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Ausgabe:

1937 Nr. 19

Spalte:

341-345

Titel/Untertitel:

Part 4: I Esdras, Ezra-Nehemiah 1937

Rezensent:

Walters, Peter

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 19.

342

Brooke, Alan England, D. D., F. B. A., McLean, Norman, M. A.,
F. B. Am and the late Henry St. John Thackeray, M. A.: The
Old Testament in Greek according lo the text of Codex Vati-
canus, suppl. from other uncial manuscripts, with a critical apparatus
containing the vaiiants of the chief ancient authorities for the text of
the Septuagint, ed. Vol. II: The later historical books. Part. IV:
I. Esdras, Ezra-Nehemiah. London: Cambridge University Press 1935.
(VI, S. 557—663) 4°. 20 s.

Ich habe die Freude, die Vollendung des 2. Bandes
der großen Cambridger Septuaginta anzuzeigen. Mit
dem vorliegenden Teil II 4, enthaltend Esdr I und II,
sind nunmehr die kanonischen Geschichtsbücher des
AT vollständig. Wie bekannt, stellt das auf lange unentbehrliche
Werk keine „Ausgabe", sondern, als Vorarbeit
für eine solche, eine Darbietung des textkritischen
Materials dar. Zitiert sind die hier vorhandenen vier
Majuskeln BASN, wobei N den in Rom bewahrten Teil
des cod V bezeichnet, sowie 18 Minuskeln, alle aus eignen
Kollationen, wozu dann im Bedarfsfall weitere Lesarten
aus nicht neu verglichenen zusätzlichen Hss aus
der alten großen Oxforder Ausgabe von Holmes und
Parsons (1798—1827) treten. Für die Tochterübersetzungen
von ©, Aeth, Vet Lat, Syr, werden die vorhandenen
Ausgaben benützt; ähnliches gilt für die hier
nicht sehr ergiebigen Kirchenväterzitate, von denen ich
daher absehen kann.

Die Anzeige einer Arbeit der gekennzeichneten Eigenart
muß im Rahmen dieser selbstgewählteii Voraussetzungen
bleiben und hat nur zu fragen, wie weit die
Ausführung ihnen gerecht geworden sei. Und da kann
ich mich kurz dem Schlußurteil anschließen, mit dem
Emst Hautsch (GgA 1909) seine große, den ersten beidien
Heften gewidmete Besprechung geschlossen hat:
was das Handschriften-Material anlangt, ist die Aufgabe
in vorzüglicher Weise gelöst, und somit eine sichere
Grundlage für die textkritischen Studien an den Lxx geschaffen
(S. 580).

Zu der in Cambridge und in Güttingen verschieden beantworteten
Frage, ob man zunächst das Material möglichst sauber vorlegen oder
gleich an eine es ordnende und bewertende Ausgabe mit dem Ziel möglichster
Annäherung an den hinter den Varianten zu findenden Grund-,
wenn nicht Urtext, herantreten solle, gibt die vorliegende Lieferung
gleichsam ungewollt einigen Stoff, auf dessen Erörterung ich mich beschränken
möchte. Während die vorausgeschickte und weit verbreitete
kleine Cambridger Ausgabe von Swete die jeweils älteste Handschrift,
also B, und nur, wo diese fehlt, einen Ersatz, in der Regel A, sozusagen
mit Haut und Haaren, als Kollationstext abdruckt, weicht die
große Ausgabe an Stellen, wo B in Fehlern ganz oder fast allein steht,
zugunsten der überwiegend bezeugten Gegenlesart u. U. ab; aber betont
nur aus dem praktischen Grund der Vereinfachung des Apparats,
in dem dann nicht soviele Opponenten gegen die Textlesart zu verzeichnen
seien, und nicht, um dadurch doch an einem Teil zur Gestaltung
des Urtextes beizutragen. Da aber selbstverständlich richtige Sonderlesarten
von B dieser „praktischen" Maßnahme nicht geopfert werden,
so befindet sich der Text, man mag wollen oder nicht, in der Ausmerzung
von Sonder-, Wunder- und Liederlichkeiten von B eben doch
da und dort auf dem Weg zu einer aufgrund kritischer Erwägungen
.rezensierten" Gestalt. Dabei kann es natürlich ohne Folgewidrigkeiten
nicht abgehen: man hat die enge Schranke der diplomatischen Wiedergabe
einer Vorlage überschritten, und da gibt es eigentlich kein Einhalten
, ehe der richtig hergestellte Text gewonnen ist, was der angenommene
Grundsatz doch verbietet. Ich gebe nun den knappen Ertrag einer
Durchsicht der durch f—t bezeichneten Stellen, wo die LA von B verlassen
ist; dabei dient mir als unschätzbare Hülfe die mit beispielloser
Energie vorgenommene Durchbesserung auch der griechischen Texte in
J. A. Bewers Buch über den Text des Buches Ezra, dessen Vorschläge,
auch wo sie weitzugehen und sich von der Ueberheferung zu entfernen
scheinen, in ungewöhnlich vielen Fällen das Richtige treffen.

I Esdr 5, 18. 19 wird zu Anfang von 19 zwar mit Recht gegen Bh
(= 55) Aeth fol Ext in den Text aufgenommen, doch bleibt unmittelbar
vorher, am Schluß von 18, die gleichfalls nur von den gleichen
drei Zeugen gegebene Dublette Brtixaouorv Zauucofr stehen. Falsch ist
in ihr einmal die Endung -<ov statt -(otl im ersten Wort, dann das eine
Dublette des 2. Wortteils darstellende 2. Wort und, endlich, was das
Wichtigste ist, daß diese kleine Gruppe aus „einfacher Nachlässigkeit"
(Bewer) die entsprechende unentbehrliche Zahlangabe Teaoapuxovta
Wo (nß') gegen das geschlossene Votum der übrigen Zeugen sowie
von II Esdr 2, 24 ausgelassen hat, an deren Stelle die Dublette getreten
'st. Damit nicht genug, gibt die Ausgabe nach der gleichen kleinen, alten
und an sich höchst wertvollen Gruppe, die sie im Anfang von 19 mit

Recht verlassen hat, trotzdem im nächsten Wort Kapxafhaptoc, obwohl
auch hier alle andern richtig Kapiaft- lesen. Von der Endung, die
in der gesamten Überlieferung verstümmelt ist, sowie der zweimaligen
Belassung des itazistischen -ei- statt -i- ist in diesem Zusammenhang
nicht zu reden. Auch die vier nächsten Wörter sind, wie Ezr und
II Esdr zeigen, falsch: die Zahl 25 ist fälschlich aus KE herausgelesen,
: was in Wahrheit das nächste Wort zu dem richtigen Ksqnpac, ergänzt,
! und ot ex 20 ist dann notgedrungen eingefügt worden. Mußte nun
i diese letzte korrupte Folge von 4 Wörtern mit dem Gros der Überlieferung
nach den Grundsätzen der Ausgabe beibehalten werden, so
J bleiben doch im gleichen Vers noch zwei Anstöße, die mit dem gleichen
j Recht wie das zu Anfang eingesetzte f ol ex t hätten beseitigt werden
[ dürfen und müssen: einmal war gegen B h Aeth Biipox statt -oy zu
! lesen, und dann die von den gleichen Zeugen „aus Nachlässigkeit"
! (Bewer) ihres Archetyps verstümmelte Zahl 743 aus 700 (i|>(iy' statt ib')
wiederherzustellen. Ähnlich wird I Esdr 8, 60 (=118,31), einmal, mit
B h m (= 71), sinnloses xöjxou statt JTOTauxrö geschont, und dann,
! B h Aeth zuliebe, zu denen ein Altlateiner Sabatiers tritt, das falsche
[ T]M)ooav statt des richtigen elorjM)ouEV der sonstigen Gesamtüberlieferung
belassen, ja sogar, gleich darauf, im gleichen Vers, wo eine
Änderung B h gegenüber gemacht wird, statt ihres fjXt>ev das ebensofalsche
t rjXüovt des der gleichen Gruppe angehörigen Aeth eingesetzt,
also gewissermaßen ein häuslicher, rein graphischer Dissens innerhalb
der Gruppe ausgetragen. Statt dessen war mit allen Andern fjMrojiev
einzusetzen und entsprechend oben der gleiche Fehler der Ersetzung
der 1. durch die 3. Person zu berichtigen. Wenn 18,74 mit Recht
gegen B h t ei; t in den Text gesetzt wird, so müßte im gleichen Vers
vor ovv 20 das in allen Andern, auch Aeth, vorhandene xod seine Stelle
finden. Das gewählte Vorgehen wirkt folgewidrig. Ebenso ist I 8, 65
zwar mit Recht gegen B h das richtige t xouxcov t hergestellt, aber
schon in 66 dem hier völlig alleinstehenden B zuliebe mit einer Auslassung
ein auch syntaktisch unmögliches Satzgefüge belassen, wo wieder
Bewer notiert, daß nur Nachlässigkeit der Grund der Auslassung war.
So gut wie in 61, 65, 67 durfte auch in 66' von B abgegangen werden
. Ähnliches gilt II 9, 2 für die Auslassung von &v &pxfi nach rauxr),
doch tritt hier immerhin zu B h Aeth noch N.

Zu ähnlich zwiespältigen Eindrücken gelangt man, wenn man die
Stellen durchverfolgt, an denen ein und dieselbe Redensart wiederholt
auftritt. Nichts scheint doch hier näher zu liegen, als unter Berücksichtigung
des Urtexts die Abweichungen in den einzelnen griechischen
Wiedergaben oder innerhalb der Überlieferung einer einzigen Stelle auf
ihren Wert zu prüfen. Wo es sich nicht um Abwechselung in der
Wortwahl des Griechen oder um verschiedene Auffassung des Urtexts
handelt, muß ernstlich gefragt werden, ob nicht erst innergriechische Verderbnis
die Unterschiede in der Wiedergabe verursacht habe. Und fast
scheint sogar, daß auch der Vorsatz, ohne kritische Textherstellung den
B-Text wiederzugeben, erst mittels dieser sekundären Bereinigung recht
i zu verwirklichen wäre. Wenn der Urheber der in B vorliegenden Text-
I form ein Mann war, der seine fünf Sinne beieinander hatte, dann ist
j mit Sicherheit anzunehmen, daß die gemeinten Inkonzinnitäten erst nachträglich
eingedrungen sind. Läßt man sich durch irgend etwas, und
seien es die löblichsten Grundsätze, abhalten, hier diese rein äußere
Ordnung zu schaffen, dann ist B eben nicht „B", sondern ein Individuum
, das seinen Beitrag zur Pathologie der Textgeschichte liefert.
| Ich beleuchte das Gemeinte an einem einzigen Beispiel aus I Esdr, wo
j 91t und II Esdr die hier willkommene Sicherheit gewähren. Ezr 9 und 10
wird von der Entdeckung der Mischehen mit nichtjüdischen Weibern
I und dem Versuch der Rückgängigmachung dieser Ehen berichtet. II Esdr
! hat hier, wie es bei einer späten sklavischen Übersetzung nicht anders
zu erwarten ist — als Ausläufer krönt diese Richtung ja Aquila — einen
ganz festen Sprachgebrauch; jede der drei hebräischen Vokabeln wird
durch ein eignes Wort wiedergegeben : NiZJD durch Xaßstv (9, 2 ; 10, 44 ;
9,12b), Vtyt durch xuiKacu (10,2. 14. 17. 18), inj durch öowrn
(9, 12 a). I Esdr dagegen, mit der freieren Stellung des früheren Übersetzers
zur Vorlage und innerhalb griechischen Sprachbrauchs, wählt,
j außer 9, 12 (e/eiv). 17. 18 (EJtiowax-Ofjvai), in allen Fällen den gleichen
gut griechischen, wenn auch nicht attischen2 Ausdruck owowettjo)
und setzt, wie das der häufigere Sprachgebrauch ist (meine Nachweisungen
I stammen aus der im Erscheinen begriffenen neuen Ausgabe des Wörterbuchs
von Liddell-Scott) für das Mädchen den Acc, für den Mann, dem
J sie gegeben wird, den Dat., wie auch Symmachus zu Gen 3, 12 t|v
] owcpxiouc, (Codd. -Tinac,) ukh, wo (9 sklavisch i]v EÖcoxac, u,et' lüov
' schreibt."

1) Manchmal führt eine zu weitgehende Zerlegung des Apparats zu
j unnötiger, mit Breite verbundener, Unübersichtlichkeit. Während I 8 66

Rahlfs einfach notiert: xa] xai. Bt, liest man hier zuerst xcu 4 0 B h Lv]
om AN rell © Lc S und dann drei Zeilen weiter aKkoyevr] B] prxa A
rell. Auch II 8,33 ist bei Bewer und Rahlfs die Abweichung von B
I gegenüber dem richtigen Text der Andern Noaöia uloc, BavcUa viel
knapper und daher übersichtlicher dargestellt.

2) Herodot, Papyri — vgl. ouvoixioia, awoixicaov Heirat, ouvoi-
xumoc, Ehe — Polyb, Diodor, Plutarch.

3) Die Angabe bei Field, Cod. 135 biete 'A. f| auv<t>xr|0-dc, ie