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Ausgabe:

1924 Nr. 7

Spalte:

129-131

Autor/Hrsg.:

Melcher, Robert

Titel/Untertitel:

Der 8. Brief des hl. Basilius, ein Werk des Evagrius Pontikus 1924

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 7.

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zu unberechtigter Unterschätzung des Byzantinischen
zu Übertreibungen im Lob zu neigen. Was da von geistiger
Höhe des Beamtenstandes, dem Byzanz den wunderbaren
Organismus seiner Verwaltung verdankt (vgl.
vollends S. 388, 14 f.) zu lesen ist, dürfte in die Geschichte
hineingelesen sein wie die These, daß es keinen
vornehmen Byzantiner gab, der die Heilige Schrift und
die Lehre der Väter nicht genau gekannt hatte. Und
während wir staunend immer aufs Neue von den Genies
und den großen Männern, Kaisern, Generalen, Schriftstellern
Denkern des byzantinischen Mittelalters hören,
— mit dem letzteren Begriff verbindet H. übrigens verschiedenartige
Vorstellungen — wird er der Bedeutung
des östlichen Mönchtums und vollends den mystischen
Bewegungen in der Ostkirche lange nicht gerecht. —
Bei einem den meisten Lesern fremden Stoff hätten
viel häufiger Jahreszahlen hinzugefügt werden sollen;
wenn kurz hintereinander von der scheußlichen Ermordung
des Kaisers Andronikos (nicht einmal „I" steht bei
seinem Namen!) und von dem Nikaaufstand die Rede
ist, sollte sich der Leser bewußt werden können, daß
der erste 1185, der andre 532 stattgefunden hat? Wem
helfen die bloßen Namen Kaiserin Theodora und Theo-
phano zu lebendiger Vorstellung? Kromayer sorgt
durch Mitteilung von Einzelheiten für Veranschaulichung
, wenn er von Steuern und Einkommen handelt, H.
spricht über diese Dinge, doch auch über die Themen,
ohne mit einem Beispiel den Umfang zu illustrieren.
So ist H. nicht ganz ohne Schuld, wenn in dem sonst verdienstlichen
Register für den letzten Teil zahlreiche
Fehler vorkommen, z. B. daß unter „Theodora, byzantinische
Kaiserin" die Gemahlin Justinians um 540 mit
der 1056 gestorbenen Selbstherrscherin identifiziert
wird, und daß Herr Dr. R. Böhme die auf S. 371 f. genannte
friedenstiftende Kaiserin für die 802 entthronte
Irene hält, während H. an die 842/3 für ihren Sohn
Michael regierende Theodora denkt. Hier erhoffen wir
von einer dritten Auflage des wertvollen Bandes gleichmäßigere
und reichlichere Verteilung der Lichter, daneben
entschlossenes Abblenden.

Marburg. Ad. Jülicher.

Melcher, Dr. Robert: Der 8. Brief des hl. Basilius, ein Werk
des Evagrius Pontikus. Münster i. W.: Aschendorff 1923.
(VIII, 102 S.) gr. 8°. == Münsterische Beiträge zur Theologie
Heft 1. Gz. 3.50.

Im Jahre 1912 konnte man bei W. Frankenberg,
Evagrius Ponticus (Abhandlungen der K. Ges. d. Wiss.
zu Göttingen) S. 621 als Anmerkung zu dem letzten Stück
der dort publizierten Evagriana lesen: „Dieser für die
äußere und innere Geschichte des Verf. sehr interessante^
Brief geht, wie ich nachträglich sehe, unter dem Namen
des Basilius bei Migne, tom. 32 ep. 8 S. 245—268."
Nicht allzu Viele haben hiervon Kenntnis genommen:
z. B. zitiert noch die jüngste Auflage des Enchiridion Pa-
- tristicum von 1922 4 Abschnitte aus dieser Epistel als
basilianisch; aber da ep. 8 eins der wichtigsten Stücke
der basilianischen Briefsammlung ist, durfte die Entscheidung
nicht länger hinausgezögert werden. Ein katholischer
Theologe in Münster, Melcher hat in seiner
Abhandlung der Wissenschaft diesen Dienst geleistet;
er hat den unanfechtbaren Beweis dafür geliefert, daß
der Brief dem später als Origanist verdammten Pontiker
Evagrius (t 400) zugehört.

Es hätte vielleicht nicht der 100 Seiten bedurft, um
jeden Zweifel auszuschließen: M. glaubt seine These dadurch
völliger zu sichern, daß er sie zuerst nach ihrer
negativen Seite, unbekümmert um die positive, begründet,
nämlich die Unmöglichkeit den Brief als Werk des
Basilius festzuhalten, dann von S. 73 bis 98 das Positive
, die Abfassung durch Evagrius durch so viele Argumente
stützt, daß die Zusammenfassung S. 99—102
fast überflüssig erscheint. Diese Methode mag die ideale
sein für die Gewinnung des Urteils, für seine Mitteilung
an die Leser ist sie es nicht, da sie eine Reihe

von Wiederholungen erfordert, vor allem in den §§ über
die Theologie des Briefes bezw. des Evagrius und des
Basilius. Aber das ist auch der einzige erhebliche Mangel
der Meleher'schen Schrift. Die griechischen Texte
werden sonst noch etwas steif wiedergegeben, z. B. für
icciv (xeTQov Sqiotov würde man doch nicht gerade;
Jedes Maß ist am besten" sagen: -/qovov inavov (so
ep. 8, 1) ist nicht wie M. p. 68 meint, gegenüber Gregor
or. 2, 1 xqÖvov nv /.iizqov „der wenig sagende, abgeblaßte
Zusatz: eine geringe Zeit", sondern beide Ausdrücke
sind einander schlechthin gleichwertig. S. 43
unten macht M. den aus ep. 8, 11 vorgeführten Abschnitt
dadurch fast unverständlich, daß er alle di, in
denen Evgr.—Basilius würde nie so monoton stilisieren!
— schwelgt, als „aber" verdeutscht. Und Übertreibungen
wie die auf S. 12, daß in ep. 8 auch nicht der
leiseste Gedanke von Richtung des Willens auf das Gute,
Liebe zu Gott, Stand der Gnade, kurz von etwas Andrem
als Erkenntnis bezüglich des christlichen Heilsgutes
durchklinge, zeigen doch ein wenig Einseitigkeit; noch
unangebrachter bedünkt mich die aus ep. 8, 11 herausgelesene
, dann allerdings höchst auffallende Deutung des
diäßokog als Überläufer und dabei des Wortes rqörtog —
TQOTtq. Nein, wenn es da heißt, daß der Satan, einst
Engel, jetzt wo er die Engelwürde verschleudert hat,
aico rov tqotiov wvo[.ittöü-rj didßolog, so bezeichnet
dies rqonog entsprechend dem vorhergehenden t] -Aaivrj
ßovlrj eben die in ihm personifizierte Mißgünstigkeit;
öiäßolog heißt es von dem ihn jetzt ausschließlich
charakterisierenden diaßdXXeiv.

Von solchen Kleinigkeiten abgesehen liefert M.
gründliche, umsichtige, unbefangene und darum auch
erfolgreiche Arbeit. Daß Stellen aus ep. 8 als Zeugnisse
für Basilius' Theologie doppelt aufgeführt werden
, nämlich auch als ep. 141 — diese Nummer trug
ep. 8 in früherer Zählung! — was bis vor Kurzem
nicht selten vorkam, ist nunmehr unmöglich; M.'s Beiträge
zur Trinitätslehre und zur Auslegung der Schrift
in der 2. Hälfte des 4. Jahrh. haben Anspruch auf
ernste Beachtung aller Dogmenhistoriker. Die Scheidung,
die er da zwischen Evagrius und ep. 8 einer- und dem
echten Basilius andrerseits vornimmt, ist unleugbar; aber
für das letzte Ergebnis wiegen ebenso schwer die äußeren
Zeugnisse, die sprachliche Eigentümlichkeit, und die
Datierung des Briefes. Dies letzte würde allein genügen
; die Abhängigkeit des Verf. der ep. 8 von Reden
Gregors, die er in Konstantinopel, also um 380 gehalten
hat, wie von der viel früheren oratio 2 ist so sonnenklar
, wie die Tatsache, daß dem Basilius solche Abhängigkeit
Niemand zutraut. Als basilianisch wird ep. 8
wenig und nicht eben früh bezeugt, besser jedenfalls als
evagrianisch, und aus welchen Gründen um nach 553 die
Werke des Evagrius gern unter den Decknamen von
Heiligen wie Nilus und Basilius flüchtete, lehrt ein
Blick auf die griechischen Übersetzer der mystischen
Traktate des Isaac von Ninive, die keck den Evagrius
ihrer Vorlage durch Basilius ersetzen!

Steht demnach außer Zweifel, daß „Basil." ep. 8 von
Evagrius etwa im J. 380 an seine ehemaligen Genossen
(an den Klerus, zu dessen jüngeren Mitgliedern er gehört
hatte?) geschrieben worden ist, so vermag ich der Konstruktion
, die M. S. 8 f. für das Einzelne aufführt, nicht
beizupflichten. Ich halte die S. 100 Anm. skizzierte Situation
für weitaus wahrscheinlicher und zweifle nicht,
daß der „unvermutete Vorfall", den Evagr. mit den Worten
seines Meisters umschreibt, auch den gleichen Charakter
trug wie bei Gregor, eine unverhoffte klerikale
Rangerhöhung war. Der Großstadt Constantinopel
gegenüber konnte der Platz, an dem Evagr. bis dahin gearbeitet
hatte, wie eine Einsamkeit erscheinen — zumal
wenn das Vorbild Gregor, orat. II den Allegoristen Evagrius
zu kühnen Deutungen reizte. Die gewagte Vermutung
, daß Evagrius als Privatsekretär Gregors ihm
seine Rede habe aufschreiben bezw. für die Veröffent-