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Ausgabe:

1932 Nr. 12

Spalte:

277-279

Autor/Hrsg.:

Schian, Martin

Titel/Untertitel:

Die evangelische Kirche der Neuzeit in Deutschland u. in den benachbarten Gebieten deutscher Sprache, besonders in d. Schweiz u. in Österreich 1932

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 12.

278

Schi an, Prof. D. Dr. Martin: Die evangelische Kirche der
Neuzeit in Deutschland u. in den benachbarten Gebieten deutscher
Sprache, besonders in d. Schweiz u. in Österreich. Mit Beiträgen
zahlreicher Mitarbeiter u. ra. vielen Abb. Wiesbaden: Deutsche Ver-
lagsges. 1930. (623 S.) 4°. geb. RM 40-.

Herausgeber und Verlag kann man nur beglückwünschen
zu dem Mut, mit dem sie ein nach Inhalt und
Form so monumentales Werk in dieser Zeit herausgebracht
haben. Im Vorwort spricht sich der Herausgeber
über den Zweck des Werkes aus. Es will helfen eine
größere Kenntnis kirchlicher Einrichtungen, Ordnungen
und Arbeiten im deutschen Volk zu verbreiten, und
wenn er es auch nicht als für Theologen bestimmt bezeichnet
, auch diese werden großen Gewinn davon haben.
Das Buch verzichtet darauf, Geschichte zu bieten. Leben
und Arbeit der Kirche der Gegenwart soll geschildert
werden, dabei wird doch in die Geschichte der letzten
Generation zurückgegriffen, mit vollem Recht. Die
d e u t s c h - evangelischen Kirchen werden behandelt, dazu
gehören auch die durch den Versailler Vertrag abgetrennten
Kirchengebiete, die evangelische Kirche
Österreichs und der Nachfolgestaaten, sowie die der
Ostschweiz, die ja, zumal in ihrer Theologie, auf's
engste mit der reichsdeutschen Kirche verbunden ist.
Die berufensten Kenner und Arbeiter auf den verschiedensten
Gebieten berichten über fast alle evangelischen
Arbeiten und Bestrebungen und Auseinandersetzungen
mit Kultur, Zeitgeist, Staat, Kommune, gegnerischen
Lagern und zeigen das evangelische Leben der Gegenwart
in Einzelschauen, die sich zu einer Gesamtschau
abrunden. Eine große Fülle von Bildern bedeutender
Persönlichkeiten, aus der christlichen Liebestätigkeit,
aus der neueren religiösen Kunst, von Kirchen und Gemeindehäusern
, im wesentlichen sehr glücklich gewählt,
bieten nicht nur einen äußeren Schmuck, sondern machen
das Buch erst zu dem, was es geworden ist.

Der Herausgeber selbst hat den ersten Beitrag geliefert, Einführung
und Überblick, er bringt bei aller Knappheit erstaunlich
reichhaltig in großen Zügen die Entstehung der evangelischen Kirche
von der Reformation bis zur Gegenwart, die einzelnen evangelischen
Kirchen in ihrem Bestand, in ihrer Mannigfaltigkeit und Unterschiedlichkeit
sowie in ihrer höheren Einheit. Weitere Beiträge von ihm sind
Staat und Kirche im neuen Deutschland und die evangelischen
Kirchengemeinden, in ersterem wird erörtert, wie die
Verhältnisse sich nach 1918 gestaltet haben, und wie ihr jetziger Stand
ist, bei dem zweiten behandelt der Mitbegründer und Leiter des deutschevangelischen
Gemeindetags ein Gebiet, in dem ihm wohl niemand an
Sachkenntnis gleichkommt; hier zeigt sich manches, was erreicht ist, auch
wie alle neueren evangelischen Kirchenverfassungen die Bedeutung der
Gemeinde hervorheben, aber auch vieles, was noch zu erstreben und
zu erkämpfen ist in Stadt und Land. Mit dem zweiten Beitrag
von D. Dr. Schian berührt sich der von D. Karnatz - Berlin Die
Neubildung der Kirchenverfassungen nach der Staatsumwälzung
, eine klare Darstellung der verwickelten und in den
einzelnen Landeskirchen sehr verschieden geordneten Materie. Die
kirchlicheSelbstverwaltung behandelt der Präses der rheinischen
Kirchenprovinz, die wie Westfalen der klassische Boden kirchlicher Selbstverwaltung
ist, D. Wolff-Aachen. Dankenswert und sehr nötig hier
der Hinweis, daß für die synodalen Ordnungen der letzten Jahrzehnte
vielmehr als die politisch-parlamentarische Entwicklung die Grundsätze
der rheinisch-westfälischen Kirchenordnung anregend und maßgebend
gewesen sind, was vielfach auch in kirchlichen und theologischen Kreisen
übersehen wird. Über die Einigung der deutschen evangelischen
Kirchen, insonderheit den Kirchenbund schreibt D. Dr.
Schubert-Berlin', ebenso als langjähriger Auslandspfarrer über die
deutschen e van gel i s ch en Au sl an dsgem ei n d e n , eine ausführliche
Übersicht, er zeigt ihre Nöte, aber auch ihr Leben und die
Hilfe, die ihnen von der sich allmählich auf ihre Pflichten ihnen gegenüber
besinnenden Heimatkirche gebracht wird. Im Anschluß daran sei
darauf hingewiesen, daß die einzelnen deutsch-evangelischen Kirchen des
Auslands ihre besonderen ausführlichen Darstellungen finden durch D.
Kalweist-Danzig, Gregor-Memel, D. Blau-Posen, D.
Voss-Kattowitz, D. Völker-Wien, D. PI a t z h of f - Le j eu n e
(Schweiz), D. Wehrenpfennig-Gablonz, D. Zöckler-
S tanislau, den „Bodelschwingh des Ostens". Über die deutschen
evangelischen Kirchen im Rahmen desGesamtprotestan-
tismus schreibt der unterdessen verstorbene Oberkonsistorialrat im
Kirchenbundesamt D. Schneider-Berlin, von den internationalen
Konferenzen und Zusammenschlüssen der Vergangenheit bis hin zur
ökumentlichen Bewegung der Gegenwart.

Und nun das Innere Leben der Kirche. An erster Stelle sei da
genannt D. Dr. Eger-Halle, die Gottesdienste, eine tiefgehende
Darlegung der Geschichte und Bedeutung des evangelischen
Gottesdienstes und der kirchlichen Handlungen, die Berichterstatter gern
als Sonderdruck in den Händen vieler interessierter gebildeter Gemeindeglieder
sähe. Pfarrer und Pfarramt von D. Zänker-Bres 1 au
schildert die verschiedenartige Tätigkeit des Pfarrers der Gegenwart und
die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, die Beiträge von Eger
und Zänker bieten zusammen mit D. Mahling-Berlin, die Kirche
und dieStände des Volkes eine kurz zusammengefaßte praktische
Theologie, wobei doch nie vergessen ist, daß sie in erster Linie für
Laien gedacht ist. Die deutsche evangelische Kirche als
Volkskirche behandelt D. Schoell-Stuttgart. Eine besonders
glückliche Formulierung hebe ich hervor: „Die Volkskirche anerkennt
als ihre Glieder die altreformatorisch wie die pietistisch oder rationalistisch
oder modern christlich Eingestellten, ohne daß damit schon ausgesprochen
wäre, daß, kirchlich und religiös angesehen, die verschiedenen
Richtungen gleich wertvoll seien". D. Düsse-Düsseldorf behandelt
ausführlich die kirchliche Sitte, ein lange Zeit verhängnisvoll
unterschätztes Gebiet. In das innere Leben der Kirche greift auch ein
dieevangelischeKircheunddieSchule von Bunzel-Brieg
und D. Matthes-Darmstadt, ein Bericht über die Entwicklung
dieser schwierigen Materie und ein Hinweis auf die neuen Aufgaben,
denen sich die evangelische Pädagogik der Gegenwart, mit großer
Freudigkeit widmet. In diesem Zusammenhang seien weiter genannt
D. Zänker, die evangelische Kirche und die Männer,
Käthe Klamroth-Berlin, die Frau in der evangelischen
Kirche, Lic. Grunz-Berlin, Diedeutschen evangelischen
KirchenunddiesozialeFrage, Lic. Przybylski-Dortmund,
Evangelische Jugendpflege. In einer ganz kurzen Übersicht
bespricht Buntzel-Brieg die freien evangelisch-kirchlichen
Verbände, von ihm auch der evangelische Geistliche im
Staats- und Komm u nal di en s t. Spezialgebiete von Kirche
und freier christlicher Liebestätigkeit behandeln D. Füllkrug-
Dahlem, die Arbeit an der Seele des Volkes (Volksmission
), Michaelis-Weimar, die Arbeit der evangelischen
Kirche an der Bildung der öffentlichen Meinung
(Pressearbeit), D. B1 an km ei s t er - D r esd en , die evangelische
Diaspora als Arbeitsfeld des Gustav Adolf Vereins
, D. Dr. Schian, Kirche und Innere Mission, der
unterdessen verstorbene D. Kayser-Frankfurt-Main Diakone
und Diakonissen, der Leiter der Bodelschwinghsche Anstalten in
Hoffnungstal bei Berlin Braune die Anstalten der evangelischen
Liebe, D. Steinweg-Dahlem, die Liebestätigkeit
der Inneren Mission als kirchliche Wohlfahrtspflege.
Daß dem Evangelischen Bund kein ausführlicher Abschnitt gewidmet ist,
bedaure ich bei seiner großen Bedeutung und der Pionierarbeit, die er
auf vielen Gebieten (z. B. Presse) geleistet hat, allerdings ist in dem
noch zu besprechenden Beitrag von D. Ohlemüller das Wichtigste über
ihn ganz kurz gesagt. In einer auf knappem Raum erstaunlich reichhaltigen
Übersicht wird von Miss. Inspektor Müller-Berlin, die
Arbeit der Heidenmission geschildert, während die deutsche
evangelische Mission im Morgenland D. Richter bearbeitet.

Eine ruhige und gerechte Würdigung der so bedeutungsvollen und
wenig einheitlichen Gemeinschaftsbewegungin Deutschland
gibt der ausgezeichnete Kenner dieses Gebiets D. Fleisch-Hannover.
Brüdergemeinde, Freikirchen und Sekten bespricht Lic.
Rokohl-Bolkenhain, hier ist natürlich nur eine ganz summarische
Übersicht möglich, Gruppierung und Wertung wird sich nach persönlicher
Einstellung und persönlichen Erfahrungen verschieden gestalten, m. E.
verdienten die Mennoniten eine bessere Würdigung, bei den Ernsten
Bibelforschern wäre ein Hinweis auf die großen Geldmittel, die hinter
ihnen stehen, wohl angebracht. Der weiteren Auseinandersetzung mit
Gegenwartsfragen in Kirchen und Volksleben dienen eine Reihe von
Beiträgen: D. Zänker, Die evangelische Kirche im Kampf
der Weltanschauung, D. Dr. von Rohden-Halle Die
deutsche evangelische Kirche im Kampf der sittlichen
Anschauungen, Lic. Stäglich-Berlin, Die deutsche
evangelische Kirche und das Freidenkertum. Ein meisterhafter
Wurf ist der Beitrag von Dr. Ohlemüller-Berlin die
deutsche evangelische Kirche und der Katholizismus
O., selbst aus dem Katholizismus (Sulpizianerorden) hervorgegangen,
ist gegenwärtig wohl der beste evangelische Kenner des römischen
Katholizismus. Wertvolle katholische Dokumente aus Vergangenheit und
Gegenwart geben dem ohne irgend welche polemische Tendenz geschriebenen
Beitrag erhöhten Wert.

In das Gebiet der Kunst führen Lic. Kühner-Waldkirch
Evangelium, Kirche und Pfarrer in der deutschen Literatur
, Prof. Reimann-Berlin, Die Musik im Dienste der
Kirche, ganz prinzipiell, evangelisch, kirchlich orientiert, Brathe-
Wansleben, Der evangelische Kirchenbau im zwanzigsten
Jahrhundert vortrefflich über die Fragen und Bestrebungen
der Neuzeit, die ganz andere sind wie um die Jahrhundertwende, und
I die erreichten Erfolge unterrichtend, im ganzen recht hoffnungsvoll