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Ausgabe:

1925 Nr. 19

Spalte:

448-452

Autor/Hrsg.:

Brilioth, Yngve

Titel/Untertitel:

The Anglican Revival. Studies in the Oxford Movement 1925

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 19.

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dabei wirken innere Nötigungen der Kirche, vor allem
das Aussterben oder Revoltieren des Geistes stark mit.
Wenn ferner ein ans Amt gebundenes Charisma bei
Irenaeus noch nicht gefunden wird (S. 206 u. ö.), wäre
ein Wort über Ir. IV 26 erwünscht gewesen. Wenn
Hegesipps „diodcr/t]" eine Bischofsliste ist, die er selbst
bis auf Anicet gemacht hat, ist der Schluß nicht triftig,
daß diese Liste in Rom vorhanden war. Daß die
potentior principalitas der römischen Kirche (Ir. III 3, 2)
auf ihre Gründung durch zwei Apostel deute, ist unwahrscheinlich
, da auch dem Polykarp die Einsetzung
durch mehrere Apostel zugeschrieben wird (Ir. III 3,4).
Bezüglich der adoptianischen Christologie mag man
das unglücklich komponierte Gleichnis des Hermas beliebig
auffassen, jedenfalls bleibt es unsicher zu sagen:
„der einfache Gehalt dieser Christologie war in Rom
von alters her eingebürgert" (S. 218). Eine sehr wertvolle
Bereicherung gibt dann § 23 durch ausführliche
Schilderungen der christlichen Sitte, der Stellung zu Welt,
Staat, Beruf, Kultur, worin vor allem Tertullian und die
Canones Hippolyti ausgeschöpft werden. Die Geschichte
des späteren Montanismus (wobei Seckeis Rekonstruktion
der Karthagischen Inschrift BSB 1921, 989 abgewiesen
wird) wird hier eingeflochten.

Die Darstellung der Bußpraxis (§ 24) ist das Reichhaltigste
und klarste, was über diese schwierige Frage
m.W. in Lehrbüchern vorliegt. Hermas scheint allerdings
nicht an eine Buße in der „Vorhalle" sondern an
volle Aufnahme der Büßer gedacht zu haben. Für die
Exomologese wäre vielleicht Mt. 18,7, gewiß I. Tm.
5,20 heranzuziehen gewesen — bedeutet I. Tm. 5,22
eine Reconciliation? Was über den Einfluß der Mysterien
auf das eucharistische Opfer und die Umbildung
der Bischöfe zu Priestern gesagt ist — vor allem nach
der KO Hippolyts — ist ebenfalls wesentlich bereichert
und vertieft. 1892 hat V. Schultze darin „die wunderlichsten
Dinge" gefunden (Th. Lit.-Blatt), heute dürfte
dies Urteil kaum wiederholt werden. Tertullians Gnadenbegriff
wird von hier aus verstanden, „zugleich in
Übereinstimmung mit seinen stoischen Voraussetzungen"
(S. 250), letztere sind in der Tat nur eine nachträgliche
Verbrämung für etwas ganz andres. Daß Kallist einen
todsündigen Bischof nur dem Gemeindeurteil entziehen,
aber durch andre Bischöfe absetzen lassen wolle, scheint
mir nicht aus Hippolyt (El. IX 12) zu folgen, die
„Todsünde" bezieht sich dort wohl nur auf mehrmalige
Ehen der Kleriker. Die Askese wird die Vorbedingung
für Geistesbesitz und Wunderkraft genannt (S. 266),
diese wichtige Linie hätte ausgeführt und mit den außerchristlichen
Parallelen verbunden werden können. Die
Skizze der Ethik des Clemens AI. ist eine wertvolle Bereicherung
. Bei Origenes ist eine auf seine leider so
dunkle philosophische Werdezeit (Ammonius. Nume-
nius?) bezügliche Vermutung der 1. A. ausgefallen. Daß
ihm der Hellenismus nur das „Gewand", die Verarbeitung
liefere, ist zu wenig gesagt. Paul von Samosata
ist mehr nach der Auffassung Harnacks als nach Loofs'
neuer Arbeit dargestellt, mit Verwendung des Gedankens
der sittlich-religiösen Entwicklung Jesu aus den „Xoyoi
TCQcg Zaßtvov". In § 29 (Bußdisziplin im Osten) hätte
die Epistola canonica des Gregor Erwähnung verdient.

Bei der Entwicklung der Synoden wird Sohms
Theorie einer erweiterten Gemeindeversammlung mitberücksichtigt
(S. 302), obgleich diese Herleitung eigentlich
nur auf die Bischofswahlen ungezwungen paßt.
Die Synodalfragen sind doch andern Schlages. Die
Entwicklung der Episkopatsverfassung und der Metro-
politangewalt hat der Verf. in Auseinandersetzung mit
Harnack behandelt (vgl. Abh. d. Berl. Ak. 1922, 3).
Seine Theorie von den wenigen ursprünglichen Bistümern
wird von den Quellen doch nicht in diesem Maße
gestützt, ebenso gewagt erscheint freilich Harnacks Annahme
einer vielerorts schon im 2. Jahrh. ausgebildeten
Metropolitangewalt. Es spiegeln sich m. E. in den Nachrichten
von den Doppelbistümern oder den in weiten

Landstrecken vereinzelten Bistümern die Ungleichheiten
der Missionierung und Gemeindegründung wieder, und
ein Titel wie ht'iGMitog rfjg Ivgtag kann sehr wohl
ein Relikt aus jener frühesten Zeit sein, ohne daß man
darin die „normale Organisation" zu sehen braucht. Die
seit dem 3. Jahrh. von leitenden Presbytern und Diakonen
redenden Quellen deuten zudem gewiß nicht auf
den alten Zustand der Gemeindepresbyterien. Kommt
der Titel „ÜQytvdovMiiog" für den Alexandriner in
unserm Zeitraum schon vor?

Es ist der Fluch des Kritikers, lauter Fragezeichen
zu setzen, wo er lieber doppelt so häufig seine Zustimmung
ausdrücken oder für die reiche Gabe eines
solchen Werkes seinen Dank aussprechen möchte. Das
Werk wird in dieser neuen Gestalt eine der wertvollsten
Leistungen unserer Kirchengeschichtsschreibung bieten.
Der Vorwurf, daß Volkstum und Gemeindeleben zu
schlecht wegkämen, kann dieser Bearbeitung nicht mehr
gemacht werden. Das Bild ist lebenswahrer und allseitig
geworden. Die dogmengeschichtliche Entwicklung
tritt stark darin hervor, aber eine grundsätzliche Scheidung
von Kirchen- und Dogmengeschichte ist unmöglich
, es kann sich nur um ein Mehr oder Weniger
handeln, wie man auch die Verfassungs- oder Kultusgeschichte
nicht aus der Kirchengeschiente weisen kann.
Allerdings geht die Neigung des Verf. sichtlich auf
Ideengeschichte, aber daneben ist z. B. die Verfassung
ebenso klar und reich dargestellt, sodaß beide Gebiete
als die Glanzstücke des Werkes erscheinen. Die Kunst
geschichtlicher Schilderung zeigt sich aufs neue im
Eierausheben der wichtigen Linien, in der Aufhellung der
großen Verbindungen (z. B. zwischen Rom und der
Asia, Rom und Alexandrien, Rom und Karthago), und
in der klaren Formung des Stoffes trotz der vermehrten
Fülle, worin vielleicht Duchesnes schönes Werk die
größte Verwandtschaft zeigt. So werde noch der Wunsch
auf baldige Weiterführung der großen Arbeit ausgesprochen
.

Kiel. E. K o h 1 in e y e r.

Brilioth, Yngve: The Anglican Revival. Studies in the Oxford
Movement. With a Preface by the Lord Bisliop of Glouccster.
London: Longmans Green a. Co. 1925. (XIII, 357 S.) gr. 8°.
Inhalt: Preface by the Bishop of Gloucester S. V. — Autbors

Preface S. XL

I. Introduction S. 1. — II. The High Church Tradition S. 16. —
III. Evangelicalism S. 29. — IV. The Forerunners of Neo-Anglicanism
S. 56. — V. The Romantic Atovement and Neo-Anglicanism S. 54. —
VI. The Noetics. The Problem of the Establishment S. 77.

VII. The Fulness of Time S. 93. — VIII. Seena. Drainatis per-
sonae S. 103. — IX. The First Attack and the Golden Age of Via
Media S. 127. — X. The Crisis S. 146.

XL The Static View of the Church S. ISO. — XII. The Fundamental
Forms of Tractarian Piety S. 211. — XIII. The Progressive
Idea of the Church S. 266. — XIV. The Doctrin of Justi'fication
S. 274. — XV. Mysticism and Sacramentalism S. 259.

Appendix I (Notes on the Qcstion of the Dependence of the
Oxford Movement on Alexander Knox and Jebb.) S. 331. — Appendix
II. (The Oxford Movement as jugded by Contemporaries and
Posterity, a Bibliographie Study) S. 334. — Index S. 343—57.

Br., bis vor kurzem Privatdozent der Kirchenge-

schiebte in Upsala, jetzt Professor in Abo (Finnland),
hat das durch Söderblom angebahnte engere Verhältnis
der lutherischen Kirche Schwedens zur anglikanischen
benützt zu mehreren langen Studienaufenthalten in England
, vor allem in Oxford, und ist von den akademischen
und kirchlichen Kreisen dort mit Herzlichkeit empfangen
worden (u. a. ist er im Pusey House des längeren
Gast gewesen); Frucht der so einem Fremden sonst nicht
gebotenen Gelegenheit ist das vorliegende Werk über die
Oxford-Bewegung, das einzige größere und beachtliche,
das einen Nichtengländer zum Verfasser hat. Es ist zuerst
(1921—23) in der Kyrkohistorisk Arsskrift schwedisch
erschienen. Die hier anzuzeigende englische Übersetzung
macht es auch denjenigen deutschen Gelehrten
zugänglich, die nicht schwedisch lesen. Neben dem