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Ausgabe:

1925 Nr. 20

Spalte:

469-470

Autor/Hrsg.:

Evans, Austin Patterson

Titel/Untertitel:

An Episode in the Struggle for Religious Freedom. The Sectaries of Nuremburg 1524 - 1528 1925

Rezensent:

Bornkamm, Heinrich

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KV.)

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 20.

470

lehrsamkeit der freie Fluß der Oedanken verstopft. Man
muß sich meist durch ein Gestrüpp von Worten hin-
durchwinden und gewisse Stellen dreimal lesen, um
über den Sinn klar zu werden.

Die Untersuchungen lehren, daß die Denker der
Renaissance im ganzen politisch und sozial eher konservativ
sind. Allerdings ist das Interesse am Bestehenden
oft dadurch bedingt, daß dieses Bestehende eben
dem Ausnahiuemenschen erlaubt, zu tun, was ihm seine
Natur gebietet. Man konstatiert ferner auch damals, was
heute noch im Gefolge niederdrückender politischer Erlebnisse
vorkommt, die Flucht aus dem politischen
Leben in die geistige Freiheit des Denkers oder des Religiösen
, wobei jenachdem der Besitz als Bedingung oder
Hindernis erscheint (kirchl. Autoren, Poggio, Petrarka).
Wie die sozialen Bedingungen nur als Mittel hiebei gewertet
werden, so wird auch das wirtschaftliche Streben
im allgemeinen nur als solches Mittel geschätzt. Trotz
den Versuchen, solches Streben an sich zu rechtfertigen
und die I )aseinsfreude zu würdigen, ist der Kaufmann,
der ins Unbegrenzte strebt, den meisten ärgerlich, weil
er die göttliche oder die staatliche Ordnung stört (kirchl.
Autoren, Macchiavelli). Die kirchlichen Autoren halten
es mit dem Mittelstande und gehen weder gegen noch
mit dem Reichtum; auch wirkt die Schwärmerei der
Antike für das Landleben stark nach.

Immerhin kann Alberti die Arbeit und Pontano den
Reichtum preisen, und sich bei dem epikuräischen Valla
und dem realistischen Macchiavelli sogar eine moderne
Wertung der Gesellschaft und der wirtschaftlichen Faktoren
zeigen — letztere beiden fallen am meisten durch
kühne Gedanken aus ihrer Zeit heraus.

Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß auch
diese Darstellung des Denkens der Renaissance die
innige Verknüpfung des Theodizeeproblems mit der
sozialen Frage lehrt. Verschiedene Standpunkte treten
sich hier gegenüber, Savonarola glaubt an irdischen
Lohn für Gerechtigkeit, Pontano preist die Harmonie
von beruflicher Stellung mit der Veranlagung, Macchiavelli
aber sieht schließlich die launische Fortuna allen
Erfolg illusorisch machen.

Basel. Zickendraht.

Evans, Prof. Austin Patterson, Ph. I).: An Episode in the
Struggle for Religious Freedom. The Sectarics of Nurembcrg '
1524 1528. New York: Columbia University Press 1024. (XI,
235 S.) 8°. $ 2.50.

Für den glücklichen Oedanken, als Beispiel aus
der Geschichte des deutschen Täufertums die bewegten
Nürnberger Vorgänge von 1524—28 herauszugreifen,
standen E. eine Reihe guter deutscher Untersuchungen
und Quellenpublikationen zur Verfügung. Da es dem
Verf., wie er in der Vorrede berichtet, nicht gelang, die
beabsichtigte Durchforschung der Nürnberger Archive
vorzunehmen, ist sein Buch nicht als Bereicherung der
Einzelforschung zu werten. Wohl aber hat E. auf Grund
der Vorarbeiten, namentlich des Aufsatzes von Kolde
über Joh. Denck und die drei gottlosen Maler (Beitr.
z. bayr. K. Gesch. 1902) und sorgfältiger Beiziehung
der übrigen Literatur (darunter der Dcnck-Biographie
Kellers mit gebührender Vorsicht) eine geschickte Darstellung
gegeben.

Von Elarelheitea sei nur erwähnt, daß E. auf die Verwirrung,
die mit dem Brief Luthers an Link vom 14. 7. 1528 bei Enders
angerichtet ist, aufmerksam macht. Das Stück, das Enders (7,
211) aus Hartmann und Jäger, Johann Brenz I 1840, 301 f. abdruckt
, ohne zu bemerken, daß es nur deutsche Übersetzung aus dem
6, 298 ff. wiedergegebenen Brief an Link ist, findet sich in dem
Bedenken Brenzens nicht. Woher H. u. J. dieses Stück haben, entscheidet
auch E. nicht. Er vermutet, daß Luther eine Kopie seines
Briefes an Link nach 1520 an Brenz geschickt hat. Für die richtige
Datierung des schon Okt. 1528 gedruckten Bedenkens ist die Angabc
,,1528, in siebenden Tag des Heumonats" wichtig, die eine im Besitz
der Cornell University Library befindliche, nach E. aus der Feder
o'nes Nürnberger Ratsschreibers stammende Abschrift trägt.

Die Darstellung der Nürnberger Bewegung dient
allerdings, wie schon der Obertitel zeigt, nur der umfassenderen
Absicht, die Frage der Geistesfreiheit in
der Reformation an diesem Beispiel zu erörtern. Deshalb
greift die Skizze der Täuferverfolgungen auch
über Nürnberg hinaus nach der Schweiz, Straßburg,
Augsburg usw. Namentlich aber gibt er im 4. und
5. Kapitel (Luther and Dissent und Towards a policy of
repression) Untersuchungen über Luthers grundsätzliche
Stellung zur Toleranz und zum landesherrlichen Kirchenregiment
. Auch hier verdankt er den Hinweis auf die
Quellenstücke der deutschen Literatur, zeigt sich aber
von den augenblicklichen, namentlich an Sohm und
Troeltsch anknüpfenden Fragen der deutschen Forschung
eigentümlich unberührt. Sohm fehlt sogar in
dem sonst ziemlich reichhaltigen Literaturverzeichnis
völlig. Daß an der Behandlung von Luthers Aussagen
Einzelausstellungen zu machen sind — E. übersieht
z. B., daß Luther schon in der Schrift an den christl.
Adel den Bereich der weltlichen, von der Obrigkeit zu
ordnenden Dinge von dem der geistlichen deutlich
scheidet und rückt andererseits Luther zu nahe an
die Instruktion des Kurfürsten für die Visitation 1527
heran — das alles wiegt gering demgegenüber, daß
der Gru.ndcharakter von Luthers Gedanken, das Notwerk
, das er in der Aufgabe des Landesherrn sah, unbeachtet
ist. Was E. demgegenüber Luther an Motiven
unterlegt, ist z. T. recht merkwürdig. Mehrfach klingt
es durch, daß Luther für Toleranz eintrat, so lange er
sie für seine eigene Sache brauchte (z. B. 185). Am seltsamsten
aber wird in der Einleitung, die sich von den
ruhigeren Untersuchungen der späteren Kapitel unvorteilhaft
unterscheidet, die Übertragung der Kirchenhoheit
an die Landesherrn damit begründet, daß man nach
Luther das Volk die Bibel nicht allein auslegen lassen
dürfe (S. 10).

In der Einleitung, diu nach einem kurzen Rückblick auf das
Mittelalter und seine Stellung zur Toleranz eine Zusammenfassung
der spiritualistischen Grundgedanken bringt, häufen sich auch im
übrigen die schiefen Urteile: Luther hat die Hoffnung auf das Aufblühen
der schönen Ansätze einer Toleranz im Katholizismus (Nikolaus
v. Cues, Thomas Morus, Erasmus) zerstört (6). Luther verlangt
gegenüber der Bibel implieit trust (0). Das Abendmahl war den
Spiritualisten reines Symbol (Schwenekfeld!) (17) Auch dürfte sich
für die Entscheidung darüber, ob Luther „unnötigerweise" das
Priestertum allen Gläubigen zusprach (17), eine genauere Prüfung
von Luthers Grundgedanken empfehlen.

Daß die Werturteile des Buches persönlicher
Stellungnahme entspringen, ist selbstverständlich. Doch
unterliegt das nicht mehr der Auseinandersetzung, sondern
nur noch der Feststellung. Es erfüllt den Verf. mit
einer schlecht verhohlenen Verwunderung, daß ein Mann
wie Luther mit prophetischer Sicherheit behaupten kann,
die Wahrheit zu sagen und nie zugeben würde, daß
truth for the individual is a relative and a growing
thing (S. 2).

Tübingen. Heinrich B o r n k a in m.

Hansen, Prof. Dr. Reimer: Geschichte der Kirchengemeinde

Wöhrden. Heide i. Holst.: ,,Heider Anzeiger" 1023. (154 S.)

8U. Rm. 3—.

Als zehnjähriger Junge las ich einmal im Ninck-
schen Deutschen Kinderfreund (1888) einen prachtvollen
Aufsatz über den Freiheitskampf der Dith-
inarscher. Seither habe ich mir eine Vorliebe für diesen
echt deutschen Volksstamm bewahrt und auch diese vorliegende
Geschichte von Wöhrden mit größter Anteilnahme
gelesen. Wir finden darin ja nicht nur eine
einfache Ortsgeschichte, sondern fast noch mehr einen
vortrefflichen Beitrag zur Geschichte Dithmarschens.
Denn Wöhrden war einstmals einer der wichtigsten Orte,
weit bedeutender als Heide.

H. läßt vor unsem Augen Watten und Marsch entstehen
. Wir sehen, mit wie unsäglichem Fleiß die Wurt,
gegen alle Sturmfluten gesichert, zur Siedlung „Wöhrden
" erhöht wird, für ein Geschlecht, erfahren vor
allem in Fischfang und Seefahrt, daher Hafenplatz für
das gesamte Hinterland, aber auch tüchtig im Ackerbau.
In den Freiheitskämpfen gegen die umliegenden Fürsten