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Ausgabe:

1931 Nr. 1

Spalte:

20-21

Autor/Hrsg.:

Ranke, Leopold von

Titel/Untertitel:

Ueber Helden und Heldenverehrung 1931

Rezensent:

Stracke, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 1.

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Stellung nach Problemen zu gruppieren und die langsame
Entwickelung vom Neukantianismus weg hin zum
metaphysischen Idealismus, zum Realismus und zur
Phänomenologie zu zeichnen.

Grundsätzlich begrüße ich das Prinzip des Verfassers
, nicht bloß trocken aufzuzählen, sondern von
einem eigenen Standpunkt aus ein geschlossenes und
kritisches Bild der Lage zu geben. Der unbedingten Ablehnung
des Neukantianismus, der als konstruierender
Rationalismus dem Wesen der Religion nicht gerecht
wird, stimme ich zu und folge auch darin dem Verfasser
, daß eine brauchbare Religionsphilosophie nur
in der Richtung der klassischen deutschen Philosophie
zu gewinnen ist. Der Neukantianismus Cohens wird
aber doch von Leisegang — rückblickend von Cohens
letzten Phase aus — wohl zu „jüdisch" gesehen, was
den ganzen Neukantianismus in Verdacht bringt, nicht
„typisch deutsch" zu sein, wie denn die antisemitische
Grundhaltung den Verfasser gelegentlich zur Unsach-
lichkeit verführt. Der Seitenhieb auf die Kantgesellschaft
, der „ein Kampf gegen die typisch deutsche
Philosophie nicht unangenehm" sei, zumal mit der Begründung
, daß sie „mit größtem Geschick aus Karl
Barth und seinen Anhängern Neukantianer" mache,
dürfte weder sachlich richtig noch im Zusammenhang
der Darstellung notwendig sein.

Der Auseinandersetzung mit Karl Barth und Kierkegaard
als Vertretern der protestantischen Religionsphilosophie
— gegen Emil Brunner wird richtig gesagt, daß
seine Religionsphilosophie keine Religionsphiilosophie ist
— widmet der Verfasser viele Seiten. Er lehnt sie m. E.
mit Recht ab, aber ich habe doch den Eindruck, daß er
hier nicht bis in die Tiefe vorgestoßen ist. Mag man die
Charakteristik der dialektischen Methode als „abgehackter
" Dialektik, weil auf die Synthese verzichtend,
noch hingehen lassen, obgleich sie ziemlich am Äußeren
haften bleibt, so wird doch übersehen, daß in der dialektischen
Theologie ein religiöses Anliegen durchbricht,
daß nicht so ohne Weiteres zurückgewiesen werden darf.
Hätte Leisegang Wobbermins „Richtlinien evangelischer
Theologie" und Stephans Bericht über Systematische
Theologie in dem Werk „Die evangelische Theologie,
ihr jetziger Stand und ihre Aufgaben" herangezogen,
so hätte er hier Wegzeigung für eine gerechtere Würdigung
der Dialektiker gefunden. Dabei sei denn auch angemerkt
, daß die Beurteilung Barths als Neukantianer
garnicht so ungerecht ist, wie Leisegang meint, denn
Barth kommt aus der Schule Herrmanns und seine
Polemik gegen die bisherige Theologie erklärt sich
wohl großenteils daraus, daß er sie in neukantischer
Beleuchtung und Verengung sieht.

Die Darstellung Leisegangs verliert im weiteren
Fortgang an persönlichem Temperament und wird —
nicht zu ihrem Vorteil — mehr und mehr Referat, das
gelegentlich sehr äußerlich oder dürftig bleibt, so z. B.
bei der Behandlung Wobbermins. Die tiefsten Intentionen
der religionspsychologischen Methode kommen
nicht zur gerechten Darstellung, sonst hätte Wobbermin
nicht so einfach unter die empirisch-psychologischen
Religionsphilosophen gezählt werden können. Und gerade
von Wobbermin aus hätte sich zeigen lassen, wie
die Verbindung zwischen den besten Traditionen der
klassischen deutschen Philosophie und zwischen der
aus ihrem Urlauten verstandenen Religion hergestellt
werden kann.

Sonst werden die wesentlichen Vertreter der verschiedenen
, oben genannten religionsphilosophischen
Richtungen sachlich dargestellt. Bei den Neukantianern
hätte man Natorp ausführlicher und besonders eine Berücksichtigung
seiner Altersphilosophie gewünscht. Gerade
die letztere kann zeigen, wie auch vom Neukantianismus
her ein Anschluß an ausgesprochen deutsche Art,
nämlich an die deutsche Mystik, gefunden werden kann
Die Wertphilosophie wird vor allem um Windelband,
Rickert und Troeltsch gruppiert, beim metaphysischen

J Idealismus treten Eucken, Hermann Schwarz und Tillich
in den Vordergrund. Die Zuordnung von Tillich
zu Eucken ist mir etwas problematisch, es wäre besser
gewesen, ihn zum Realismus zu zählen und neben
j Dunkmann und Jelke zu stellen, natürlich mit klarer
I Abgrenzung seines „gläubigen" Realismus. Die Zu-
{ sammenordnung von Wobbermin, Otto und Heinrich
I Scholz ist naheliegend, nur muß das oben zu Wobbermin
Gesagte vorbehalten bleiben. Im Mittelpunkt der
Darstellung der phänomenologischen Religionsphilosophie
steht mit Recht Scheler, aber statt der ausführ-
j liehen Berücksichtigung Gründlers, oder mindestens neben
ihm, wäre Stavenhagen (vgl. sein Buch über Absolute
Stellungnahmen) ausführlicher zu berücksichtigen
gewesen, dann wäre auch das Evangelische in der
phänomenologischen Religionsphilosophie stärker hervorgetreten
. — Die ausführliche Bibliographie von 12
I Seiten ist eine begrüßenswerte Beigabe zu den Ausfüh-
j rungen des Buches.

Düsseldorf._ Kurt Kcsseler.

j Graefe, Dr. phil. Waller. Die Weltanschauung Rabindranath
Tagores in ihren Beziehungen zum Abendland. Leipzig. J. C.
Hinrichs 1930. (V, 88 S.) 8°. = Missionswissenschaft!. Forschgn.
hrsg. v. d. Deutschen Ges. f. Missionswiss. durch M. Schlunk, 8-

RM 4.70.

An der Hand der englischen Übersetzungen der
j Hauptschriften Tagores gibt Gräfe eine zusammen-
i hängende Darstellung der Weltanschauung des Dichters
I und erörtert die oft ventilierte Frage, wieweit die we-
! sentlichen Elemente dieser Weltanschauung indischen
i Ursprungs, wie weit sie unter den Einwirkungen des
j Westens entstanden sind. Mit Recht kommt der Verf.
! zu dem Ergebnis, daß Tagore in hohem Maße von
| europäischen Gedankengängen beeinflußt worden ist,
' und daß viele seiner Lehren, wenngleich der Dichter
j selbst sie aus den Upanisaden herausliest, nicht als eine
organische Fortentwickelung der philosophischen Überlieferungen
Indiens anzusehen sind. Die Arbeit hätte
i jedoch bedeutend an wissenschaftlichem Wert gewonnen,
j wenn Gräfe sich nicht auf die Benutzung der vor-
I wiegend für die Bedürfnisse der europäischen Leser
j hergestellten englischen Übersetzungen beschränkt, sondern
auch die, vielfach doch nach Wesen und Stimmung
j abweichenden bengalischen Originale sowie die zahlreichen
nicht übersetzten bengalischen Schriften herange-
I zogen hätte. Wichtige Punkte, die für die Beurteilung
i von einschneidender Bedeutung sind, kamen nicht zur
Sprache: so scheint mir die besondere Stellung, welche
die Tagores als Pirali-Brahmanen innerhalb der orthodoxen
Gesellschaft Kalkuttas einnehmen, nicht wenig
dazu beigetragen zu haben, daß sie schon frühzeitig
! Reformideen zugänglich waren. Wenn Graefe S. 84
! bemerkt „Der Theopanismus, den uns Tagore nahe-
i bringen will, ist uns vor allem durch Spinoza und
Goethe nichts Fremdes mehr", so hat er damit in sach-
I licher Hinsicht Recht, nur müßte es statt Theopanismus
! natürlich Pantheismus heißen, denn Rudolf Otto hat den
, neuen Ausdruck „Theopanismus" (Theopantismus) ja
I gerade geprägt, um der Anschauung, welcher die Natur
; Gegenstand ästhetisch-religiöser Gefühle ist, die in Indien
bis zum Akosmismus gesteigerte Lehre der My-
j stiker von der Wesenlosigkeit der Welt gegenüberzu-
' stellen. Es ist gerade ein Charakteristikum des Gottes-
begriffs Tagores, daß er sich von dem indischen Theo-
; panismus entfernt und einem, den Indern sonst fremden,
; Pantheismus in westlichem Sinne nähert.

Königsberg i. Pr.____H. von Glasenapp.

i Ranke, Leopold von: Über Helden und Heldenverehrung.

Über die Wechselwirkung zwischen Staat, Publikum, Lehrern und
Schülern in Beziehung auf ein Gymnasium. Zwei bisher unveröffentlichte
Jugendreden. Aus d. Nachlaß Rankes krit. hrsg., m. e.
Einf. u. e. Nachw. vers. v. Kurt Borries. Mit 2 Paks. ([Taf.l 1. Aufl.)
Berlin: Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte 1927.
(V, 55 S.) 4°. RM 5-.

Zwei Schulreden, die Ranke als Gymnasialoberlehrer
in Frankfurt a. O. gehalten hat, werden hier von