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Ausgabe:

1928 Nr. 5

Spalte:

101

Autor/Hrsg.:

Dubnow, Simon

Titel/Untertitel:

Weltgeschichte des jüdischen Volkes. Von seinen Uranfängen bis zur Gegenwart. In 10 Bdn. Bd. 2: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes 1928

Rezensent:

Beer, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 5.

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des christlichen Pietismus mtteingewirtct haben? Jedenfalls weist der
ursprüngliche Hasidismus manche dem Pietismus verwandte Züge auf:
z. B. die Herzensfrömmigkeit, das selbsterlebte Heil, den werktätigen
Glauben und die Front gegen die starre Orthodoxie. Der „Ablauf der
jüdischen Religionsgeschichte von Mose bis zum Hasidismus" (S.
10 - 12) ist allzusehr eine Betrachtung aus der Vogelperspektive. Aber
im Übrigen ist die Aufnahme der Arbeit Gulkowitsch's in die
von H. Haas geleiteten Veröffentlichungen des Leipziger Forschungsinstitutes
für Vergleichende Religionsgeschichte" ein glücklicher Griff.
Wir werden gern weiteren Studien des gelehrten Verfassers auf dem
Gebiet des jüdischen Sektenwesens begegnen.

Heidelberg. Georg Beer.

Dubnow, Simon: Weltgeschichte des jüdischen Volkes. Von

seinen Uranfängen bis zur Gegenwart. In 10 Bdn. Orientalische

Periode Bd. II : Die alte Geschichte des jüdischen Volkes. Antoris.

Uebers. aus d. Russ. von A. Stein her g. Berlin: Jüdischer Verl.

(1925). (604 S.) gr. S«. Lwd. RM 17 ; Hldr. 24-.

Der zweite Band der Dubnow'schen Weltgeschichte
des Jüdischen Volkes reicht vom Ende der
Perserherrschaft (332 v. Chr.) bis zur nationalen Katastrophe
70 n. Chr. Der etwa 400 Jahre umfassende
Zeitraum ist in vier Bücher zerlegt: 1. die griechische
Herrschaft bis 140 V. Chr.; 2. die Hasmonäer bis 63
v. Chr.; 3. das römische Protektorat und die Dynastie
des Herodes bis (> n. Chr.; 4. die römische Herrschaft
und der Untergang des jüdischen Staates. Wie beim
ersten Band (s. diese Zeitung 1926 Sp. 514 5) ist den
einzelnen Büchern eine gut orientierende allgemeine
Übersicht vorangeschickt.

Auch im zweiten Band zeigt sich der Verfasser abhängig
von der Fachliteratur. Unwillkürlich wird der
Leser von dem Schwung der Darstellung fortgerissen;
wer Freude an stark akzentuierten Urteilen hat, kommt
auf seine Kosten. Dubnow schreibt als Historiker,
der mit Leidenschaft an dem angestammten Volk hängt.
Sein Ideal ist die bürgerliche Freiheit, die soziale Gerechtigkeit
und der geistige Fortschritt der Nation. Von
hier aus angesehen ist für Dubnow ein Mann wie
Herodes, was seine Leistungen in der Außenpolitik
betrifft, eine glänzende Herrschergestalt, in der Innenpolitik
aber der Totengräber des jüdischen Volkes (S.
295). In Jesus sieht D. mit Well hausen den „Prediger
des edelsten Individualismus" (S. 582), und daher
ist ihm das Christentum die „natürliche Antithese zu der
nationalen Evolution des Judaismus" (S. 580). S. 583 f.
nimmt D. Stellung zu dem Zeugnis des Flavius Jose-
phus von Christus und zu dem Schreiben des Kaisers
Claudius vom J. 41 an die Bürger von Alexandria.

Heidelberg. QeorS Beer.

Müller, Prof. Karl: Die Forderung der Ehelosigkeit für alle
Getauften in der alten Kirche. Tübingen: J. C. B. Mohr 1927.

(25 S.) gr. 8°. = Sammlung gemeinvcrständl. Vortr. u. Schriften aus
d- Gebiet d. Theologie u. Religionsgesch., 126.

RM 1.50; Subskr.-Pr. 1.20.

Diese Studie ist die Wiedergabe eines Vortrages,
den der Verf. in Tübingen hauptsächlich vor Nicht-
theologen gehalten hat. Kurz, allgemeinverständlich und
übersichtlich breitet er ein umfängliches Material aus,
erläutert schwierige Stellen und gibt in Fußnoten Hinweise
für ein Weiterstudium, ohne sich in gelehrte Einzelheiten
einzulassen Neben vielem Bekannten erwecken
die Ausführungen über die ostsyrische Kirche (S.18ff.)
besonderes Interesse, in denen Verf. zeigt, daß die Forderung
der Ehelosigkeit aller Getauften hier zeitweilig
offiziell durchgeführt war, während verwandte Erscheinungen
in der Reichskirche (Messalianer, Tatianer)
als archaische Reste bedeutungslos bleiben mußten.

Zu S. 18, A. 1 möchte ich bemerken, dal! die vorgetragene Deutung
des Briefes von Bischof Dionys v. Korinth an Bischof Pinytus v. Knossus
(Kreta) - FUSeb. IV, 23, 6 — bereits von A. v. Hamack gegeben ist, der
dies Schreiben als Parallele zu Didache 6 2 erwähnt (Die Lehre der 12
Apostel, T II,i, 1884, S. 20L). Statt Mt 19,78 (S. 4, A. 2) muß es
natürlich 19,28 heißen.

Halle/Saale. Walther Völker.

Paul, Priv.-Doz. Dr. phil. Johannes: Gustaf Adolf. Bd. 1:
Schwedens Aufstieg zur Großmachtstellung. Leipzig: Quelle & Meyer
1927. (171 S.) gr. 8». RM 10-.

Gustaf Adolf gehört zu den Gestalten der Weltgeschichte
, welche nicht nur im Urteil der Allgemeinheit,
sondern auch in dem der ernsthaften wissenschaftlichen
Forschung stark umstritten sind, nicht nur, was seine
Persönlichkeit angeht, sondern auch die sachlichen Antriebe
seines Handelns. Man hat ihn als den Retter der

( evangelischen Sache überschwenglich gefeiert. Aber
nicht nur die Katholiken, sondern evangelische deutsche
Geschichtsschreiber seit Schiller haben neben das Bild
des religiösen Helden das des Landesfeindes der Deutschen
gestellt, dessen Erscheinen auf dem Boden Pommerns
einen verhängnisvollen Eingriff in die deutsche
Geschichte dargestellt habe. Von da aus hat Droysen,

] der letzte deutsche Historiker, der eine zusammenfassende
Darstellung über ihn gegeben hat, geglaubt, die
religiösen Beweggründe völlig hinter rein politischen zurückstellen
zu müssen, sodaß Gustaf Adolf nur noch als
großer, nationalschwedischer Staatsmann erschien. Jetzt
legt der Greifswalder Privatdozent Johannes Paul den
ersten Band einer neuen zusammenfassenden Schilderung
und Würdigung Gustaf Adolfs vor. Er geht dabei
von dem richtigen Gedanken aus, daß man das Verhalten
des Königs nicht nur aus der Lage, welcher er während
des 30jährigen Krieges gegenüberstand, verstehen müsse,
sondern aus der geschichtlichen Entwicklung Schwe-

; dens, vor allem in dem halben Jahrhundert, das der Re-

! giernngszeit Gustaf Adolfs vorausgeht und „zu den bisher
am wenigsten durchforschten Gebieten" der schwedischen
Geschichte gehört. Daraus ergab sich für den

! Verfasser die Notwendigkeit, zunächst umfassende Archivforschungen
in Stockholm, Kopenhagen, Lübeck,
Stralsund, Dresden und anderswo vorzunehmen. Seine
Arbeit bringt also wertvolles, neues Material. Aber dies
ist erfreulicherweise wirklich verarbeitet zu einer schildernden
Darstellung, in der sich nüchterne Klarheit und
der Schwung eines inneren Verhältnisses zur Sache sehr

i glücklich miteinander vereinen. Bei der Darstellung der

i Geschichte Schwedens um 1600 herum spielen nun na-

| turgemäß all die zahlreichen politischen Beziehungen
eine große Rolle, in welche das nordische Königtum

! damals verstrickt war: der Kampf um den zerfallenden
livländischen Ordensstaat, in dem Schweden gegen Ruß-

| land, Dänemark und Polen stand; das Ringen des
schwedischen Adels mit den Katholisierungsplänen Jo-

; hanns III., des Mannes der Jagellonin, das auch ein
bedeutsames und von Paul richtig gesehenes Stück Kirchengeschichte
darstellt; der „Neubau des schwedischen
Reiches" durch Karl IX.; dessen weitausgreifende Bünd-
nispolitik. So verstehen wir immer besser das Werden
der Lage, vor die sich Gustaf Adolf schließlich gestellt
sah. Es wird deutlich, „nach welchen allgemeinen
Grundsätzen man damals in Europa überhaupt Politik
trieb und welche besonderen Voraussetzungen für einen
schwedischen König vorlagen". So kommt Paul zu
einer wirklich zutreffenden Beurteilung der Gesichtspunkte
, durch die Gustaf Adolfs Handeln bestimmt war.
Es ist nicht, wie auch Ranke es deuten wollte, teils
religiösen, teils politischen Antrieben entsprungen, sondern
aus dem unlöslichen Ineinander beider. Gustaf
Adolf war Staatsmann, der als schwedischer König
nichts anderes als wohlüberlegte schwedische Politik
getrieben hat. Aber dieser König vergaß nie und wollte
nie vergessen, daß er und sein Land evangelisch waren
und daß darum seine Sache mit der des evangelischen
Glaubens unlöslich verbunden war. Aus politischer
Klugheit warf er für die evangelische Bewegung in deren
gefahrvollstem Augenblick alles in die Wagschale.
Und weil er evangelisch war aus innerster Überzeugung,
fühlte er sich für seine Politik seinem Volke gegenüber
im Gewissen verantwortlich und trieb sie ganz im Gedanken
an die Wohlfahrt und Größe seines Landes. Ich
hoffe Pauls Einverständnis zu finden, wenn ich das, was