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Ausgabe:

1934 Nr. 14

Spalte:

252-253

Titel/Untertitel:

Die Erlösung 1934

Rezensent:

Vollmer, Hans

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251

Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 14.

252

Wie wichtig die Abschnitte über die Quellenscheir j
düngen Boussets für das richtige Verständnis des Clemens
sind, zeigt besonders das dritte Kapitel über die
„Pantainos-Quelle" in den Stromateis. Bousset suchte
auch in den Stromateis größere Teile auf die von Col-
lomp aufgezeigte Quelle zurückzuführen und dadurch
zu erklären, daß die Beurteilung der Gnosis nicht in
allen Teilen der Stromateis gleich ist; die Quelle, d. h.
eben Pantainos, habe einen mehr gnostischen Standpunkt
vertreten als Clemens selbst, und dieser habe die Meinungen
des Pantainos unverarbeitet mitten in seinen
eigenen abweichenden Ansichten wiedergegeben. Dieser
Gegensatz besteht sicher nicht; vielmehr ist Clemens
gerade durch seine Lehrer mit der apostolischen Überlieferung
verbunden und weiß sich mit ihnen einig in
der Ablehnung der häretischen Gnosis. Aber er steht
nicht nur im Kampf gegen die falsche Gnosis, sondern
auch in der Arbeit an dem Aufbau einer wahren, einer
kirchlichen Gnosis. So sind die wirklichen und die
scheinbaren Widersprüche in seinen Ausführungen über
die Gnosis und über die Gnostiker nicht auf die Benützung
verschiedener Quellen, sondern darauf zurückzuführen
, daß Clemens den Kampf nach zwei Fronten
führt und mit der von ihm bekämpften Gnosis doch
vieles gemeinsam hat. Ich "habe diese Doppelstellung
des Clemens in einem Aufsatz „Clemens von Alexandrien
und die Gnosis" in der Zeitschrift „Die Pädagogische
Hochschule" 1 (1929) S. 98 ff. geschildert. Die
Anschauungen Muncks stimmen in der Hauptsache mit
der dort dargelegten Auffassung überein.

In einem Schlußkapitel schildert Munck Clemens
noch als Sophisten, als Philosophen und als allegorischen
Schriftausleger und fügt dann noch einen Exkurs
über Origenes und die Katechetenschule hinzu, in dem
er zeigt, wie unsicher die Nachrichten über das Verhältnis
des Origenes zu Clemens und zu der alexandrinischen
Katecheten schule sind.

Das Buch Muncks ist eine wertvolle Bereicherung
der Literatur über Clemens. Manche für die Beurteilung
seiner Schriften wichtigen Fragen sind aufs neue untersucht
und richtig beantwortet worden; bei anderen ist
die Unsicherheit der bisherigen Lösungen aufgezeigt
und zu neuen der Weg gewiesen worden. Wir hoffen,
daß der Verfasser auf der von ihm selbst geschaffenen
Grundlage weiterbauen und zur Lösung der mannigfachen
noch vorhandenen Probleme beitragen wird.

Zum Schluß seien noch einige Einzelheiten besprochen
, wobei ich auf Druckfehler und ähnliche Kleinigkeiten
nicht eingehe. Dagegen erwähne ich einige Stellen
, wo der griechische Text mir nicht richtig verstanden
zu sein scheint. S. 41 und 77 ist Strom. VII 111,3
(ovx ovv xfjc, talscog ovce Tfjg (podcrsw? ctoxd^ovrai ot 2xQ(ai(ix£iq,
onov ye ejuttiöec, xa'i xrv e£,iv ov% "EXfatyveq eIvcu ßoÄovxai xui xrv
Tüiv 8oY(idxa)v EYxaTaajiopüv XstaidÖTCOc, xai ov xard ti|v äXi|deiav ite-
jtoäivTui)ziemlich gleichlautend übersetzt. DieFassungvon S.41
lautet: „Die Stromateis nehmen keine Rücksicht auf
Ordnung oder Form, bestimmen ja auch die Griechen absichtlich
, daß es gar keinen Stil geben und die Aussaat
der Lehrsätze heimlich und nicht der Wahrheit gemäß
geschehen solle" usw. Hier ist ovx "EM^ve? eIvou falsch
aufgefaßt; Subjekt bleibt noch ot 2To<ouax£i:?: „da sie
ja auch hinsichtlich der Sprache mit Absicht keine Griechen
sein wollen und die Samen der Lehren verborgen
und nicht offenkundig (statt xaxd -rnv dMjOeiav ist etwa
xaxabr\ov zu lesen) hineingestreut haben." S. 145 ist
der Anfang von Strom. VI 160,1 (cpikoaoyiav jioUdxi? eI-
qt|xan£v x6 xatd cpiAoaoquav ejuteuxtixöv t/rjc, <xÄ.t)ftsia<;, xäv u,eqixov
•tuyxam) mit den Worten wiedergegeben: „Hier haben
wir also tpdoaotpta in zwei Bedeutungen: 1) von dem
Teil der Wahrheit, die durch die Philosophie erlangt
worden ist, obwohl das nur ein Teil ist, und 2) von
der Philosophie, d. h. der griechischen Philosophie überhaupt
." Hier ist nicht erkannt, daß der Genetiv tfjc d^n-
fteiw; von EitiTEuxTixöv abhängig ist. Der Satz bedeutet
also: „Philosophie haben wir oft genannt die in der

Philosophie vorhandene Fähigkeit die Wahrheit zu erlangen
, wenn es sich dabei auch nur um einen Teil (der
Wahrheit) handelt." Zum Gedanken ist Strom. VI 83, 2
zu vergleichen.

Erlangen. Otto S t ä h 1 i n.

Maurer, Friedrich: Die Erlösung. Eine geistliche Dichtung des
14. Jahrh. Auf Grund d. sämtl. Handschr. z. ersten Mal kritisch
hrsg. Leipzig: Ph. Reclam jun. 1934. (317 S. u. 1 Tafel) 8°. =
Deutsche Literatur. Sammig. literar. Kunst- u. Kulturdenkmäler i.
Entwicklungsreihen. In Qemeinsch. m. W. Brecht u. D. Kralik hrsg.
v. H. Kindermann. Reihe: Oeistl. Dichtung d. Mittelalters. Hrsg.
v. Fr. Maurer. Bd. 6. RM 7.50; Lwd. 9—; Hldr. 15—.

Das über 7000 Verse umfassende religiöse deutsche
Epos „die Erlösung" darf als wirkliche Dichtung angesprochen
werden, nicht als bloße Reimerei. Es ist mit
Kunst aufgebaut und enthält im einzelnen manche hübsche
Blüte auch lyrischer Begabung, manche sentenzartige
Prägung wie etwa V. 2339 ff. Zur Begründung,
warum Christi Heilstat so lange hinausgeschoben wurde,
heißt es hier:

Iz liebet, daz da wirdet sür.
Waz uns durch wazzer unde für
mit arebeiden dribet
und waz uns uberblibet
über schür und über hagel
daz ist werder an dem zagel,
dan iz vor allez were.

Der unbekannte Verfasser war Geistlicher, beheimatet
im damaligen Machtbezirk von Mainz, und schuf
sein Werk im Beginn des 14. Jahrhunderts. Er zeigt
sich wohl vertraut, nicht nur mit der geistlichen Überlieferung
seiner Zeit, zu der z. B. auch Vergils 4. Ecloge
gehört, sondern auch mit der höfischen Literatur. Übrigens
zieht er die legendarische Tradition mit einiger
Zurückhaltung heran, wenn er auch z. B. über die Wunder
bei der Geburt Jesu und über die 15 Zeichen vor
dem Endgericht ausführlich berichtet. Im wesentlichen
bevorzugt er den biblischen Inhalt und Wortlaut. Die
Fülle der Citate (z. B. Seligpreisungen, Dekalog und
zahlreiche Prophetenstellen) und eine gewisse Gewandtheit
der Verdeutschung weisen diesem Gedicht auch
einen Platz in der Geschichte der deutschen Bibelübersetzung
an. Zum richtigen Verständnis ist allerdings wie
bei so manchen mittelalterlichen deutschen Bibeltexten
genaueste Beachtung der Vulgata oft unerläßlich. So
darf man z. B. im Segen Jakobs V. 1251 „hoffe" bestimmt
nicht mit dem Herausgeber als „Hoffnung"
deuten, sondern im Sinne von „huf" (= Hüfte), vgl.
Genes. 49,10: et dux de femore eius.

Gegenstand der Dichtung ist, wie der von Karl
Bartsch ihr beigelegte Titel sagt, das Erlösungswerk
Christi, von dem Prolog im Himmel, jenem aus Ps. 85,
11 herausgesponnenen „Streit der Töchter Gottes" an
bis zum Endgericht. Was dazwischen liegt, spiegelt
nicht nur damalige Dogmatik, sondern auch manche
volkstümliche Vorstellung getreulich wider. Die protestantische
Theologie wird sich daher diese wichtige Erkenntnisquelle
nicht länger entgehn lassen dürfen. Es
hat etwas Beschämendes für sie, wenn in der Einführung
der germanistische Herausgeber eine Abhandlung über
die Entwicklung des Christusbildes in der deutschen
Dichtung des Mittelalters ankündigt und dabei nur auf
germanistische Vorarbeiten verweisen kann.

Maurer, dem wir abgesehn von seinen sprach-
und volkskundlieben Arbeiten auch mehrere bedeutsame
Beiträge zur Geschichte der Bibelverdeutschung verdanken
, schenkt uns in der vorliegenden Edition eine besonders
wertvolle Gabe. Er ist übrigens Herausgeber der
ganzen Reihe „Geistliche Dichtung des Mittelalters",
die er mit der „Erlösung" eröffnet. Wir kannten das
Gedicht bisher einzig in der unzulänglichen Ausgabe von
Bartsch, der nur die ziemlich minderwertige Nürnberger
Handschrift v. J. 1465 benutzte. Auf Grund neuerer
Funde, unter denen das von Degering bekannt gegebene
Berliner Fragment vom Jahre 1337 sich als der wert-