Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1933 Nr. 7

Spalte:

131-133

Titel/Untertitel:

Festschrift. Edmund Husserl zum 70. Geburtstag gewidmet 1933

Rezensent:

Siegfried, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

131

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 7.

132

auf 165 Seiten so ziemlich alle Probleme einer Weltanschauung
berührt werden. In einer späteren Schrift will
der Verf. die Folgerungen aus dieser „allgemeinen Religion
" (10) für den christlichen Glauben ziehen.

Der Verf. betrachtet den Weltzusammenhang und
das Überweltliche unter der Kategorie der Einheit, der
Entwicklung zur Einheit und des Gegensatzes zur Einheit
. Dabei gilt der Einheitsbegriff, der nicht etwa erst
geklärt wird, als Sammelbecken für „Einheitsbildungen"
verschiedenster Art. Alles Geschehen bewegt sich zwischen
der Einheit, die als die ewige Einheit, als das
Ewig-Eine das Göttliche ist, und dem Gegensatz zur
Einheit, der das Widergöttliche ist. Unter diesen Gesichtspunkt
wird das Anorganische wie das Organische,
das Seelische wie das Geistige untergeordnet. So werden
die Gefühle an dieser Norm gemessen, es werden in
einer Skizze einer Werttheorie alle Werte nach ihrer
Nähe zur Einheit abgestuft (48 ff.) Als ethischer Imperativ
ergibt sich der Satz: „Du sollst innerlich eins mit
der Menschheit im anderen und in der eigenen Person,
d.h. selbstlos und rein sein" (26). Die Religion ist die
Bewußtwerdung der Einheit meines Ich mit dem Ewig-
Einen oder das Gefühl der Ehrfurcht vor diesem Unendlichen
(26). Nebenbei werden auch alle Probleme
der Erkenntnistheorie gelöst: Erkennen heißt sich mit
dem Objekt zur Einheit verbinden (19); gegen Kants
Subjektivismus hat natürlich der „kritische Realismus"
recht (95). Ausführlicher vertritt der Verf. nur die —
allerdings ebensowenig wie seine anderen Meinungen
„neue" — Ansicht, daß es neben der „Erkenntnis durch
Denken" noch eine „Erkenntnis aus Gefühl" gebe (9),
neben dem Dingerkennen ein Werterkennen, das uns
allererst das über dem Ding stehende Sein der Werte
erschließe (92 ff.). Auch die rel. Erkenntnis ist eine
derartige Werterkenntnis. Aus dem Gefühl der Ehrfurcht
vor dem Ewig-Einen erkennt man seine Eigenschaften.
Der ganze Weltprozeß vollzieht sich in Richtung auf
die Einheit; am Ende der — natürlich fortschrittlichen —
Entwicklung steht eine nur glückliche Gottmenschheit.
Weil Gott gerecht ist, darum ist jeder gerechtfertigt,
„der durch inneren Schmerz genug gelitten und außerdem
genug Wollen zur Besserung gezeigt hat" (129).
Leid ist Mittel zur Besserung und Strafe für Schuld,
auch individuelle Sühnung der universellen Schuld. Darum
wird einst die Menschheit ihr uneingeschränktes
Glück verdient haben (164). Mit dieser „neuen" Lehre
vom Leiden schließt das Heft.

In eine Kritik könnte man nur dann eintreten, wenn
der Verf. irgend eine der vielen Einzeltheorien eingehend
dargelegt hätte. So aber skizziert er lediglich seine ihm
aus eigener Erfahrung und eigenem Leid gewordene
Weltanschauung. Und so muß man sich mit der allgemeinen
Charakterisierung bescheiden, daß hier eine absolut
geschichtslose, trotz aller Mystik doch rationalistische
Weltanschauung oder Laienmetaphysik vorliegt,
deren beste Gedanken — weit entfernt davon, neu zu
sein — dem Idealismus, insonderheit Goethe entstammen
. Daß der Verf. die Höhepunkte seiner Schrift in
gereimter und ungereimter Dichtung zusammenfaßt, mag
kennzeichnend für die „Besonderheit" des Ganzen sein.
Schönow (Neumark). H. Benckert.

Festschrift. Edmund Husserl zum 70. Geburtstag gewidmet. Halle
a. S.: M. Niemeyer 1929. (VII, 370 S.) gr. 8° = Jahrbuch f. Philos.
u. phänomenolog. Forschung. Ergänzungsheft. RM 20—; Hldr. 26—.

Für den Theologen am wesentlichsten ist eine Abhandlung
von Alexandre Koyre über „Die Gotteslehre
Jakob Böhmes". Es handelt sich um die Übersetzung
eines in sich vollständigen Abschnitts aus Koyres Werk:
La philosophie de Jacob Böhme. Der Übersetzerin, |
Hedwig Conrad-Martius ist dafür zu danken, daß sie j
durch ihren Auszug den deutschen Leser mit dieser
hervorragenden Arbeit bekannt macht. Koyre dringt
mit Meisterschaft in die komplizierte Dialektik Böhmes J
ein und entwickelt in straffer Konsequenz den syste- |

matischen Aufbau der Gottesidee Böhmes. Böhmes Problem
sei, die immanente Zeugung Gottes zu beschreiben
. „Ausgehend von der unbestimmten Gottheit, dem
göttlichen Nichts, sucht Böhme Gott zu erreichen. Schon
am Ausgangspunkt steht eine Antinomie: von der Natur
oder Kreatur müssen wir zu Gott aufsteigen; aber Gott
in sich erreichen wir damit nicht. Diese Antinomie überwindet
Böhme, indem er die Vernunft transzendiert
und das Mysterium der Geburt Gottes in uns aufsucht.
Dabei muß sich das Mysterium Gottes selbst erschließen.
Der Verf. zeigt nun in eindringlichster Weise, wie B.
der Plotinischen und Eckhardtschen Mystik entgegen
auf die Persönlichkeit Gottes dringt. Gott ist ihm ein
aktives, dynamisches, zum Selbstbewußtsein gekommenes
Sein. So kann der Verf. Böhmes Konstruktion der Gottesidee
geradezu als Konstruktion des Selbstbewußtseins
darstellen. — Die scharfsinnige und tiefdringende Untersuchung
Koyres hat auch erheblichen systematischen
Wert. Wie K. richtig sieht, daß es der Sinn der Trini-
tätslehre ist, in das Sein Gottes Dynamik und Leben
aufzunehmen, so bemerkt und würdigt er sehr richtig
, daß Böhme niemals durch die „bloß logische"
Entgegensetzung im Selbstbewußtsein die reine Unität
habe überschreiten wollen. „Die trinitarische Struktur
des Geistes ist nicht die einer Dreiheit von Personen."
Wenn die Systematik wirklich analysieren will, was in
der Bestimmung Gottes als Persönlichkeit liegt, wird
sie an der vorliegenden Arbeit ein gutes Rüstzeug finden.

Der Aufsatz Martin Heideggers „Vom Wesen des Grundes"
geht von den aristotelischen Bestimmungen des Grundes aus, zeigt den
Zusammenhang, den Leibnitz zwischen dem Satz vom Grunde und dem
Begriff der Wahrheit überhaupt herstellt, um dann selber noch über die
Frage nach der ontologischen Wahrheit zur Frage nach dem „Wesen
der Transzendenz" hinauszugehen. „Transzendenz bedeutet Überstieg.
Transzendent (transzendierend) ist, was den Überstieg vollzieht". Transzendenz
in diesem Sinne konstituiert nach Heidegger die Selbstheit; im
„Überstieg" kommt das Dasein auf sich selbst zu und kann sich so auch
erst zu Seiendem verhalten. Allem besonderen Verhalten und Erkennen
geht der transzendierende Weltentwurf voran. Bei dieser Gelegenheit
entwickelt Heidegger mit besonderer Prägnanz und mit geschichtlichem
Umblick auf Plato, Johannes-Evangelium, Augustin und Kant seinen
Weltbegriff. Jener Entwurf der Welt ist ein „Überwurf der entworfenen
Welt über das Seiende". So erst kommt es zum „Welteingang des
Seienden" und es ist die Freiheit, die dem Dasein eine Welt walten
und weiten läßt. Aber diese Freiheit ist endlich. Dem Dasein sind bei
seinem Entwurf durch das Seiende, in dem es sich befindet, je schon
Möglichkeiten entzogen. Aber „der Entzug verschafft gerade der Verbindlichkeit
des verbleibenden entworfenen Vorwurfs die Gewalt ihres
Waltens". Das Dasein also gründet Welt und gründet sich dabei
inmitten von Seiendem. Damit wird die dritte Weise des Gründens,
das Be-gründen, die Möglichkeit der ontischen Wahrheit, „mitgezeitigt".
Der Sinn vom Grund ist darnach dreifach: Möglichkeit, Boden, Ausweis.
Grund ist ein transzendentaler Wesenscharakter des Seins. Sein ist ursprünglich
begründend. Darum gilt der Satz vom Grunde. So erweist
sich die Freiheit in dreifacher Streuung des Gründens als Grund
des Grundes.

Heidegger bietet also eine Metaphysik der endlichen Freiheit.
Im Blick auf die Phänomenologie im Sinne Husserls ist entscheidend
die Absicht Heideggers, den logischen Problemen durch die Existential-
analysis eine anthropologische Grundlage zu geben. Husserl hat sich inzwischen
gegen diesen Versuch scharf ablehnend ausgesprochen. Dem
Theologen wird Heideggers Feststellung wichtig sein, daß die vorgelegte
Existenzanalyse über die Gottesfrage nichts entscheide, wohl aber den
Boden bereite, auf dem sie gestellt und geklärt werden könne. So will
Heidegger auch hier an den „ontischen" Begriffen der Theologie eine
ontologische „Formalisierung" vollziehen, ohne damit das Recht jener
ontischen Begriffe zu berühren. Aber wenn das Dasein Welt weiten
läßt, ist dann noch „Raum" für einen Schöpfer? Sieht man dazu, daß
die „Metaphysik" Heideggers ganz offenbar eine ganz bestimmte existentielle
Haltung (Entschlossenheit im Blick auf den Tod) impliziert, so
wird seine These erst recht fragwürdig). Formal aber ist die Sicherheit
, mit der Heidegger solche Frage erledigt, wohl nur daher verständlich
, daß er Theologie eo ipso im Horizont des thomistischen Denkens
als nachträglichen Anbau an die Philosophie versteht. Von protestantischer
Tradition her wird man gegenüber solchem Versuch, den Menschen
philosophisch «ex puris naturalibus» zu verstehen, fragen
müssen, ob nicht vielmehr das Gottesverhältnis auch für das Selbstverständnis
konstitutiv ist.

Soviel über die beiden für den Theologen zentralen Abhandlungen.
Wirft man einen Blick auf die Festschrift als Ganzes, so fällt auf, wie
stark der hier vertretene Schülerkreis Husserls sich von den logischen