was wir seit Kant als Erkenntniseigenschaften
ansehen, seien in Wahrheit subjektive Nachbildungen objektiver
Weltformen. Der Geist sei ein Stück Natur; und nur weil der
Verstand während seiner Bildungszeit unter dem Naturgesetz gestanden
sei, stehe im Erkenntnisakt die Natur unter dem Verstandesgesetz. Von
dieser Umdrehung ist der Gesprächsteilnehmer ganz erschöpft!! Ein Beweis
wird nicht geführt. Eine Beweispflicht falle dem zu, der etwas
Ungewöhnliches, jeder gesunden Vernunft Zuwiderlaufendes behaupte
(S. 101). Wir meinen, daß die „kritischen" Gedankengänge gerade jede
gesunde Vernunft überzeugen und lediglich die naive Auffassung überraschen
. Nach Bergmann ist also das Erkenntnisobjekt vom Erkenntnissubjekt
völlig unabhängig, haben sich unsere Erkenntnisformen an der
umgebenden Welt biologisch gebildet (daher eine Erkenntnisbiologie
nötig!). Ja, es haften selbst „Farbe, Licht, Schall, Geruch, Geschmack,
Wärme usw. genau so gut am Ding wie Größe, Lage, Zahl, Bewegung.
Denn sonst würden wir nicht einer wie der andere eine saure Gurke
eben sauer schmecken, ein Stückchen Zucker aber süß. Oder einige
Lokomotivführer würden die rote Signalscheibe als grün sehen und in
die blockierte Strecke hineinfahren, wenn wirklich nur die Qualität der
Sinnesorgane und nicht zugleich auch die Qualität des aus der Körperwelt
kommenden Anstoßes im Erkenntnisakt zum Bewußtsein geleitet
würde" (S. 108) — eine reichlich primitive und längst überholte Beweisführung
!

III. Fehldiagnosen am Weltsinn. Die folgenschwerste, in
allen abendländischen Systemen vorliegende ist nach Bergmann die Annahme
der Existenz objektiver und absoluter, d. h. von der Denkfunktion
gelöster Gedanklichkeiten und Begrifflichkeiten, also eines Gedanklichen,
das sei ohne gedacht zu werden. Schon die Ausdrucksweise macht
Bergmann diese „Annahme", die er bekämpft, lächerlich. Es ist doch
wahrhaft etwas ganz anderes, wenn die Philosophen eingesehen
haben, daß das Denken von objektiven Gesetzlichkeiten und Werten
bestimmt ist. Nach Bergmann zeigt die Sinneserkenntnis die wahre
Welt, während die rationale Erkenntnis dauernd in Gefahr sei, sich in
die Welt hinauszuverlegen und dann in Wahrheit auch nur sich selbst
dort wiederzuerkennen. Ein besonders schlimmes Fehlurteil ist nach B.
die Annahme, daß der Geist ein Weltenfrüheres und Urbewegendes sei
— so Aristoteles, der damit den metaphysischen Thron der Gottesidee
schuf —, überhaupt die Erschaffungsmetaphysik des Jehovaglaubens,
während für die Germanen die Götter nur verkörperte Naturmächte seien.
Das Göttliche sei nur immanent, und erst im hohen Menschengeist stehe
Gott als „Person" da.

IV. Erscheinungslehre des Geistes. Geist erscheine am
organischen Wesen als schauende Kraft, als Person und vergehe auch
wieder mit ihm. Sein Kern sei Welt-, nicht Selbstbewußtsein. Bergmanns
Philosophie ist ganz in die Außenwelt gewendet. Die natürliche
Blickrichtung des Geistes sei die nach außen. Das Reich der Werte
sei die Schöpfung des Geistes, erscheine dem Geist aber (wie merkwürdig
!) geistunabhängig. Der Geist spiegele das Weltwirkliche im Glanz
der Werte. Der personale Geist gipfele in der Entscheidungsfreiheit
(= Willensfreiheit), „naiv" von B. als erhabene Naturgegebenheit hingenommen
; durch sie besonders wird der Mensch ein gottartiges Wesen
Daß ihm dies durch den Sündenbegriff der jüdisch-christlichen Religion
abgesprochen wird (was übrigens nicht ganz stimmt, denn der Mensch
bleibt doch „nach dem Bilde Gottes" geschaffen), bekämpft Bergmann
bekanntlich auf schärfste.

V. Die Entstehungslehre des Geistes. Wie Ernst Haeckel
gibt nun Ernst Bergmann eine „natürliche Schöpfungsgeschichte des
Geistes", was noch keine Philosophie zu geben „gewagt" habe, und
sieht hierin seinen eigensten Beitrag zum Problem des geistigen Seins.
Der Geist sei das Eigengeartete und Besondere im Reich der Seele das
tief hinunter reiche in die Geheimgründe des Weltlebendigen ; Menschen-
und Tiergeist seien nur der Entwicklungsstufe nach verschieden. Der
Geist entstehe am Lichtreiz, sei seinem Wesen nach ein Schauen. Am
äußeren Licht erwache das innere Erkenntnisschauen. Sechs Stufen des
Geistes sucht Bergmann eingeordnet den sechs Entwicklungsstufen des
körperlichen Sehorgans aufzustellen.

VI. Geistmetaphysik. Gott sei eine Idee des menschlichen
Geistes. Der wirkliche Gott, wenn man so sagen wolle, sei das Weltwirkliche
und Weltlebendige; also Gott und Welt werden gleichgesetzt;