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Ausgabe:

1930 Nr. 17

Spalte:

405-407

Autor/Hrsg.:

Grensted, L. W.

Titel/Untertitel:

The Atonement in history and in Life 1930

Rezensent:

Runestam, Arvid

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 17.

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problematischen „von vorne herein" sich unter die
kirchliche Tradition Stellen steht und fällt? Wenn ich [
dem gegenüber B.s Versuch über die Offenbarung in
Jesus Christus begrüße, so will ich damit nicht sagen,
daß ich hier schon alles Erforderliche gesagt fände;
z. B. das zu aller recht verstandenen Offenbarung dazugehörige
Handeln Gottes mit uns tritt, wie überhaupt,
so auch hier nicht deutlich genug heraus. Die Richtung
aber wird unbeirrt neu gewiesen, in welcher es m. E.
gehen muß, wenn anders wir uns nicht um irgend eine
Konservierung „des Christentums", sondern um ein
rechtes Verstehen der Offenbarung Gottes in Jesus
Christus zu bemühen haben.

Hermhut i. Sa. Th. St ein mann.

Grensted, L. W.: The Atonement in history and in Life.

A volume of essays. London: S. P. C. K. (1929). (IV, 340 S.) 8°.

10 sh. 6 d.

Die englische Theologie ist ja keine einheitliche
Erscheinung. Aber vielleicht kann man sagen, daß eins
gemeinsam ist für die verschiedenen theologischen und
kirchlichen Richtungen Englands in der Gegenwart: die
wachsende Betonung des Objektiven im Christentum
. Das kommt ja vor allem in der hochkirchlichen
Bewegung zum Vorschein. Alles ist da konzentriert
um die Lehre von der Inkarnation. (Es ist auffallend
, wie viel man aus dieser Lehre holt, und wie oft
man dieser Lehre begegnet in Zusammenhängen, wo
wir Evangelisch-Lutherische die Lehre von der Vergebung
der Sünden oder der Versöhnung setzen. Ich
denke z. B. an die Lehre vom Beruf. Wir sind gewohnt,
die Lehre vom Beruf in nahe Verbindung mit der Sündenvergebung
zu bringen: wenn Gott uns zu sich in der
Vergebung ruft, so ruft er uns auch durch die von ihm
eingesetzten Ordnungen der Welt, durch einen „Beruf".
Dadurch wird unsre Arbeit geheiligt und ein Gottesdienst
. Anders die englische Inkarnationstheologie: dadurch
daß Gott in Christus inkarniert wurde und in
die weltlichen Verhältnisse einging, sind diese Verhältnisse
, die verschiedenen Arbeiten der Welt usw., schon
objektive gesehen, ein Gottesdienst. Wir tun eigentlich
einen Gottesdienst, ungeachtet unsrer Berufung,
dank der Inkarnation. Dadurch wird also das Objektive
im Christentum so stark wie nur möglich hervorge^-
hoben. Und durch diese Inkarnationslehre wird ohne
Zweifel der alte Bund zwischen der Kirche Englands
und der Erlösungslehre des orthodoxen Christentums
des Ostens am besten gewahrt.)

Die vierzehn Verfasser dieses Sammelbandes gehören
nicht, sofern ich verstehe, der hochkirchlichen
Bewegung an (vgl. S. 333 f.). Selbstverständlich darum
nicht, weil sie von der Versöhnung schreiben, sondern
weil sie so „evangelisch" reden. Aber das Objektive
betonen ist auch ihr Interesse, und die gemeinsame
Basis ihrer Untersuchungen ist die Überzeugung, daß
die „objektive Versöhnung" die primäre ist und in erster
Linie hervorgehoben werden muß. Die Lehre von der
Versöhnung ist vor allem eine Lehre von Gott, von
„an inner necessity of Gods Being" (S. 6). Erst in
zweiter Hand ist sie eine Lehre von dem Menschen. In
diesen Bestrebungen unterscheiden sich die englischen
Verfasser ja nicht von der evangelischen Theologie
auf dem Kontinent. Mit dieser, und zwar mit der Bardischen
, sucht auch — allerdings unter Kritik — ein Verfasser
Fühlung (C. J. Shebbeare: The atonement and
some tendencies of modern thought, S. 299 ff., vgl.
S. 7).

Die Verfasser setzen sich sowohl eine historische
wie eine systematische Aufgabe. Nach einer Einleitung
von dem Herausgeber werden also folgende Themata
behandelt: Sacrifice in the old testament (von L. B.
^ross), The contribution of the Prophets of Israel (R. S.
Cnpps), Atonement in Jewish Literature from c. 400
ü- C. to A. D. c. 200 (A. Lukyn Williams), The Atonement
m the Svnoptic Gospels (A. J. Tait), The Pauline
uew of the Atonement (D. Dawson-Walker) The Atonement
in the Johannine wrightings (W. H. Rigg), The
Atonement in patristic Wrightings (Harold Smith) An-
shelms doctrine of the Atonement (A. R. Whatelv), The
Atonement in Reformation Theology (V. J. K. Brook),
The Atonement in Post-Reformation Writers (E. C.
Essex), Atonement and the Problem of Evil (C. F.
D'Arcy), The Atonement in personal experience (L. W.
Grensted), The Atonement and some Tendencies of
modern thought (C. J. Shebbeare) and The Preaching
of the Cross (C. M. Chavasse).

Wenn es sich darum handelt, eine systematische
Darstellung der Lehre von der Versöhnung zu geben,
oder besser, verschiedene Gesichtspunkte derselben hervorzuheben
, kann es gewiß ein Vorteil sein, die Aufgabe
unter verschiedene Verfasser zu verteilen. Das in
sich reiche Bild wird dadurch um so reicher auch in der
Darstellung. Aber es ist sehr fraglich, ob eine Arbeitsteilung
ebenso angebracht ist, wenn es sich um Wiedergabe
der Geschichte der Lehre von der Versöhnung
handelt. Die Untersuchungen werden dann leicht sehr
ungleichmäßig. Das ist auch hier der Fall. Die historischen
Aufsätze sind darum alle nicht gleich wertvoll.
So wird der Versöhnungsgedanke in den synoptischen
Evangelien allzu knapp dargestellt, die Versöhnungslehre
Luthers und der Reformation ebenso, wenn auch
durchgehend ein ernsthafter Versuch gemacht worden
ist, Luther richtig zu würdigen. (Siehe jedoch was von
dem Glauben bei Luther und seinem Verhältnis zur
Reue gesagt wird, S. 2231).

Im allgemeinen wird, aus irgend einem Gesichtspunkt
, der Wert von allen den alten tradierten Lehren
von der Versöhnung als ein objektives Geschehen betont
. Man darf nicht zu schnell eine solche Lehre wegwerfen
, auch wenn sie uns fremd vorkommt. Sie birgt
eine Seite der Wahrheit und weist auf ein tiefer
Liegendes, allen Lehren Gemeinsames hin (S. 292 f.).
Doch ist es den Verfassern nicht gelungen, diese gute
Absicht so weit durchzuführen, wie es vielleicht möglich
gewesen wäre: ich denke an die Lehre von dem Versöhnungstod
Christi als einem dem Teufel bezahlten
Lösegeld, an Luthers Lehre von dem Zorn Gottes und
seine „Straftheorie"; sie enthalten gewiß, wie neulich
von einem schwedischen Verfasser, G. Aulen, sehr überzeugend
ausgeführt ist (Den kristna försoningstanken,
Olaus-Petriföreläsningar vid Upsala Universitet) mehr
und religiös wertvollere Dinge als es den Verfassern
dieses Buches gelungen ist, herauszunehmen.

Interessant, wenn auch etwas zu zeitgemäß anmutend
, ist was D'Arcy ausführt über den „Adven-
turer-God" und die Reflexionen des Herausgebers in
der Einleitung über seine Verwandtschaft mit deus
absoonditus bei Luther und Barth. Wichtig ist, daß man
— worum sich besonders Grensted bemüht — die Lehre
von der Versöhnung in Verbindung mit der Lehre von
Gott oder der Anschauung von Gott zu setzen sucht
und daß man bisweilen auch darauf bedacht ist, das
Herkommen spezieller Züge der Gottesvorstellung aus
der historischen (politischen usw.) Zeitlage herauszusuchen
, wie den „feodalen" Charakter von Anshelms
Gottesgedanken.

Wenn gefragt wird, was in dem Buch vielleicht geeignet
wäre, die Lehre von der Versöhnung weiterzuführen
, so möchte ich die Tendenz hervorheben, die
allerdings nicht nur dieses Buch kennzeichnet, die Notwendigkeit
der Versöhnung in der Gesetzgebundenheit
der Dinge, der geistigen wie der „natürlichen", zu
suchen: in der moralischen Gesetzgebundenheit wie in
der Gesetzmäßigkeit der Liebe selbst. Die Versöhnung
ist notwendig weil Gott ist so wie er ist, sie ist notwendig
aus dem Gesetz der Liebe selbst oder aus
dem Gesetz, dem die Liebe folgen muß, um sich selbst
auszuwirken (vgl. S. 6, 18, 30, 330 f.). Die Versöhnung
ist „naturnotwendig", wenn „Natur" tiefer gefaßt wird
(und also nicht irrational im Otto'schen Sinne. Das zu
verstehen gibt ein Stück wirklicher Erkenntnis, auch