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Ausgabe:

1935 Nr. 12

Spalte:

213-215

Autor/Hrsg.:

Schottenloher, Otto

Titel/Untertitel:

Erasmus im Ringen um die humanistische Bildungsform 1935

Rezensent:

Wolf, Ernst

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213 Theologische Literaturzeitung 1935 Nr. 12. 214

Der zweite Teil der Untersuchung zeigt die Bedeu- verwirklichende Stadium, das mit dem Enchiridion tnili-
tung der Predigten für die Geschichte des Konstanzer tis christiani anhebt, wird nur in einem Ausblick beKonzils
Wir greifen einige Punkte heraus: rührt — Vf. bietet also eine eindringliche geistesge-

Mit aller Leidenschaft wird in den Predigten jene Frage diskutiert, | Schichthöhe Analyse der Epistola de contemptu mundi

welche die Teilnehmer am Konzil fast während seiner ganzen Dauer in und der Antlbarbari unter dein Gesichtswinkel der Frage

Spannung gehalten hat: die kirchenrechtliche Stellung von Papst | nach der Loslosung des Erasmus vom Kloster. Es stellt

und Konzil. Das durchaus erkennbare Bemühen um eine objektive sich dabei m. E. Überzeugend heraus, daß kein eigent-

Darstellung hindert den kath. Verf. nicht, hin und wieder seine Bedenken i lieber Bruch in der Entwicklung des Erasmus vorliegt

gegen diejenigen Konziliaristen zum Ausdruck zu bringen, die dem Papst i wje €S ja aucn seinem ganzen Wesen entspricht Und'

die plenitudo potestatis nehmen, und ausführlich zitiert er die Prediger (vor daß sein anfängliches Verhältnis zum Mönchtum ' nicht

allem aus den Reihen der Italiener, Kurialen und Ordensleute), die für j SQ positiv gewesen jrf wje eg Mestwerdt auf Grund

S^ffltÄ* w,e verschieden die Stellung der j einer zu einseitigen Kritik an den das Mönchswesen verPrediger
in der Frage ist, ob die weltliche der geistlichen , urteilenden autobiographischen Notizen des alteren Eras-
Qewalt koordiniert oder subordiniert ist. Die meisten vertreten die i mus zugunsten der damit anscheinend nicht vereinbaren
auch sonst im M. A. gelehrte potestas ecclesiae indirecta und lehnen eine 1 Aussagen in der Epistola de contemptu mundi behaup-
Potestas directa unter Berufung auf die Heil. Schrift ab. Sie stoßen aber tet hatte.

auf Widerspruch. Es wird in einigen Predigten in sehr bestimmter Zugleich mit der hier etwas veränderten Beurteilung
Weise - vielleicht im Auftrage Sigismunds - die Unabhängigkeit des , der Entwicklung des Erasmus wird auch das einst von
Imperium vom sacerdotium betont: der Kaiser und d,e Fürsten haben , Mestwerdt energisch in Angriff genommene Problem
ihre Gewalt unmittelbar von Gott, nicht von der Kirche oder dem Papst. , Hum»ni<mWM und rWnHr, mr,^™, Vh,,, ,11
An Schmeicheleien gegenüber Sigismund ist kein Mangel, jedoch wird ^h^n Tn Fr^ni«« W «.^8 anders ange-
auch ihm eine klare Stellung auf dem Konzil angewiesen: non quidem, | sehen - in Erasmus. Vf. arbeilet nämlich zum Untersagt
d'Ailli, ut praesit sed ut prosit; nicht um die kirchlichen Angele- .scn.ie? von eln_er der devotlO moderna für sich als An
genheiten mit seiner Macht zu entscheiden, sondern um die Beschlüsse

des Konzils zu schützen, nicht um Dekrete zu erlassen, sondern um sie
ehrerbietig zu halten und ihre Beobachtung mit dem Schwert zu erzwingen
: Selbständigkeit des Konzils auf jeden Fall, dem Papst wie

knüpfungsmöglichkeit für den Humanismus zugesprochenen
stoisierenden Haltung vielmehr ein aus der inneren
Unsicherheit der devotio moderna entstammendes
Anlehnungs- und Formungsbedürfnis dieser reli-

— --- o ----- - —------- ^ . v , »nio vj i , o ^ i i _ j i-

dem Kaiser gegenüber, ist die Losung. ; gjösen Richtung heraus, das — Alexander Hegius unter

Neben den Vorschlägen der Pred.ger zur Beseitigung des Schismas Einfluß Rudolf AßTimlas — HiP nntiL-Pnm Ar-, Irl!:

steht ihr Kampf gegen die Häresie. Deutlich ist bei ihnen die Sorge .aem F. ,iUU r~T, g uT^a , arltlken ."'Oralphl-

um die ReinheU de! Glaubens größer als um die Beilegung des Streites 1 losophischen Gedanken nicht bloß als Bausteine inner
der Päpste. Gegen die Ketzer arbeitet ihnen das Konzil zu langsam
und zu lässig. Zwar in der Sache gegen Hus und Hieronymus können
sie nicht klagen. Dagegen gibt ihnen die Behandlung der Angelegenheit
des Jean Petit umsomehr Grund zur Unzufriedenheit. Immer wieder
mahnen sie: prineipiis obsta, sero medicina paratur.

Mit großem Freimut reden die Prediger über die notwendige Reform
der Kirche. Es wird nichts verschwiegen, nichts beschönigt,
sondern der Nepotismus, die Simonie, die Unsittlichkeit des Klerus beim
rechten Namen genannt. Auch die Großen der Kirche bekommen bittere
Wahrheiten zu hören. Es werden mannigfache Reformvorschläge gemacht,
als deren Kern aber die innere Erneuerung des Klerus hingestellt. An
die „Nachfolge Christi" erinnernd, zitiert der Verf. aus einer Predigt
Dietrichs von Münster: „Es gibt nur einen einzigen Modus der Reform
~ der ganze geistliche Stand muß zu Christus als seinem Fundament

halb der eigenen auf das Jenseits gerichteten Frömmigkeit
aufnimmt, sondern das sich gegenüber der humilitas
und simplicitas ihnen bis zu einer inneren Wandlung
der Frömmigkeit öffnen kann: moralisch-geistige Pev-
sönlichkeitskultur an Stelle mystischer Gnadenerlebnisse,
christliche humanitas statt christlicher humilitas. Aber
eben erst bei Erasmus erfolgt diese Überwindung der
devotio moderna wirklich. Bei ihm tritt jenes Mangelgefühl
verstärkt auf: ihm bleibt das mystische Erleben
verschlossen, denn er kommt „nicht los von sich selbst".
Freundschaften, vor allem die literae führen ihn dann
aus seinen Bedrängnissen indem sie an die Stelle der de-
, voten Selbstverneinung die Selbsterkenntnis richten auf
zurückgeführt, zur Nachahmung seines Lebens zur Beobachtung seiner ; dje Würde der menschlichen Natur. Das Kloster ist ihm

für das Gro!; der Konzilsteilnehmer zu ideal gewesen wären, wie er denn des Weltlebens ; aber auch die Antike lehrt eine Welt-
mit ganzer Offenheit die Angaben der Predigten über die ständigen | Verachtung; und in deren Dienst glaubt Erasmus für Sich

Streitigkeiten und Intrigen und menschlichen Unzulänglichkeiten in Konstanz
zu Worte kommen läßt.

So entsteht vor unsern Augen ein anschauliches Bild
des Konzils, nicht auf Grund trockener Akten oder knap

das mönchische Leben, zu dem er genötigt wird, stellen
zu können und so in ihm das poetische Stadium seiner
Wendung zum Humanismus Vallas zu durchlaufen, in
intensiver Arbeit über der Poesie. Die hinter dieser

per Tagebuchnotizen, sondern mitten aus dem Leben | literarisch-ästhetischen Befriedigung des Formungsbe-
heraus, wie die Prediger es täglich sahen. An dem Zu- j dürfnisses liegende ethische Erfüllung läßt dann doch
Standekommen dieses" Bildes hat der Verfasser durch i den Konflikt aufbrechen: aus der Abgrenzung des eige

die Auswahl und Zusammenstellung der Einzelheiten sowie
durch die bei ihm vorhandene Verbindung von exakter
Forschung und innerer Beteiligung ein entscheiden-
des Verdienst. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, ein

nen Lebenskreises im Mönchtum wird eine solche gegen
das Mönchtum. Es ist die Wendung der Bildung
gegen den (devotionalen) Simplismus. Eruditio verbunden
mit probitas ist das neue Ideal. Das ethische Bil-

alphabetisches Register der Texte nebst Angabe der 1 dungsanliegen vertieft sich dann weiterhin zum religiö-
Prediger, Daten und Quellen sowie ein Sachregister ! sen; der Doktor steht über dem Märtyrer, und der Logoserhöhen
'den Wert des Buches und ermöglichen seine 1 Christus führt die antike Bildungswelt auf die Höhe;
Verwendung auch bei der Bearbeitung von Spezialfragen. 1 die Antike ist zu innerst christlich. Damit und mit der
Kloster Loccum. Th. Laasch. zu dieser Bildung hinzugehörigen demütigen Einsicht in

die Relativität des eigenen Wollens gewinnen die Anti-

Schottenloher, Dr. Otto: Erasmus im Ringen um die hu- barbari zugleich die Wendung gegen den anderen Geg-
manistische Bildungsform. Ein Beitrag zum Verständnis seiner ner: gegen den Bildungsverderb anmaßlicher Schola-
geistigen Entwicklung. Münster i. w.: Aschendorff 1933. (VIII, 118 S.) stik. Der verengenden und lähmenden Verbindung von
gr. 8°. = Reformationsgeschichtüche Studien u. Texte begr. von tj. Glauben und Wissen im scholastisch-spekulativen Ratio-
Greving, m. Unterstützg. d. Ges. d. Corpus Catholicorum hrsg. v. A. nalismus setzt Erasmus das neue ethische Bildungs-
Ehrhard, H. 61. RM 5.60. , ideal, pietas und eruditio, entgegen, die an den literae
Der Vf., Schüler P. Joachimsens, legt in dieser geformte probitas. Sie entspricht zugleich der alten
Münchener phil. Diss. eine dankenswerte Ergänzung, Theologie, Origenes einerseits, Hieronymus und — auf
richtigstellende Vertiefung und teilweise Erweiterung des absteigender Linie — Augustin, Gregor, Beda andererbekannten
Buches von P. Mestwerdt über die An- seits. Die Hinwendung zu ihr geschieht aber zunächst
fange des Erasmus (1917) vor. Auch ihm geht es um noch auf der literarisch-ästhetischen Ebene, bis Colet
das erste Entwicklungsstadium auf dem Wege des Eras- : zur Überwindung dieses Stadiums durch den religiösen
rnus zur „Philosophie Christi". Das zweite, sie bereits ' Humanismus führt, d. h. den nächsten Schritt veranlaßt-