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Ausgabe:

1929

Spalte:

137-138

Autor/Hrsg.:

Herold, Victor (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -Register des 16. u. 17. Jahrhunderts. Bd. 1: Die Prignitz. H. 2 1929

Rezensent:

Peper, H.

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 6. 138

nicht sich in die allgemeine Sittenverderbtheit mitver- und die Wirtschaftsgeschichte, wird vieles von Wert

•tricken lassen Der Leser hat auch nicht den Eindruck, sein; ganz besonders mochte ich auch alle Familien-

daß diese üblen Erscheinungen nur Fehltritte weniger forscher auf dieses Heft hinweisen.

Entarteter waren sondern muß auf eine weitgreifende Bernbun* »■ Pepfcr.
und tief eingedrungene Verderbnis des Standes schließen,

wemi es z. B. vorkommen konnte, daß sogar Osna- Brunstäd, Friedrich: Deutschland und der Soziallsmus.
brücker Bischöfe aus Scheu vor dem Zolibatsgesetz 2. Aufl. (3. u. 4. Tsd.) Berlin: O. Eisner 1927. (X, 349 S.) rt. 8°.
jahrelang sich der Weihe zum Priester entzogen, um — Nationale Bücherei, Bd. 5. RM 7.50; geb. 9 — .
von Schlimmerem zu schweigen; oder wenn die uner- Dieses bedeutende Buch, dessen erste starke Aufhörte
Pfründenjägerei jenes Domherrn, der 14 Kanu- ; jage (1Q24) — sie ist durch Schuld des Referenten
nikate an sich gezogen hatte und drei weitere erstrebte, m dieser Zeitung nicht besprochen — schon nach
nicht die allgemeine Auflehnung gegen solchen Unfug zwej jähren vergriffen war, behandelt das Problem
wachrief. des Sozialismus in seinem lehxmdigen Zusammen-
Gewiß fehlen manche lichte und erfreuliche Züge hange mit der politischen, wirtschaftlichen, sozialen
in dem Bilde nicht. Das Ideal des wahren Klerikers, und kulturellen Geschichte des deutschen Volkes
der ein Leben der selbstlosen Treue und makellosen ;n den letzten Jahrhunderten. Fast die Hälfte des
Reinheit führte, war nicht ganz vergessen. Aber die Buches gilt diesen Voraussetzungen für Verständnis
dunklen Schatten scheinen uns doch zu überwiegen. und Würdigung des Sozialismus (1.—7. Abschnitt);
Mancherlei Spuren des Niedergangs in den zahlreichen : die Abschnitte fesseln durch die große Kraft
Klöstern des Landes, Kastengeist und Egoismus im | der Durchdringung des geschichtlichen Stoffes. Dann
hohen, eine recht dürftige geistige und theologische Bil- 1 ersf gibt Brunstäd die Begriffsbestimmung und Vordung
im niederen Klerus, das anscheinend völlige Feh- geschiente des Sozialismus (8. Abschn.); es folgt die
len wissenschaftlicher schöpferischer Leistungen, — von ; Darstellung und Kritik des marxistischen Svstems sowie
einer im Bistum erzeugten wissenschaftlichen oder prak- einc Theorie des Kapitalismus (9. und 10. Abschn.),
tischen theologischen Literatur weiß der Verf. kein ein- . schließlich die Darstellung der sozialdemokratischen Be-
ziges Beispiel zu nennen, — Mißstände 111 der Amterbe- wegung in Deutschland (11. Abschn.) und das „Ersetzung
, so die vielen Fälle papstlicher Provisionen, j gebnis", die abschließende Beantwortung der im Thema
nicht seltene Fälle von Pfründenhaufung und von sitt- gegebenen Frage (12. Abschn.).

liehen Anstößigkeiten, das Alles zusammen verbietet ; Die 2. Auflage ergänzt im Abschn. 11 die Ge-
doch, ein optimistisches Urteil über jene Zeit zu fallen 1 schichte der sozialdemokratischen Bewegung in Deutschund
lehrt, daß sie dringend der Reformen bedurfte, und i |amj durch einen Überblick über die neueste Entwicklung
anderer, innerlicherer, als die gewesen sind, von denen (298ff.) und bringt in dem 12. Abschnitte wesentliche
dem Verf. seine Quellen berichten. ! Erweiterungen: eine zusammenfassende Würdigung des
Wenn wir so in unserem Endurteil zu anderen Er- • Kapitalismus, seines Sinnes und seiner Gefahren
gebnissen kommen, so soll uns das nicht hindern, dem ; (303—312), ein Wort über das Religiöse im Sozialismus
Verf. für seine fleißige, umsichtige, von Ernst und | unrj den religiösen Sozialismus (321—326), eine ein-

Liebe zu seinem Gegenstand zeugende, inhaltsreiche
Arbeit die verdiente Anerkennung zu zollen.
Günzenhausen. Hermann Gl auf!

gehende Erörterung über das Scheitern des wirtschaftlichen
Sozialismus (331 ff.).

Der Verfasser des Buches ist der idealistische Erkenntniskritiker
und Religionsphilosoph der „Idee der
Die brandenburgischen Kirchenvisitations - Abschiede und Religion''. Er macht mit seinem kritisch-idealistischen
-Register des 16. u. 17. Jahrhunderts. Bd. 1: Die Prignttz. j Wahrheits- und Erkenntnisbegriffe auch hier Ernst. Das

Hrsg. v. Victor Herold. H. 2: Pritzwalk u. Putlitz. Berlin
Gsellius in Komm. 192S. (S. 105 — 236.) gr. S°. == Veröffentlichungen
d. Histor. Kommission f. d. Prov. Brandenburg u. d. Reichshauptstadt
Berlin, 4. RM 6.— .

Das zweite Heft des ersten Bandes dieser dankenswerten
Veröffentlichungen ist schnell dem ersten gefolgt
. Es enthält zunächst die die Stadt Pritzwalk betreffenden
Akten. Der erste Visitationsabschied stammt
vom 25. 9. 1545. der bei der zweiten üeneralvisitation
son 1558 ergänzt worden ist. Es folgen die Visitationsregister
von 1545, ebenfalls 1558 ergänzt. Der Abschied
der dritten Visitation von 1581 stimmt in seinen
einzelnen Teilen mit dem von Kyritz (Heft 1. „Kyritz"
S. 36) wörtlich überein und ist darum hier nur zum
Teil abgedruckt. Die Register dieser Visitation sind
seiner Zeit nicht noch einmal abgeschrieben worden und
infolgedessen verloren gegangen. Von den Visitationsakten
der vierten Generalvisitation sind nur noch die
Register vorhanden und hier wiedergegeben. Es folgen
dann die Matrikeln der Dörfer der Inspektion Pritzwalk,
und zwar die Matrikeln aus den Jahren 1542, 1581 und
1600. Den Beschluß bilden dann die Matrikeln der
Dörfer der Inspektion Putlitz, das sind alle zur Herrschaft
Putlitz und zum Kloster Stepenitz gehörigen
Dörfer. Die Matrikeln stammen aus denselben Jahren,
wie die der Dörfer des Pritzwalker Bezirks, lieber die
große Bedeutung dieser Veröffentlichung ist schon bei
der Anzeige des ersten Heftes gesprochen worden (53.
Jahrg. Nr. 26 Sp. 612). Das vorliegende Heft entspricht
in jeder Weise dem vorhergehenden, auch dieses
Heft wird nicht nur dem Pritzwalker Heimatgeschichtsforscher
höchst willkommen sein, auch für die allgemeine
Geschichte, insonderheit für die Kirchengeschichte

Buch ist nicht neutral und insofern nicht „objektiv" geschrieben
, sondern nimmt klar Stellung und vollzieht
Entscheidung, aber nicht als Parteibekenntnis, sondern
mit dem Willen „zu umfassender und durchdringender
Ganzheit", zu „positiver Kritik", deren Grundgedanke
dieser ist: „Auch der Irrtum lebt nur von dem Grane
Wahrheit, das in ihm ist, und seine wirksamste Bekämpfung
bleibt, ihn positiv systematisch zu begreifen
und dadurch dieses Lebensrecht aus ihm herauszuholen
" (IX).

Der idealistische Denkwille zeigt sich dann auch
in der kulturphilosophischen Einordnung des Sozialismus
. Vor allem unterscheidet Br. in der sozialdemokratischen
Bewegung streng die Arbeiterbewegung und
den Marxismus. Jene ist „gesunde, echte, notwendige
Arbeiterbewegung im Sinne einer Gegenwehr gegen die
schweren Schäden der entstehenden Industrie und der
sich erst herausarbeitenden kapitalistischen Produktionsweise
, im Sinne des Kampfes des neuen Standes um
seine Stellung im Ganzen der nationalen Gemeinschaft"
(259). Der Marxismus aber ist Aufklärungsdogmatik.
Hier greift nun Brunstäds aus der „Idee der Religion"
(S. 192ff.) bekannte Philosophie der Kulturgeschichte
ein. Die „Aufklärung" stellt eine notwendige Durchgangsstufe
der Geistesgeschichte dar. Ihr Wesen ist
die Differenzierung der religiösen Einheitskultur durch
Verselbständigung und Gliederung der Wertgebiete in
ihrer Eigengesetzlichkeit, Verselbständigung der Einzelmenschen
. Man kann hinter die Aufklärung und ihre
schweren Gefahren nicht zurück, man muß hindurch.
Die Aufklärung aber ist Krise. Sie muß überwunden
werden. Dem dient die „klassische deutsche Kulturschöpfung
" des Idealismus. Doch ist es ihr, aus