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Ausgabe:

1931 Nr. 12

Spalte:

279-284

Autor/Hrsg.:

Heidegger, Martin

Titel/Untertitel:

Vom Wesen des Grundes 1931

Rezensent:

Knittermeyer, Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 12.

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existentieller Art. Es bringt ja gerade zum Ausdruck,
daß echte Glaubenserfahrung in keiner Weise empirischseelische
Erfahrung ist. Die beiden verschiedenartigen
Bestandteile der Dialektik, der glaubensmäßig existentielle
und der auf die dialektische Methodik zurückgehende
, klaffen stärker auseinander, als K. es zugibt.

Durchaus im Recht ist aber K. wieder mit seiner
Kritik der dialektischen Methodik selbst. Bei genauerem
Zusehen enthüllt die letztere sich tatsächlich als eine
wahre „Büchse der Pandora". Und besonders verhängnisvoll
wirkt allerdings der „ungebrochene Rationalismus
" des dialektisch-begrifflichen Denkens. Hier trifft
K.'s Argumentation weithin zusammen und ergänzt sich
aufs glücklichste mit Friedr. Traubs scharfsinniger Abhandlung
„Zum Begriff des Dialektischen" (Zeitschr.
für Theologie und Kirche 1929, Heft 5).

In dem Bestreben, die dialektische Theologie aus
ihren eigenen Motiven heraus zu verstehen, berührt sich
K. aufs engste mit meinen „Richtlinien evangelischer
Theologie zur Überwindung der gegenwärtigen Krisis".
Um so mehr überrascht mich sein Satz, ich führe in
ihnen meine „rein polemische Behauptung" durch, daß
ich den Kampf gegen Historismus und Psychologismus
schon vor dem Weltkrieg „vorweggenommen"
habe (S. 37). Hierzu bemerke ich: 1. Nicht „vorweggenommen
", wohl aber „aufgenommen" habe ich den
Kampf in den Jahren vor dem Kriege. 2. Dies ist nicht
eine „Behauptung", sondern die Konstatierung eines
Tatbestandes, der durch den erstmalig 1913 erschienenen
1. Band meiner „Systematischen Theologie" einwandfrei
belegt wird. 3. Am wenigsten kann von einer
„rein polemischen" Behauptung die Rede sein. Ist die
Begründung einer Ontotogie oder Metaphysik des Glaubens
, für die Gott die allein absolute Wirklichkeit ist,
eine rein polemische Behauptung? — oder ist das von
dem Aufweis der grundsätzlich kulturkritischen Haltung
des Glaubens zu sagen? — oder von dem Aufweis
, welche Bedeutung die Geschichte (und zwar die
Geschichte im Unterschied zu ihrer historisch-wissenschaftlichen
Erfassung) für den Glauben hat? — oder
von dem Aufweis der übergreifenden Bedeutung der
Wahrheitsfrage gegenüber dem Lebensinteresse des
Glaubens? — oder von dem Aufweis des letzten Sinngehalts
der neutestamentlichen Eschatologie und seiner
bleibenden Wahrheitsgeltung? — oder ist die Sicherstellung
des Grundsatzes, daß allein das Wort Gottes
Artikel des Glaubens zu stellen hat, eine rein polemische
Behauptung?

Göttingen. G. Wob Dermin.

Heidegger, Martin: Vom Wesen des Grundes. Halle: Max
Niemeyer 1929. (II, 40 S.) gr. 8°. = Sonderdruck aus der Festschrift
für Edmund Husserl. KM 2.50.

Diese äußerlich nicht umfangreiche, aber in sich desto
gewichtigere Abhandlung behandelt nicht etwa eine Spezialfrage
der Erkenntnistheorie. Sie enthält auch keinen
Exkurs zu „Sein und Zeit". Sie wird vielmehr für manchen
geradezu den Charakter einer Grundlegung für
„Sein und Zeit" annehmen können. Heidegger setzt
nämlich in dieser Schrift seine Philosophie in ein Verhältnis
zur „Transzendentalphilosophie der Alten", und
er erreicht damit nicht nur, daß die transzendentalphilosophische
Problematik in ihren geschichtlichen Zusammenhängen
neu beleuchtet wird, sondern daß auch seine
eigene Daseinsinterpretation durch ihre Ausrichtung auf
die transzendentalphilosophischen Entwürfe von Par-
menides bis zu Kant und Hegel sich klärt.

Für Heidegger ist die Frage nach dem Grund
nicht schon damit erledigt, daß sie formuliert wird.
Das principium rationis sufficientis läßt gerade das Wesen
des Grundes unerörtert. Das veranlaßte schon Leib-
niz, hinter es zurückzutragen und es aus dem Wesen der
Wahrheit zu rechtfertigen. Da er aber diese Wahrheit
nur als Satz- und Aussagewahrheit in Rechnung stellt,
da er sich mit der formalen Einstimmigkeit von Subjekt
und Prädikat als ihren Kriterien begnügt, gelingt es

ihm nicht, den transzendentalphilosophischen Horizont
der Frage nach dem Grunde aufzurollen. (Natürlich beabsichtigt
Heidegger damit kein Urteil über Leibniz abzugeben
; er beschränkt sich auf die Auslegung einer
einzigen Definition.)

H. zeigt also zunächst, daß die Satzwahrheit in.
einer ursprünglicheren Wahrheit „gründet". Sie setzt
stets schon „vorprädikative Offenbarkeit von Seiendem
", d. h. ontische Wahrheit, und in eins damit
ein Seinsverständnis dieses Seienden, d. h. ontologische
Wahrheit voraus. In dieser ursprünglichen Differenziertheit
der Wahrheit mit Bezug auf das Seiende und
das Sein, in dem, was H. die „ontologische Differenz"
nennt, wird die transzendentalphilosophische Grund-
; frage neu gestellt. Denn die Transzendentalphilosophie
ist seit je dadurch von der bloßen Logik unterschieden
gewesen, daß sie in ihren Grundbegriffen eine „Spur"
anzutreffen glaubt, in der das Transzendente sich auf
eine der Erkenntnis gemäße Weise ausdrückt. Das be-
! kannteste Beispiel dafür bieten Augustin und die von
ihm inspirierte Scholastik, wenn sie in dem Dreiklang
j der transzendentalen Einheit, Wahrheit und Gutheit ein
, vestigium trinitatis ansprechen. Aber auch Piaton hat
j im Staat das Epekeina und im Philebos die selbst
transzendent bleibende Aitia in einem dreigliedrigen
i Ansatz auszudrücken versucht, der sachlich in die gleiche
Linie gehört. Auf Aristoteles und seine ebenfalls hierher
gehörige Aufzählung der Archai und Aitiai geht H.
selbst einleitend ein.

Die Frage ist nun, wieweit es H. gelingt, in der
ontologischen Differenz einerseits die transzendental-
philosophische Fragestellung der Geschichte aufzuneh-
, men und andererseits ihr eine Prägung zu geben, die der
zum mindesten gegen die Antike und das Mittelalter
veränderten Lage gerecht wird. Die „ontologische Diffe-
i renz" ist faktisch im „Dasein". Denn „Dasein" be-
i stimmt sich nach H. gerade dadurch, „daß es sein-
; verstehend zu Seiendem sich verhält". Das Wesen des
i Grundes wird sich dann nirgend anders erschließen
: können als im Grunde eben dieses Daseins. Die „Trans-
: zendenz des Daseins", das im Überstieg sich vollziehende
Geschehen seiner Grundverfassung, das den
I Gegensatz von Subjekt und Objekt erst aus sich heraussetzende
Ereignis der Erkenntnis stellt selbst den „Be-
: zirk der Frage nach dem Wesen des Grundes" dar.

Zweierlei ist hier bedeutungsvoll. Die Transzendenz
, ist nicht das, woraufzu der Überstieg erfolgt, sondern
sie ist das Übersteigende selbst. Es kann sich bei der
Transzendentalphilosophie — zum wenigsten seit Kant —
nicht mehr um eine Philosophie über das Transzendente
handeln. Die philosophische Mystik wird an der entscheidenden
Stelle mit einer Eindeutigkeit abgelehnt, die
i methodisch für die Theologie ebenso vorbildlich ist wie
für die Religionsphilosophie aller Schattierungen. Die
Problematik des transzendierenden Daseins ist in sich
selber tiefgründig genug, um auf Taschenspielerkunststücke
mit einem transzendenten Objekt verzichten zu
können. Das Zweite aber hängt damit zusammen. Wenn
man die Terminologie H.'s aus ihm selbst versteht und
nicht durch deren historische Herkunft sich mißleiten
läßt, wird man den Terminus Ontologie nicht im Sinne
einer Parteinahme für den Realismus verstehen dürfen.1
H. bekennt sich insoweit zu Kant, als die Transzendentalphilosophie
durch keine dogmatische Entscheidung
zugunsten einer transzendentalen Objektivität oder Sub-
i jektivität sich um den durch ihr eigenes Faktum sich
kundgebenden Anspruch bringen lassen darf. Methodisch
ist daher die von H. jetzt ausführlich begründete

1) Meine ausführliche Anzeige von „Sein und Zeit" (Th. L. Ztg.
1928, 481—93) hat dem kritischen Grundsinn der H-schen Ontologie
sich nicht tief genug erschlossen. H. bezeichnet das bisher Veröffentlichte
jetzt als einen „konkret-enthüllenden Entwurf der Transzendenz".
Aber auch wenn dieser Anspruch voll durchschaut und durch die vorliegende
Interpretation des Seinkönnens gerechtfertigt wäre, bleibt der
Kern des damals erhobenen Einwands bestehen, wie das Folgende zeigen
wird.