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Ausgabe: | 1926 Nr. 14 |
Spalte: | 379-381 |
Autor/Hrsg.: | Werner, Otto Ernst |
Titel/Untertitel: | Lehre der Tatsachen über Wesen und Ursprung, Gang und Ziel der Welt 1926 |
Rezensent: | Steinmann, Theophil |
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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 14.
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Der Verfasser des Buches steht auf dem Boden der neukantischen
Philosophie, und seine Darstellung teilt die Vorzüge der meisten
Neukantianer: Schärfe der Begriffsbildung und Klarheit der Deduktion.
Sie teilt aber auch mit ihnen manche neukantische Einseitigkeit, so
den streng formalistischen Kulturbegriff, daß Kultur Fortschritt in
guter Gesinnung ist, und die Lehre vom Recht als der Bedingung für
alle sozialwissenschaftliche Erkenntnis. Phänomenologische Wesensschau
würde hier in tiefere Schichten vorstoßen und zu realistischeren
Einsichten gelangen.
Düsseldorf. Kurt Kcssclcr.
Werner, Otto Ernst: Lehre der Tatsachen über Wesen und
Ursprung, Gang und Ziel der Welt. Gotha: L. Klotz in Komm.
1925. (IX, 312 S.) 8°. Rm. 7.50.
Daß es möglich ist, in einem zweckmäßig gebauten
Projektil die Reise nach dem Monde zu unternehmen,
wissen wir durch Jules Verne; nur daß seine Berechnungen
und naturwissenschaftlichen Konstruktionen nicht
mehr sein wollen als ein amüsanter Spaß. Dem Verf.
unseres Buches ist es mit seinen entsprechenden Konstruktionen
bitterster Ernst; eine starke rationale Gewißheit
steht dahinter. Und seine Reise geht bis in die
letzte Tiefe der Dinge. „Der vorgeführte Inhalt steht
über dem Wechsel der Zeit und der Welt." Er ruht auf
„Tatsachen der äußeren Welt und der inneren Erfahrung
". „Diese Tatsachen müssen entkräftet, und was
in "strenger Gedankenfolge auf ihnen aufgebaut wurde,
erschüttert werden, ehe man das gewonnene Ergebnis als
falsch beiseite schieben darf" (310).
Die eigentlich grundlegenden Erörterungen sind
dabei die, welche von den Tatsachen der äußeren Welt
ihren Ausgang nehmen, streng naturwissenschaftliche
Erwägungen — so meint der Verfasser; ein erkenntniskritisch
gezügelteres Denken wird urteilen: kühne naturphilosophische
Spekulationen. Von ihnen aus ergibt sich
der entscheidende Umriß des Ganzen. Und was dem von
der andern Seite hinzugefügt wird, ist nicht eine umfassende
Philosophie des Geistes. Für diese fehlen dem
Verf. die Voraussetzungen. Die geistige Welt, wie sie
sich in der Geschichte auftut und darüber hinausweisende
Perspektiven eröffnet, besteht für ihn nicht als eine
Größe von wirklich eigenem Gewicht. Er kennt nicht
eine Geschichte, in der wirklich etwas Neuartiges als das
für das uns erreichbare Weltverständnis Entscheidende in
die Erscheinung tritt. So kann er natürlich erst recht
seinen entscheidenden Ansatz nicht hier nehmen.
Die erkenntniskritische Besinnung Kants, die dem
kühnen Wagnis dieses Weltenfluges wehren möchte,
wird — nicht ohne mitunterlaufende Mißverständnisse:
so wird z. B. Kants „Ding an sich" durch die Bemerkung
erledigt, daß es ein Ding immer nur in Beziehung zu
einem Anderen geben könne, — auf wenigen Seiten
rasch beiseite geschoben.
Charakteristisch für das geistige Temperament dieses
Denkers ist, daß er immer zu Aufstellungen kommt,
die den geläufigen grade entgegengesetzt sind: die
Stoffwelt ist nicht unendlich, sondern endlich; der Weltraum
ist schlechthin leer; es gibt keinen Aether, keine
Moleküle und Atome; nicht eine anfängliche Drehung
der Sonne um ihre Achse ist die Ursache der in gleicher
Richtung verlaufenden Bahn der Planeten, sondern die
ursprünglich unbewegte wurde erst durch den Stoß in
sie stürzender abgelebter Weltkörper in diese Drehung
versetzt; das Leben ist nicht ein Erzeugnis des Stoffes,
sondern der Stoff ein Erzeugnis des Lebens; die physische
Kraft ist nicht konstant, sondern wird im lebendigen
Organismus in Leben umgesetzt und damit entmaterialisiert
und so langsam aufgezehrt; der Mensch
ist nicht das letzte Produkt einer aufsteigenden Entwicklung
, sondern die Ursprungsart („der Mensch war, auf
welcher Stufe der Entwicklung zum heutigen Menschen
er sich auch befand, immer Mensch" (147);
und S. 153: „Menschen mit menschlichem Geist und
Wesen hat es, wenn sie auch in der Leibesgestalt noch
minder entwickelt, ja in den Anfängen einfache Zellen
waren, immer gegeben") und die Fülle der organischen
Gestaltungen gibt uns nicht Kunde von einem Aufstieg
des Lebendigen, sondern von einem immer erneuten Erstarren
des dem Materiellen zugeneigten Lebens in degenerierter
Gestalt (als der Stoff noch bildsamer war,
veränderte sich darüber auch die organische Form, während
die genau entsprechenden Degenerationen des heutigen
Menschen die heutige Menschengestalt beibehalten).
Gewiß läßt sich zu den mancherlei von Werner abgelehnten
Thesen ein begründetes Fragezeichen setzen.
Solche gesunde wissenschaftliche Kritik verdirbt sich W.
aber dadurch, daß er den von ihm kritisierten Thesen
mindestens ebenso gewagte Thesen entgegensetzt. Und
dabei verwechselt er immer wieder einmal starke subjektive
Gewißheit mit der Gewißheit aus zwingendem Beweis
. So wenn ihm durch einige Tage fortgeführte Beobachtung
über die Wirkung der Sonneneinstellung einer
Pflanze auf bestimmte Drehbewegungen der Ampel, in
welcher sie wächst, erwiesen erscheint, daß sowohl die
Drehung des Erdkörpers wie seine Achsenstellung gleichfalls
durch den Pflanzenwuchs der Erde in seiner Tendenz
zu Licht und Wärme der Sonne bewirkt sei. Und
gar die Eisblumen an den Fenstern als eine Bestätigung
dessen, daß die im Wasser gebundene Kraft — wie übrigens
alle physische Kraft — an irgend einem Zeitpunkt
des Werdens in festen Wirkungsformen erstarrtes Leben
sei; darum diese organischen Formen, und als wurzellose
Blumen, weil bei dem damaligen Zustand der Erde die
Pflanzen nach W.s Konstruktion der Wurzeln eben
noch nicht bedurften — das repetiert nun das Wasser
mechanisch, so lange es als Wasser vorhanden sein wird.
Ich gebe zum Schluß noch in der Kürze die Grundzüge dieser
neuen Lösung des Wellrätsels. „Da Leben nun einmal da ist, und
Leben nuT aus Leben kommt, so reicht sein Ursprung in die Ewigkeit
. Es ist das ewige Sein, also UTsprunglos" (237) resp. selber das
schlechthin Ursprumgshafte. „In seinem Ursprung" war es „eine
Einheit" und als wirkliche Einheit „unstoffli.h" (155): der Urgrund.
„Die Stofflichkeit konnte erst kommen, als aus der Wesenheit durch
Teilung eine Mehrheit von Wesen entstand." „Der Stoff ist nicht
selber ein Sein, sondern nur die Form und Erscheinung des Seins,
bedingt durch den Zustand der Vielheit in Gegensatz zur ursprünglichen
Einheit" (15ö). Da weiter alles Lebendige bewußt ist — so
eben besteht es als „Beieinander mehrerer sich gegenseitig in ihrem
Dasein bedingender und darum eine untrennbare Einheit bildender
Teile" — muß es „diese Beschaffenheit aus seinem Ursprung mitgebracht
haben". Also „auch der Urgrund ist bewußt, wie hätte
sonst Lebendiges aus ihm folgen können" (156). „Der Heraustritt des
Lebens aus dem Urgrund muß sich mit einem Vorgang im Schoß
des Urgrundes eingeleitet haben, der dem analog ist, der sich heute
noch im Schoß einer Zelle zuträgt, wenn sie ihr Vollmaß erreicht
hat". „Aus eigenem, freien, im Urgrund selbst gelegenen Drang
strebte das Leben in die Vielheit und damit in die Stofflichkeit
auseinander" (157). Mit diesem Drang aber hatte es folgende Bewandtnis
. „Im Ursprung konnte das Sein nur erst ein Bewußtsein
seines Daseins, kein volles Ich-Bewußtsein haben": es wußte noch
nicht, „was es sei", „kannte seinen Inhalt noch nicht", weil dieser
„noch nicht entwickelt war". „Sein Beschluß war, es sollte sich entwickeln
". „Schon diese seine erste Tat war eine Tat freier Selbstbestimmung
". Da es das alleinige Sein war, konnte jener Anstoß nur
aus ihm selber kommen (247). Der Zweck also des Weltvorhandenseins
ist, daß sich der Urgrund seines Lebensinhaltes bewußt wird. Er
wird sich aber dessen bewußt in und durch das Lebendige. Die Welt
des Stoffes ist lediglich — mit Rothe — das dazu erforderliche und
zum Wiederabbruch bestimmte Baugerüst, und dabei der tote Stoff
der Rückstand aus lebendigem, dadurch entstanden, daß bei dem ständigen
Wachstum des Lebens die „in dichten Haufen umeinander und
durcheinander schwebenden Wesen immer mehr die Bewegungsmöglichkeit
und zuletzt die Lebensmöglichkeit einbüßten", „sich gegenseitig
erdrückten" (158). Aus dem sich verdichtenden Stoff zieht das
Leben immer mehr die Kraft wieder in sich hinein. Der tote Stoff
verfällt schließlich der Vernichtung. Ein Zeichen dessen ist die
Gravitation; indem der Stoff „sich aneinander, ineinander drängt",
„zeigt er, daß er verschwinden will" (232). Mit dem Verschwinden
des Stoffes „ist die Welt des Diesseits zu Ende" (232). Nun besteht
nur noch das Leben in allen den Gestaltungen, die es gewonnen hat
und wie es im Gesamtverlauf der Zeitwelt aus dieser herausgetreten
ist und „frei" wurde, indem „der Stoff sich im Tode ablöste" (299).
„Daß es, frei vom Stoff, doch fortbesteht, steht daraus fest, daß all
die Kraftmengen, die lebenslang aus der Natur in dasselbe eingehen
und zu seinem Wachstum und Aufbau dienen, im Tode nicht zurückfallen
an die Natur. Die kümmerlichen Reste, die der Tod zurückläßt,
entsprechen ihnen nicht entfernt" (300). Damit ist dieses Leben
aber auch abgeschlossen. Das gilt von allem Leben. „Wir wissen,