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Ausgabe:

1936 Nr. 21

Spalte:

377-379

Autor/Hrsg.:

Haller, Johannes

Titel/Untertitel:

Nikolaus I. und Pseudoisidor 1936

Rezensent:

Klewitz, Hans-Walter

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 21.

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genden Spuren des Gebrauches völlig fehlt, dann sinkt
mein Glauben an die Zuverlässigkeit der Ergebnisse, die
einer derartigen Methode winken, noch weiter. Doch
hier Wandel zu schaffen, war nicht die Aufgabe der
Dissertation Richardsons.
Göttingen. W.Bauer.

Haller, Johannes: Nikolaus I. und Pseudoisidor. Stuttgart: J. G.
Cotta'sche Buchh. Nchf. 1936. (VII, 203 S.) gr. 8°. RM 5 — ; geb. 7.50.
Seit Jahrhunderten sehen die Geschichtsschreiber in
Nikolaus I. einen Papst, der über (Jas Maß seiner Zeit
in die Zukunft hineinragt und Anspruch darauf hat,
als Vorläufer Gregors VII. und Innocenz III. zu gelten
. Dieses Urteil zu zerstören, hat H a 11 e r seinem
Buch über Nikolaus I. und Pseudoisidor als Aufgabe

fesetzt. Denn er glaubt zeigen zu können, „daß die bis-
erigen Darstellungen den Tatsachen nicht entsprechen"
(S. 3), weil sie, auf den Briefen des Papstes selbst
aufgebaut, es vergessen haben zu fragen, „ob es nicht
den Regeln der Kritik widerstreite, die amtliche Rhetorik
einer Regierung zur Richtschnur der Darstellung
ihrer Taten und des Urteils über sie zu machen"
(S. 4). Der Wille, diesen Fehler zu vermeiden, ist
der methodische Ausgangspunkt von H.s eigener Darstellung
.

Sie beginnt mit einer klaren und oft sehr eigenwilligen
Schilderung der beiden Hauptprobleme, die Nikolaus
' I. Regierung beschäftigten, wobei in kunstvoller
Gliederung der Blick abwechselnd auf das eine und
das andere gerichtet ist. Dem 1. Abschnitt über die
Ehescheidung Lothars IL folgen (2.) die Anfänge des
Kampfes mit Konstantinopel und von hier lenkt der
Verfasser (3.) auf die fränkischen Verwicklungen
863—67 zurück, um (4.) mit dem Fortgang des Griechenstreites
abzuschließen und im Anschluß daran (5.)
die Ergebnisse der Regierung Nikolaus' I. zusammenzufassen
.

H. sieht sie sowohl im Hinblick auf das griechische
wie auf das fränkische Problem in sehr ungünstigem
Lichte. Der posthume Erfolg der Verurteilung des Patriarchen
Photios durch römische Legaten im Jahre 869
sei schon 10 Jahre später wieder durch dessen Wiedereinsetzung
in das Gegenteil verkehrt worden. Und
noch weniger habe Nikolaus in der fränkischen Angelegenheit
erreicht, weil er seine Absicht, über Lotliar
zu Gericht zu sitzen, nicht habe ausführen können.

Einer nicht weniger scharfen Kritik unterliegen die
beiden Versuche Nikolaus' L, der fränkischen Kirche
seinen Willen aufzuzwingen. Das ist zunächst (6.) der
Fall Rothads von Soissons, der, von seinem Metropoliten
Hincmar von Reims abgesetzt, an den Papst
appellierte und von diesem auf einer römischen Synode
wiedereingesetzt wurde. Also ein Sieg des Papstes?
fragt H., um dann darzulegen, daß Nikolaus auch hier
nicht zum Ziele gekommen sei. Denn sein Streben,
die Macht der Metropoliten und landeskirchlichen Synoden
zu Gunsten der päpstlichen Gewalt zu schwachen
, sei von den fränkischen Bischöfen nicht anerkannt
worden und wenn sie sich seinem, ohne ihre
Beteiligung in Rom gefällten Spruch auch gefügt hätten,
so komme die Feststellung Hincmars, daß Rothads
Wiedereinsetzung non regulariter, sed potentialiter erfolgt
sei, doch einem päpstlichen Mißerfolg gleich.

Die Bestätigung seiner Ansicht findet H. (7.) in dem
Falle Wulfhads, der zu den Reimser Geistlichen gehörte
, die Hincmars Vorgänger Ebo noch nach seiner
Absetzung geweiht hatte. Hincmar erkannte ihre
Würden nicht an, weil er damit die Rechtmäßigkeit
seiner eigenen Erhebung bestritten hätte und ließ seine
Haltung durch eine Synode begründen, erklärte sich
aber in priesterlicher Milde bereit, Wulfhad und seinen
Genossen ihre geistlichen Würden auf dem Gnadenwege
wiederzugeben. Doch Nikolaus nahm gegen
ihn Stellung, um, wie H. meint, die Anerkennung des
Anspruches durchzusetzen, daß er der allein zuständige
Richter über die Rechtmäßigkeit von Ebos Amtsenthebung
sei. Aber auch diesen Grundsatz hat sich

i die fränkische Kirche nicht zu eigen gemacht und „so
kann man nicht umhin, im Gesamtergebnis dieser neum-
einhalbjährigen Regierung einen starken Fehlbetrag festzustellen
" (S. 127).

Diese Feststellung sucht H. (8.) aus dem Charakter
und den Grundsätzen der Politik Nikolaus' L,
der niemals den Frieden, sondern stets den Kampf
wollte (S. 129), eingehend zu erläutern. Er streift
dabei kurz das Anastasius-Problem und entscheidet sich

j —sehr zu Recht — gegen die Annahme, daß der Papst
nur der Schatten seines Ministers gewesen sei. Frei-

j lieh will auch H. nicht des Anastasius nachhaltigen

! Einfluß leugnen. Vielmehr führt er es vor allem auf
ihn zurück, daß man in der Politik Nikolaus' I. des
öfteren jenes „Zurückgreifen auf Beispiele aus der Ver-

i gangenheit bemerkt, das bis zu äußerlicher Nachahmung

, geht" (S. 134). In der romantischen Neigung, ein
Idealbild der großen Päpste des 5. Jahrhunderts zu
einer neuen Wirklichkeit zu machen, sind sich nach H.
der Papst und sein Ratgeber einander begegnet. Und
so bewegen sich denn auch die Ansprüche Nikolaus'
„durchaus in den Bahnen seiner Vorgänger des 5.
und 6. Jahrhunderts, nirgends gehen sie über die Linie
hinaus, die jene gezogen haben" (S. 147).

Danach also wäre Nikolaus keineswegs epochemachend
für den Gedanken der päpstlichen Weltherrschaft
gewesen, wie es Hauck nachzuweisen versucht
hatte. Wohl aber sollte nach H. „die Stellung, die
Nikolaus dem Papst innerhalb der Kirche zu erobern
unternommen hat, nicht hoch genug angeschlagen werden
" können (S. 151). Denn er erstrebte nichts Geringeres
als die altüberlieferte Selbstverwaltung der Landeskirchen
aufzuheben und durch eine römische Zentralverwaltung
zu ersetzen (S. 155). Das geistige
Eigentum dieser Gedanken freilich soll nicht Nikolaus,
sondern (9.) Pseudoisidor gebühren, und damit wird

; der Zusammenhang hergestellt, der dem Buch den Titel
gegeben hat.

Im Kampf Ebos von Reims um seine Wiederherstel-
j hing sieht H. die Veranlassung zu der in die Spanne
i von 847 bis 852 fallenden Entstehung Pseudoisidors,
] denn nach den gefälschten Dekretalen wäre die Absetzung
des Erzbischofs null und nichtig gewesen. Eben
deshalb wurden sie gerade für Nikolaus so bedeutsam.
Der Einfluß der Fälschung (10.) ist schon bei Leo IV.
zu erkennen, der sich 853 auf den Grundsatz Pseudoisidors
von der Unrechtmäßigkeit einer ohne päpstlichen
; Vertreter tagenden Synode berief. Zehn Jahre später
; geschah es dann, daß Nikolaus I., wohl auf Anregung
des Anastasius, sich in der Angelegenheit Rothads
von Soissons der Fälschung zu bedienen begann. „Offen
I ausgesprochen, ohne jede Verhüllung zur Schau gestellt
ist die Absicht, die fränkische Kirche seiner Leitung
zu unterwerfen, Metropoliten und Provinzialsy-
noden zur Bedeutungslosigkeit herabzudrücken und
jeden Bischof zum unmittelbaren Untergebenen Roms
zu machen, so wie es in den Fälschungen Pseudoisidors
als älteste und ursprüngliche Verfassung der Kirche
dargestellt erschien" (S. 188). Wir wissen bereits, daß
i diese Absicht mißlungen ist.

Soweit der Inhalt von H.s Ausführungen. Ihnen mit
kritischer Sonde bis in alle Einzelheiten zu folgen, ist
hier schon aus Raumgründen nicht möglich. Vielleicht
aber zeigte das Referat bereits, wieviel Bedenken und
Zweifel gegen H.s Beweisführung möglich sind, ob-
! wohl zugegeben werden muß, daß ihre glänzende literarische
Form die Kraft der Überredung besitzt. Doch dadurch
wird die Forschung nur umso mehr dazu angeregt
werden, sich von der Richtigkeit dieses neuen
Nikolaus-Bildes zu überzeugen.

Aber müßte aus seiner Anerkennung wirklich folgen
, daß Nikolaus nicht mehr in die Reihe der „großen
Päpste" gestellt werden dürfte? Selbst wenn man H.