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Ausgabe:

1927 Nr. 24

Spalte:

571-574

Autor/Hrsg.:

Bornhausen, Karl

Titel/Untertitel:

Der Erlöser. Seine Bedeutung in Geschichte und Glauben 1927

Rezensent:

Steinmann, Theophil

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 24.

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bendc Kraft des Katechismus von 1810] Revision von Luthers
kleinem Katechismus (59—156). — j- P. J. Wagner, Ober die Beziehungen
zwischen Morgenland und Abendland in der mittelalterlichen
Musik (157—174). — Carl Allen Moberg, Bischof Beynolf y.
Skara [f 1317] unser erster geistlicher Komponist (175—192). — A.
Thomsen, Das Memorial des Andreas Rydelius an den Reichstag
von 1738/39 (193—202). — Ed. Leufven, Paralleltexte /um Katechismus
von 1810 (203—349). — Miszellen.

Das Wichtigste aus beiden Jahrgängen ist die Vollendung von
Tor Andrae's großer und bedeutender Studie über den Ursprung
des Islam, die, weil sie deutsch geschrieben ist, von jedem deutschen
Kirchenhistoriker beachtet werden kann und beachtet werden sollte.
Die ganze, 1923—25 in K. Ä. veröffentlichte Studie ist 1926 in einem
Sonderdruck erschienen und Th. L.Z. 1926, 482 ff. besprochen.
— Der Jahrgang 1926 ist nicht bloß aus historischen Gründen den
Katechismusarbeiten des Erzbischofs Lindblom gewidmet; es handelt
sich auch um die gegenwärtigen Katechismusprobleme der schwedischen
Kirche.

Göttingen. E. Hirsch.

Bornhausen, Prof. D. Karl: Der Erlöser. Seine Bedeutung
in Geschichte und Glauben. Leipzig: Quelle fcV. Meyer 1927. (XII,
258 S.) 8°, Rm. 5—; .geb. 7—.

Die — nicht erst noch besonders ausgesprochene —
Voraussetzung des Bornhausenschen Buches ist, daß wir
nirgends in der christlichen Tradition eine ohne weiteres
göttlich-authentische und darum verbindliche, lehrnafte
Mitteilung über den Erlöser und sein Erlösertum haben,
auch nicht in der soteriologischen Gedankenwelt der
Neutestamentlichen Literatur. Nur von dieser Voraussetzung
aus kann man dem Buche gerecht werden. Das
heißt aber: B.s Buch ist bedeutsam nur für solche
Christen — und Theologen —, die in dem geistigen
Ringen wirklich und voll darinstehen, in das wir durch
die unvermeidliche Auflösung überlieferter Selbstverständlichkeitsgeltungen
ungebrochen herrschender Tradition
hineinversetzt sind. Im besonderen muß aus der
spezifischen Buchreligionsform des empirischen Christentums
und den damit gegebenen Bindungen wirklich
herausgetreten sein, wer den Ausführungen Bs. innerlich
unbeschwert soll folgen können. Nun sind wir aber —
und es wird immer so sein, nicht nur, weil den Dingen
bis auf den Grund zu sehen, überhaupt nicht jedermanns
Sache ist, sondern in diesem Falle besonders auch im
Zusammenhang mit der unmittelbaren Geschichtsgebundenheit
auch alles starken und lebendigen christlichen
Glaubens —- weit davon entfernt, daß die klare und konsequente
Erfassung der mit der Erschütterung bisheriger
Selbstverständlichkeiten auftauchenden letzten Probleme
unserer theologischen Lage auch nur theologisches Allgemeingut
wäre. Von da aus ist zu erwarten, daß B.s
durchaus ernst zu nehmender Versuch von mancher
Seite her von vorne herein gänzlichem Nichtverstehen
und innerlich erregter Ablehnung begegnen wird; und
dies um so mehr, als er mit einem gewissen freudigen
Radikalismus und allen Kompromiß mit bis daher Allgemeingeltendem
bei Seite lassend, seinen eigenen Weg
geht.

Nach B. ist der Irrweg heutiger Theologie ohne
Unterschied der Richtungen überhandnehmende Gleich-
giltigkeit gegenüber „der geschichtlichen Existenzform"
(S. 1) „der Gestalt Jesu Christi" — sie hat „kein vernünftiges
Vertrauen mehr zu den historischen Tatsachen,
die seit zwei Jahrtausenden ihren Glauben begründen"
(S. 2) — und damit zugleich Unsicherheit in der Erfassung
des Christenglaubens als geschichtlicher Religion
. Dem gegenüber gilt es vollen Ernst machen mit
dem geschichtlichen und geschichtsbegründeten Charakter
unseres Glaubens — hier liegt das von Troeltsch als
„einzigem" klar erkannte „Problem der christlich-europäischen
Geisteskultur" (S. 3) — und, der unverstandenen
Wegweisung Herrmanns folgend, „den geschichtlichen
Jesus im Zentrum des evangelischen Christentums
halten" (S. 3), damit grade das verwertend, anstatt in
unangebrachter Geschichtsskepsis wieder beiseite legend,
was die fromme Forscherarbeit der historischen Theologie
der letztvergangenen Jahrzehnte uns zu geben sich

! bemüht hat. Die besondere Wirklichkeit, innerhalb deren
wir als Menschen stehen, ist die Geschichte, und zwar
I diese Geschichte verstanden als ein Zusammenhang
geistigen Lebens. Auf diesem Boden unserer menschlichen
Wirklichkeit muß auch eine Offenbarung stehen,
i die für uns überzeugende Wirklichkeit sein soll. Das
aber ist der Fall bei der christlichen Offenbarung, sofern
diese „durch den geschichtlichen Menschen" — oder,
wie B. sich gern ausdrückt, durch den „Erlösermenschen
" — „in die Menschheit eintrat" (S. 4). Unmittel-
j bare Wirklichkeit aber ist diese offenbarungshafte Erlösung
für uns einmal schon, sofern wir Menschen des
| unsern gesamten Kulturkreis umspannenden „christlichen
j Aeon" — B. betont gelegentlich den trotz allem nicht
I wegzuleugnenden christlichen Charakter dieser Kultur —
i tatsächlich unter der geistesgeschichtlichen Erlöserwir-
| kung des geschichtlichen Jesus stehen; in entscheidender
, Weise aber dadurch, daß er mit seinem geistig wirk-
I samen Erlösertum in unser eigenes geschichtliches Leben
| hineintritt, in der Geschichte unserer eigenen Seele geschichtlich
lebendig wird. Es handelt sich hierbei also
I nicht um das bloße Fortwirken einer Idee, sondern um
i die Realwirkung eines geschichtlichen Personenlebens.
Was überhaupt das metahistorische Geheimnis des geistigen
Zusammenhanges ist, den wir mit „Geschichte"
meinen: menschliches Personenleben mit seiner zeitüber-
kgenen Wirkung, das gilt in ganz besonderer Weise
I hier: die Person ists mit der ihr verliehenen über den
| Abstand der Zeiten hinübergreifenden unmittelbaren Ge-
j genwartswirkung, nicht dagegen die von der Person als
J ihrem bloßen Träger zu lösende Idee. So ganz auf den
in der Geschichte gegebenen menschlichen Erlöser und
! seine geistige Gegenwartswirkung auf uns sich stellen
kann man allerdings nur, wenn man — wie B. das tut
— in den geistigen Zusammenhängen der Geschichte
mehr sieht als nur „die vergangenen und heutigen Men-
: sehen", vielmehr das positive Wirken der sittlichen
Gottesmacht und im Zusammenhang damit auch für die
Erfassung von Offenbarung und Erlösung mit dem Gott
der Geschichte des christlichen Glaubens vollen Ernst
I macht: Gott handelt mit uns Menschen wirklich in und
durch die Geschichte, nicht etwa irgendwie von außer-
I halb ihrer her neben ihr hin und an ihr vorbei. „Der
Christenglaube gibt" unmittelbar „dem geschichtlichen
' Leben" selbst „den Akzent des erlösenden Gottes"
! (S. 218).

Also der ganz in den Umrahmungen der menschlichen
Geschichte stehende „Erlösermensch" als der
! „historische Herr" ist es, durch den Gott ganz eigentlich
in der Geschichte und im vollen Sinne geschichtlich erlösend
mit uns handelt: das ist die — m. E. sehr beachtliche
— Grundthese B.s. Damit aber wird alles auf den
Glauben gestellt, einen Glauben, der ganz Leben ist, nämlich
ein persönliches Ergriffensein von der Erlösermacht
I des geschichtlichen Herrn, und schlechterdings nichts
i mehr zu tun hat mit einem vorerstigen Hinnehmen-
I müssen überlieferter christologischer und Erlösungs-
Dogmen, was nach B. ein — wie ich mich ausdrücken
würde — Abgleiten aus dem religiösen Gewißhaben in
weltanschauliche Sicherungen bedeuten würde. — Eine
besondere Färbung gewinnt B.s These durch die radikale
Konsequenz ihrer Durchführung. Nicht etwa so,
daß die Formulierung „Erlösermensch" und die Betonung
des vere homo den Erlöser als den Nur-Men-
, sehen verstehen möchte; das tadelt B. vielmehr grade an
' der Aufklärung, wie er auch Herder gegenüber bemerkt:
der bloße Begriff der Humanität „war zu erdgebunden,
um die Botschaft des Erlösers in ihrer lebendigen Geschichtsgewalt
zu überliefern" (197). Sondern darin
geht er bis zur letzten Konsequenz: daß er bei dem
Kreuzessterben des Erlösers und dem in demselben gegebenen
innerlichen Siege als dem letzten uns menschheitsgeschichtlich
wirklich Gegebenen Halt macht;
seine Erlöserwirkung für uns ganz in den Rahmen
des geschichtlich Erfahrbaren spannt: nicht der