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Ausgabe:

1927

Spalte:

52-53

Titel/Untertitel:

Orientalia Christiana. Vol. VI, 5 = Num. 26: De Oriente: Documenta et libri 1927

Rezensent:

Koch, Hugo

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eine Fülle von Vorstellungen und Empfindungen der
letztlich primitiven und doch sublimierten Sakramcnts-
religionen angeeignet hat", während in dieser „die
primitiven, aus unserem Blut aufsteigenden Elemente
beseitigt und durch den Rückgang auf die im Sinn der
Propheten persönlich-ethisch verstandene urchristliche
Frömmigkeit „die Spiritualisierung, aber auch die Intel-
lektualisierung des ,Heiligen' eingeleitet wird." Damit
w ertet er die Reformation in erster Linie nach ihrer Bedeutung
für die Religionsgeschichte, hält sich aber den
Blick dafür frei, daß „Forscher, die die Reformation
unter rein geistesgeschichtlichen oder politischen Gesichtspunkten
sehen, immer wieder den Einschnitt nicht
bei ihr, sondern im 13. und 17. Jahrhundert machen
möchten."

Was ich dazu zu sagen habe, verbinde ich am
besten mit einigen Bemerkungen über von Belows
Abhandlung. Sie ist eine Ausgestaltung des Vortrags,
den uns Below auf dem Historikertag in Frankfurt
a. M. im Herbst 1924 hielt, vermehrt um eine Beigabe
über „Wesen und Ausbreitung der Romantik". Es
handelt sich um fortlaufende Auseinandersetzung mit
den Ansichten neuerer Forscher, die den temperamentvollen
Kämpen zum Widerspruch gereizt haben. Dabei
wird, wie wir das bei Below gewohnt sind, aus
bewunderungswürdiger, den nicht so gut Unterrichteten
verblüffender, zuweilen auch verwirrender Kenntnis
des Schrifttums ein wahres Füllhorn der verschiedensten
Meinungen und Aufstellungen über uns ausgegossen
. Als nächster Zielpunkt dienen diesmal die
methodologischen Bemerkungen von Heussi über „Altertum
, Mittelalter und Neuzeit in der Kirchengeschichte."
Ich habe seinerzeit (1922, Sp. 321) in dieser Zeitung
ausgeführt, wieweit ich Heussi zu folgen vermag. In
dem, was Below gegen Heussis Abhandlung der
Universalgeschichte zu sagen weiß, erkenne ich Richtiges.
Wenn er aber Heussi gegenüber an der periodologischen
Bedeutung vornehmlich des Begriffs Mittelalter festhalten
will, so wird er, wie ich nach wie vor glaube,
auf Zustimmung kaum rechnen können. Übrigens hat
Heussi, wovon Below keine Notiz nimmt, inzwischen
die Probe auf das Exempel gemacht, indem er in der
neuesten Auflage seines Kompendiums mit dem alten
Schema gebrochen und es durch eine Periodisierung
nach neun Zeitaltern ersetzt hat, der man die praktische
Brauchbarkeit nicht absprechen wird. Einer
vertieften geschichtsphilosophischen Betrachtung, wie sie
S e e b e r g angestellt hat, wird freilich eine solche,
unter empirischen Gesichtspunkten angestellte Periodisierung
nicht genügen können, wohl auch nicht wollen,
wie ja auch umgekehrt Seeberg seine „Epochen"
schwerlich als Grundlage ernpirisener Einteilung verwertet
wissen will. Mit von Belows immer wiederholten
Versuchen, sich an dem Problem der Abgrenzung
von „Mittelalter" und „Neuzeit" abzuquälen, kommen
wir jedenfalls nicht weiter. Insbesondere bleibt die
Frage, ob Luther in's Mittelalter gehöre, ein „Irrproblem
ersten Ranges", wie Heussi es — unter Belows
Widerspruch — gut ausgedrückt hat. Dieser nimmt
es mir übel, daß ich einmal von Luther als dem
Vollender, nicht dem Anfänger gesprochen habe, und
bietet zu meiner Widerlegung eine Wolke von Zeugen
auf. Wenn er dazu bemerkt, daß ich Luther „mitleidig"
den Titel „nur eines Vollenders" zuerkenne, so hat
er hoffentlich — denn sonst wäre ich zur Klage berechtigt
— nicht empfunden, daß er meinen Worten
durch Hinzufügung des Wörtchens „nur" einen völlig
anderen Sinn gegeben hat. Nun würden sie ein von
mir nicht nur nicht beabsichtigtes, sondern scharf zurückgewiesenes
(vgl. meinen „Genius Luthers") verkleinerndes
Werturteil ausdrücken. Vollender aber ist
Luther, weil seit ihm zur Sache, d. h. zur Erneuerung
der „im Sinn der Propheten persönlich-ethisch verstandenen
urchristlichen Frömmigkeit" (Seeberg)
nichts wesentlich Neues mehr gesagt worden ist, auch

| schwerlich noch gesagt werden kann, in demselben
i Sinn also — auch das hat von Below mir übelgenommen
—, wie Bismarck der Vollender des preußisch-
j deutschen Staatsgedankens ist. Mit der „Neuzeit" hat
| Luther jedenfalls nichts zu tun. Das Wesen der „Neuzeit
" ist Aufklärung, das Wort in dem weiten Sinn genommen
, in dem Seeberg (s. o.) von Offenbarung
gesprochen haben will. Will sagen, ich verstehe unter
Aufklärung die Versuche, dem natürlichen Weltbild und
rationaler Weltbetrachtung zum Durchbruch und im
Lauf der Entwicklung zum Siege zu verhelfen. Below
sieht von der Aufklärung nur die naturalistischen
und rationalistischen Begleiterscheinungen und verengt
den Begriff, indem er ihr Idealismus und noch mehr
(s. die Beigabe) Romantik gegenüberstellt. Das ist
m. E. nicht zulässig, packt jedenfalls das Problem nicht
an der Wurzel. Die haben wir dort zu suchen, wo
Aufklärung und Offenbarung als von einander unabhängige
Größen auf einander stoßen und sich zur
Auseinandersetzung gezwungen sehen, eine Aufgabe,
die vom Rationalismus im engeren Sinn kaum in Angriff
genommen worden, dagegen für Idealismus und Romantik
Lebensfrage geworden ist, deren Beantwortung
je nach Zeitumständen und Personen verschieden ausfallen
mußte. Es war neuester, m. E. abwegiger Entwicklung
vorbehalten, die Begriffe Aufklärung und
Offenbarung so zu verengern, daß sie in feindliche
j Lager auseinanderfielen, eine Entwicklung, von der
i ich annehmen möchte, daß sie von Below nicht als
I unnormal erscheint, während ich allerdings der Mei-
j nung bin, daß durch sie wesentliche Errungenschaften
I wieder in Frage gestellt werden. Ich glaube, daß ich
mich hierüber mit Seeberg leichter verständigen
würde, sofern er weiß, daß es „das Zeitalter der Auf-
i klärung, der Bewußtheit, des Glaubens an die Macht
des Denkens und an die zentrale Stellung des Indi-
; viduums ist, in das wir eingetreten sind." Nicht als
dürfte ich erwarten, daß er die Folgerungen aus dem
! Tatbestand zu ziehen bereit sein würde, die meiner
I Einstellung vielleicht näher liegen. Den Berührungspunkt
glaube ich da zu finden, wo Seeberg (s. o.)
von der „Spiritualisierung" und „lntellektualisierung"
des „Heiligen" spricht, die durch die Reformation eingeleitet
worden seien. Hier sehe ich die „Erweichungen"
cies „harten Objektivums" der Reformation (Kühn) im
I offenbarungsgläubigen Protestantismus auftauchen, die
eben auch nur im Bannkreis der Aufklärung möglich
sinu und deren Vordringen, willig oder widerwillig,
wirksam unterstützt haben. Aber ich muß hier ao-
I brechen, da die grundsätzliche Erörterung den Rahmen
dieser Anzeige sprengen würde.

Gießen. (}. Krüger.

De Oriente: Documenta et Iibri. Rom: Pont. Institutum Orien-
taliurn Studiorum. (S. 265 332.) gr. 8°. - Orientalia christiana,
VI, 5. Nt. 26, Juilo 1926.

In Nr. I dieses Heftes behandelt J. Schweigl
S. J das Soviet-Ehe-Projekt (S. 269 ff.). Die Soviet-
Regierung hat nämlich einen neuen Ehe- und Familien-
| kodex ausgearbeitet, der vom Volke in Versammlungen
erörtert und dann durch Abstimmung an die Stelle
I des Codex von 191S treten soll. Die Hauptunterschiede
j von diesem liegen in der annähernden Gleichstellung
j von eingetragener und nichteingetragener (tatsächlicher)
Ehe, der Neuordnung des Vermögensverhältnisses
zwischen den beiden Eheleuten und der erweiterten Befugnis
der Ehescheidung. Der Verlauf der Erörterungen
und Abstimmungen ergibt aber den Eindruck, daß bei
den breiten Massen der kommunistischen Arbeiter- und
Bauernschaft die neue Gesetzesvorlage wenig Anklang
findet, vielmehr eher ein Streben zurück zum Alten sich
bemerklich macht.' In Nr. II (S. 287ff.) berichtet G. H o f-

1) Anm. bei der Korrekt. Die Gleichsetzung der registrierten
Ehe mit der freien ist inzwischen vom „Exekutivkomitee" abgelehnt
worden.