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Ausgabe:

1932 Nr. 17

Spalte:

405-407

Autor/Hrsg.:

Bie, Richard

Titel/Untertitel:

Das katholische Europa 1932

Rezensent:

Haun, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 17.

406

Spezies der religionsgeschichtlichen Forschung ein und muß ihrer Tendenz
gemäß verfahren.

Möge nur rechte ' Kopfestheologie „dazu beitragen, daß uns die
Theologie der Reformatoren zur .Herzenstheologie' wird!" (Heim S. VI)
Leipzig. Karl T h i e m e.

Bie, Richard: Das katholische Europa. Leipzig: R. Voigtländer
1931. (240 S.) gr. 8°. RM 8.50 ; geb. 9.50.

Ein Buch, das einen einfach nicht losläßt — und
doch auf jeder Seite Widerspruch erweckt. Eine Geschichtsdarstellung
, die von Anfang bis zu Ende fesselt
und doch kann man meistens nicht mit. Ein Bekenntnis
von einer Kraft und Tiefe, das oft geradezu erschüttert
— und doch muß man es ablehnen. Ich weiß nicht,
wer Richard Bie ist und ersehe nur aus dem Umschlag
des Buches, daß er schon vorher 2 größere Werke
schuf „Magie der Weltgeschichte" von Alkibiades bis
Louis Corinth und „Revolution um Karl Marx". Richard
Bie ist — wie er im Vorwort bekennt — Katholik aus
Überzeugung und er ist Nationalsozialist. Es geht ihm
in diesem Werk um die religiöse Frage. Er ist überzeugt
daß „zwischen Ursprung und Dogma der Heilandslehre
, zwischen Kreuz und Kirche, zwischen Glau-
Ben und Satzung ein heilloser Widerspruch klafft". Er
glaubt, daß auch die Jugend unter diesem Widerspruch
leidet und darum das Christentum vielfach ablehnt und
will ihr zeigen, was „der wahre, ursprüngliche und
echte Christus bedeutet und heute noch bedeuten kann".
Bie verfügt über eine ungemein große Belesenheit und
hat eine Einzelkenntnis in Dingen der Profan- und der
Dogmengeschichte, die in Erstaunen setzt. Diese Fülle
der Einzelheiten, die er bringt, dient ihm aber nur dazu,
eine Grundschau herauszuarbeiten und hinter allen Einzelheiten
der Geschichte dieses — wie er meint: ihr
eigenstes — Wesen zu sehen. Mir ist beim Lesen von Bies
Buch immer der Vergleich mit Chamberlains „Kulturgrundlagen
" eingefallen. Hier wie dort eine Fülle von
Einzelheiten, die alle einem Grundgedanken untergeordnet
werden. Wie viel in diesem Buche steht, sagt
die Einteilung: Kreuz und Kirche (Jesus Christus, Paulus
, Augustin), Papst und Kaiser (die heilige Lüge,
das Kaisertum Christi, die Katastrophe), Umwertung
der Gotik, Reformation und Gegenreformation (von der
Seele zum All Leonardo da Vinci, die Gesellschaft Jesu)
Nationalismus und Katholizismus (von Richelieu bis
Metternich, der Kulturkampf) Entscheidung. B. verfügt
über einen glänzenden Stil und eine ungemein plastische
Darstellung. Was er schreibt, ist voller Gesichte und
voller Kraft; voller Vergleiche, die man nicht mehr vergißt
und voll echtem, oft erschütterndem Pathos. Man
lese seine Kapitel über Ignatius von Loyola oder über
Canisius, über die Umwertung der Gotik oder über
Canossa ' und den Antichristen — und1 man begegnet
einem Erzählertalent von ungemeinem Ausmaß. Wer
sein Kapitel über Jesus Christus liest, weiß wie ernst
es B. um echtes Frommsein und um wahre Jesusjünger- 1
Schaft geht.

Und doch: auf das Ganze gesehen, hält B. Buch
vor der theologischen Wissenschaft nicht stand. Was
er will, sagt schon die Einleitung auf S. 2 und 3.

„Der Heiland, der übrigens an einer entscheidenden Wende seines
Lebens gefühlt haben muß, daß das Ereignis des Himmelreiches nicht
eintritt, daß die Drangsal der Zeiten ausbleibt und er allein das Kreuz
auf sich nehmen wird, hat zwei Vorbehalte für die Lehre vom Himmelreich
gemacht. Erstens den furchtbaren Vorbehalt der Gnadenwahl, den
Paulus im Römerbrief 8, 28 in die unerbittliche Form kleidet: wir wissen
aber, daß denen die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen, denen
die nach dem Vorsatz berufen sind. Zweitens den Vorbehalt (Luk. 17, 20).
Das Reich Gottes kommt nicht aus äußerlichen Gebärden; man wird j
auch nicht sagen: Siehe hier oder: da ist es! Denn sehet, das Reich [
Gottes ist inwendig in euch. Beide Vorbehalte hat die Kirche zu ent- |
kräften versucht. In dem Maße, als Gericht, Wiederkunft des Menschensohnes
und Himmelreich ausbleiben, hat sie selbst das Regiment der
Gnadenmittel in ihre Obhut genommen und das Kreuz von Golgatha
als Lösegeld, als „Arznei der Unsterblichkeit" für alle betrachtet. Eben- j
so hat die Kirche das Geheimnis der innerlichen Lauterkeit eines Men- |
sehen, der die Gnade hat, ein Geheimnis, das nur von Gott aus gesehen
gelöst werden kann, unter ihre Kontrolle genommen. Als Reich Gottes |

auf Erden regelt sie die Gnaden und Verdienste durch Heiligkeit der
Werke, durch das Bekenntnis der Sünden und durch die Reue des Gebets
. Weil sie weiß, daß jenes Inwendige im Durchschnitt der Menschen
nur zu oft eine leere Ausflucht ist, weil sie weiß, daß der Mensch
einer dauernden Aufsicht bedarf, erfand sie ein System, von lücken-
! loser dogmatischer Geschlossenheit, das den Menschen prüft und beglückt
, schreckt und erlöst, verdammt und heilt, bannt und erkühnt,
verflucht und segnet."

Hier springt der Gegensatz heraus: Jesus — und
die Kirche. Jesus will eine Auswahl der „Erlesenen",
! der Begnadeten, aller, deren Gott Glauben geschenkt
hat und diese Erlesenen eint er zu einer heroischen Gemeinschaft
. Die Kirche macht aus dem aber „das oro-a-
nisierte Gottesrecht auf Erden, das Herrscheramt Chrfsti
als Sinn der Welt und die erlösende Vermittlung der
Gnadensakramente". Sie ist im Grunde aus einem
großen Irrtum entstanden, den sie folgerichtig zu Ende
dachte. Daß sie entstehen und so werden konnte, ist
die „Schuld" des Juden Paulus. Der hat mit seiner jü-
; dischen Seele den Christus erfaßt, die jüdische Seele in
ihm blieb stärker als der Christus und aus diesem
System: Christus und jüdische Seele erwuchs die Kirche.

Erinnern wir uns: Jesus von Nazareth verlangt von seinen Jüngern
die ruhige, aber feste Entscheidung der Einkehr, der klaren Lebenswende
, der Treue zu sich selbst, der gelassenen Tat und der wachsamen
Prüfung. Paulus zeigt dagegen in seiner Umkehr einen überraschenden
Bruch, der sein Wesen nur an der Oberfläche ändert, seine jüdische
Substanz dagegen nicht berührt (S. 63).

Dieser Bruch im Wesen eines Juden, der seine Abtrünnigkeit zur
Genialität steigert, ist für die gesamte Geschichte des Christentums, vor
allem für sein Verhältnis zu Natur und Welt verderblich geworden (S. 64).

Aus seiner jüdischen Seele heraus propft Paulus dem
Christentum den Begriff der „Sünde" auf, macht dann
folgerichtig aus dem Sterben Jesu, das „ein Spiegel der
göttlichen Selbstoffenbarung ein heroisches Drama der
Liebe darstellt, eine Verantwortung Gottes vor der Welt"
eine „allgemeine Rückversicherung" und treibt den Christen
in eine Mystik hinein, die „immer ein ekstatischer
und vorübergehender Zustand der Seele, niemals ein
planvolles Lebenselement" ist. Des Paulus Wirken und
Lehre bedeutet seelische Anarchie und mattmachende
Mystik. Auf Grund dieses jüdischen Einschlags, den
Paulus bringt, kann sich die Kirche aufbauen — und
zur Macht werden.

„Durch ihn siegt der asketische Charakter des Christentumes voller
Buße, Strafen, Vergeltung und Reue über den heroischen Charakter der
Heilandslehre, die die verunglückte Welt durch den Gedanken der
Gnadenwahl überwindet" (S. 90).

Und nun beginnt in der Weltgeschichte der große
Kampf zwischen den Jüngern Jesu und dieser Kirche.
„Das katholische und römische Ideal fallen immer weiter
auseinander" (S. 99). Cyprian, Origenes, Augustin fühlen
die Spannung, suchen sie zu überwinden oder sich
ihr entgegenzuwerfen, damit sie sich schließe. Sie wer-
j den aber nicht verstanden — und der Kampf ist un-
I ausbleiblich. Hier die Kaiser Karl der Große, Otto der
Große, Heinrich der Heilige. 'Sie wissen Etwas vom
Kaisertum Christi. Sie fühlen sich als die „Begnadeten"
erfüllen einen Gottesauftrag, fordern nur Treue und sind
die Gottgetreuen. Sie wollen ein „katholisches Europa",
in dem die von Gott Berufenen aus eigener Vollmacht
Gottes bestimmen. Sie werden nicht verstanden und an
ihre Stelle setzt sich Rom. Das Reich zerbricht an der
Macht Roms. Aus seinen Trümmern erwacht die Nation
als selbständig gottgewolltes Gebilde. Der nationale
Staat ersteht, aus Gottes Recht und Gottes Gnade heraus
, der seine glänzendste Verwirklichung in Preußen
fand. Die Kirche d. h. Rom steht wider dies alles.
Muß dawider stehen, da sie nicht auf dem Christusgeist
sondern auf jüdischem Paulinismus beruht. Freilich
auch aus ihrer Mitte heraus erstehen die Geister, die
wider Rom angehen und den Christus wollen: Eckehart,
Giordano Bruno, Leonardo da Vinci, vor allem Luther.
Der vor allem entdeckt wieder die beiden Vorbehalte
Jesu, die Gnadenwahl und die Innerlichkeit des Glaubens
. Schade, daß der an Luther anknüpfende Protestantismus
versagt hat.